Wer seit dem ersten Hören von „Too Much, Too Little, Too Late!“ der INCREDIBLE KIDDA BAND, vom selbstbetitelten Album der RUBINOOS oder von „Guitar Romantic“ der EXPLODING HEARTS einer nicht enden wollenden Faszination für diese Alben erlegen ist, dem werden auch die Hits auf W.H. WALKERs „Duds!“ nicht mehr aus dem Ohr gehen. Wer die Nonchalance der Doo-Wop-, Blues- und R&B-Perlen der späten Fünfziger und frühen Sechziger als wichtigstes Kriterium für eingängiges Songwriting hält, wird mir beipflichten, dass die Jungs aus Portland den Geist von Sam Cooke, Ted Hawkins und den ISLEY BROTHERS ins neue Jahrtausend gerettet haben.
Wer von der Spießbürgerlichkeit, dem Geschichtsrevisionismus und der ekelhaften Männerbündelei hiesiger Burschenschaften abgeturnt ist und bei studentischen Verbindungen lieber an Toga-Partys, Dosenstechen und all die anderen Frat-Rock-Klischees denkt, wird an W.H. WALKERs Feierlaune und ihrer juvenilen Gefallen finden. Beispielhaft für ihr Faible für ausufernde Geselligkeiten und pubertäre Quatschmacherei sei hier nur auf die Videoclips zu „Suds“ und „Krangʼs gang“ verwiesen. Kurzum: W.H. WALKERs Erstlingswerk, das im August auf Taken By Surprise Records veröffentlicht wurde, gehört in jede Plattensammlung, in der sich Garage-, Powerpop- und Mod-Revival-Platten heimisch fühlen.
Zugegeben, die stilistische Klassifizierung von W.H. WALKER fällt nicht leicht. Ihr Sound pendelt sich irgendwo zwischen Bubblegum-Pop, druckvollem 77er-Punk und British Invasion ein und wird von einer druckvollen Rhythmik getragen, wie man sie gemeinhin „schwarzer“ Musik zuspricht. Nach einigen veröffentlichten Siebenzöllern präsentieren sich die ehemals WELCOME HOME WALKER benannten nicht nur mit gekürztem Namen, sondern auch mit mit einem Longplayer, der mit hoher Hitdichte aufwartet und trotz allem nicht so richtig zu den assoziierten Genres passen möchte. Als „Doo-Wop-Boogie-Pop“ bezeichnen sie ihre Musik selber und dabei kann man es auch gut und gerne belassen. Devin-Clark (Gitarre & Gesang) gewährt uns einen Einblick in das Treiben und Schaffen von W.H. WALKER, sinniert über die Einheit von Text und Musik und erweist sich als reflektierter Mensch, der trotz aller Lausbuberei mit großer Ernsthaftigkeit an seiner Musik und mit der Band arbeitet.
Devin, zusammen mit Drummer Alan Torres hast du früher bei den THE SODA POP KIDS gespielt, die mit starken Anleihen an die NEW YORK DOLLS und Co. oder an die ganzen Seventies-Junk-Shop-Glam-One-Hit-Wonder zur Sache gingen. Der Sound von W.H. WALKER hingegen lässt sich irgendwo zwischen Powerpop, British Invasion, Mod-Revival, Garage-Punk und Fifties-R&B verorten. Wie kam es zu diesem stilistischen Bruch?
Stimmt, zu Zeiten der SODA POP KIDS standen wir auf die NEW YORK DOLLS, SLADE und all deren Zeitgenossen – das war genau der richtige Soundtrack für unsere frühen Zwanziger, haha. Keine Ahnung, als Alan und ich mit W.H. WALKER angefangen haben, konnten wir uns eher für eingängige Pop-Melodien als für dieses Glam-Gefrickel begeistern. So entstand dann auch „Suds“, der dann irgendwie zum Prototypen eines W.H. WALKER-Songs wurde.
Woher kam die Idee zu diesem Song? Eine Ode an das Seifenwasser, vertonter Waschzwang, also ein reiner Nonsens-Song oder steckt dahinter ein tieferer Sinn?
