BEFORE WATCHMEN

Brian Azzarello, J. G. Jones, Darwyn Cooke, J. M. Straczynski u.a.

In der Comic-Welt tobt schon seit längerem ein Glaubenskrieg, der durch „Before Watchmen“ entfacht wurde, eine auf Alan Moores und Dave Gibbons’ Meisterwerk „Watchmen“ basierende Spin-off-Serie, die mit diesem Anti-Superhelden-Paralleluniversum Mitte der Achtziger die Konventionen des Genres auf den Kopf stellten.

In nonlinearer Erzählweise entwarfen Moore und Gibbons damit nicht nur eine seltsam neurotische Gruppe von Superhelden, denen kaum noch etwas heroisches anhaftete, sondern betrieben auch noch eine freche Form von Geschichtsklitterung, was die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in den USA und weltweit seit den 1930er Jahren anging.

Und hätte das Künstler-Duo alle losen Handlungsstränge und erzählerischen Nebenschauplätze von „Watchmen“ noch detaillierter ausgearbeitet, wäre die eh schon nicht schmale Gesamtausgabe sicher doppelt so dick gewesen.

2009 entstand dann unter der Regie von Zack Snyder eine recht gelungene Adaption dieses an sich als unverfilmbar geltenden Stoffs, mit der Moore natürlich wieder nicht zufrieden war. Im Fall der Verfilmung von „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ gibt man ihm da gerne Recht, aber auch der auf seinem gleichnamigen Comic basierende „V For Vendetta“ gehörte in diesem Bereich zu den gelungeneren Vertretern.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der inzwischen 59-jährige Hippie-Zausel Moore, eine Mischung aus Rasputin und Catweazle, ein notorischer Nörgler und Quertreiber ist, wobei dessen Nonkonformität nicht unbeträchtlich zum Reiz seiner Arbeiten beiträgt.

Insofern war es kaum verwunderlich, dass „Before Watchmen“ bei ihm auf genauso wenig Gegenliebe stieß, und er sogar eine große Menge Geld ablehnte, die ihm der Verlag DC für die Betreuung des Projekts anboten, was man als Ausdruck der hohen künstlerischen Integrität des Briten ansehen mag, denn ähnlich wie für Zeichner Gibbons ist für Moore „Watchmen“ eine abgeschlossenen Sache.

Moore kritisiert überdies, dass es in der Comic-Industrie nur noch darum ginge, den Leuten überflüssige Spin-offs und billiges Merchandise anzudrehen. Die Reaktionen fielen auch darüber hinaus recht heftig aus.

Hierzulande lehnte sich „Die Welt“ mit einem „Das Werk eines Comic-Genies wurde geschändet“ betitelten Artikel ziemlich weit zum Fenster, bei dem das übertriebene vernichtende Urteil lautete, dass „Before Watchmen“ eine kreative Bankrotterklärung für DC sei.

Allerdings gibt es auch andere Stimmen, die Moore und ähnlich argumentierende Kritiker als Heuchler ansehen, schließlich hatte dieser „Comic-Gott“ bisher ebenfalls wenig Respekt vor den Kreationen anderer Kulturschaffender gezeigt.

Denn ähnlich wie „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ sollte „Watchmen“ zuerst von bereits bekannten Figuren bevölkert sein, nämlich den Superhelden der Charlton Comics. Dazu kam es nicht, da DC intervenierte und Moore seine Charaktere überarbeitete, so dass etwa aus Captain Atom Dr.

Manhattan oder aus The Question Rorschach wurde. Das ändert zwar nichts daran, dass Moore damit trotzdem großartige Comic-Kunst geschaffen hat, aber warum sollten nicht andere Autoren auch das Recht haben, seine Ideen weiterzuspinnen? Ausgehend von den vier bisher auf deutsch erschienen Bänden – „Ozymandias“, „Doctor Manhattan“, „Silk Spectre“ und „Crimson Corsair“ stehen noch aus –muss man allerdings feststellen, dass es inhaltlich und zeichnerisch wahrlich Schlechteres auf dem Comicmarkt gibt.

„Rorschach“ und „Nite Owl“ mögen den bereits aus „Watchmen“ bekannten Figuren keine wirklich neuen Seiten abgewinnen, dafür spinnt Autor Brian Azzarello um den Comedian, einer bei Moore etwas unterentwickelten Figur, ein Netz aus politischen Intrigen zu Zeiten der Kennedys, Vietnam und des Kalten Krieges in den Fünfzigern und Sechzigern.

Am gelungensten dürfte aber „Minutemen“ von Darwyn Cooke sein, der in schönem Retro-Style die recht düstere Vorgeschichte der Watchmen ausführlicher und tiefgehender als bei Moore schildert.