WUT

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Punk ist DIY

WUT begegneten mir zum ersten Mal 1985 durch ihre beiden Beiträge auf dem „Fun’s Not Dead“-Sampler. Gerade ihr Song „Hannover 84“ über die Chaostage sprach mir aus der Seele – Naziglatzen von der Staatsmacht geschützt und „Deutschland schaut zu!“. Die Band aus dem zwischen Köln und Düsseldorf gelegenen Langenfeld existierte von März 1984 bis etwa Mitte 1987 in der Besetzung Jörg am Schlagzeug, Holger am Bass, Oli an der Gitarre und Schetty am Mikro. 1985 veröffentlichen sie eine Split-12“ mit ROTTING CARCASS auf More Fun Records. 1986 erschien mit „Kapitalismus“ ihre einzige LP auf Double A, wo 1990, faktisch posthum, noch eine Split-LP mit SONS OF SADISM veröffentlicht wurde. Aktuell stehen zwei Rereleases an, das Album wird von Power It Up neu aufgelegt, während die Songs der ersten Split-Platte von Colturschock wiederveröffentlicht werden. Im Gespräch mit WUT geht es allerdings eher um Punk in der rheinischen Provinz und die Chaostage 1984.

Wie seid ihr damals auf Punk aufmerksam geworden, und wann hat euch der Virus selbst erfasst?

Oli:
Bei mir war es ein Weihnachtswunder, Heiligabend 1981, da war ich 15. Zu der Zeit hörte ich POLICE, CLASH, Ska und Reggae, aber der klassische Punkrock lief eher an mir vorbei. In Bezug auf harte Musik fand ich damals MOTÖRHEAD und britischen Metal „mächtiger“ und kraftvoller. Bis ich mir zu Weihnachten die „In God We Trust, Inc.“-12“ von den DEAD KENNEDYS wünschte, eigentlich nur aufgrund einer blasphemischen und vielversprechenden Anzeige in einem Musikmagazin. Nach Bescherung und Essen ging es in mein Zimmer, wegen Feiertag und Uhrzeit die Kopfhörer aufgesetzt, versehentlich die B-Seite aufgelegt und bevor ich feststellte, dass ich den Volume-Regler zu stark aufgedreht hatte, war mir der weiße Blitz mit „Nazi punks fuck off“ schon ins Hirn gefahren. Halleluja! Danach war alles anders ... Meine Metal-Scheiben habe ich danach auf dem Flohmarkt verkauft.

Holger: Ich kann gar nicht so genau sagen, wann das anfing mit dem Punkkram. Ich war Anfang der Achtziger musikalisch gesehen eher auf dem Hippietrip. Dann kam ein Kumpel aus dem Fußballverein mit DEAD KENNEDYS und BLACK FLAG um die Ecke, und ab da war alles anders. Die Bestie war geweckt. Außer Reggae hat mich der ganze Kram, den ich bis dahin gehört hatte, nicht mehr interessiert. Wie Oli habe ich auch das meiste auf dem Flohmarkt verkauft. Als ich dann noch die BAD BRAINS gehört habe, war ich endgültig auf der Seite des Lichts.

Jörg: Das war bei mir relativ früh, noch in den Siebzigern, mit den RAMONES, SEX PISTOLS, CLASH et cetera. Damals waren der Ratinger Hof und das Domino in Düsseldorf die Hochburg in unserer Gegend, wenn man es so nennen kann. Auch die eher seltenen Platten gab es damals in der Altstadt. Eine kaputte Hose in den Siebzigern ohne Flicken, das hat schon Aufmerksamkeit erregt, aber sonst war es auch eher nur Show, bis auf die Musik, die damals eine wirkliche Befreiung war –die höre ich mir jetzt noch an. Dann 1980 – oder war es ’81? – spielten die BAD BRAINS im Kölner Stollwerck und die Sampler mit dem guten Krach aus den USA haben mich weiter beeinflusst und den Antrieb gegeben, bei WUT einzusteigen. Auch der Dreadlock-Reggae Ende der Siebziger wie von STEEL PULSE, Lee Perry und so weiter gaben mir spirituelle Einflüsse, die ich nicht missen möchte.

