Buch – Ausstellung – Soundtrack
Mit „Wie der Punk nach Stuttgart kam & wo er hin ging“ gibt es zum ersten Mal ein Dreigestirn aus Buch, Soundtrack und Ausstellung, dazu kommt ein Rahmenprogramm, das sich mit der Entstehung einer regionalen Szene auseinandersetzt. Übertreffen lässt sich dieser mediale Roundhousekick eigentlich nur noch mit einem dazugehörigen Film und einer gleichzeitig erscheinenden Merchandiselinie.
Nun war Stuttgart nicht New York, es gab keinen Laden wie das CBGB’s. Es war auch nicht London, das mit dem 100 Club und dem Marquee gleich zwei Epizentren hatte. Nicht einmal mit Düsseldorf und dem Ratinger Hof oder Berlin mit dem SO36 konnte die Kesselstadt mithalten, aber immerhin gab es die Mausefalle oder die Tangente. Bei den wohlklingenden Bandnamen aus der Punk-Ursuppe sieht es ähnlich aus, hier rangiert die baden-württembergische Hauptstadt irgendwo unter ferner liefen zwischen Baunatal und Paderborn.
Wenn man allerdings ein wenig an der Oberfläche kratzt und nicht nur die Stadt selbst, sondern vielmehr die „Region“ um den Feinstaubkessel betrachtet, entdeckt man sehr wohl eine lebendige Szene, die sich in den frühen Tagen ausgiebig in der Kassettentäterszene getummelt und auch ein paar Vinyltonträger verbrochen hat. Überregional sind diese Bands seinerzeit weniger in Erscheinung getreten, was sich mit dem Buch und den dazugehörigen Tonträgern nachträglich ändern sollte.
Auslöser für die ganzen Aktivitäten war das Buchprojekt von Simon „Sid“ Steiner, der im Verlauf seiner Recherchen und Interviews eine ganze Menge an Dingen losgetreten hat, die ein Eigenleben entwickelt haben, weil es einfach an der Zeit war und die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt aufeinandergetroffen sind. Ganz im Geiste von Punk entstanden so die Ideen zur Ausstellung sowie zu den Tonträgern.
Simon Steiner über das Buch
... und wo er hin ging
Dieser Monolith von einem Buch spricht eigentlich für sich selbst. Der Schuber mit einem Gewicht von knapp dreieinhalb Kilo, der elf Einzelhefte in sich birgt, erzeugt im Falle eines atomaren Winters für mindestens zwei Tage Wärme und macht sich bis dahin prächtig in jedem gut sortierten Bücherregal. In den elf Heften spannt Simon Steiner einen Bogen von den ersten eigenen Begegnungen mit Punk und seiner speziellen Ästhetik über Fanzines, Szenetreffs, Bands, Kassetten und Vinyltonträger bis hin zum Blick in die Gegenwart. Abgerundet wird das Ganze durch eine Diskografie der Region. Um zu verstehen, warum jemand sich die Mühe macht, einen Wälzer wie diesen zu erschaffen, muss man selbstredend mit dem Autor sprechen.
Simon, stell dich bitte kurz vor.
Ich bin Jahrgang 1954, komme aus einer reinen Musikerfamilie und bin mittlerweile ganz offiziell in Pension. Davor war ich in einer Migranten-Schulklasse und bei Zehntklässlern tätig. Davor am Seminar in der Lehrerausbildung für Geschichte und Pädagogik.
Also Pädagoge der Pädagogen?
Besser kann man es nicht sagen.
Seit wann bist du im Ruhestand?
Seit dem 1. Mai, ganz frisch, die drei Jahre davor war ich in Altersteilzeit. Dafür bin ich fünf Jahre früher rausgekommen. Meine Freiheit!
Lehrer und Punkrock, das passt gut?
Kann man so sagen. Wobei ich eher New Wave- und NDW-Musiker war.
Wie und wann bist du zu Punk gekommen?
Mein Vetter arbeitete in Berlin als Schlosser, obwohl er Akademiker war. Er war Marxist und wollte sich vor Ort als Arbeiter verwirklichen. Er hat Ende 1977 aus Berlin die „Never Mind The Bollocks“-LP der SEX PISTOLS mitgebracht. Die hat er aufgelegt und ... Hammer, unglaublich! Das Cover, der Sound, die Texte, die Art und Weise, wie Johnny Rotten gesungen hat. Zu der Zeit habe ich Zivildienst gemacht und eine Berlinreise für den Kreisjugendring Esslingen organisiert. Ich habe mitbekommen, dass es in Berlin einen Laden gibt, das SO36. Das war für mich der Knaller. Umwerfend! Dieses Derbe und Aggressive, wie daraus eine gewisse Ästhetik entstand, das hat mich fasziniert. Das muss so 1977/’78 gewesen sein.
Welche Band hat damals gespielt?
Keine, es liefen nur Platten oder Kassetten. Da hat man mit Bierdosen um sich geworfen oder sie in einen Mülleimer gekickt. Die Schnappverschlüsse haben die Punks abgerissen und sind barfuß darauf herumgetanzt. Wenn Blut gespritzt ist, war das cool. Das war eine neue Ästhetik für mich. Ich kam vom Bluesrock, und ganz schlimm, von Jazzrock-Sessions. Wir dudelten in sphärischen Improvisationen. Wer ist schneller und wer ist besser? Das konnte ich nicht mehr hören und nicht mehr spielen. Deshalb war Punk eine Explosion für Leib und Seele. Da bin ich sofort drauf abgefahren. Vor allem auf die Musik. Die Haltung und die Ästhetik, das hat noch eine Weile gedauert. Du kannst dich nicht von heute auf morgen von deinen langen Haaren trennen, das geht immer von Friseurtermin zu Friseurtermin. Ich habe mir dann einen Mecki schneiden lassen. Auf so was sprang mein Vater dann auch an, der im Dritten Reich aktiv war, als er bei der HJ Pimpfe dirigierte und sich nun über meinen Haarschnitt wunderte, das Hochrasierte, Völkische. Er war als Gewerkschafter und Sozialdemokrat schockiert. Man hat um 1980 Lederjacke getragen, meine war allerdings braun und nicht schwarz. Später am Seminar trug ich zum Leidwesen meiner bärtigen Hippie-Kollegen eine schwarze, die sie sich an Fasching ausliehen. Leute gibt’s! Die aus der Clique, die sich in Winnenden trafen, Germar und die ganzen wilden Jungs, die waren härter drauf, sie sahen nicht nur fieser aus, sie waren auch größer und stärker. Die hatten zwar keine Motorräder, dafür aber schwarze Lederjacken.
Wie ging es dann mit deinen Bands los?
Bei mir hat das alles gedauert, aber bei der Musik war ich sofort angefixt. Vor allem als das übergegangen ist in die Wave-Spielarten, No Wave, Cold Wave oder Industrial, und auch Saxophon als schräges Instrument eingesetzt wurde. Sven Gormsen von AUTOFICK, der auch kurze Zeit bei HEUTE mitspielte, kannte ein paar Punk/Wave-Saxophonisten. Ich änderte meinen Stil, spielte derber, dreckiger und fieser, so dass ich mich aktiv über die Musik einbringen und ausdrücken konnte. Ich zog das Mundstück einen Zentimeter aus dem Hals der Kanne und das Sax klang falsch. Bei SISSIS KINDER spielte ich noch Casio und Schlauch und schrieb Dada-Texte.
