X-Mist war schon da, als das Ox noch nicht da war. Zusammen mit unter anderem We Bite und Nuclear Blast bildete die sowohl als Label wie Mailorder funktionierende Kleinstunternehmung Mitte/Ende der Achtziger das Fundament der aufkommenden und speziell in Süddeutschland aktiven Hardcore-Szene, mit Bands wie SKEEZICKS, CROWD OF ISOLATED, WALTER ELF und SPERMBIRDS. Damals wie heute ist der Name X-Mist untrennbar mit den Namen Armin und Ute verbunden, steht X-Mist für guten Geschmack und Attitüde abseits ausgetretener Pfade, für holprige Schleichwege abseits der breiten Pisten des Massengeschmacks. Wer Platten von 2BAD, STEAKKNIFE, HELL NO, SEVEN SIOUX, ATOM & HIS PACKAGE, LES SAVY FAV, KURT, EX MODELS, THE OLIVER TWIST, TREND und so einigen mehr veröffentlicht, wer Musik aus einem ähnlichen Spektrum auch über seinen Mailorder verkauft, der glaubt an das Gute und Schöne und hat es entsprechend etwas schwerer als so mancher Opportunist. Weil es schon lange überfällig war, hier jetzt also ein Interview mit Armin, der einst auch zu den Gründern des Trust-Fanzines gehörte.
Wer und was ist X-Mist?
X-Mist ist ein Label und vor allem aber auch ein Mailorder. Früher haben wir das zu zweit gemacht, Ute und ich. In den „besten Zeiten“ hatten wir sogar mal zwei bis drei Angestellte ... Aber seit geraumer Zeit bin ich allein dafür verantwortlich.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?
Ute geht zur Schule, ich bleibe im Bett liegen und lese die Zeitung. Danach geht es mit dem Hund raus. Gegen neun Uhr bin ich dann im Büro, schalte den Computer an und checke die eMails. Dann werden die Bestellungen erledigt und Päckchen gepackt. Den Rest des Tages – sofern da noch ein Rest bleibt ... – verbringe ich damit, andere Dinge zu erledigen, wie Label-Arbeit, Buchführung und all den notwendigen Kram. Wenn es mir zuviel wird, dann bedrucke ich zur Abwechslung mal ein paar T-Shirts oder Plattencover im Siebdruckverfahren.
Mal die Standards für alle Ox-Leser unter 30: Wie ging das damals los mit X-Mist? Also bitte die Geschichte von gaaaaanz vorne ...
Um eine lange Geschichte abzukürzen: Anfang der Achtziger gab es in ganz Deutschland verteilt die so genannten „Kassettentäter“. Da wurden alle obskuren und abstrusen musikalischen Ideen auf Tape gebannt und veröffentlicht. Aus jeder Kleinstadt kamen Tape-Sampler. Auch mein Bruder und ich machten zu Hause Aufnahmen mit Synthie, Schlagzeug, selbstgebastelten Instrumenten und erlaubten uns den Spaß, auch einen Kassetten-Sampler mit etlichen Bands aus unserem Dorf, die eigentlich nur aus uns selbst unter verschiedenen Pseudonymen bestanden, zu veröffentlichen Natürlich wurde viel getauscht und aus der sich ansammelnden Tauschware entstand der Mailorder ... 1985 kam ich dann auf die Idee, das Kassetten-Label in ein Platten-Label umzufunktionieren. Anlass waren die beiden Bands WALTER ELF und SPERMBIRDS, mit denen wir deren erste Konzerte außerhalb ihrer Heimat veranstalteten, und die daraus entstandene Freundschaft war Grund genug, selbige auf Vinyl herausbringen zu wollen. So war dann auch deren Split-7“ das erste X-Mist-Vinylprodukt.
Seinerzeit war die Hardcore-Szene – einigen wir uns auf diesen Begriff, was die Achtziger anbelangt – ja eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft, auch deshalb, weil der Zugang zu den Insignien, also den Platten, schwierig und aufwendig war. Spätestens seit Mitte der Neunziger hat sich das geändert. Wie hast du diese Entwicklung erlebt?
Meiner Meinung nach lag das weniger an der Tatsache, dass es schwierig war, an Platten ranzukommen, sondern vielmehr daran, dass Hardcore etwas Neues und noch Unbekanntes war, ohne jegliche Medienpräsenz Wenn die Dinge dann bekannter und einer größeren Masse zugänglich werden, ist es – ganz neutral betrachtet – konsequent, dass es dann den ursprünglichen „Community-Charme“ verlieren muss. Das hat dann durchaus auch seine Vorteile. Als negative Entwicklung würde ich aber sehen, dass der Begriff „Hardcore“ dadurch auch zu einem Standard wurde, das heißt, dass die musikalische Vielfalt der Anfangszeiten verloren ging – und Hardcore letztendlich nur noch eine ganz bestimmte Stilrichtung darstellt. Daraus resultiert dann auch, dass man früher davon ausgehen konnte, mit den Leuten, die sich im Hardcore-Bereich tummelten, menschlich und ideell mehr gemeinsam zu haben als nur den Musikgeschmack, was heute nicht mehr zwingend der Fall ist.