Die Idee, dieses Thema – oder viel eher das Wort – zu vertonen, hatte ich ziemlich lange im Hinterkopf – einige Jahre, bevor ich dann endlich auf eine Melodie gestoßen bin, die genügend simpel und albern ist, um zu diesem Sinnbild zu passen. Wir hingen damals ziemlich unambitioniert herum und schrieben Songs, die in ihrer technischen Umsetzung für uns im Prinzip viel zu anspruchsvoll waren. Aus dem Nichts entstand dann irgendwann „Suds“ und wurde zur Metapher dafür, dass wir uns von all dem Ballast befreit, also rein gewaschen haben, und rettete uns vor uns selbst. Wir kreierten somit unseren ganz eigenen Sound, mit dem die Konzerte fortan weniger anstrengend wurden und sowohl uns als auch dem Publikum mehr Spaß machten.
Dan Collins von L.A. Records hat die B-Seite eurer zweiten Single, „The Untold Death Of Grady Jones“, beschrieben als: „self-penned, tragic tale of a 50’s gang murder tells a narrative as rich as anything Gene Pitney ever sang, but with the energy of ,Runaround Sue‘ or the Ramonesʼ ,S.L.U.G.‘.“ Auf der LP lassen sich im Songwriting teilweise ähnliche ernste Storytelling-Ansätze finden. Andererseits geht Songs wie „Suds“ oder „Krangʼs gang“ jegliche Reife abhanden und sie scheinen eher der Bespaßung einer saufenden Horde von feierwütigen Verbindungsstudenten zu dienen. Wie wichtig sind, deiner Meinung nach, Texte für einen Song als kulturelles oder künstlerisches Erzeugnis, welchen Stellenwert haben sie im Songwriting von W.H. WALKER?
Oha, da sprichst du einen sensiblen Punkt an. Texte so zu schreiben, dass sie zum einen interessant, aber zum anderen nicht als störend oder als Selbstinszenierung empfunden werden, ist ein ziemlicher Balanceakt. Zumindest, wenn man tanzbare Musik machen will, Boogie-Pop eben. Niemand möchte dabei wortgewaltige Lyrics wie auf der ersten Springsteen-Platte hören, obwohl ich von Songs wie „Jungleland“ immer noch fasziniert bin. „Grady“ war eher eine Art Experiment, das einen fiktionalen Realitätsausschnitt beschreiben sollte. Wir hatten es lange in unserem Live-Programm, ohne dass es jemals so richtig gezündet hat. Irgendwie fehlt mir die Nummer jetzt ... Texte haben für mich also einen hohen Stellenwert und sind ein Thema, an dem ich ständig arbeite und mich weiterhin verbessern möchte. Die Texte und ihr Gehalt beziehungsweise ihre Einbettung in den Sound sind vermutlich auch der Hauptgrund, warum Platten aus den Sechzigern und Siebzigern eine bedeutend längere Halbwertszeit haben als das ganze moderne Zeug. In den USA geht der Trend zurück zur „single-friendly“ Musik. Klar, die meisten Bands veröffentlichen immer noch LPs, aber die viele Texte klingen wie der lahme Abklatsch ihres Vorgängers, wären also lediglich adäquate B-Seiten. Natürlich gibt es auch einige Ausnahmen und phänomenale Alben mit großartigen Texten – und ich wüsste zu gerne, was deren Geheimnis ist ...
Bis dahin kann man sich auch gerne mit euren Texten zufriedengeben, die zudem hervorragend zu den tanzbaren, partytauglichen Songs passen. Gehst du mit der Annahme konform, dass W.H. WALKER oder auch die MEAN JEANS eine Wiederauflage oder vielmehr eine Neu-Interpretation der zahlreichen Sixties-Tanzbands sind? Die Beschallung für jede Fraternity-Party, die Nachkommen der KINGSMEN? Kurzum: Erwartet uns ein Frat-Rock-Revival aus Portland?
