WICK BAMBIX

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Die Zähne zeigen

Wick war einst die Stimme der BAMBIX ... und dann nicht mehr. Das Leben, die Familie, der Beruf. Seit 2023 ist sie wieder präsent auf Bühnen all over Germany, und nach „The Pariah’s Promise“ letztes Jahr ist jetzt das neue Quasi-Soloalbum „When Things Grow Teeth“ raus. Das Ox fragte, Wick antwortete.

Ich bin seltsam fasziniert von dem Albumtitel „When Things Grow Teeth“ ... Was hat es damit auf sich?

Der Titel bedeutet, dass Situationen, die früher überschaubar waren, plötzlich ernster werden, problematischer werden. Das ist die Welt, in der wir leben. Zum Beispiel hat die wirtschaftliche Ungleichheit Zähne bekommen: Sie war schon immer ein Problem, aber jetzt führt sie zu sozialem Unfrieden. Oder der Klimawandel. Jahrelang wurde er ignoriert, aber mit den rekordverdächtigen Temperaturen und den extremen Wetterereignissen ist klar, dass dieses Thema an Bedeutung gewinnt. Es beschreibt auch die Wut. Wegschauen ist keine Option mehr.

Seit du 2023 „The Pariah’s Promise“ herausgebracht hast, bist du wieder allgegenwärtig auf deutschen Bühnen. Wieso bist du plötzlich wieder so aktiv in Sachen Live-Musik – oder was hat dich davor abgehalten?
Bandchef zu sein, ist manchmal hart. Das Ganze immer in Schwung zu halten, kann noch schwieriger sein, wenn du dazu noch Kinder und einen Job hast. Und wenn die anderen alle möglichen anderen Prioritäten haben, musst du Entscheidungen treffen, und da ist mir aufgefallen, dass ich Entscheidungen treffen musste, die nicht meine waren. Also habe ich eine ganze Weile aufgehört mit dem Musikmachen. Eines Tages wurde ich gebeten, auf der Beerdigung einer guten Freundinn einen Akustiksong zu spielen. Ich habe sofort abgelehnt. Nicht nur wegen der Emotionen, sondern auch, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mit Musik nichts zu sagen hätte. Später dachte ich darüber nach, was ich wohl gespielt hätte, wenn ich ja gesagt hätte. Und das war es, was mich dazu brachte, wieder zu spielen. Ich schrieb „Dice“, das wäre das Lied gewesen, das ich bei ihrer Beerdigung gespielt hätte. Ein Lied für Lampje. Es machte mich stolz und fühlte sich gut an, dass ich wieder in diese Emotionen springen und sie in ein Lied verwandeln konnte. Ungefähr zu dieser Zeit wurde ich eigeladen, solo auf einem Festival zu spielen und etwas später auf der Fusion. Ich weiß noch, wie ich dorthin fuhr und totales Lampenfieber bekam. Ich starrte auf die Anzahl der Kilometer und wollte nicht, dass sie weniger werden. Aber die Resonanz war überwältigend. Es fühlte sich fast an, als hätte ich den Mount Everest bestiegen und jeder im Publikum hätte mir geholfen, dort oben anzukommen. Es war eine Mischung aus totaler Demut und totaler Freude. Das war der Moment, in dem ich Sandra von Billig People Booking sagte, sie solle wieder anfangen, Shows für mich zu buchen.

Du wirst live und auf dem Album von Patrick Schappert begleitet. Wie wurdet ihr ein Team, und was macht es anders, nicht ganz allein auf der Bühne zu stehen?
Der Grund, warum ich solo spielen wollte, ist die Flexibilität. Ich kann alle Shows spielen, die ich spielen will, oder auch keine: Ich muss nur meinen Zeitplan im Auge behalten und nicht die Sorgen der anderen, wie zum Beispiel die Geburtstage der Tanten, Beziehungsprobleme oder was auch immer dazwischengekommen ist, so dass ich nicht spielen konnte. Ich weiß, wie viel Energie es freisetzen kann, mit anderen aufzutreten, aber ich wollte nicht mehr den Stress haben, die Verantwortung zu tragen. Ich wollte mich einfach spontan entscheiden können oder live improvisieren. Ich war also nicht auf der Suche nach einem Bühnenpartner. Patrick und ich hatten schon lange keinen Kontakt mehr, aber wir sahen uns einmal im Jahr beim Karneval. Als Außerirdischer verkleidet erzählte er mir, dass bei ihm ein Solo-Gig in meiner Heimatstadt anstehen würde, und er fragte mich, ob ich ihn nicht bei zwei Songs begleiten wolle. Und es lief wirklich gut an. Später habe ich ihn gebeten, bei einer meiner Shows dabei zu sein, und er hat mich dann immer wieder begleitet. Wenn ich mit Patrick spiele, entsteht eine besondere Verbindung. Es geht mehr darum, die Erfahrung zu teilen und gemeinsam etwas zu schaffen, das sich gut anfühlt. Deshalb bin ich froh, dass er auch bei meinem neuen Album dabei ist. Er ist ein richtiger „Alleskönner“, also tragen seine Beiträge immer etwas Sinnvolles bei. Er versteht die Songs wirklich, die ich schreibe.

