xBOMB FACTORY

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Attack Pop

An THE FALL, CRASS, MCLUSKY, THE CURE, Achtziger-Gothpunk und BIG BLACK erinnert fühlte ich mich bei der ersten 3-Song-EP des Fünfers aus Warboys in Cambridgeshire. Und an diesem Eindruck hatte sich mit der ebenfalls drei Songs enthaltenden „Gulliver“-EP nichts verändert. Vor allem nicht am Gesang von Ranting Jack, dessen Name passender nicht gewählt sein könnte: „to rant“ heißt „schimpfen, schwadronieren, toben“. Jack nimmt man seine Wut ab, seine überdrehte Stimme nervt nie, treibt die Songs vielmehr genauso voran wie die flirrende Gitarre, der pulsierende Bass, das bollernde Schlagzeug. Unlängst erschien mit „No“ (Noisolution) das erste Album der Engländer.

Jack, ich stieß 2009 auf euch, als ihr mir eure erste EP geschickt habt. Was war vorher?

Los ging es vor zehn Jahren, wobei ich das einzige „überlebende“ Originalmitglied bin. Unser Gitarrist ist aber beinahe schon genauso lang dabei. Die anderen Mitglieder kommen und gehen, was etwas damit zu tun hat, dass wir aus der Nähe von Cambridge kommen und dort natürlich viele Studenten leben, die nach ein paar Jahren dann wieder wegziehen. Es gibt bei uns durchaus eine aktive Musikszene, ONLY THE BRAVE etwa sind gerade recht erfolgreich. Die sind aber auch die erste Band aus Cambridge seit langer Zeit, der das geglückt ist, und dabei gibt es viele Bands und Konzerte. Dabei gibt es das Phänomen, dass die Studenten zwar viele Bands gründen, aber meist unter sich bleiben. Es gibt deshalb recht wenig Auftrittsmöglichkeiten für Bands. Und London ist ja auch nur achtzig Kilometer entfernt, wer eine Band sehen will oder selbst spielen will, fährt dorthin.

Die Postadresse ist in einem kleinen Ort mit dem schönen Namen Warboys ...

Ja, das ist das Dorf, in dem ich lebe. Der Name kommt aber wohl aus dem Französischen, von „Bois“ für Wald. Das Spannendste in letzter Zeit war – es war in England sogar in den Nachrichten –, dass ein junger Typ mit seinem Auto in ein entlaufenes Schwein gekracht ist. In meiner Straße! „Car hits pig“, hahaha.

Ihr kommt aus Warboys und heißt xBOMB FACTORY. Hattet ihr schon mal Probleme mit dem Namen?Menschen bei Post und Behörden sind heutzutage ja schon wegen dem absurdesten Scheiß paranoid.

Hm, bislang nicht, aber wer weiß, wenn wir mal in den USA auf Tour gehen wollen würden, was da so los wäre ... Die Idee hinter dem Namen ist, dass unsere Songs kurz und die Texte sehr direkt sind – die explodieren vor dir wie kleine Bomben. Wir machen sie – daher der Name. Das „x“ vor dem Namen mussten wir uns zulegen, weil wir feststellen mussten, dass es bereits eine japanische Band gleichen Namens gibt.

Du hast den Bühnennamen „Ranting Jack“, und das trifft sehr genau, was du inhaltlich und vom Tonfall her als Sänger machst.

Ich hatte den Namen schon vorher. Ich habe früher Gedichte auf der Bühne vorgetragen, wobei „ Gedichte“ vielleicht etwas zu dick aufgetragen ist. Kurze Texte eben, solche wie jetzt die Songtexte, „Spoken Word“ könnte man auch sagen. Ich hatte dabei keinerlei Ambitionen, nur einfach das Bedürfnis das zu tun. Es machte mir Spaß, ich mag Wortspiele und ironische Andeutungen, und was ich da auf der Bühne machte, war eben Rumzuschimpfen, also „ranting“. Da ich John heiße und Jack davon eine Namensvariante ist, war der Name dann schnell gefunden. Ich komme aus London, und wenn man sich mal mit Volkssagen und so beschäftigt, stellt man fest, dass da sehr oft der Name Jack auftaucht, eben weil er so gewöhnlich ist – Jack the Ripper, oder auch ein Dämon namens Springheeled Jack, der von Dach zu Dach sprang. Jack passte also perfekt zu mir.

Was bringt dich zum Schimpfen? Bist du immer so wütend?

Eigentlich nicht, aber vielleicht liegt das ja daran, dass ich einen Weg gefunden habe, die Wut rauszulassen. Und was regt mich auf? Eigentlich alles! Jemand fragte mal, ob meine Texte politisch seien, aber das sind sie im Grunde nicht, sondern persönlich, Alltagsgeschichten. Aber eine gewisse soziale Komponente ist schon drin, mich treibt immer wieder die Frage um, warum wir irgendwas tun: vor der Glotze sitzen, immer nur kaufen, kaufen, kaufen, die Gewalt in der Gesellschaft ... Letztlich ist das alles so banal – und langweilig. Langeweile ist meiner Meinung nach ein Werkzeug der Unterdrückung. Mein Statement ist also, dass ich nicht bereit bin, mein Leben auf dem Sofa vor der Glotze zu verbringen und meine Klappe zu halten.