Lehramtsstudium und Punk sind zwei Dinge, die sich auf den ersten Blick beißen.
Ich habe damals an der PH in Esslingen studiert, dabei hatte ich Dusel, dass ich an Professoren geriet, die ihre Seminare für Themen öffneten, die aus der Lebenswelt der Teilnehmer kamen. Ich war mutig und erklärte, dass ich mich für Punkmusik interessiere, auch für die Haltung, das Politische, Dada, das Ästhetische und Maschinelle. Ein Professor meinte: „Dann halte doch darüber ein Referat.“ Die Reaktionen der Kommilitonen waren teils idiotisch. Junge angehende Lehrer, alle langhaarig und links angehaucht. Die haben bei „Tanz den Mussolini“ und dem Button von Sid Vicious mit dem Hakenkreuzshirt sofort zugemacht. „Aha, Faschismus!“ Bei ihnen ging es immer um die Aufarbeitung von Nationalsozialismus. Das hat ewig gedauert, die aufzuklären, was man unter Provokation, Situationismus und Schock versteht. Aber mein Prof war angetan und ich schrieb meine Zulassungsarbeit über Punk. Thema: „Jugend und Subkultur — die Punkbewegung“, das war um 1980/81.
Also nahezu zur selben Zeit, als Hollow Skais Examensarbeit „Punk“ veröffentlicht wurde?
Genau, das war die Grundlage. Ich hatte unglaubliches Glück, dass diese Arbeit während meiner Schreibtätigkeit erschien. Das war das einzige deutsche Buch zu Punk, auf das ich Bezug nehmen konnte. Stopp! Ich las noch das „Punk Rock“-Buch von Rolf Lindner. Ich bin zwar in Stuttgart geboren, aber wohnte damals ja auch auf dem Land, in Aich. Da war ich regelmäßig in Nürtingen im Hardrock-Cafe. Dort liefen nur Hardrock und Blues. Das war sehr zäh, bis die Leute Punk aufgriffen. Nur in der Kneipe Exil in Stuttgart machte Biertrinken wirklich Spaß.
Und jetzt ein weiteres Buch über Punk? Und dann noch über Stuttgart.
Ja nun, in der Gegenwart habe ich mich zunächst einmal köstlich über „Verschwende Deine Jugend“ von Jürgen Teipel amüsiert. Ich lag in Griechenland am Strand und habe gegrölt. Das ist ja auch ein Stück weit die Intention dieses Buches, aufzuzeigen, wie kaputt sich diese Jungs damals benommen haben. Wie sich zum Beispiel DAF in England aufgeführt haben. Meine Frau hat sich gewundert: Der studiert Punkbücher und grölt. Die Passagen von und über Peter Hein mag ich, ich verehre ihn. Und ich muss sagen, dass ich mit dem Buch von Frank Apunkt Schneider als Stuttgarter und als Schwabe nicht ganz einverstanden sein kann. Da kommen wir schlecht weg, denn da ist ein wenig mehr, als er uns zugesteht. Viel mehr Kassetten, Platten und Bands. Immerhin ist es eine eher wissenschaftlich orientierte Arbeit, mit unglaublich viel Recherche und Forschung.
Teipel will in erster Linie unterhalten, wohingegen „Als die Welt noch unterging“ von Schneider für einen Normalleser aufgrund seiner Sprachführung und Fülle an unnötigen Fremdwörtern sehr schwer zu lesen ist; und es wäre schöner, wenn er nicht so vieles scheiße finden würde. Was möchtest du denn zur bereits geschriebenen Punkgeschichte hinzufügen? Dein Buch kann ja nicht nur Reaktion auf die beiden genannten Bücher sein?
Ich hatte keinen Hintergedanken. Ich bekam einen Anruf von meinem Freund Christoph Wagner, der als Musikjournalist arbeitet. Wir haben zusammen studiert. Er lebt heute in Manchester und gibt im Oktober mit „Träume aus dem Untergrund“ ein Buch über Hippies und deren Musik in den Sechziger und Siebziger Jahren heraus. Er kontaktierte mich just in dem Moment, als ich in Pension ging und mehr Zeit zur Verfügung hatte. Punk is not d(e)ad! Ich konnte das mit dem verbinden, was ich dreißig, vierzig Jahre lang unterrichtet habe: Alltags-, Lokal- und Regionalgeschichte. Ich habe im Verlauf dieses Lehrer-für-Lehrer-Daseins entdeckt, dass Zeitzeugenbefragung, Lebenswirklichkeit, Oral History und Spurensicherung Möglichkeiten sind, ein wenig mehr Tiefe in ein Thema wie Punk hineinzubuttern. Weil ich damals Musik gemacht habe und wusste, dass hier immer noch so zwanzig bis vierzig Leute herumspringen, die ich tagtäglich sehe, wurde mir schnell klar: die interviewe ich und kann darüber ein Buch schreiben. Material ist genug vorhanden. Fotos, Quellen, Klamotten, Kassetten. Die Leute sind da, ein großer Teil lebt noch, so dass ich aufzeigen kann, was hier vor Ort tatsächlich passiert ist.
Stuttgart wurde 1977 bis 1982 von außen so gut wie gar nicht wahrgenommen. Es gibt aus der Zeit nur drei oder vier Bands, die überregional bekannt waren. Das ist für eine Region wie Stuttgart, in der es etliche Bands gab, ziemlich übersichtlich. Ein Sampler wie „Schwabesäkel International“ existiert gerade mal in einer Auflage von schlappen 300 Exemplaren, und das zu einer Zeit, in der sich im Zuge der frühen NDW jeder Mist verkaufte. Das zeigt ziemlich deutlich die fehlende Vernetzung. Richtig los ging es aus meiner Sicht erst 1983.
Vernetzt waren die Kassettentäter aus Reutlingen/Tübingen, dem Schwarzwald und Pforzheim. Der Stuttgarter Peter Reinhardt von der Tangente, später Röhre, hat mir das so ins Gesicht gesagt. „Mensch, Simon, hör mal her, die ersten Punks kamen erst ’81 zu mir.“ Da musste ich erst zweimal überlegen, wie er das meinte, aber, haha, er hat erst ab 1981 in seiner Tangente aufgelegt. Ab 1978 gab es Punk-Konzerte an Schulen mit Schülerbands, den X-DREAMOS und den BEAUTIES, 1980 gab es Punk-Konzerte in der BOA und ab Oktober desselben Jahres dann in der Mausefalle. Als ich 1980 bei F.A.K. anfing, gab es bereits NORMAHL, FRAUENKLINIK, VERMIN, NAME, ABC, KRACH, BLEND-A-MED, CHAOS Z, FEHLPRODUCKT, KAMPFGAS, LEBLOSE BLICKE, DIE FLIEHENDEN ÄGYPTER ... Und es gab Leute wie Andy Schuster, der damals für mich eine wichtige Bezugsperson war, weil er mir Fanzines schickte, die er nicht mehr brauchte. Über solche Jungs wusste ich, es musste auch schon ’78 etwas gegeben haben; die ganzen Jugendhäuser in der Peripherie, dort ging sehr früh Punk ab. Das alte Thema von Dezentralisierung, Kultur ist eben nicht Hauptstadtsache. Umland rules! Und zu deiner Frage: Ja, NORMAHL, später WIZO oder FLIEHENDE STÜRME oder K.G.B. tourten auch in der Ferne! Sounds und Spex informierten immer wieder klitzeklein über unsere Szene. In der Spex gab’s mal eine FAMILIE HESSELBACH-Story. Wir waren eine kleine Community, jeder kannte jeden. Man gehörte doch irgendwie zusammen. Feindschaften waren eher aufgesetztes Posing.