Im Oktober spielst du im SO36 auf dem „Female-fronted is not a genre“-Festival. Warum ist dir das ein Anliegen?
Ich vermute, du meinst, warum Female-fronted kein Genre ist? Nun, das ist es einfach nicht. Musik sollte für ihren Sound, ihre Kreativität und ihre Botschaft geschätzt werden – nicht aufgrund des Geschlechts der Menschen, die sie machen. Frau zu sein ist in der Musik sind keine gesonderte Kategorie. An dem Festival in Berlin werden Bands aus den verschiedensten Genres beteiligt sein. Alle sind sehr cool und sehr laut. Ich fühle mich geehrt, dass sie mich kleine Nummer eingeladen haben. Mein Genre? Alles, was für die Diskussion relevant ist, das Wort „weiblich“ gehört also nicht dazu: Genre-übergreifender Stil, Energie und politisches Bewusstsein in einem Singer/Songwriter-Sound gemischt.

Schnell vorwärts in die 1990er: Hat es dich damals schon gestört, wenn die BAMBIX auch mal als „female-fronted“ beschrieben wurden? Oder kam die allgemeine Sensibilität zu dem Thema erst später? In meiner Erinnerung haben wir damals nicht viel darüber nachgedacht, um ehrlich zu sein ...
Als wir anfingen, gab es kaum Frauen in Bands, geschweige denn in Punkbands. Der Begriff wurde aufgrund des damaligen kulturellen Kontextes der Musikindustrie als normal angesehen. Wir haben den Begriff auch gefeiert und benutzt. Es war eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf Frauen in Bereichen zu lenken, in denen sie unterrepräsentiert waren. Die Diskussion über das Geschlecht war nicht so differenziert wie heute. Aber die Zeiten haben sich zum Besseren gewendet und heutzutage ist der Begriff zu vereinfachend und wird der Band oder der Künstlerin nicht gerecht.

Auf dem Album hast du „Hello Hopeville“ von Michelle Shocked gecovert. An die erinnere ich mich noch aus den 1980ern ... Was verbindet dich mit diesem Song?
Ich liebe das Album „Sharp Shell Shocked“ von Michelle Shocked. Sie ist eine fantastische Songwriterin. Sie hat immer gegen die Musikindustrie gekämpft. Das fing schon an, als jemand sie beim Singen und Spielen am Lagerfeuer aufnahm und diese Lieder ohne ihr Wissen veröffentlichte. Erst dreißig Jahre später erhielt sie auch die Rechte an diesen – ihren eigenen! – Liedern. Sie ist außerdem der Meinung, dass Spotify, YouTube und all die anderen Streamer die Künstler:innen ausbeuten, da sie kaum eine Vergütung erhalten und keine Kontrolle mehr über ihre eigene Musik haben. Deshalb sind ihre Titel auch nirgendwo auf Streamingdiensten zu finden. Irgendwann bekam sie heftigen Gegenwind, weil sie bei einem Auftritt etwas wie „Gott hasst Schwuchteln“ gesagt hatte. Sie wurde sofort auf die schwarze Liste gesetzt und ihre Karriere war vorbei. Sie antwortete, sie sei missverstanden worden, weil es in ihren Äußerungen darum gegangen sei, wie religiöse Gruppen Homosexualität sehen, aber der Schaden war angerichtet. Internet-Trolle regieren die Welt. Trotzdem hat ihre Musik einen großen Einfluss auf mich gehabt. Trotz der Kontroversen, denen sie ausgesetzt war, mag ich ihre einzigartige Stimme und die Art und Weise, wie sie in ihren Liedern wichtige gesellschaftliche Themen anspricht. Sie hatte nie die Chance auf eine ausgewogene Perspektive und da sie der Musikindustrie schon immer ein Dorn im Auge war, waren viele Leute froh, sie am Pranger zu sehen. Ich wollte zeigen, wie großartig ihr Songwriting war, indem ich „Hello Hopeville“ gecovert habe. Vielleicht spiele ich eines Tages eine ganze Show nur mit Michelle Shocked-Coversongs.