Schetty: SEX PISTOLS liefen ja damals im Radio: „Hier die neue Nummer eins aus England, ‚God save the queen‘“, das war 1977, glaube ich. Hat mir ganz gut gefallen, aber gezündet hat Punk bei mir erst später. 1980 kaufte ich mir „Monarchie und Alltag“-LP von FEHLFARBEN und war sofort hin und weg. Kurze Zeit später fand ein Konzert mit mehreren Bands in der Düsseldorfer Philipshalle statt – mit FEHLFARBEN, PALAIS SCHAUMBURG und DAF. FEHLFARBEN traten leider schon ohne Peter Hein auf und enttäuschten mich total. Ich fing an, mich im bestuhlten Saal umzuschauen und ich sah die ersten Punks meines Lebens, bunte Haare, auf den Boden rotzend, mit Ketten behangen, Sicherheitsnadeln in den Ohrläppchen. Ich fand das zunächst irritierend, und als beim Auftritt von PALAIS SCHAUMBURG ein Punk dem Sänger auf die Mappe schlug, wäre ich fast gegangen. Danach kamen jedoch DAF, und sofort stürmten die etwa dreißig Punks alle die Bühne und pogten los, was das Zeug hielt, mittendrin die Band, die das sichtlich genoss. Ich kannte DAF vorher nicht und war völlig beeindruckt von dem wilden Treiben auf der Bühne. Diese Energie! Am nächsten Tag schnitt ich mir vor dem Spiegel die Haare kurz. Ich war fest entschlossen, auch Punk zu werden.

Was bedeutete Punk damals für euch – und wie ist das heute?

Oli:
Zusammengefasst vielleicht eine Konzentration auf das Wesentliche ... ein Ablegen von Konventionen, gesellschaftlichen Erwartungen, überflüssigem Konsum ... Zumindest ist es auch das, was bis heute noch nachwirkt und gültig bleibt. Wie auch die Ablehnung autoritärer Machtstrukturen ...

Holger: Ich schließe mich Oli da größtenteils an. Hinzu kam natürlich noch, dass ich mir vom Ersparten einen Bass und einen kleinen Amp gekauft hatte und gerne selber in einer Band Musik machen wollte. Da war Punkrock natürlich in zweierlei Hinsicht optimal: Es war unser Ding damals und passenderweise doch leichter zu spielen als Jazz, da müssen wir uns nichts vormachen, und zweitens und wichtiger war dieses „Mach einfach und trau dich“-Ding in der Punk-Szene. Das kam mir sehr entgegen.

Jörg: Damals pure Energie und dazu saugute Texte. Ein Befreiungsschlag aus dem Mief der konservativen Welt. Heute ist bei mir noch der DIY-Gedanke vorhanden, selber denken, selber machen ...

Schetty: Für mich war es eine Auflehnung gegen die Konsumgesellschaft, die normalen Bürger schocken, vieles ausprobieren, auch zwischenmenschlich. Musik wurde dabei erst langsam immer wichtiger, vor allem dann natürlich auch das Selbermachen. Ich habe mich von Anfang an auch sehr stark mit den politischen Aussagen einiger Bands identifiziert, vor allem von CRASS. Ich würde mich heute nicht mehr als Punk bezeichnen, allerdings habe ich in den ganzen Jahren seither nichts kennen gelernt, was Punk, sei es als Musik oder als Einstellung, das Wasser reichen könnte.

Gab es von eurer Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen?

Oli:
Zumindest hatte ich nach meiner DEAD KENNEDYS-Erleuchtung meinem Gitarrenlehrer klargemacht, dass ich ein Barré-Riff lernen wollte, anstatt einzelne Saiten zu zupfen. Nachdem ich den draufhatte, war es das auch schon mit dem Gitarrenkurs ... Die Band hat sich kurz darauf ergeben. Schetty war ein paar Stufen über mir in der Schule und soweit der einzige Punk dort, und er kannte Holger, in dessen Keller wir schließlich zu dritt die erste Bandprobe hatten.