Hat Stuttgart für dich so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal?
Ohne das gleich mit Punk in Verbindung zu bringen, dieses schwäbisch-ängstliche Bruddlertum, dieses schwere und negative Geschimpfe. Eine gewisse Reserviertheit, Balkonia- und Veranda-Haltung. Das habe ich damals schon festgestellt und erkenne es auch heute noch, wenn ich nach drei Monaten Griechenland, unserer zweiten Heimat, oder nach einem Monat in Köln, woher meine Frau stammt, wieder zurückkehre, dann ist das hier etwas schwermütiger und negativer, das passt zu diesem Loch des Talkessels. Das Land der Tüftler, die CDU-Dauerherrschaft, der Abrisswahn, die Förderung der Hochkultur bei gleichzeitiger Ignoranz jeglicher derber Subkultur und die big Industrie-Unternehmen wie Daimler, Porsche, Bosch, die hier alle vor Ort sind. Auch die sind stark verbunden mit diesem Druck, der starken Leistungsorientierung, diesem Drill, in dem der Pietismus als geistiger Ursprung eine wesentliche Rolle spielt. Diese Leistungsgeilheit und das Verbohrte sind für mich etwas Stuttgart-Typisches. Auch das fehlende politische Arbeiterbewusstsein. Es wimmelt nur so von verwöhnten Wohlstandskindern, und das war auch damals ähnlich. Diese genannten Dinge spielen eine wesentliche Rolle, warum man damals Punk sein wollte und sich dafür bewusst entscheiden musste, um aus Starre und Drill und aufgesetzter Schönheit und Hygienewahn ausbrechen zu können. Ganz im Gegensatz zum klassischen englischen Punk, der oft von unten aus der Arbeiterklasse, aus den sogenannten sozial schwächeren Schichten kam. Hier war Punk Import, der auf ganz andere Felder gestoßen ist. Hier war es unter anderem am Anfang eher die Genuss- und Kunstszene, viele waren Studenten und Gymnasiasten. Hier ist auch keiner Punk geworden wegen der RAF und der Nähe zum Knast Stammheim, das war kein Grund. Auch die angeblich so schlimme Bullizei nicht. Wir hatten keinen Klassenfeind.
Eine Einschätzung, du aus der Arbeit am Buch gewonnen hast?
Als ich mich jetzt an die Songtexte herangemacht und Zeitzeugen befragt habe, sahen die das natürlich etwas anders als ich. Die sagen dann schon, dass leere Häuser, Bonzentum, Bullerei und RAF für sie Gründe waren. Die Rekrutenvereinigung 1980 auf dem Schlossplatz, an einem trüben Novemberabend, die für Krieg und Militarismus stand, war so ein Punkt, bei dem sich alle einig waren. Dort waren alle Punks, die Hippies, Schüler, Studenten, die Autonomen, die Jungsozialisten. Hier hatte man tatsächlich etwas Konkretes vor Augen, weil Militarismus, SS 20 und Pershing II mit der drohenden Apokalypse die Zeit prägten. Inwiefern uns das individuell beeinflusst hat, das mag sich von Fall zu Fall unterscheiden. Aber so eine gewisse Grundstimmung war vorhanden, alleine durch die täglichen Meldungen, dass es irgendwann knallen könnte. Und daraus resultierte die Überzeugung, und die hieß Punk! Endlosdiskussionen gehörten der Vergangenheit, der 68er Generation an. Jetzt wurde gehandelt. Jetzt erhielt auch die Instandbesetzerszene einen weiteren Anstoß. Wir brachen aus, wir scherten aus! Viele wollten aber auch nur Spaß oder geile Mucke.
Abgesehen davon, hat Stuttgart als Standort etwas Einzigartiges?
Den Kessel umgibt ein Speckgürtel, eine Peripherie, die einen extrem starken Einfluss hatte. Wie wir vorhin schon festgestellt haben, gab es anfangs eigentlich nur wenig an Punk in Stuttgart. Aber viele Hippies, tolle Jazzclubs und zuvor zahlreiche Beatschuppen. Und die Großindustrie als Standortsicherung. Es gab eigentlich wenig an Punk, aber alle von außen sind reingeströmt oder haben sich auf die anderen Kleinstädte des Umlands zubewegt, weil dort Punk stattfand, wie in Esslingen oder in Winnenden, aber auch in Backnang, Pforzheim oder Sindelfingen/Böblingen.
Wie heute, wo viele „Stuttgarter“ Bands im Umland gegründet wurden. Der Kessel speist sich bis heute aus der Peripherie.
Ich kenne wenige, die in Stuttgart geboren sind! KRACH waren aus Stuttgart. Witzigerweise gibt es Fotos von der ersten Pogonacht 1979 im Juze Winnenden, und da sieht man Oliver Neitzel von KRACH, der später bei DIE SACHE gespielt hat. Man sieht Wolfi aus Stuttgart, später bei ÄTZER 81, beim Pogotanzen oder Johnny Kaputtgart, der zwar nie in einer Band gespielt, aber in der Disco OZ in Stuttgart Punkplatten auflegte. Das waren Stuttgarter Punks, die sind in die Peripherie gefahren und waren da bekannt wie bunte Hunde.
Wie viel Zeit hast du verbraten, um alle Leute im Buch zu befragen?
Drei Jahre. Das erste Jahr, ab 2014 im Februar, als ich angefangen habe, war Vorrecherche, langsam wieder reinkommen, alte Bücher, Sounds und Spex wälzen. Die eigentliche Arbeit begann ein Jahr später, also intensive volle drei Jahre, täglich acht Stunden und mehr. Lange Zeit Feinschliff und vor allem: Fotos sammeln und prüfen, Rechte einholen. Mich mit meinem Freund Barny treffen und diskutieren. Er ist direkter Nachbar, uns trennt nur der Fangelsbach-Friedhof.
Wenn man drei Jahre seines Lebens für ein Buch opfert, hat man doch irgendwelche Zahlen im Kopf, wie oft sich das verkaufen sollte, damit es unter dem Strich nicht unter dem Mindestlohnstundensatz bleibt?
Das läuft eher unter Liebhaberei. Der Spaß, aufs Land zu fahren, um die Leute auf der Alb, Tübingen oder in den Flusstälern zu interviewen, und das Schreiben selber standen im Vordergrund. Da bleibt unter dem Strich nicht viel, wenn man die ganzen Auslagen abzieht, es ist ja nur eine 1.000er-Auflage. Ich bin eher ein vorsichtiger Mensch, ich hätte ein Taschenbuch gemacht, mit einigen Fotos, aber der Verleger hat das Problem rechtzeitig erkannt. Er wollte lieber ein hochwertiges Kunstbuch machen. Mein Inhalt wird 1:1 übernommen, aber er möchte möglichst viele Abbildungen und ein wertiges Buch. Es ist groß und fett, und das schlägt sich natürlich auch in den Herstellungskosten nieder. Ich schreibe nun mal unglaublich gerne. Wie die Fanzinemacher, deshalb bewundere ich sie!
Wie viele von den damaligen Leuten gibt es noch?
120 aus der Historie heraus habe ich interviewt.