Mal zurück zu den BAMBIX: Welche Platten sind überhaupt noch zu bekommen ... und wie sieht es mit Rereleases aus?
Es gibt keine BAMBIX-Platten mehr. Ich selbst habe nur noch vereinzelte. Es gab eine Wiederveröffentlichung von „Crossing Common Borders“ und „Leitmotiv“ von Twisted Chords, aber die sind auch alle weg. Neuauflagen von „What’s In A Name“ und „Club Matuchek“ wären wirklich cool. Ich finde immer noch, dass diese Alben die Bombe sind. Vielleicht will ja jemand einsteigen. Ich selbst bin schon mit der Veröffentlichung meines Soloalbums „When Things Grow Teeth“ ausgelastet.

Anfang Dezember spielst du auf einem Punk-Festival auf der Kanareninsel La Palma. Ist das sogar für dich ein Debüt? Mit den BAMBIX warst du ja schon „überall“, auch in den USA, Brasilien und in ganz Europa.
Darauf freue ich mich schon sehr! Ein Ox-Fest auf La Palma. Ich war tatsächlich noch nie dort, also was für eine tolle Überraschung, bei Canarias Calling eine Welt des Punk mitzugestalten! Komm vorbei, sagten sie. Bring die Familie mit, sagten sie. Da nur die Liebe einer Crew wahre Liebe ist, werde ich genau das tun. Auf die Finca freue ich mich auch schon riesig ... Aber es gibt noch mehr Orte, an denen ich noch nie gespielt habe. Auch in Deutschland gibt es welche. Auch wenn es wenige sind. Ich muss sagen, als wir nach Norwegen in den Urlaub gefahren sind und Deutschland durchquert haben, habe ich meinen Kindern bei jedem Ausfahrtsschild gesagt „Da hat Mama mal gespielt“, bis sie meinten, ob ich bitte die Klappe halten könnte, haha! Oh, ich war übrigens nie in Japan auf Tour. Kann das jemand für mich arrangieren?

Wie wichtig ist es dir, immer wieder vor anderen Menschen zu spielen?
Wenn ich live spiele, kann ich mich mit dem Publikum verbinden, und ich muss sagen, dass ich immer das beste Publikum habe. Ich sehe immer viele lachende, glückliche Gesichter. Manchmal weint jemand, und wenn ich sehe, dass das aus Rührung geschieht und nicht, weil sie es so scheiße finden, fühle ich mich sehr wertvoll. Es fühlt sich sehr gut an, wenn die Leute meine Lieder singen und manchmal die Texte besser kennen als ich. Die Energie und das Feedback schaffen eine einzigartige Verbindung. Vor allem wenn man solo spielt, ist man sehr verletzlich. Du bist ganz allein und du kannst auch total verkacken. Außerdem geht es darum zu wissen, wann man etwas ändern muss, um die Energie aufrechtzuerhalten. Das ist nicht immer einfach, da meine Songs sehr vielfältig sind. Wenn ich also vor einem Haufen besoffener Iro-Punks stehe und merke, dass meine Twiddle-ee-doo-Songs Perlen vor die Säue sind, wechsle ich einfach zu ein paar Singalongs und habe genauso viel Spaß.