Holger: Als Schetty, Olli und ich uns kennen lernten, hatten wir direkt die Idee, live zu spielen. Wir hatten zwar noch keine Songs und keinen Schlagzeuger, aber für uns war klar, dass wir auf einem Fest, das von einem Kumpel, Bernd, veranstaltet wurde, auf der eigentlich alle damaligen Langenfelder Bands spielten – man kannte sich eben –, auftreten wollten, ja mussten, weil keine Punkband sonst vorhanden war. Also DIY in Reinkultur. Eine Woche vor dem Fest haben wir dann Jörg kennen gelernt. Der meinte, er hätte mal Schlagzeug gespielt und hätte auch noch eins. Damit war die Sache klar. Drei Songs haben wir in der Woche geschrieben und diese je dreimal – wegen der großen Nachfrage – auf dem Fest gespielt. Die Punk-Community war begeistert. Ein paar Tage später haben wir uns noch auf einer Veranstaltung im örtlichen Gymnasium punkrockmäßig reingezeckt – wir waren ja nicht vorgesehen – mit dem ganzen „Fantross“ im Rücken: „Ey, wir spielen jetzt auch hier, klar!“ Es hat sich wohl keiner getraut, uns zu widersprechen, hehe! WUT waren geboren.

Jörg: Ja, ich hatte mit Gitarre und Bass angefangen, als ich in der ersten Punkband spielte. Das war noch die Solinger Connection mit S.Y.P.H. und der damaligen Szene. Ich habe aber in der nächsten Band mit dem Schlagzeug angefangen, wobei wir allerdings über das Proben und zwei Auftritte nicht hinausgekommen sind. Dann erzählte mir eine Freundin, sie kennt da drei Typen, die einen Schlagzeuger suchen ...

Schetty: Oli hatte mich irgendwann mal in der Schule, wo ich bekannt war wie ein bunter Hund – im wahrsten Sinne des Wortes –, angesprochen und mich mit Musiktipps versorgt. Er war ja schon ziemlich beim härtesten Stoff angelangt, den ich damals noch nicht kannte ... Er erwähnte so ganz nebenbei, dass er ein wenig Gitarre spielen könnte. Holger kannte ich schon vorher und ich wusste, dass er Bass spielt. Irgendwie hat sich dann alles schnell ergeben. Ich hatte eine E-Gitarre von irgendwoher und ein paar Songideen inklusive Texte. Eigentlich wollte ich Gitarre spielen, aber schnell wurde klar, dass ich singen muss ... Denn die anderen meinten, sie könnten das nicht.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen? Was bedeutet er für euch? Und wusstet ihr von DIE WUT aus Gelsenkirchen?

Holger:
Wer die Idee hatte, weiß ich gar nicht. Es hat sich irgendwie so ergeben. Wir hießen ganz am Anfang noch VANILLA 84, benannt nach diesen Scheißhosen, die es damals in der Popper-Szene gab. Fanden wir aber doch nicht so gut. Dann kam WUT 84, dann fiel 84 weg und dann war es nur noch WUT. DIE WUT aus Gelsenkirchen kannten wir natürlich, wenn auch nicht persönlich. Der Name ploppte immer mal wieder hier und da auf. Ich muss aber gestehen, dass ich sie bis heute noch nie live gesehen habe. Schon komisch, weil es die Band ja noch immer gibt. Keine Ahnung, mit wie vielen Besetzungswechseln, aber von meiner Seite aus tiefen Respekt für die Ausdauer. Das dürften doch jetzt auch mehr als dreißig Jahre sein.

Oli: Wobei wir die Gelsenkirchener zum Zeitpunkt der Namensfindung natürlich noch nicht kannten, sonst hätten wir was anderes gewählt. Internetrecherche gab es damals ja noch nicht und offenbar hatten sie bis dato nur sehr lokalen Einfluss.

Schetty: Ich meine, das war meine Idee. Es passte irgendwie zu meinen Texten und der harten Musik.

Welche Einflüsse hattet ihr?

Oli:
Musikalisch war es bei mir eindeutig der US-Hardcore, DEAD KENNEDYS, BAD BRAINS, D.R.I., GANG GREEN ... Wobei zu Anfang de facto auch die etwas starreren Songstrukturen von Deutsch- und UK-Hardcore durchgeschlagen sind. RAZZIA, GBH und DISCHARGE kommen mir da in den Sinn. Politisch hat uns auch das Umfeld um CRASS stark beeinflusst.

Schetty: Wir haben damals alles Mögliche gehört, aber ich fand unsere Musik immer ziemlich eigenständig, auch die Texte.

Wo habt ihr geprobt und wie oft?