Das ist ja fast die komplette erste Szene von damals.
So ist es. Im Sounds stand damals: „Hey, Stuttgart hat sich gemeldet, vierzig Punks zogen durch die Königstraße.“ Das war die eine Meldung. Die andere Meldung, die ich immer wieder gerne zitiere, stammt von Oliver Neitzel aus dessen Fanzine The Dreck. Dort schrieb er: „Wir sind jetzt 120.“.Wie viele waren wir damals beim ABWÄRTS-Konzert? Wie viele haben in die Mausefalle reingepasst? Da waren ja alle, die von überall hergekommen sind. Ich würde sagen, wir waren so um die zweihundertfünfzig, der Kern. Punks, Waver. Alle anderen waren Discofreaks, Popper, ewige Hippies und schnell auch die Rapper und Breakdancer, oder ganz einfach die, die gerne in Vereine gehen. Und dann habe ich ja noch einige aus der jetzigen Gegenwartsszene interviewt, das lief dann vorwiegend über Social Media und per Mail. Die alten Leute und Kumpels von früher habe ich fast ausnahmslos besucht. Da habe ich mich auch an die richtigen Punks gewagt, zu denen ich damals keinen direkten Kontakt hatte, weil ich zu weich war und sie zu hart.
Wie haben sich denn die meisten von früher so entwickelt, schließlich waren das ja hier die ersten Punks in der „lebensfeindlichen“ schwäbischen Atmosphäre?
Ich trenne das in zwei unterschiedliche Szenen. Eine war die Szene 1977 bis ’81, und dann die Szene, die zur Mitte der Achtziger zählt. Von meinen Befragten würde ich sagen, dass 90% in bürgerlichen Berufen tätig sind und Familie haben. Daneben gab es noch die HAF-Szene, die „Haus-Armee-Fraktion“, ein Haus in der Hauptstätter Straße 104, in dem Punks, Hippies und Obdachlose wohnten. Aus dieser Szene sind sehr viele an den Folgen von Heroin und Aids gestorben. Wir haben mittlerweile eine Toten-Gedenktafel, die in der Ausstellung einen eigenen Platz bekommt. Immerhin konnte ich noch ein paar wichtige Kontakte auftun, zu Nadja, Nolde und noch ein paar anderen. Wer von denen noch lebt, ist heute manchmal als Streetpunk unterwegs. Einige sind abgehauen, nicht nur nach Berlin und London, auch in den Schwarzwald, oder sie kamen eh von dort, ein paar sind vorübergehend nach Australien oder Neuseeland, wie Pippy von NORMAHL oder Hubbel, der sogar für immer. Die hatten die Schnauze voll, nicht nur von Stuttgart, sondern auch von diesem urbanen Punk und seiner Vermarktung und Zersplitterung durch Kriminalisierung. Pippy habe ich auf seinem Bauernhof im Remstal besucht. Morscher, die Isny-Punks und ein paar andere aus der frühen Generation kenne ich sehr gut, sie lebten und arbeiteten in der Nesi und im Emmaus. Dort trommelte damals auch Kat, die seit 1984 bei THE EX spielt.
Und dann dieser konsequente Bruch 1983?
Viele Interviewpartner haben das bestätigt. Vielleicht ist es mit der Neuen Deutschen Welle in sich zusammengebrochen? Too much fun und Ausverkauf?
Mit dem Zusammenbruch der NDW brachen für einige Label die Vertriebsstrukturen zusammen, und man musste sich entweder neu aufstellen oder nachrückenden Kleinstlabels Platz machen.
Aus meinem Freundeskreis kann ich sagen, dass es Ende 1983, so ab 1984 in eine ganz andere Richtung abdriftete. Dort ging es in Richtung Soft- und Partyjazz, was mir nicht so recht behagte. Aber es hing fast niemand mehr so richtig in der Punk-Szene der ersten Generationen drin. Das war auch eine Altersfrage. Wer damals 1977/’78 angefangen hatte, der hatte ein Durchhaltevermögen von fünf bis sechs Jahren, die haben dann von sich aus irgendwann das Handtuch geworfen. Auch die Fanzinemacher hörten auf. Die wichtigen Locations gab’s nicht mehr.
Wie bewerten die meisten, die heute ins Bürgerliche abgedriftet sind, rückblickend ihre Zeit als Punks?
Da gibt es große Unterschiede. Wolfi von ÄTZER 81 hat das bereits sehr früh in seinen damaligen Texten verarbeitet, die Lederjacken, Uniformierung und Mode karikiert. Viele haben Punk damals schon sehr bewusst reflektiert, über Fanzines, dass vieles aufgesetzt war, und diese Abwertungs- und Abgrenzungswut kritisiert. Es war uns bewusst, dass es unterschiedliche Kreise, Modeströmungen und Cliquen gab. Es gab auch einige, wie Rolf von HEUTE, der zuvor mit NAME und VERMIN knackige Punkmusik gemacht hat und ab 1980/’81 konsequent meinte, „Wir machen keinen Punk mehr, keine Rituale, wir machen Kunst, und ich will auch keinen mehr Pogo tanzen sehen“. Aber zu deiner Frage, wie sehen sie es heute: Da sind alle Stimmungen und Meinungen unterschiedlichster Art vertreten. Einig sind sich die meisten, dass es eine unfassbare Ära, eine kurze Zeitspanne war, in der es heftigst abging, nach der die meisten 1983 dann abgesprungen sind. Ein Teil betrachtet es als kleine Jugendsünde, verbunden mit negativen Gefühlen. Sie stehen heute nicht mehr dazu, damals Mülleimer umgeworfen, rumgespuckt und mit Bierflaschen geworfen oder auch radikal politisch agiert zu haben, bis hin zur Einbuchtung in Stammheim. Die wollen einfach nicht mehr sehen, dass das zu ihrem jungen Erwachsenendasein gehört hat. Ein paar sehen die Ära als geile Zeit, sie romantisieren. Andere haben immer weiter gemacht, und nie aufgehört, Punk zu sein, Punk zu leben. Davon machen einige bis heute Musik. Auch wenn das bisweilen weiterentwickelter Punk ist, sagen sie, dass von der damaligen rebellischen Haltung bis heute immer noch viel vorhanden ist. Das sind eigentlich die interessanten Leute. Von denen kamen in den Interviews auch die tiefschürfenderen Antworten. Es sind die Leute, die durch Punk in ihrer Grundhaltung bis heute nachhaltig geprägt sind: Einfach sein Ding zu machen. Politisch immer wachsam zu sein gegen Rassismus und Autoritäten, selbstbewusst durchs Leben zu gehen. Sich nix gefallen lassen, nicht schleimen oder kuschen. Dieses Hinterfragen, die Rebellion, die eigene Meinung, sich nichts sagen lassen, das ist auch heute noch in mir drin. Oder mal abbrechen, aussteigen, tschüss, danke! Ohne diese Beschäftigung mit Punk wäre ich heute nicht, was ich bin.
Wären nicht genau diese Leute die interessanteren Interviewpartner gewesen?
