Winfried Bonengel, der von 1985-1989 an der ESRA Filmakademie in Paris studierte, fürs Theater arbeitete und inzwischen auch Dozent an der Filmakademie Baden Würtemberg speziell für Drehbücher ist, konnte sich 1993 mit seinem umstrittenen Dokumentarfilm „Beruf Neonazi“ einen Namen machen.
Darin begleitet er Bela Ewald Althans, Jahrgang 1966, Inhaber der PR-Agentur „AVÖ“ („Amt für Volksaufklärung und Öffentlichkeitsarbeit”) in München, und trifft dabei ebenfalls auf den kanadischen Neonazi Ernst Zündel, für den Althans „der sprichwörtliche Motor war, der unruhige Geist in den Reihen des nationalen Lagers, der deutsche Junge, der den radikalen Revisionismus in Deutschland in die Reihen der Rechten und Konservativen trug.“
Frau Merkel hielt damals ein Verbot des Films angebracht, denn angeblich war die Distanz des Regisseurs zu seinem Thema nicht deutlich genug und der Film deshalb eine Plattform für Althans, um sein rechtsradikales Gedankengut zu verbreiten.
Althans versuchte kurz danach den Ausstieg, zumal er seine Homosexualität vor seinen Gesinnungsfreunden nicht länger verbergen konnte, und wollte dem Verfassungsschutz in Folge sein Insider-Wissen für 360.000 DM verkaufen.
Letztendlich wurde er im August 1995 vom Berliner Landgericht zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Volksverhetzung. Mit „Wir sind wieder da“ hatte Bonengel bereits 1992 einen Film über den Ostberliner-Neonazi-Führer Ingo Hasselbach gemacht, der sich 1993 öffentlich von der rechten Neonazi-Szene distanzierte und seine Erfahrungen in dem Buch „Die Abrechnung“ (Aufbau Taschenbuch Verlag) verarbeitete – Co-Autor war Bonengel.
Im Dezember startet jetzt mit „Führer Ex“ (siehe Review Filmrubrik) die fiktive Aufarbeitung von Hasselbachs Biographie unter der Regie von Bonengel und Hasselbachs Beteiligung am Drehbuch in den deutschen Kinos. Im folgenden ein Gespräch mit dem Mann, über den Roland Klick, die gute Seele des deutschen Films, gesagt hat: „Jetzt bist du in der Formel 1 angekommen, du hättest Schumacher sein können, aber du bist nur Frentzen im Moment.“
Warum überhaupt „Führer Ex“ und warum gerade jetzt? Ich meine, das Buch erschien 1993...
Weil es nicht eher ging. Ich habe jahrelang versucht, das Projekt anzuschieben, aber es war nicht so einfach. Man hätte es schon eher machen können, klar, aber ich habe alleine fünf Jahre gebraucht, um das Geld zusammen zu kriegen, was zum Teil auch daran lag, dass sich die falschen Leute um das Projekt gekümmert haben und ich mit ihnen Zeit verloren habe. Erst vor zwei Jahren ist durch Zufall der richtige Produzent auf das Projekt gekommen. Aber ich glaube, dass der Film so zeitlos ist, dass das eigentlich egal ist. Eigentlich bin ich froh, dass er jetzt erst gemacht worden ist, weil ich dadurch noch viel mehr mit einfließen lassen konnte.
Warum?!
Weil ich die Figuren, die ich damals in der Szene getroffen habe, so interessant fand, dass ich von Anfang an das Gefühl hatte, dass deren Lebensgeschichten Stoff für einen fiktiven Film bieten würden. Und ein Drehbuch braucht auch eine gewisse Zeit, bis es fertig ist. Bei der ersten Drehbuchfassung 1995/96 hatte ich sogar bereits Geld aus England bekommen. Da dachte ich noch, es würde alles viel schneller gehen, weil das Ausland daran interessiert war. Obwohl es reichlich Geld gab, waren aber in Deutschland viele der Meinung, dass das ein zu harter Stoff sei. Es wird da sofort eine völlig spekulative Rechnung eröffnet, ob sich der Film auch rentieren wird. Die dachten alle, das sei kein richtig kommerzieller Film – was auch immer ein kommerzieller Film ist... Für mich gibt es nur gute und interessante Filme und schlechte und weniger interessante Filme. Mein Dogma ist sowieso: Wenn ich so was mache, will ich das Thema so ehrlich wie möglich bearbeiten, aber so, dass es eine möglichst große Zuschauerschaft erreichen kann. Das hat nichts mit Kommerz zu tun, sondern man macht Filme, damit sie sich andere anschauen, sich nicht langweilen und irgendwas erfahren oder ein Gefühl haben, was sie sonst nicht haben. Das hat nichts damit zu tun, dass es automatisch doof sein muss. Ich versuche eine Qualität mit einem großen Publikum zu verbinden.