Deine Texte sind sehr ausgereift. Hast du Erfahrung als Autor?

Ich habe früher als Lokaljournalist gearbeitet, und ich glaube, in dem Beruf gewöhnt man sich eine gewisse Sichtweise an, man bemerkt Dinge, die andere nicht sehen. Die lokalen und regionalen Tageszeitungen in England zahlen ihren Schreibern sehr wenig, was zur Folge hat, dass da eigentlich nur sehr junge Menschen schreiben, die das als Einstieg in den Beruf ansehen. Dir erklärt keiner so recht, was du tun sollst, du hast aber von Anfang an viel Verantwortung, also ziehst du los, machst deine Geschichten und siehst Dinge, die man sonst nicht zu sehen bekommen würde. Kann gut sein, dass mich das beeinflusst hat darin, einfach zu schreiben und zu sagen, was ich denke. Wobei man als Reporter natürlich nur berichten sollte, was man gesehen hat, und nicht, was man denkt. Das zu sagen, dazu habe ich jetzt die Chance.

Wie alt bist du?

... 41. Ja, ich habe spät angefangen mit dem Singen, ich war da Anfang dreißig. Ziemlich spät, um anzufangen auf einer Bühne herumzuspringen und Leute anzubrüllen, haha. Vorher hatte ich keine Zeit. Ich arbeite jetzt als Redakteur für eine Firmenzeitung – mehr Geld, weniger Scheiße. Ich habe Familie und bin froh, nicht mehr als Reporter rumlaufen zu müssen und Angst zu haben, dass jemand seinen Hund auf mich hetzt oder droht, mich zu erschießen, hahaha. Doch, das ist mir alles passiert!

Und die Band ist jetzt dein Ventil?

Ja, eine gute Beschreibung. Ich glaube, viele richtig intensive, schwere Bands erfüllen diese Rolle. Es geht um Katharsis, sowohl auf Seiten der Musiker wie der Hörer. Bei uns ist das auch so, nur ist mir wichtig, dass ich meine Texte loswerden kann und die Leute sie auch wirklich hören und verstehen können. Deshalb schreie ich nicht, ich spreche eher. Singen kann ich sowieso nicht.

Was verbindet euch als Band musikalisch?

Wir sind alle verschieden, unterschiedlich alt, aus anderen Ecken des Landes, und so bringt jeder ganz andere Einflüsse ein. Es gibt Bands, auf die wir uns alle einigen können, aber die Frage ist, ob die unseren Sound beeinflussen. JOY DIVISION sind so eine Band, aber wir klingen nicht nach denen. Ich glaube, die anderen haben es nicht leicht mit mir, diesem Typen, der nicht singen kann und nur seine Texte brüllt. Was soll man dazu für Musik spielen ...? Letztlich klingt es eben, wie es klingt, und neulich fragte jemand, wie wir das denn nennen würden, Punk sei es ja nicht. Ich antwortete dann, er könne es ja „Attack Pop“ nennen. Immerhin haben wir ja sogar ein paar Melodien, haha. Wir haben als Band zumindest ein paar gemeinsame Referenzpunkte, ganz allgemein würde ich britischen Punk nennen, aber auch US-Punk, die DC-Bands, aber auch PIXIES, DINOSAUR JR. und so. Und ich mag Performer wie Attila The Stockbroker und John Cooper Clarke, deren Spiel mit den Worten gefällt mir. Und in den Neunzigern war ich Fan von CARTER USM, die hatten exzellente Texte, man konnte die mitsingen und auch noch zu ihrer Musik tanzen.

Du hast deine Texte eben als „persönlich“ bezeichnet, aber letztlich sind sie doch politisch, taucht doch immer wieder das Thema Unterdrückung auf.

Ich finde, in den letzten Jahren ist das Gefühl der Unterdrückung stärker geworden. Es gibt einen französischen situationistischen Cartoon aus den Fünfzigern oder Sechzigern, und da sagt einer „Sie werden niemals den Preis für Langeweile erhöhen.“ Langeweile ist eine Waffe. Und heute hat jeder Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun. Die Menschen zensieren sich selbst, und alle saugen den ganzen Scheiß auf, der aus der Glotze kommt. Und hat das Internet wirklich was geändert, nutzen es die Menschen, um sich zu informieren? Nein, sie schauen Katzenbilder an! Und sie besuchen die Mainstream-Webseiten. All das ergibt eine Diät, die Menschen hirntot macht. Von der ganzen Kameraüberwachung – CCTV ist das Stichwort – ganz zu schweigen. Das hast du in England überall, in Deutschland zum Glück weniger. So muss es bleiben, kämpft dafür!