Holger:
Am Anfang noch im Jugendheim in Langenfeld. Da hatten wir aber nicht etwa einen Proberaum, nein, weit gefehlt. Ein Kumpel machte da Zivildienst und hat uns den Partyraum tagsüber aufgeschlossen. Wir mussten also unseren Kram immer anschleppen und aufbauen und nach der Probe wieder abbauen und wegfahren. Das war natürlich auf Dauer zu nervig. Außerdem hing immer die ganze Punk-Szene aus Langenfeld bei den Proben rum, so zehn bis zwanzig Leute, so dass kreatives Proben eigentlich flachfiel. Später haben wir bei einer Freundin, die Streetworkerin war, in einer alten Tankstelle geprobt, die sie für ihren Job zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Sie brauchte aber die dazugehörige alte Autowaschhalle nicht, so dass wir dort für lau proben konnten. Meistens ein- bis zweimal die Woche.

Oli: Oh ja, das Jugendheim ... Ich erinnere mich, dass wir aus versicherungstechnischen Gründen mit den ganzen Langenfelder Punx im Raum eingeschlossen wurden und keinen Zugang zu den Toiletten hatten. Das verarbeitete Bier ging dann bei den Leuten retour in die Flaschen. Was blöd war, wenn mehr als ein halber Liter in der Blase war ...

Schetty: Auf der einen Seite war das im Jugendheim nicht so optimal, aber es war auch ein Vorteil, ständig vor Leuten zu spielen. Dadurch fühlte sich das Auftreten völlig normal an. Außerdem gab es auch sehr viel positive Rückmeldung bei den Proben. In Monheim bei Sigrid in der Tankstelle war es natürlich leichter für uns, weil das ganze Equipment dort bleiben konnte.

Wie sah die Punk-Szene in Langenfeld aus? Gab es ein Autonomes Zentrum, die Möglichkeit, selbst Konzerte zu organisieren?

Holger:
Ein AZ gab es nicht. Konzerte fanden im erwähnten Jugendheim statt. Aber eher selten, DIE TOTEN HOSEN zweimal für 99 Pfennig Eintritt. Als Langenfelder ist man immer herumgereist zu den Konzerten nach Köln, Düsseldorf, Venlo, Hilden, Solingen und so weiter. Immer dahin, wo gerade was los war. Die Punk-Szene war klein, aber fein – bis es neben den Alkoholexzessen bei einigen mit der Schore, also dem Heroin anfing. Es war schon eine intensive, allerdings auch kurze Zeit, weil Schetty und ich 1986 dann nach Köln gezogen sind. Lustig war immer, wenn wir mit zehn, zwanzig Leuten nach Venlo auf Konzerte gefahren sind. Da haben damals im Bauplatz etliche US-Hardcore-Bands gespielt, BLACK FLAG, HÜSKER DÜ, TOXIC REASONS und viele mehr ... Keine Ahnung, wie wir das immer geschafft haben.

Schetty: Die Punk-Szene war gezwungenermaßen immer viel unterwegs, um Konzerte zu besuchen, oder sich bei Punktreffen auszutauschen. Man kannte die Szene in den umliegenden Kleinstädten und besuchte sich gegenseitig. Als ich 1985 nach Köln zog, bin ich recht schnell in der Hausbesetzerszene gelandet und habe im Autonomen Zentrum Weißhausstraße zusammen mit Holger und anderen selber Konzerte organisiert.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum – gab es den auch bei euch, in eurer Szene?

Holger:
Also in Langenfeld wurde schon ordentlich gesoffen, einige waren, würde ich sagen, auch „Alkoholiker“. Dann kam, wie schon erwähnt, bei ein paar Leuten auch noch Schore dazu. Textlich wurde das bei WUT eigentlich nicht so verarbeitet, wenn ich nicht irre.

Oli: Ja, der exzessive Alkoholkonsum ließ sich nicht ignorieren. Dass in der Szene auch Speed und H eine Rolle spielten, ist mir erst viel später aufgefallen, eigentlich erst als es Opfer gab. Da ich selbst noch nicht mal getrunken habe, ist vieles an mir vorbeigelaufen. Na ja, okay, Hanfprodukten war ich schon zugetan.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind euch in besonderer Erinnerung geblieben?