Der Film hat eine FSK 12-Freigabe, das ist fast schon etwas unverschämt angesichts der brutalen Szenen im DDR-Knast...
Stimmt! Er ist an manchen Stellen schon ziemlich hart. Ich würde meinem Sohn mit zwölf auch nicht empfehlen da reinzugehen – wenn ich einen hätte. Mein Wunsch ist wie gesagt, dass viele Leute den Film sehen und das ist so natürlich leichter.
Hatte die Wahl der Berliner Band MIA für den Soundtrack auch irgendwas mit kommerziellen Überlegungen zu tun? Die haben in meinen Augen doch ein ziemliches Authentizitäts-Problem.
Ja, ich weiß, in München werden MIA gefeiert und in Berlin gefällt es den Leuten nicht. Es gab durchaus ein paar Leute, die mehr MIA haben wollten. Ich hätte am liebsten Original-Musik aus den 70ern und 80ern gehabt, zum Beispiel ‚EMI’ von den SEX PISTOLS, aber die Sachen sind unerschwinglich. Fürs Kino ist das schweineteuer, fürs Fernsehen kannst du es umsonst haben, weil es die GEMA regelt. Mit dem Budget, das ich für den Film hatte, geht das nicht und so war das mit Abstand die beste Lösung. Ich finde MIA aber jetzt nicht so schlimm, das hört sich an wie Musik von damals. Für den normalen Zuschauer geht dadurch nicht das Zeitgefühl von damals verloren, und darum geht es ja.
Wie sah angesichts der Brisanz des Stoffes der Einfluss des Produzenten aus?
Ich hatte zwar nicht den Final Cut, aber ich muss sagen, dass der Film so ist, wie ich ihn haben wollte. Das passiert nicht so oft, aber da ist es so. Da fühle ich mich weder vom Verleih, noch vom Produzenten beschnitten, da wir einer Meinung waren und den gleichen Film machen wollten. Der Produzent Laurens Straub wollte nur möglichst junge Schauspieler. Ich hätte zwar alle Schauspieler haben können, die ich wollte, aber die waren einfach zu alt und konnten nicht mehr überzeugend 18-Jährige spielen. Am Anfang war das Projekt den bekanntesten deutschen Schauspielern zugedacht, die das auch machen wollten. Aber man kann viel authentischer sein, wenn man unschuldige Darsteller hat, weil der Film ja auch von Verlust von Unschuld erzählt.
Ich denke, für viele, die „Die Abrechnung“ von Hasselbach gelesen haben und jetzt eine authentische Umsetzung seiner Biographie erwarten, wird „Führer Ex“ enttäuschend sein.
Die authentische Geschichte von Ingo Hasselbach interessiert mich überhaupt nicht, das soll es auch gar nicht sein. Wenn ich die authentische Geschichte von Ingo Hasselbach hätte machen sollen, hätte ich den Film gar nicht gedreht. Das würde ich nicht so spannend finden. Ingo Hasselbach ist weder die eine noch die andere Figur, die Hauptfiguren setzen sich aus mehreren Personen zusammen. Das ist ein Film über Freundschaft und nicht in erster Linie über Nazis. Es geht um Spannung und Emotionen, und viele Leute teilen, was ich vorhatte. Ich habe bei vielen Zuschauern genau die Reaktionen gesehen, die ich haben wollte und wenn jemand für diese Emotionen nicht empfänglich ist, kann man auch nichts machen. Der Film hat einen etwas spekulativen Titel, der einprägsam ist, den ich aber nicht unbedingt passend finde, aber ich glaube, dass er mehr Leute ins Kino zieht. Die Leute sehen den Titel und dass ich einige Dokumentationen gemacht habe und erwarten deshalb einen hochpolitischen Film.
Vielleicht ist das Problem, dass man es gerade in Deutschland nicht gewöhnt ist, so ein Thema in einem Unterhaltungs-Kontext wiederzufinden.