Haha, mit dem Vergleich magst du Recht haben. Wir haben beispielsweise „Farmer John“ von PREMIERS oder „Woolie Bully“ von SAM THE SHAM & THE PHARAOS in unserem Live-Programm. Zudem wird in Portland jedes Jahr eine „Nuggets Night“ veranstaltet, bei der haufenweise Bands Songs aus der Reihe der „Nuggets“-Compilations covern und deren Erlös an karitative Zwecke geht. Pure caveman fun! Diese Frat-Rock-Affinität lässt sich jedoch nicht nur auf Portland beschränken. Überall scheint es Bands zu geben, bei deren Konzerten die Leute gerne am Rad drehen und ihre guten Manieren vergessen. Und wer kann es ihnen verübeln?
Sieht so eine typische W.H. WALKER-Show aus? Ich stelle mir euch eher in einem Suburb-Kellerapartement, einer schäbigen Bar oder einer Garage-Party als auf großen Festivalbühnen vor ...
Das trifft den Nagel auf den Kopf! Wir fühlen uns in einem gemütlichen, intimen Kreis am wohlsten: Lagerhallen im East Bay, mexikanische Bars in Chicago, Bahnhofshallen in Anaheim. Einmal ist Colin in San Diego mitten im Set einer Nachmittagsshow weggepennt – stehend, haha! Johnny Cat von den CHEMICALS musste ihm den Rhythmus zu „Suds“ auf den Rücken schlagen, um ihn wiederzubeleben. Er brachte dann nicht nur das Set störungsfrei hinter sich, sondern hat während des Nickerchens sogar genug Kraft gesammelt, um auf dem Parkplatz einen Streit mit Alan anzufangen und aus dem nahegelegen Schnapsladen zu fliegen, nachdem er den Besitzer mit seinem wirren Geschwafel über „Uncle Jimmy’s fake leg“ belästigt hat, haha.
Ihr scheint eher vereinzelte Gigs statt andauernde Touren zu spielen. Woran liegt das?
Ich habe eine Menge Freunde, die ständig mit ihren Bands unterwegs sind und quasi im Van leben. Ich war jedoch noch nie in der Situation, in der ich es mir erlauben konnte, mehr als zwei oder drei Monate auf Tour zu sein. Und wenn ich einmal dazu in der Lage gewesen wäre, konnten die anderen aus der Band nicht. Wir haben leider immer mehr Verpflichtungen, die uns zu Hause halten beziehungsweise uns regelmäßig zurückholen. Das ist für mich ein extremer Missstand: es fällt schwer, seine Musik ernst zu nehmen und das Gefühl zu haben, mit ihr etwas zu erreichen, wenn man nicht tourt. Auch wenn es anstrengend wird, hat man auf Tour das Gefühl, produktiv an der eigenen musikalischen Zukunft zu arbeiten.
Dann besteht wohl auch kaum eine Chance, dass wir euch in naher Zukunft in Europa live erleben dürfen ... Was habt ihr sonst für Pläne?
Hach, das nehmen wir uns schon seit Ewigkeiten vor! Alan hat jedoch vor Kurzem sein eigenes Restaurant eröffnet und meine Verlobte und ich erwarten bald unser erstes Kind – da wird die Umsetzung einer ausgedehnten Tour in Europa natürlich wesentlich schwieriger. Sobald unser Leben jedoch wieder in geordneteren Bahnen verläuft, nehmen wir das definitiv in Angriff. Bis dahin werden wir weiterhin Shows an der Westküste spielen und haben auch neue Aufnahmen geplant. Im Frühjahr werden wir mit unserem neuen Song „On the skids“ auf der „Portland Mutant Party Compilation Vol. 2“ vertreten sein. Ich hoffe, dass wir mit unserer Musik noch ein paar mehr Leute erreichen, da wir von vielen und in den lokalen Medien bisher immer noch als „unterbewerteste Band Portlands“ betrachtet werden.
Ärgert dich das?
Nein. Ich möchte lediglich Musik machen, zu der Leute einen Zugang finden können. Ich denke, dass wir das auch tun. Scheinbar gibt es aber in der modernen Pop- und „Alternative“-Kultur keinen Platz für mich oder die Band. Und das ist vollkommen okay.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #100 Februar/März 2012 und Matti Bildt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #101 April/Mai 2012 und Matti Bildt