Im Sinne der Ausgewogenheit wollte ich alle Stimmen haben, die ganze Palette, die habe ich gekriegt. Das hat mir und dem Gesamtprojekt auch gutgetan. So kommen auch Leute wie Petra von FRAUENKLINIK zu Wort, die nur eine kurze Zeitspanne Punk war. Das ist interessant, warum solche Leute aufgesprungen und wieder abgesprungen sind. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass sich bei einigen Leuten innerhalb der zwei Jahre, in denen ich sie mehrmals angeschrieben und getroffen habe, ein Veränderungsprozess vollzogen hat. Einige haben sich phasenweise nicht mehr gemeldet, sind aber innerlich wieder aufgesprungen, ohne dass ich jetzt mehr aus ihnen herausholen konnte. Einige haben von vornherein abgewunken: „Simon, lass mich bloß mit diesem Thema in Ruhe.“ Als sie gemerkt haben, was sich da tut, durch den Blog, dadurch, dass es Stadtgespräch geworden ist, da kamen im Verlauf der letzten beiden Jahre viele Geschichten und unbequeme Wahrheiten wieder hoch. Die hatten einige extrem verdrängt, Ereignisse unterschiedlich wahrgenommen, ein paar waren noch geladen. Das ging sogar soweit, dass sie nicht einmal mehr ihre eigene Bandbesetzung hingekriegt haben oder wie oft sie den Bandnamen wechselten. Da ging vieles durcheinander, wie üblich bei Oral History.
Ein Buch über die Zeit ohne einen ausführlichen Teil mit dem Veranstalter vieler Konzerte, dem einzigen, der mit Mülleimer Records ein größeres Label auf die Beine gestellt hat ... das Interview mit Thomas Ziegler fiel eher ernüchternd, kühl und distanziert aus.
Thomas hat sich drei Jahre lang verweigert, und wir haben jetzt erst vor kurzen die Freigaben erhalten, dass wir Material aus seinem alten Fanzine, dem Aktuellen Mülleimer, verwenden dürfen. Er wollte nicht mit mir sprechen, das Interview hat Barny geführt. Ich habe aus dem Interview auch nur kurze Zitatpassagen verwenden können.
Wie kam es zur Idee mit dem Sampler?
Tek, der Schlagzeuger von TRIEBTÄTER, später HERBÄRDS, war einer meiner ersten Interviewpartner. Er empfahl mir Barny. Der sah, dass ich von einigen Leuten im Zuge der Recherchen stapelweise alte Originalkassetten und Fotos gesammelt hatte. Er meinte, dass man da eventuell etwas machen könnte. Nun sind es eine Single, eine CD im Buch und eine Doppel-LP geworden! Und eine Freundschaft zwischen uns. Barny hatte vollkommen freie Hand, bekam von mir alles, ich hatte nur wenige Wünsche.
Die Ausstellung war die Idee deines Verlegers?
Richtig. Ich habe dazu auch Norbert Prothmann mobilisiert. Er war damals so ein bisschen der Manager von ÄTZER 81, befreundet mit FRAUENKLINIK und MARIA KÖHLER, Fanzinemacher und führte damals ein Tagebuch. Die Ausstellung ist auch Werbeplattform für mein Buch. Ich stelle alle gesammelten Exponate wie Fanzines, Fotos, Plakate, Schallplatten, Instrumente und Klamotten zur Verfügung und helfe, das Live-Programm zu organisieren.
Wie bist du an den Verlag gekommen?
Als Autor habe ich mich umgesehen, was es an Verlagen gibt, die infrage kommen. Der Ventil Verlag hatte bereits Frank A. Schneider im Programm, damit ist für die das Thema Punk ausreichend belegt. Die anderen Stuttgarter Verlage, die ich angefragt habe, waren der Überzeugung, dass ihre Kunden im Verlagsprogramm nichts zum Punk erwarten würden. Hippiekultur ist im Ländle angekommen, aber Punk ekelt Verlage und Institutionen noch, das dauert. Am Ende war es naheliegend: Zwei Freunde, mit denen ich im MBK zusammen musiziere, wiesen mich auf Uli Schwinge von der Edition Randgruppe hin. Ein Zwischenerfolg für mich ist das Interesse des Stadtarchivs, sie würden die Fanzines aufbewahren.
Warum das Crowdfunding?
Bei manchen Verlagen muss man sich inzwischen als Autor einkaufen. Das Thema kam bei uns gar nicht auf. Uli hatte gehofft, dass er im Verbund mit einer Galerie Zuschüsse vom Kunstfonds des Landes Baden-Württemberg bekommen könnte, auch für die Ausstellung. Das hat sich leider zerschlagen. Auch Sponsoren allein für den teuren Druck eines Kunstbuches konnten nicht rechtzeitig gefunden werden. Das Crowdfunding hat dagegen super funktioniert. Wir konnten die Nachfrage durch Werbung und Social Media steuern. Wann agierten die Kesselpunks für uns, wann kam mein Interview beim SWR, wann erschien bei der Zeitung Kontext ein Artikel? Das waren jedes Mal finanzielle und motivierende Schübe. Ich habe alle meine Freunde angeschrieben, Nolde von der Gaststätte Schlesinger, und einen weiteren Nachbarn angestachelt, in die Vollen zu gehen. Jetzt werben wir für sie! Punk war und ist ja immer auch gezielte Propaganda, die den größtmöglichen Effekt erzielt.
Was ist dein heutiger Bezug zur Szene, interessiert dich, was aktuell abgeht?
Uli hatte den Impuls gesetzt, mehr gegenwärtige Bands aufzunehmen. Wie im Geschichtsunterricht gibt es keine Geschichte ohne Gegenwartsbezug. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich gut 35 Bands auf dem Schirm. Ich bin zu einigen Konzerten gegangen und habe mich quasi verliebt in KRIME aus Tübingen/Stuttgart, über die ich ja schon was im Ox geschrieben habe. Ich habe mir die ganzen Bands angehört und muss sagen, dass eine Psycho-Band wie HUMAN ABFALL einfach sensationell ist. Tontechniker Achim von meinem Rembetiko-Duo LEFTA ist der Electronic-Künstler von SÄULEN DES KOSMOS. KARIES habe ich vor ein paar Jahren erstmals als Plakat in einer Kunstausstellung gesehen, als meine Frau Rebekka darauf deutete: „Hahaha, schau mal den Bandnamen an!“ KARIES höre ich gerne. So bin ich über eine Art Revival wieder in die jetzige Szene reingekommen und habe auch angefangen, wieder mehr auf Konzerte zu gehen. Gute Leute kennen gelernt! Allen voran Chris der Berg von der HELMUT COOL BAND und den Künstler Jochen Damian, er spielt bei NAKAM. Oder Andy Ramone von Cheap Trash Records. Eigentlich war ich davor musikalisch Punk-Außenseiter, weil ich Electronic, Fieldrecording und Noise fabriziere und mit Worten experimentiere. Die alten Punksachen habe ich immer noch gehört. Da gab es über die Jahre immer Bezugspunkte, wie zu Moritz Finkbeiner und den Waggons, den Wägele, unserem magischen Ort im Stuttgarter Nordbahnhof, zu denen ich über die Jahre auch immer wieder gewandert bin und auch selber dort schon gespielt habe. Gerade solche Leute haben hier eine wichtige Schlüsselrolle, nicht nur wegen Moritz’ Band MOSQUITO EGO, die auch eine Hammerband ist. Was Stuttgart betrifft, ist das super, weil hier aktuell viel passiert. In unserem Musikkeller GBH und MBK griff ich immer zu Bass, Gitarre und Schlagzeug und tobte mich jahrzehntelang im Punk aus.
Gibt es Dinge, die du gerne in diesem Projekt noch gemacht hättest, die aber daran scheiterten, dass zum Beispiel die Leute nicht mehr aufzufinden waren?