Holger:
Eine Sache fällt mir da spontan ein. Wir sollten auf einem Festival in Brüssel spielen, mit, glaube ich, sechs anderen Bands. Am Ort angekommen, fragten wir nach, wann wir denn dran sein sollten. Der Veranstalter meinte zu uns, wir wären der „Top of the Acts“ und sollten daher als letzte spielen. Was dazu führte, das wir so gegen halb zwei, zwei Uhr dran waren. Das Publikum bestand zu diesem Zeitpunkt nur noch aus etwa einem Dutzend total stracken Leuten – vorher war es echt brechend voll – und die Jungs von der Technik hatten auch keinen Bock mehr und fingen, während wir spielten, schon mal an, eine Seite der Beschallung abzubauen. „Top of the Acts“, sage ich nur.

Habt ihr oft in anderen Städten oder im Ausland gespielt? Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?

Holger:
Im Ausland haben wir eher weniger gespielt, neben dem erwähnten Konzert in Brüssel noch so zwei bis dreimal in Belgien und Holland. Es ist ja so, dass wir so viele Konzerte gar nicht hatten, ich schätze so maximal vierzig. Uns gab es ja genau genommen auch gar nicht so lange, so knappe drei Jahre, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Organisiert wurden die Konzerte größtenteils übers Festnetztelefon. Es gab ja Fanzines und da wurden die Adressen und Nummern von den einschlägigen Läden veröffentlicht.

Oli: Ich habe die Zeit schon als extrem schnell und intensiv wahrgenommen. Irgendwie stand da immer schon der nächste Gig auf dem Plan. Wobei das mit Holgers Schätzung durchaus hinkommen kann. Zu den Trips mit der Band kamen ja auch noch die zu anderen Konzerten, irgendwelchen Demos und anderen Aktionen.

Habt ihr den Eindruck, dass eure Texte immer noch aktuell sind? Und wenn ja, wie fühlt sich das für dich an?

Oli:
Als jetzt eine Anfrage wegen WUT-Rereleases kam, musste ich mich noch mal mit den Texten auseinandersetzen und hatte fast ein wenig Angst, die noch mal zu lesen. Aber im Großen und Ganzen war ich sehr angenehm überrascht, vor allen Dingen von denen auf der „Kapitalismus“-LP. Wenig Schlagwörter und Themenphrasen, die heute von den „Gleichschaltungs-Eliten“ unter einer „Links“-Agenda verkauft werden. Insofern bin ich da schon ein wenig stolz auf uns.

Jörg: Die sind aktueller denn je. Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz sind heute leider noch schlimmer als früher.

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?

Holger:
Gibt es bestimmt, aber ich habe darüber noch nie so großartig nachgedacht und stehe auch zu allen Texten. Für uns waren sie zu ihrer Zeit völlig passend.

Oli: Gut, die müsste ich mir dann wirklich noch mal alle zu Gemüte führen – es ist sicherlich der eine oder andere frühe Text dabei, der ein wenig platt ist. Die Cops würde ich zum Beispiel heute sicherlich nicht mehr alle über einen Kamm scheren, wie in „Uniform“. Und auf Deutschland würde ich auch keinen Pogo mehr tanzen wollen, nur noch auf der Bundesrepublik Deutschland – da hat man damals nicht differenziert. Verzeihlich, denke ich.

Schetty: Die Texte waren ein Produkt ihrer Zeit, ich habe damals so gedacht und gehofft, ich könnte durch meine Texte die Leute um mich herum und am besten noch die Welt verändern. Vieles sehe ich heute noch so. Leider ist festzuhalten, dass vieles sogar noch schlimmer geworden ist, als es damals war. Der Kapitalismus ist komplett gescheitert, aber es gibt keinen Gegenentwurf mehr. Die Militarisierung schreitet immer weiter voran, die NATO hat in Europa einen Krieg gegen Serbien geführt und Deutschland hat mitgemacht, dank der SPD und den Grünen. In der Ukraine unterstützt die EU einen Staat, in dem offensichtliche Nazis das Sagen haben und einen brutalen Bürgerkrieg gegen eine Region führen, die schon im zweiten Weltkrieg von Nazis verwüstet wurde. Die NSU-Morde haben gezeigt, dass es in Deutschland einen „Tiefen Staat“ gibt, der unbehelligt Terror verbreiten kann. Dann die völlig enthemmten USA, die mittlerweile wieder ohne Scham versuchen, ihre Politik weltweit durchzusetzen, sei es mit Sanktionen und Blockaden oder Terror und schlichtem Krieg. Dabei natürlich immer nur gegen Staaten, die sich nicht wehren können ... Je mehr ich schreibe, desto mehr fällt mir ein. Der Werte-Westen ist moralisch so dermaßen bankrott, ich könnte kotzen.