Wer X-Mist kennt, der weiß, dass du ein Mensch mit Prinzipien bist. Was ist dir wichtig, worauf legst du Wert – und was nervt dich?
Tja nun, was nervt mich? Da könnte ich nun endlos viel anführen! Letztendlich nerven mich die gleichen Dinge, wie jeden anderen auch ... Der Unterschied mag nur sein, dass ich dann auch in geschäftlicher Hinsicht die Konsequenzen ziehe. Wenn ich irgendwas für falsch halte, irgendjemanden für ein Arschloch oder dergleichen, dann mache ich auch keine Geschäfte mit diesen Leuten.
„Is mailorder still fun?“
Nicht immer, aber oft genug, um dabei zu bleiben. Manchmal ist es einfach nur ein Job. Aber es gibt diese Momente, wo es dann mehr ist als nur das. Wenn man positive Resonanz bekommt auf das, was man tut , oder wenn mir mal wieder eine Platte ins Haus flattert, die keine Sau kennt, mich aber vom Hocker haut ... Und ich dann versuchen muss, eben dieses weiterzuvermitteln, ganz egal, ob ich davon nun zwei oder 200 Stück verkaufe, das ist es dann, was mich wieder motiviert.
Wie schätzt du die Entwicklung der letzten Jahre ein? Faktisch (und polemisch gesagt) gibt es ja jede Platte, die es bei X-Mist gibt, auch schon bei Amazon.
Das stimmt natürlich nicht. Ich habe jetzt nicht extra bei Amazon nachgeschaut, aber eben jene scheißcoolen, obskuren Platten, die X-Mist als Mailorder definieren, gibt es dort nicht. Trotz aller Probleme, welche eigentlich von Jahr zu Jahr größer werden, ist es nach wie vor so, dass ich mich schwerpunktmäßig um das bemühe, was andere erst dann interessiert, wenn es „groß“ geworden ist. Ich denke, das war schon immer der Unterschied zwischen X-Mist und anderen Mailordern, von Anfang an bis heute, und so soll es auch bleiben.
Netzwerke waren eine Stärke der frühen Hardcore-Szene. Wie sieht das heute aus?
Kooperation unter Gleichgesinnten gibt es nach wie vor. Ich denke, da hat sich faktisch nicht viel verändert. Aber während es früher aus einer überschaubar kleinen Menge bestand, ist es heute eine unübersichtliche Masse, die in letzter Konsequenz dann allerdings sogar auch gegeneinander konkurriert. Ich glaube, der Hauptunterschied zu früher ist das inzwischen vorhandene Konkurrenzdenken. Auch ein Effekt davon, dass Hardcore ein Marktsegment darstellt und die daran Beteiligten heutzutage auch wirtschaftlichen Erfolg damit verknüpfen können oder wollen. In den Anfangszeiten hätte nie im Leben jemand daran gedacht, mit Hardcore „Erfolg“ haben zu wollen. Die Motivation war eine ganz andere – auch bei X-Mist! Dass X-Mist dann später doch zu meinem Job wurde, ergab sich aus der Entwicklung heraus. Es war aber niemals meine Absicht, damit meinen Lebensunterhalt bestreiten zu wollen, geschweige denn, reich zu werden ... Was mir ja nun sowieso gründlich missglückt wäre.
Die Szene (sofern man von „der Szene“ angesichts einer Aufspaltung in zig Subgenres überhaupt sprechen kann) ist im Laufe der Jahre immer stärker kommerzialisiert und durchökonomisiert worden. Wie stehst du dazu? Welche Nischen in Sachen „Gegenkultur“ gibt es noch, welche sind noch möglich? Und wie kann die Zukunft aussehen?