Das ist aber die einzige Möglichkeit, denn viele Filme, die mit diesem Thema zu tun haben, sind so pseudomoralisch und das ist dabei unangebracht. Früher haben sich die Leute aufgeregt, weil ich einen Dokumentarfilm gemacht habe, der verboten werden sollte, und jetzt sagen sie, ich wäre feige. Das ist schon etwas grotesk. Aber wenn man so ein Thema anpackt, gibt es immer Gruppen, die das anders wollen und meinen, dass man das so nicht machen darf.
Vor allem die Transformation des ehemaligen Punks Hasselbach in einen Neonazi erscheint zu kurz geraten, da hätte man sicher noch eine halbe Stunde dranhängen können.
Ich habe bewusst darauf verzichtet, die ganze Geschichte zu erzählen, wie er sich dann in der Neonazi-Gruppe hocharbeitet, weil das nicht das Thema ist. In Deutschland denkt man immer, das Neonazi-Ding wäre so kompliziert, aber das ist es gar nicht. Ich habe eine ganze Zeit Filme über diese Leute gemacht und kannte viele von denen. Die Sache ist die, dass viele von denen extrem frustriert sind und extreme Demütigungen hingenommen haben. Ein besonders schlauer Kritiker hatte geschrieben: Einmal vergewaltigt, ein bisschen erniedrigt und fertig ist der Nazi. Es ist gnadenlos dumm, so was zu schreiben, weil ich echt wissen möchte, wie der Typ reagieren würde, wenn ihm das gleiche passiert wäre. Ich habe mich mit vielen Leuten unterhalten, die im Knast vergewaltigt wurden – und das war häufig der Fall. Die meisten haben ein extrem verpfuschtes Leben, weil sie sich nie mehr davon erholen. Da braucht man kein großer Psychoanalytiker zu sein, weil das einfach so tiefe innere seelische Verletzungen hervorruft, die man nie mehr richtig los wird, aber ständig versucht zu kompensieren. Ich wollte einen sensiblen Typen zeigen, der sich aus Schutz den Nazis anschließt und nicht aus Überzeugung. Man hat überhaupt keine andere Möglichkeit, man muss sich jemandem anschließen, wenn man im Knast überleben will. Und das ist, was er versucht hat, er hat sich einer Gruppe angeschlossen, weil das für ihn die beste Alternative war, da heil rauszukommen. Leute, die nichts zu verlieren haben, werden immer zu allem fähig sein.
Man hat in „Führer Ex“ teilweise den Eindruck, als seien Neonazis fast wie Punks eine politische Gegenkultur zum Realsozialismus in der DDR gewesen.
Klar, der Staat reagierte mit extrem harten Mitteln auf scheinbar harmlose Dinge und hat dadurch eine Spirale der Provokation und Gewalt angeschoben. In der DDR glaubte ja niemand an Hitler, das war denen vollkommen egal. Was ich in dem Film erklären wollte war, dass das aus einem tiefen Hass und einer tiefen Resignation heraus geschehen ist, und nicht aus einer politischer Überzeugung. Die politische Überzeugung ist erst im Lauf der Jahre gekommen, weil diese Leute ja zusammen geblieben sind. Später erfolgte dann auch eine Indoktrinierung durch Leute, die aus dem Westen und Österreich kamen, und dieser Gruppe nach dem Fall der Mauer ein politisches Fundament gegeben haben. Ich glaube nicht, dass die Leute am Anfang aus einer politischen Überzeugung heraus zu Nazis geworden sind, das lag an ganz anderen Defiziten. Sicherlich gibt es auch andere Modelle, aber in der DDR war das ein sehr bekanntes Modell.
Und warum hat sich nach dem Fall der Mauer nichts geändert, da war doch an sich das Feinbild verschwunden?
Dieser Hass ist einfach so stark, der ist nicht weg, wenn die Mauer weg ist. Der Hass ist da und der Hass ist die Triebfeder. Also sucht man für diesen Hass ein Ventil, um ihn loszuwerden. Jahrelang fühlten sie sich unterdrückt, was sie auch waren, weil fast jeder dieser Neonazis in der DDR im Knast war und die schönste Zeit seiner Jugend hinter Gittern verbracht hat. Viele sind da erst kriminalisiert worden. Es ist eine Tatsache, dass man im Knast erst mal richtig kriminell wird und eben nicht das Gegenteil passiert. Sie haben versucht, sich an den Leuten, von denen sie glaubten, dass sie daran schuld seien, zu rächen. Die Opfer werden irgendwann zu Tätern.