Wie ist der Kontakt zum Label More Fun zustande gekommen, auf dem 1985 die Split-12“ mit ROTTING CARCASS erschien? Wie habt ihr die Aufnahmen in Erinnerung?

Oli:
Die hatten wir damals selbst finanziert. Eine experimentelle Freejazz-Combo, mit der wir auf einem Festival der Arbeitslosenselbsthilfe spielten, war total begeistert von unserem Auftritt. Ich dachte erst, die verarschen uns, aber die meinten es tatsächlich ernst und luden uns für faire Münze in ihr professionelles Studio ein, um ein Demo zu produzieren. Das fertige Band haben wir dann ein bisschen herumgeschickt. Ich weiß noch nicht mal, ob More Fun explizit darunter war. Aber Rüdiger hat mit uns Kontakt aufgenommen und wollte erst zwei Songs für den „Fun’s Not Dead“-Sampler und dann das komplette Demo für die Split-Platte mit ROTTING CARCASS, von der ich bis heute kein Exemplar gesehen habe. Im Studio hatten wir eine richtig gute Zeit, das war schon alles sehr spannend und aufregend. Und für mich auch ein Ansporn, später selber in Richtung Tontechnik und Studio zu gehen. Leider waren unsere nächsten beiden Studio-Erfahrungen dann nicht mehr so berauschend.

Eure letzten beiden Veröffentlichungen kamen auf Double A raus. Wie ist es dazu gekommen?

Oli:
Kleine Korrektur vorneweg: Die letzte Veröffentlichung von uns war auf dem Göttinger Sampler „Something Is Wrong“, zu dem wir zwei Songs beisteuerten. Reiner von Double A kannte uns jedenfalls von der Split-LP, wobei wir auch mal auf einem von ihm mit organisierten Soli-Festival für das Wuppertaler AZ spielten. Es entzieht sich gerade meiner Erinnerung, ob das noch vor den Aufnahmen zur LP war. Jedenfalls bot er uns an, ein komplettes Album mit WUT zu machen. Reiner ist ein Guter und wir sind uns schnell über die Finanzierung einig geworden. Aber wie schon gesagt verliefen die Aufnahmen leider nicht so, wie wir es uns gewünscht hätten, was zum Teil aber auch an uns lag. Doch obwohl die Songs Besseres verdient gehabt hätten, lief die Scheibe gut.

Euer Song „Hannover 84“ handelt von den Chaostagen 1984 in Hannover. Wie sind eure Erinnerungen?

Holger:
Meine Erinnerung: ACAB! Das hört sich vielleicht im ersten Moment etwas platt an, aber waren die scheiße. Schmerzende Schultern von Gummiknüppeln fallen mir auch direkt ein. „Lustig“ sind im Nachhinein aber auch Szenen, wo die Bullen in Zivil und in Überzahl einzelne Punks „klarmachen“ wollten, aber ihre „Meister“ gefunden haben und nur noch in ihre Karren zurück krabbeln konnten. Oder als die Bullen das UJZ Glocksee stürmten und wir, die aus Köln da waren, und einige andere uns durch einen Schacht, für Rohre nehme ich an, den Bullen entgegen eine Etage tiefer vom Acker machten. Es hätte bloß einer von den Trotteln mal nach unten in den Schacht gucken müssen, dann wäre es für uns wohl nicht mehr so „lustig“ gewesen. Ja, ja, da haben wir’s wieder: Nachträglich wird alles „romantisiert“. Aber die Haupterinnerung bleiben Nazibullen, die Nazis schützten.

Schetty: Wir waren damals zusammen da und was wir dort erlebt haben, war wirklich schockierend. Die Bullen haben sich nicht mal die Mühe gemacht, ihre Sympathie für die Nazis zu verbergen, die in Hannover mal so richtig aufräumen wollten. Ich habe selten eine so große Ansammlung von Nazi-Fressen gesehen wie dort.