Eben wegen der Kommerzialisierung und Ökonomisierung entstanden ja diese Subgenres. Weil es halt immer noch Musiker/Künstler/Labels gab, die sich gegen diese Entwicklung sträubten und deswegen auch nach neuen Ausdrucksformen und Wegen suchen mussten. Meiner Meinung nach hat es immer und zu allen Zeiten interessante und innovative Entwicklungen gegeben, die sich einer größeren Bekanntheit entzogen. Andererseits reagiert die Industrie heutzutage auch immer schneller auf diese Sub-Subkulturen. Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, dass eine Band wie THE LOCUST jemals so etwas wie Erfolg haben könnte? Und jetzt kriegen wir schon deren Klone von der Musikindustrie vorgesetzt ... Aber es wird auch weiterhin interessante Nischen geben. Welche das sein werden, und wie die Zukunft aussieht, vermag aber niemand zu sagen. Wenn ich das jetzt schon wüsste, dann wäre es ja auch gar nicht spannend und auch überhaupt nicht interessant, das dann zu erleben.
X-Mist ist nicht nur Mailorder sondern auch Label. Was war, was ist, was wird sein?
X-Mist als Label betrachte ich als Spiegel meiner eigenen Entwicklung, quasi meine Form von künstlerischem Ausdruck. Ich bestreite nicht, dass ich da auch einiges veröffentlicht habe, mit dem ich im Nachhinein nicht zufrieden bin und mich ungern damit identifiziere. Aber wichtig ist vor allem, dass da eine Entwicklung vorhanden ist. Stillstand ist Rückschritt. Was mich wirklich aufregt, sind dämliche Sprüche à la „X-Mist ist doch dieses Hardcore-Label, das damals ...“ Nicht, weil ich mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben will, im Gegenteil, alles zu seiner Zeit, und auf manches kann ich durchaus auch stolz sein, sondern weil solche Sprüche nur eines belegen: Dass die Leute, die so etwas sagen, in ihrer eigenen Entwicklung schon vor Jahren stehen geblieben sind und eigentlich nie verstanden haben, worum es mir ging und geht.
Welche Voraussetzungen muss eine X-Mist-Band mitbringen, nach welchen Kriterien beurteilst du eine Band, ehe du eine Platte mit ihnen machst?
Natürlich muss sie mir gefallen. Schon mal rein musikalisch. Aber ich muss auch das Gefühl haben, dass wir menschlich auf einer Wellenlänge liegen, da kann man sich natürlich auch mal täuschen ... Vor allem aber muss für meinen Geschmack irgendetwas ganz Besonderes und ganz Eigenes an der Band sein! Es reicht also nicht, dass sie so klingt wie eine andere Band, die mir sehr gut gefällt – da muss noch etwas mehr sein. Und wenn eine Band, das nur eine Platte lang hat, dann mach ich halt auch nur eine Platte mit denen! Eine zweite wäre eine Wiederholung oder eine Kopie ihrer selbst – und das muss ich dann nicht haben beziehungsweise machen.
Kann man Vinyl als Nischenprodukt über die nächsten hundert Jahre retten, oder wird das mp3-file die physischen Tonträger über kurz oder lang gänzlich ersetzen?
Tja, woher soll ich das wissen? Keine Ahnung. Aber prinzipiell glaube ich, dass ein virtueller Besitz, also ein mp3, nie den physischen Besitz ersetzen kann. Da spielen zu viele psychologische Faktoren eine Rolle. Sollte es aber tatsächlich soweit kommen, dass Musik nur noch virtuell konsumiert wird, befürchte ich, dass das auch der Anfang vom Ende ist. Es würde zur totalen Beliebigkeit führen. Man hat alles und doch nichts wirklich. Niemand würde sich mehr wirklich mit den Dingen auseinandersetzen. In einer solchen Kultur würde es auch gar keinen Sinn mehr machen, etwas Provozierendes oder Herausforderndes machen zu wollen. Klick und weg.
Früher hast du selbst Musik gemacht. Erzähl mal, und was machst du heute?
Na, das ist jetzt aber nicht so spannend. Wie gesagt, das hat mit Heimwerkerkrach angefangen, danach Bassist bei SKEEZICKS, angeblich einer der ersten deutschen Hardcore-Bands ... Nach deren Auflösung bei HAPPY EVER AFTER, die ich als das musikalisch beste Projekt, bei dem ich dabei war, bezeichnen würde. Die gab es aber nur ein Jahr, solange unser Sänger Jason – zuvor bei SOCIAL UNREST – in Tübingen studierte. Danach organisierten Ute und ich eine Art von Band-Orchester, mit dem wir einmal pro Jahr auftraten, um die Leute zu verwirren, vor den Kopf zu stoßen und überhaupt für Aufruhr zu sorgen. Dabei ging mein Bass kaputt – und damit war dann meine musikalische Karriere beendet. Aber so eine Idee ließe sich sowieso nicht beliebig oft wiederholen, was ja nun auch wieder dem Credo von X-Mist entspricht ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #64 Februar/März 2006 und Joachim Hiller