Die STRONZE-Clique aus dem Haus in der Hauptstätter Straße, dem ganzen Hausbesetzer-Umfeld, die hätte ich gerne mehr interviewt. Und vielleicht auch mehr Bands aus der Mitte der Achtziger. Wegen der Übergänge, der Entwicklungen, das reizt mich, wie sich Prozesse verändern. Aber weil davon zu viele weggestorben sind, hatte ich da einfach zu wenige Ansprechpartner. Und ich hätte gerne noch ein paar mehr von den aktuellen jüngeren Leuten mit im Boot gehabt. Zu URSUS habe ich über Elena alias Maria Cron eine verrückte Lady kennen gelernt, die meine Frau und ich bewundern. Ferdinand Führer ist eine witzige Socke, super Typ, NEAT MENTALS sind, finde ich, eine top Band! Ein paar andere Sachen haben nicht geklappt, wie der Auftritt von ÄTZER 81, zusammen mit den Leuten von DIE NERVEN im Rahmen der Ausstellung. Sonst kann ich nicht sagen, dass mir irgendetwas fehlen würde. Doch, ich mach noch eine schräge Punk-Kassette. Und mir fehlen viele, die nicht mehr leben. Alle kommen und gehen.
Barny Schmidt von Incognito Records über den Soundtrack
Stuttgart brennt vor Langeweile
Der Soundtrack zum Buch ist ein eigenständiges Werk, das das Buch lediglich als Auslöser hatte und problemlos auf eigenen Beinen stehen kann. Hinter dem Sampler steckt Barny Schmidt, Gründer von Incognito Records und zugezogenes Punk-Urgestein. Die musikalische Aufarbeitung des Postleitzahlenkreises 7xxx oblag alleine seinem musikalischen Gespür, mit dem er aus unzähligen Kassetten und, wo Vinyltonträger vorlagen, zumeist aus den Original-Masterbändern herauspickte, was repräsentativ für Punkrock und Artverwandtes aus den Jahren 1978-1983 steht.
Barny, du hast dein Label reaktiviert, um den Sampler rauszubringen. Was ist passiert, warum hast du das Label und den Vertrieb damals eingestellt und abgegeben?
Ich habe es eigentlich gar nicht eingestellt, das Label und den Vertrieb gab es ja weiter, ich habe mich nur zurückgezogen. Aber deine Frage zielt wahrscheinlich darauf ab, warum ich mich überhaupt zurückgezogen hatte. Weil es an der Zeit war. Ich mache so alle zehn, zwölf Jahre etwas Neues und verlasse meine Komfortzone. Irgendwie war ich da durch. Es waren immer dieselben Gespräche, überall, wo ich hinkam, wurde nur noch über Schallplatten geredet, ob es die Platte in rotem oder in grünem Vinyl gibt, Anrufe um Mitternacht von gewissen Personen. Dazu kam, dass die Sache allgemein ein wenig in die Krise kam, die Verkäufe waren rückläufig, auch bei den Majors. Ich habe zwar gewusst, wie man das hinkriegt, aber dazu hätte ich meine komplette Philosophie ändern müssen. Es hätte bedeutet, Verträge zu machen, zu schauen, welche Band geht, welche nicht, und dann knallhart aussortieren zu müssen. Manche haben ja bewiesen, dass es ging, wie Munster Records in Spanien oder Damaged Goods in England, mit denen ich befreundet bin. Aber ich hatte auch einfach Lust auf etwas anderes, und dann hat sich zufällig die Sache mit dem Fahrradladen bei mir ums Eck ergeben. Ich bin da eingestiegen und habe dort weitergemacht.
Incognito lebte erstmal weiter.
Andi Beran und Christoph Roth haben Vertrieb und Label bis 2007 weitergeführt. Dann aber musste Andi bei seiner Freundin im Laden helfen und Christophs Freundin meinte auch, dass es langsam an der Zeit wäre, mal was anderes zu machen. Als die beiden schließlich aufgehört haben, habe ich nach Feierabend noch ein bisschen weitergemacht, wusste aber auch nicht so richtig, warum und wo das hinführen sollte. Irgendwann kam Andreas Kuttner und sagte, er würde es gerne übernehmen, also habe ich ihm alles gegeben, und es ist mit ihm nach Berlin gewandert. Es hat dann am Ende wirtschaftlich nicht mehr hingehauen, dass er davon leben konnte. Das meiste des Bestands blieb bei Daniel von Alien Snatch in Berlin, den Rest habe ich zurückgeholt.
Simon meinte, er hätte dir zu Beginn einfach einen Stapel alter Kassetten vorbeigebracht und du hättest sofort zugesagt.
Viel schlimmer, viel unspektakulärer. Ganz am Anfang, als er sein Projekt gestartet hat, hatte er Kontakt mit Tek von TRIEBTÄTER und HERBÄRDS, der hat ihn zu mir geschickt, wir kannten uns ja gar nicht. Er kam zu mir in den Laden, er hat mir erzählt, was er machen will, schließlich habe ich ihn gefragt, ob man nicht eine CD zu dem Buch machen sollte. So kam das ins Rollen. Die Bands und die Protagonisten musste man ja ohnehin kontaktieren, also konnte man sie auch gleich fragen, ob sie nicht Aufnahmen von damals haben. Ich hatte das schon seit Jahren irgendwo im Hinterkopf.
Am Ende wurde es mehr als nur der Kessel. Mit reinen Stuttgarter Bands hättest du ...
... eine LP füllen können. 50% sind aus Stuttgart, der Rest ist aus Reutlingen, Tübingen, Winnenden und so weiter. Am Anfang habe ich auch nicht so viel erwartet, aber im Verlauf sind immer mehr Leute gekommen, die meinten: Oh, ich habe damals auch noch in einer Band gespielt, wir sind zwar nie aufgetreten, aber ... So kam dann eins zum anderen, es wurde immer mehr, und die Sachen waren in meinen Ohren nicht schlecht. Irgendwann haben wir gemerkt, hoppla, die CD reicht ja gar nicht aus. Und weil ich ohnehin Vinylfan bin, mach ich die Doppel-LP noch dazu.
Müsste es dann nicht heißen „Es brennt von Winnenden bis Tübingen/Reutlingen vor Langeweile“?!
Ja gut, wir haben halt Stuttgart genommen, weil es die größte Stadt ist und gleichzeitig die Landeshauptstadt. Wenn jemand aus Hamburg „Winnenden“ oder „Reutlingen“ liest, würde er mit dem Plattentitel eher nichts anfangen können. Im Untertitel heißt sie ja dann auch „Punk & Underground PLZ 7000 + Umgebung“.
Warum gibt es den Sampler am Ende in drei verschiedenen Varianten, als CD, als Doppel-LP und als Doppel-LP mit 7“?
Die 200er-Auflage der Doppel-LP mit der Bonus-7“ gibt es nur für das Crowdfunding, damit man den Leuten was Spezielles anbieten konnte. Das Vinyl hat ein anderes Konzept als die CD, die als Buchbeilage dient. Auf der CD ist die Sache wirklich sehr breit gestreut. Darauf sind experimentellere und noch weiter von Punk entfernte Sachen enthalten als auf der Doppel-LP. Beim Vinyl steckt mehr von mir drin, dort kam drauf, was mir am besten gefällt und was noch relativ nah am Punk ist. Und wenn es elektronische, experimentelle Bands sind, dann sind es immer ihre punkigsten Songs. Die CD ist mehr dokumentarisch gedacht und unterschiedlich, das Vinyl klingt mehr wie ein Kassettensampler von damals.