Im Rückblick: Wie war es für euch in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?

Oli:
Das war alles sehr leichtfüßig, die Infrastruktur mit Fanzines, Labels und AZs war gegeben, und die Auftritts- und Sampleranfragen kamen von alleine rein, finanziell natürlich meistens eine Plus/minus-null-Nummer. Aber es ging uns ja um die Sache. Gegen Ende stellte sich aber doch häufiger die Frage, ob man nun wirklich alles mitnehmen muss und ob nicht doch mal neue Gitarrensaiten und Schlagzeugstöcke rausspringen sollten. Trotzdem kann ich mich nicht erinnern, dass wir irgendwann mal eines der ewigen „Soli dies, Soli das“-Konzerte abgelehnt hätten. Heute läuft das sicherlich anders ...

Holger: Das war einfach nur geil. Heute ist es auch noch geil, aber längst nicht mehr so intensiv. Außerdem ist das alles viel zu laut und mich zwickt und zwackt es überall.

Schetty: Das war zu der Zeit einfach das Beste, was mir passieren konnte.

Welche Rereleases gibt es von WUT? Und wie sind die zustande gekommen?

Oli:
Reiner von Double A hatte aus den Songs von der Split-12“ mit ROTTING CARCASS Anfang der Neunziger eine neue Split-LP mit S.O.S. aus Marl kompiliert. Und gerade kürzlich meldete sich Thomas vom Power It Up-Label und fragte, ob er die alten Sachen noch mal herausbringen kann. Voraussichtlich wird das wohl im Frühjahr 2020 geschehen.

Seid ihr heute noch musikalisch aktiv? Käme eine Reunion für euch infrage?

Holger:
Ich mache zur Zeit ein wenig Punkrock-Karaoke als Live-Band. Wer es googlen möchte: LO-FI KARAOKE MASSAKER. Wir merken da aber auch, dass wir immer weniger Zeit haben durch Jobs und/oder Familie. In den Jahren nach WUT habe ich mit Unterbrechungen auch immer in Bands gespielt, HOUSE OF SUFFERING, AMOCO CADIZ. Eine Reunion wird es nicht geben. Sollten die anderen drei mich allerdings anflehen ... ich kann so schlecht neinsagen, hehe.

Oli: Wie schon angedeutet hatte ich mir Ende der Neunziger ein kleines Tonstudio aufgebaut, in dem ich Reggae produziere, genauer gesagt Roots und Dub. Eine Reunion ... tja, wir hatten uns tatsächlich mal Anfang der 2000er für ein Wochenende mit einem befreundeten Drummer zusammengetan, um mal ein paar unserer Favoriten in ordentlicher Qualität auszunehmen – ich hatte ja nun ein eigenes Studio. Den Job des Toningenieurs musste ich in dem Moment aber an jemandem aus dem benachbarten Raum abgeben und leider hat er die Aufnahmen vermasselt. Sehr frustrierend, weil Nick, der Drummer, nach dem Wochenende wieder zurück nach Berlin musste. Also keine Chance die Aufnahmen eben noch mal zu wiederholen.

Jörg: Das möchte ich aus orthopädischen Gründen für mich ausschließen. Es sei denn, ich kriege den Knopf an einer Drum-Maschine ...

Habt ihr nach all den Jahren noch Kontakt?

Holger:
Schetty und Oli sehe ich noch regelmäßig. Schetty hat auch schon beim Karaoke mitgemacht. Jörg habe ich seit 2004, glaube ich, nicht mehr gesehen. Wird wohl mal wieder Zeit.

Schetty: Ich habe ja mit Holger noch lange zusammen bei HOUSE OF SUFFERING Musik gemacht und sehe ihn öfter in Köln. Oli treffe ich nur selten, aber wenn, dann haben wir uns einiges zu erzählen ...

 


Diskografie

„Split“ w/ ROTTING CARCASS“ (12“, More Fun, 1985) • „Kapitalismus“ (LP, Double A, 1986) • „Split“ w/ SONS OF SADISM“ (LP, Double A, 1990) • „Kapitalismus“ (Repress, Power It Up, 2020) • „Deutschland Pogo 1984-1989“ (Compilation, Colturschock, 2020)