Worin unterscheidet sich Hasselbach letztendlich vom Durchschnitts-Neonazi in der DDR?
Das ist eine gute Frage. Ingo Hasselbach ist sicher jemand, der über eine große Sensibilität verfügt und ein feines Gespür dafür hat, wenn etwas zu weit gegangen ist. Er war schon eine Ausnahme, das muss man ganz deutlich sagen, und er war die interessanteste Figur, der ich im Osten begegnet bin, sonst hätte ich auch nie einen Dokumentarfilm über ihn gemacht. Er war auch intelligenter, als die meisten anderen, er war charmanter und humorvoller, das genaue Gegenteil von dem Typus Nazi, von dem man sonst gelesen hatte, und was ich so an Klischeevorstellungen hatte, bevor ich ihn traf. Ich habe von Anfang an nicht richtig glauben können, was er da erzählt und ihn auch nicht ernst genommen. Ich habe ein paar Wochen mit ihm zugebracht und als ich mit ihm privat zusammen war, habe mich über die Leute, mit denen er sich umgab, lustig gemacht – und er hat selbst darüber gelacht. Das war für ihn ein ziemlicher Anstoß. Wenn das wirklich alles so fest verankert gewesen wäre, hätte er kaum der Neonazigruppe den Rücken zugewandt. Ich glaube, es war vielmehr die Gruppe, die Gemeinsamkeit, dass sie das gleiche Schicksal hatten. Als er seinen Hass irgendwie ablassen konnte, hat er auch irgendwann gemerkt, wie platt das eigentlich ist, was er da erzählt. Er wollte daran glauben, weil er einen Platz für sich gesucht hat. Er dachte, dass sei seine Gruppe, hat aber dann selbst gemerkt, dass es doch nicht so ist. Es war vielmehr der Wunsch, dahin zu gehören.
War denn seine Intelligenz wirklich dafür ausschlaggebend? Ich meine, es gibt viele intelligente Leute, die von diesem Neonazi-Schwachsinn überzeugt sind.
Klar, schau dir jemanden wie Horst Mahler an, das ist ja das passendste Beispiel: Ex-Terrorist, heute Anwalt und führender Neonazi in der NPD. Die RAF hat ja nichts mehr gehasst als Nazis. Wie diese Leute dazu kommen, ist mir wirklich schleierhaft. Bei Althans und Hasselbach ist es mir begreiflich, wie das passiert ist, aber man kann das nicht verallgemeinern. Hasselbach hat einfach mehr reflektiert, er hat mehr darüber nachgedacht, wenn man ihn mit anderen Sachen konfrontiert hat, und er hat sehr gut seine Umwelt beobachtet. Dabei hat er gesehen, dass es auch andere Möglichkeiten für ihn gibt etwas zu tun, außer innerhalb dieser Gruppe. Er dachte einfach, dass jemand wie er von vornherein keine Chance hätte.
Wie schwierig war damals die Annäherung an die Neonazi-Szene für dich?
Ich war einfach neugierig, insofern habe ich mir diese Frage gar nicht gestellt. Ich wollte so viel wie möglich erfahren. Und über Hasselbach habe ich dann alle möglichen Nazis kennen gelernt. Althans, und dann so jemanden wie Ernst Zündel. Der hat mich schwer geschockt, wie er da mit seiner Uniform rumlief. Ich hatte nicht gedacht, dass es so was gibt, Leute, die mit so einer hausmeisterlichen pseudowissenschaftlichen deutschen Gemütlichkeit daherkommen. Teilweise waren manche Leute schon sehr mediengeil, andere halt weniger. Und nach einer gewissen Zeit war ein gewisses Vertrauen da, dadurch funktionierte es dann. Ich habe mich für ihn interessiert und das hat Hasselbach auch gemerkt. Über diese Nazi-Sache haben wir viel weniger geredet. Mich hat einfach so ein Typ wie er interessiert, der da gar nicht so richtig reinpasste. Was macht der eigentlich da? Das war die Frage, die ich mir gestellt habe. Nazis an sich finde ich nicht so interessant, vor allem wenn ich mir die meisten Biographien anschaue. Ich hatte damals einfach keine Angst, das merkten die auch, weil ich anders mit ihnen umging als Leute, die schnell eine Geschichte wollen und dann wieder abhauen. Wenn man Angst hat, sollte man es lieber nicht machen, dann merken die das auch. Heute hätte ich allerdings keine Lust, das noch mal zu machen.