Wie viele Tapes hast du für den Sampler durchgeackert?
Genau habe ich sie nicht gezählt, aber es geht so in Richtung hundert Kassetten.
Eine ganze Menge.
Ja, zumal ich auch von Anfang an sehr systematisch vorgegangen bin. Ich habe sie gleich alle digitalisiert und mir die Mühe gemacht, immer die Startcodes zu setzen. Wenn was dabei war, das mir gefallen hat, habe ich mir gleich den Titel notiert. Am Anfang waren das knapp hundert Songs, die schrumpften dann auf sechzig und nach einem halben Jahr exzessiven Durchhörens blieben letztendlich meine persönlichen Favoriten erhalten. Die wurden am Ende sorgfältig von Oberst Gregor und mir in ein paar langen Nächten gemastert. Wir haben das aber nicht nur gemastert, sondern auch noch genau geschaut, welche Songreihenfolge optimal ist. Zum einen, dass die Songs vom musikalischen Standpunkt zusammenpassen, aber auch von der Qualität her, so dass man nicht eine Superstudioaufnahme hört und danach gleich ein krachiges Live-Tape kommt. Die Seite C zum Beispiel ist eher die Jugendhaus-Live-Seite, die Seite D ist eher NDW-mäßig, poppiger und auf der A- und B-Seite befinden sich eher die punkigen Stücke. Ich wollte es in einem Stück durchhörbar machen.
Unveröffentlichte Stücke versus optimales Material, was hatte mehr Gewicht?
Es gab schon ein paar unveröffentlichte Sachen, aber die waren qualitativ meistens uninteressant. Sowohl musikalisch als auch vom Sound her. Bei NORMAHL gibt es zum Beispiel ganz frühe Aufnahmen von der ersten Winnender Pogonacht, das kannst du vom Sound her aber nicht anhören. Der Fokus lag auf der Qualität der Aufnahmen. Bei den bekannteren Bands, bei denen es kein brauchbares, unveröffentlichtes Material gab, wurden es die Stücke, die einen Bezug zu Stuttgart haben. 40% wurden vorher schon mal auf Vinyl veröffentlicht, 60% sind unveröffentlicht oder waren bisher nur auf Kassetten erhältlich. Bei der CD ist das Verhältnis ebenso, wobei sich Vinyl und CD etwa zur Hälfte überschneiden. Von vielen Bands sind aber jeweils andere Stücke enthalten. Ein paar der Bands sind entweder nur auf Vinyl oder nur auf CD enthalten. Die CD hat knapp 77 Minuten, die Doppel-LP kommt auf etwa 100 Minuten.
Das Ergebnis hat für mich die Qualität von Samplern wie „Mannheim lacht“ oder „München – Reifenwechsel leicht gemacht“, wo Punk ebenfalls in allen Spielarten, die es bis 1983 gab, abgebildet wird. War das von Anfang an so konzipiert?
Um ehrlich zu sein, kannte ich viele Sachen vorher auch nicht. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Es war ein langjähriger Wunsch von mir, das Ganze mal aufzuarbeiten. Natürlich hat man über Freunde irgendwann mal hier ein Demo gekriegt, dort mal was gehört, aber letztendlich war es ein Flug ins Ungewisse. Mit dem Endergebnis bin ich sehr zufrieden. Es ist in jeder Hinsicht besser geworden als gedacht. Das Cover gefällt mir, mit dem Understatement als Frontcover. Jeder normale Mensch hätte wahrscheinlich das komplette Bild genommen. Wenn man die Platte dann aber aufmacht, wird es sogar noch bunt.
Wie viele Exemplare gibt es von der Doppel-LP?
1.000 Stück, und ich bin zuversichtlich, dass die aufgrund der konzertierten Aktion alle wegkommen. Allein in Stuttgart, auch weil so gut wie jeder namentlich genannt ist, durch den super Job, den Uli Schwinge im Hinblick auf Werbung und so weiter macht, die Ausstellung, Second-Hand-Records und, und, und, denke ich, dass 500 weggehen müssten. Zählt man dazu, was überregional und weltweit gehen sollte, ist der Unterschied, ob man am Ende 800 oder 1.000 Platten macht, bei den Presskosten zu vernachlässigen.
Wird es Folgeprojekte geben?
Sagen wir es mal so: ausschließen möchte ich es nicht. Latent schiele ich schon drauf, wenn es gut ankommt, auch mit Bands von anderen Leuten, die noch nicht auf den Plan getreten sind, oder solchen, die bisher noch nicht so kooperiert haben, falls sich da was ergeben sollte. Aber ich will als Plattenlabel nicht mehr groß einsteigen.
Die Kesselstadt
S-uburbia
Die Schwabenmetropole, die in den letzten Jahren aufgrund der vielen hochkarätigen Bands breite Aufmerksamkeit bis in die schnarchigsten Feuilletonredaktionen erfahren hat, kann man nur verstehen, wenn man dort lebt und im schlimmsten Fall vor Ort aufgewachsen ist. Die vielen Besonderheiten, die die Region ausmachen, wird man so wahrscheinlich nirgendwo sonst auf diesem Planeten finden. Da wäre die Bedeutung der allgegenwärtigen Autoindustrie mit ihrem piefigen Wohlstand, der „bible belt“ mit nahezu sämtlichen religiösen Splitterguppen, die Bedeutung der umliegenden Kleinstädte mit ihren Jugendhäusern und kleineren Läden für den Kessel, wenn dort einmal wieder die zyklisch wiederkehrende subkulturelle Dürre ausbricht, und letzten Endes der Schwabe an sich.
„Stuttgart“ ist so weit die VVS-Nahverkehrsbetriebe fahren und erstreckt sich damit im weitesten Sinne von Tübingen über Reutlingen, Böblingen, Waiblingen, Sindelfingen, Esslingen, Nürtingen bis nach Winnenden, Schorndorf (und einige Orte mehr). Folgerichtig sind aus den frühen Tagen dann auch eher die Bands aus den umliegenden Orten bekannter geworden als die, die aus dem finsteren Tal kamen. Und wer jetzt CHAOS Z sagt, der sollte wissen, dass auch die Filderebene nur ein Randgebiet ist, von dem man aber prima bis hinunter ins Tal spucken kann. Selbst viele der aktuellen Bands wurden draußen vor den Toren der Metropole gegründet, spielten dafür aber ihre ersten Konzerte in der Keimzelle der Waggons, was sie berechtigterweise zu Ablegern der Motorstadt macht, denn wer hier Musik macht, hat mit vielen Dingen zu kämpfen, die anderswo ganz anderen Zyklen unterworfen sind. Das Konzept der „Zwischennutzung“ macht viele Orte nur für kurze Zeit oder gar nur einmalig zugänglich. Das können entmietete Gebäude sein, deren Abrisstermin schon feststeht, die man aber für das verbleibende halbe Jahr „großzügigerweise“ (aber nicht „umsonst“) zur alternativen Nutzung überlässt.
