1983 kursierte in der Stuttgarter Punkszene eine Kassette der Frauenband 3MUSKETIERE. Die Aufnahmen entstanden mit einfachsten Mitteln im Emmaus-Keller Stuttgart. Im Emmaus restaurierten Punks Möbel, planten Hausbesetzungen und diskutierten über die Unterstützung von RAF-Gefangenen, über Emanzipation oder quatschten nicht, sondern griffen zu Instrumenten.
Aus der alten Kassette von 1983 entstand nun die CD „Abflug“. Tatsächlich machte Texterin, Sängerin und Schlagzeugerin Katherina Bornefeld ihren persönlichen Abflug, kurz nach der Kassette, von Stuttgart nach Amsterdam.
Die CD der 3MUSKETIERE wirkt „psycho“, nicht nur die Musik erinnert manchmal an hippiesken Krautrock. Das liegt an der elegischen Geige von Sigrid Bornefeld, der Mutter der Schlagzeugerin Katherina Bornefeld, die alle nur Kat nannten.
Kat trommelt in ihrer galoppierenden, leicht swingenden Art, die auch typisch ist für die niederländische Anarcho-Punk-Band THE EX, bei der Kat seit 1984 vollwertiges Mitglied ist. Vervollständigt wurde das Frauentrio 3MUSKETIERE mit Io.
Ihre Basslinien klingen so verdammt nach frühen Achzigern, als nach Punk-Themen gesucht wurde, um dem alten Geist zu entfliehen. Auch die Texte haben einen esoterischen Touch. Sie äußern Wut und machen Hoffnung! Im Song „Vater Staat“ bekommt Deutschland eine „schallende Ohrfeige, überraschend, knallhart, gerecht“.
Lebensrat, den langweiligen Alltag im zählebigen Kaputtgart zu überstehen, gibt Kat in „Stunde des Vergessens“: „Vorbeiziehende Wolken lassen dich die Dunkelheit vergessen und umgeben dich mit Licht!“ Im Song „Trauma“ rät Kat: „Träumt nicht euer Leben, sondern lebt was ihr träumt!“ Das Stück findet man auch auf dem Kassettensampler „Jeden Morgen jeden Tag“, 1984 veröffentlicht auf dem Label Werke junger Monarchen/INFAM, von Handke Hesselbach, der leider jüngst verstorben ist.
Die therapeutisch klingenden Textstellen, Punkrock-Elemente, 70er-Flair und das liebevoll bunt gestaltete Cover von Emma Fischer mit schönem Booklet machen das Werk zu einem lokalgeschichtlichen Dokument.
Kats Weckrufe klingen charmant, sie sagt jede Nummer energisch an. Ihre Lebenswelt aus den Love & Peace-Tagen, die sie als Teenager im Club Manufaktur, dem Mekka der linken Gegenkultur verbrachte, sickert in jedem Lied durch.
Viel Liebe, Vertrauen, Sonne und Licht. Absurd, wie dazu die wirbelnden Trommeln und der gehackt gespielte Bass passen. Für Liebhaber seltener Musik mit außergewöhnlicher Besetzung – Bass, Geige, Drums – ein Genuss!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #147 Dezember/Januar 2019 und Simon Steiner