Britischer Punkrock kam 1976/77 nicht aus dem Nichts, er hatte eine Vorgeschichte, die auf die britische Beat- und R&B-Musik der Sechziger zurückgeht. Über Mod und Pub Rock und angefeuert von einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation sowie den Prog-Rock-Gigantismus der frühen Siebziger, der nicht wenige Musiker abstieß, entwickelte sich Anfang/Mitte der Siebziger schließlich die Punkrock-Szene: In schmierigen Hinterzimmern der damals noch erfolgreich als verlängertes Wohnzimmer (oder dessen Ersatz) dienenden Pubs (hier vor allem die in London) spielten noch unbekannte Bands wie DR FEELGOOD, EDDIE AND THE HOT RODS und IAN DURY & THE BLOCKHEADS, die sich stilistisch bei den erwähnten Stilen bedienten und dabei vor allem ihr trinkfreudiges Publikum bei Laune halten mussten.
Auch eine Band namens 101ERS gehörte in diese stilistisch nicht exakt eingrenzbare Szene, die Band eines gewissen Joe Strummer. Pub Rock entwickelte sich weiter, New Wave tauchte als neuer Begriff auf, wie John Blaney kenntnisreich erläutert, und umfasste sowohl jene stilistisch wie ideologisch offeneren Bands wie auch die radikalere Punk-Fraktion.
Es ist interessant zu sehen, wie unscharf die Trennlinien damals gezogen waren, wie Stiff Records als Label das gesamte Genre abdeckte, und dabei, wie es hier heißt, „Pub Rock-Raupen in New Wave-Schmetterlinge“ zu verwandeln half.
„A Howlin’ Wind“ ist ein hilfreiches, umfassendes, mit Zeitzeugenaussagen arbeitendes Werk, das aufzeigt, wie miteinander verknüpft und verwoben die musikalischen Genres sich im England der Sechziger und Siebziger entwickelten.
Man sollte es gelesen haben, um ein tieferes Verständnis für Punkrock und seine Wurzeln entwickeln zu können.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Joachim Hiller