Oder es sind Areale, die einen Investor suchen, der sich dann doch nicht findet (wie das Fluxus) oder Örtlichkeiten, die auf keiner Straßenkarte verzeichnet sind, weil sie offiziell gar nicht existieren. Es gibt ein stetiges, anhaltendes Clubsterben, das durch seit Jahrzehnten bestehende Konstanten verursacht wird. Zu erwähnen wären hier unter anderem das Ordnungsamt sowie Verpächter mit ihren kleinen gierigen Händen. Die Zahl der ehemaligen Auftrittsmöglichkeiten und geschlossenen Clubs übersteigt die Zahl der aktuell (noch) existierenden Locations locker um ein Vielfaches. Wer nach einer Geschäftsidee sucht, könnte mittlerweile eine Rock’n’Roll-Tour anbieten, in der man vor Baugruben, Neubauten, Ladengeschäften oder Restaurants halt macht, um dort die Geschichten von Röhre, Hi-Club, Limelight, Feuerwehrhaus, Maxim, Landespavillon, OBW9, Jugendhaus Mitte, BOA, Che, Zwölfzehn, Travellers, Schocken, Beat-Club, Maxim Gorki, Mausefalle, dem Gustav-Siegle-Haus und so weiter zu erzählen.
Von fehlenden bezahlbaren Proberäumen oder gar von erschwinglichem Wohnraum wollen wir gar nicht erst reden. Aufgrund fehlender Auftrittsmöglichkeiten für Bands, die zwischen 300 und 1.200 Leute ziehen, ist es nicht verwunderlich, dass Stuttgart nur selten auf dem Tourplan solcher Acts auftaucht, und weil die Zahl der verfügbaren Läden im unteren Publikumssegment ebenfalls begrenzt ist, ist „Übersättigung“ ein Wort, das hier keinerlei Bedeutung hat. Das eigentlich Erstaunliche ist, dass trotz all dieser Umstände eine unglaublich kreative und lebendige Untergrundszene existiert und gedeiht. Ein wesentlicher Dünger für diese Subkulturblüte ist etwas, das man in dieser Form sonst lange suchen muss, ein Gemeinschaftsgefühl, ein Spirit, der viele Aktivisten, Veranstalter und Musiker zusammenschweißt. Mit- statt gegeneinander, anders würde es in dieser Schlafstadt nicht funktionieren.
Der Verlag
Edition Randgruppe
Der Verlag Edition-Randgruppe existiert seit 2010 und veröffentlicht eher abseitige Bücher jenseits des Mainstreams. Laut Uli Schwinge, der den Verlag zusammen mit seiner Frau betreibt, ist es eine Buchliebhaberei, in die mehr Geld hineingesteckt wird, weil sie noch nicht so recht gelernt haben, wie man damit tatsächlich Geld verdient. 2017 werden ganze fünf Titel veröffentlicht, die entsprechend der Verlagsphilosophie alle in einer einmaligen Auflage erscheinen. Wenn die 1.000 Exemplare von „Wie der Punk ...“ weg sind, sind sie weg. Der Reiz bei dieser Veröffentlichung bestand darin, dass Stuttgart, gleich nach der ehemaligen DDR, eigentlich der schwierigste Ort für Subkultur und Punk war. Eine Bauchentscheidung, bei der von Anfang an klar war, dass es nur ein Kunstbuch sein kann, um ein entsprechendes Statement zu setzen.
Die grafische Gestaltung und das Layout des Schubers mit seinen elf Einzelheften im Format 24x34 wurde komplett von Uli umgesetzt, derselbe, der auch für die Displays und das grafische Ausstellungskonzept eines begehbaren Buches verantwortlich ist. Der ursprüngliche Plan, einen Teil der Finanzierung der Druckkosten durch Fördergelder und Sponsoren zu realisieren, erfüllte sich trotz etlicher Stunden Aufwand leider nicht. Die Finanzierung durch das Crowdfunding, das sich am ähnlich finanzierten Projekt „Punk in der DDR“ orientierte, war letztendlich nur Plan B. Würde man die Arbeitszeit und den Aufwand mit einem Stundensatz verrechnen, müsste ein vernünftiger Mensch umgehend über Mindestlöhne nachdenken und die Frage stellen, warum man sich so etwas dennoch antut. Die Antwort von Uli ist in diesem Fall typisch Punk: „Weil ich Bock drauf hatte und es sonst keiner gemacht hätte!“
Die Ausstellung
S-Punk im Museum
Begleitend zur Buchveröffentlichung findet vom 15.09. bis 13.10.2017 im Württembergischen Kunstverein eine Ausstellung zu Punk in Stuttgart statt. Als Nebenprodukt der Recherche, die Memorabilien und Unmengen an Material zutage förderte, lag es eigentlich auf der Hand beziehungsweise nicht, bis Uli Schwinge es aussprach, daraus eine Ausstellung zu machen. Verantwortlich für das Rahmenprogramm, die Organisation und die Exponatesteuerung ist Norbert Prothmann als Kurator, der nicht nur als einziger der Organisatoren (Uli, Fabian, Norbert) als ehemaliger „Manager“ von ÄTZER 81 über einen Punkhintergrund verfügt, sondern auch durch die erfolgreiche Realisierung der Ausstellung über den Fluxus-Künstler Dietrich Albrecht aka Albrecht/d. (zu den ersten THROBBING GRISTLE-Releases gehörte 1976 die Kassette „Music From The Death Factory“ zusammen mit Albrecht) „vorbelastet“ ist.
Die drei ergänzen sich nicht nur in der Arbeitsaufteilung ideal, sie setzen aufgrund des unterschiedlichen Alters, der Hintergründe, Herangehensweisen und ästhetischen Ansätze auch unterschiedliche Schwerpunkte, die einen größeren Blick auf das Ganze geben. Der Bogen spannt sich dabei über Punk in Stuttgart von den Anfängen bis zur heutigen Szene. Auf knapp 350 m² wird das museale Umfeld des Württembergischen Kunstvereins, der lediglich die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, ein zweites Mal nach 1980/81 „besetzt“. Das Ganze wird ohne private Sponsoren oder öffentliche Gelder als reine Undergroundveranstaltung organisiert. Nach zwei Jahren Vorbereitung gibt es neben der täglich geöffneten Ausstellung ein Rahmenprogramm, das mit der Vernissage zur Buchpräsentation am 15.09. beginnt und Live-Auftritte sowie Lesungen und Diskussionsrunden beinhaltet, bevor am 13.10. die Tore wieder schließen. Vom 29.09. bis 02.10. spielten an drei aufeinanderfolgenden Tagen Bands in den heiligen Museumshallen, darunter DIE SÄULEN DES KOSMOS, HEUTE, FAMILIE HESSELBACH, KILL VALMER, HERBÄRDS, NORMAHL, KRIME, EIGHT ROUNDS RAPID, ROCKET FREUDENTAL und einige mehr. Wie bei der Konzeption der Ausstellung wurde besonderer Wert darauf gelegt, von der Vergangenheit eine Brücke bis in die Gegenwart zu schlagen. Ein weiteres Highlight war die Diskussionsrunde am 21.09., zu der ein ehemaliger Polizist der „Soko Punk“, ein Ex-Punk der ersten Stunde (heute Kirchenrat), sowie weitere Zeitzeugen geladen waren. Erklärtes Ziel ist es, zu jeder Veranstaltung die Hütte voll zu bekommen, und nicht nur die Überlebenden von damals anzusprechen, sondern auch jüngere Leute, die sich in einem ähnlichem Umfeld bewegen Denn: „Wenn wir uns nicht selber feiern, macht es keiner!“