Verrätst du uns, welche Bands, Musiker:innen und Platten dich aktuell so richtig begeistern – und warum?
Ich liebe Amy Ray, sie ist meine Lieblingssängerin. Sie spielt solo und ist zudem Teil der INDIGO GIRLS, meiner absoluten Lieblingsband. Sie hat unser Album „What’s In A Name“ in den USA auf ihrem Label veröffentlicht. Mein stolzester Moment aller Zeiten. Wir wurden gefragt, ob wir mit den INDIGO GIRLS auf einer großen Tournee spielen wollen. In den USA sind sie super erfolgreich, das hätte bedeutet, dass wir mit Sting, Elton John und Co. die Bühne teilen können, sehr lustig. Aber kurz bevor es losgehen sollte, erkrankte meine Mutter an Krebs und musste operiert werden, also mussten wir die Tournee absagen. Es war eine einmalige Gelegenheit, also musste es wohl so sein. Und meine Mutter lebte noch weitere acht Jahre, also war es das wert. Außerdem weiß man nie, wie das Leben so spielt. Zum Beispiel wenn wir nicht gewesen wären, wäre Courtney Love niemals mit Kurt Cobain zusammengekommen. Sie spielte bei uns in der Stadt mit HOLE, wir waren auch da und irgendwann fragte sie das Publikum, ob jemand sie nach Amsterdam bringen könnte, da dort an diesem Abend NIRVANA spielten. Und sie sagte, sie sei in den Sänger verknallt und wenn sie es nicht dorthin schaffen würde, würden NIRVANA auf Welttournee gehen und berühmt werden und sie würde nie wieder eine Chance bekommen. Nach jedem Lied wiederholte sie die Frage, sie bettelte förmlich darum. Also waren es BAMBIX, die sie dorthin brachten. Wir ließen einen sehr wütenden Manager zurück, der schrie, was zum Teufel wir uns dabei denken würden, HOLE sollten am nächsten Tag in Paris spielen, blabla. Nun, HOLE sollten ihre Tour nie beenden, weil Courtney in unserer blauen Ente auf einer zweistündigen Fahrt zu dem Hotel in Amsterdam war, in dem NIRVANA übernachteten. Auf dem Weg dorthin lief Dolly Parton in der Stereoanlage. Der Rest ist Geschichte. Wie auch immer, also meine Lieblingsbands im Moment sind Death-Metal-Acts wie INSOMNIUM und ARCH ENEMY. Ich liebe SOILWORK. Ich mag den wütenden Punkrock von BLOOD COMMAND und EXPLODING HEAD SYNDROME. Ich stehe auf KILL HER FIRST, weil ihr Metalcore so ehrlich ist, das Gleiche gilt für LANDMVRKS. STATUES ON FIRE, meine brasilianischen Hardcore-Brüder, sind einfach die Besten. INNER CONFLICT liebe ich für ihre süße Reinheit, PASCOW für ihre Einzigartigkeit und natürlich GROSSSTADTGEFLÜSTER für die Party.

Kannst du uns noch was zum Background dieser Lieder verraten?
„The stakes“: In diesem Lied geht es darum, dass Religion ein Werkzeug ist, um Menschen zu kontrollieren und zu manipulieren, indem sie vorgibt, Liebe zu verbreiten, aber soziale Spaltung und Diskriminierung schafft. Ich weiß noch, wie meine Mutter in der Kirche neben mir saß und Gebete flüsterte, in denen sie beichten musste, dass sie gesündigt hätte. Dabei war sie doch die Toleranteste und Liebste von allen! Religionen sollen eigentlich Trost spenden, aber stattdessen fördern sie Intoleranz.
„No happy ending“: Junge Menschen werden oft nicht richtig ernst genommen; der Schmerz über eine verlorene Liebe wird von Erwachsenen heruntergespielt, weil sie denken, dass sie viel mehr Erfahrung und Einblick haben und deshalb alles besser wissen. Aber mit 16 ist Liebeskummer neu und schrecklich. Du hast geglaubt, dass diese Liebe für immer halten wird. Da kannst du diese beschissen herablassende Art nicht gebrauchen. Genauso wenig brauchst du Eltern, die dir sagen, dass du dich wegen möglicher „schwuler Einflüsse“ nicht mehr mit einem Freund treffen sollst.
„Red flag“: Es ist ein Aufruf, die Warnzeichen, die rote Flagge zu erkennen. Ich erinnere mich, dass wir als Kinder keine Ahnung hatten, was in der Welt los war. Es fehlte uns einfach an Informationen. Inzwischen hat sich ein Wechsel von der Unwissenheit zum Bewusstsein vollzogen, und man sollte meinen, dass dies etwas Gutes bedeuten würde. Stattdessen werden Fehlinformationen verbreitet und Konflikte geschürt.