Letztendlich bleibt da immer ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem. Althans gilt inzwischen ja auch als Aussteiger und organisiert heute schwule Partys, was man ihm nicht so recht abnehmen will.
Das kann ich nicht beurteilen, weil ich das nicht mehr verfolge. Es wird immer davon geredet, dass man den Leuten eine Chance geben muss und wenn das jemand wie Hasselbach versucht, hat er auch immer Probleme damit bekommen. Hasselbach hat inzwischen schon mehr gegen Nazis als für Nazis getan. Viele tun immer so, als ob man als Nazi geboren wäre, was Blödsinn ist. In Deutschland gibt es einen Umgang mit diesem Thema, der von vornherein schon ziemlich verlogen ist. Warum jemand Nazi wird und warum jemand aussteigt, dafür erwarten die Leute immer eine Patentlösung, die auf alles zutrifft und mit der sie dann nach Hause gehen können. Und die gibt es nicht, denn jeder hat seine eigene Geschichte, und irgendwann tut er Dinge, die die Konsequenz aus einer Reihe von Erfahrungen sind, was bei jedem anders aussieht. Ich sage nicht, dass ich das billige, aber ich versuche es zu verstehen. Hasselbach und Althans hatten auch beide ein Problem mit ihrer Familie, vor allem mit ihrem Vater. Sie wollten irgendwas damit beweisen und immer mehr provozieren. Ich bin mir bei Althans sicher, dass er wie Hasselbach nicht so extrem davon überzeugt war.
Sowohl bei „Beruf Neonazi“ als auch bei „Führer Ex“ gab es Kritik, weil die Distanz von dir zu deinem Thema nicht deutlich genug gewesen sei, dass die Figuren geradezu sympathisch wirken.
Wegen ‚Beruf Neonazi’ gab es die verheerendsten Diskussionen in Deutschland, das war geradezu grotesk. Später habe ich den Film dann durch die ganze Welt begleitet, nur um mir sagen zu lassen, dass es keine Propaganda ist, woran ich manchmal selbst gezweifelt habe. Wenn jemand Althans gut findet, wird er ihn auch nach dem Film weiterhin gut finden, wenn man ihn ablehnt, hasst man ihn nach dem Film noch mehr. Ich habe nur gezeigt, dass es eine neue gefährliche Art von Neonazis gibt. Althans hatte einen extremen Geltungsdrang und ist letztendlich seinem eigenen Narzissmus erlegen, weil er glaubte unantastbar zu sein. Das hatte er falsch eingeschätzt. Wenn er gewusst hätte, dass es fatale Konsequenzen für ihn haben würde, hätte er sich vielleicht anders dargestellt.
Ebenfalls grotesk ist, dass man einen Film über jemand macht, der als Beweismaterial in einem Prozess gegen genau diese Person herhalten muss, oder?
Finde ich auch, aber das war damals einfach so. Dadurch konnte man auch nicht mehr so richtig Filme über diese Szene drehen – nur noch aus großer Entfernung. Damit hat man sich leider die Möglichkeit genommen, auch weiterhin etwas über solche Leute machen zu können.
War die Homosexualität von Althans eigentlich nie ein Thema für dich, oder war das zu dieser Zeit noch nicht bekannt? Bei Michael Kühnen hat die Anhängerschaft das ja immer als böses Gerücht von linker Seite unter den Teppich gekehrt.
Es gab damals Gerüchte, dass Althans in Amsterdam und Brüssel in der Schwulen-Szene unterwegs war, aber öffentlich war es nicht bekannt, das kam erst später. Mir hat er gesagt, er hätte eine Freundin. Für mich hat das aber nie einen Unterschied gemacht. Nationalsozialismus und Homosexualität ist sicher ein interessantes Thema, aber um das zu behandeln, müsste man schon sehr seriös da rangehen und lange recherchieren. Aber wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass Mannsein in der Szene eine extreme Bedeutung hat. Alle, die extrem männlich sein wollen, sind verdächtig nah an der Grenze zum Homosexuellen. Ich kenne auch genug Leute, die Schwule hassen, aber selber schwul sind. Der Kühnen hatte darüber sogar ein Buch geschrieben, das würde ich gerne mal lesen. Er behauptet darin wohl, dass Schwule die besseren Nazis sind, weil sie nicht erpressbar sind. Die Realität birgt schon eine ganz seltsame Dialektik in sich.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #49 Dezember 2002/Januar/Februar 2003 und Thomas Kerpen