2007 in Glasgow gegründet, stehen wie WAKES für einen mitreißenden Mix aus Folk- und Punkrock, irgendwo zwischen POGUES, CLASH, Billy Bragg und DROPKICK MURPHYS. Ihr viertes Album „The Red And The Green“, ursprünglich 2013 veröffentlicht, wurde im Frühsommer 2016 von ihrem neuen deutschen Label Drakkar neu aufgelegt, nun erscheint mit „Venceremos“ Longplayer Nr. 5 – und es wird sich zeigen, ob die Band auch außerhalb von Hamburg bald etwas bekannter ist. Dort kennt man die schottischen St. Pauli-Fans spätestens seit ihrem Beitrag „Pirates of the league“ zur 2010 erschienenen „St. Pauli Einhundert“-Compilation. Meine Fragen beantworteten Paul Sheridan (Gesang, Gitarre), Chris Cruickshank (Bass, Saxophon) und Christopher James (Mundharmonika).
Sprechen wir erst einmal über die Basics: Wann, wer, warum und was ist seitdem passiert?
Christopher: Als Band gibt es uns seit 2007, allerdings gab es im Laufe der Jahre schon einige Umbesetzungen. In dieser Zeit haben wir fünf Alben aufgenommen und sind regelmäßig getourt, seit 2008 auch in Deutschland. Allerdings war es nie unser Ziel, bekannt zu sein. Wir wollten einfach nur spielen, Songs schreiben, aufnehmen und weiterhin das machen, was uns Spaß macht. Wir konnten jedoch mit der Zeit eine kleine Fanbase etablieren, die regelmäßig zu unseren Shows kommt und genau wie wir Spaß an der Musik hat. Das ist das Gute an Shows in kleinen Clubs: Dass man mit den Menschen auf Tuchfühlung gehen und eine persönliche Beziehung zu den Fans aufbauen kann – während und nach der Show. Mit den Leuten sprechen, ein oder zwei Bier mit ihnen trinken ... Vielleicht erzählen sie dabei, welche Songs sie mochten oder welches ihr Lieblingsalbum ist oder sonst was. Das ist schon großartig.
Paul: Unser Plan war es nicht, die Welt zu erobern, als wir die Band gegründet haben. Es ging darum, zu spielen und Spaß zu haben, also so, wie es auch sein sollte. Nach und nach haben wir diese Fangemeinde aufgebaut und wir sind ziemlich stolz auf die Alben, die wir bisher gemacht haben, als auch auf das Album, was wir gerade herausgebracht haben. In unseren Anfangszeiten wurden wir stark beeinflusst von der Musik der POGUES und haben hauptsächlich Folk und irische Lieder gespielt. Später hatten wir dann die Möglichkeit zu touren und überall in Europa zu spielen, vor allem in Deutschland. Es stand nie eine Promo-Maschinerie hinter uns. Wir haben viel Arbeit in alles reingesteckt, was wir getan haben, und das hat sich ausgezahlt.
Ihr kommt aus Glasgow, und Schottland hat für den Verbleib in der EU gestimmt. Auf einem eurer Pressefotos sieht man euch vor Postern mit der Aufschrift „Vote Yes!“ stehen, ich nehme an, damit meint ihr „Ja“ zur schottischen Unabhängigkeit von Großbritannien, oder? Wie ist eure Meinung zu all dem? Und seht ihr THE WAKES als politische Band?
Chris: Ja, das politische Klima hier ist recht komplex ... Schottland hat bei der Brexit-Abstimmung für den Verbleib in der EU gestimmt. Die Band hatte dazu keine „offizielle“ Meinung. Allerdings sind wir alle der Ansicht, dass das Recht, sich frei zu bewegen, eine gute Sache ist und das Schließen von Grenzen nichts verbessern wird. Die EU ist nicht perfekt, aber Menschen sind schon immer in die verschiedensten Teilen der Welt eingewandert, Schottland ist da keine Ausnahme. Wir haben hier eine multikulturelle Gesellschaft, die wunderbar funktioniert und einen großen Beitrag zur Lebensqualität leistet. Wir glauben, dass Schottland eines Tages unabhängig von Großbritannien werden wird. Die Regierung in London hat Schottland auf der ganzen Welt in illegale Kriege verwickelt, bei uns eines der größten Lager für Atomwaffen angelegt und gegen den Mehrheitswillen der schottischen Bevölkerung den Austritt aus der EU beschlossen. Unsere Vision eines unabhängigen Schottland besteht nicht daraus, dazustehen und mit der Nationalflagge zu winken. Es geht um die Chance, eine fairere Gesellschaft für alle zu schaffen, unabhängig von korrupten Bankern und den Kriegstreibern in England. Eine unabhängige schottische Republik! Und sind wir eine politische Band? Na ja, wenn es politisch ist, Musik mit dem Anspruch zu verknüpfen, aktuelle Themen aufzugreifen und an ein soziales Gewissen zu appellieren, dann ist das wohl so. Wir werden uns immer für die Benachteiligten stark machen und uns gegen Missstände, die wir in der Gesellschaft sehen, aussprechen. Aktuelle Probleme und relevante Geschichten in Songs zu verpacken, ist eine der Triebfedern unserer Band. Wir hoffen, dass unsere Musik einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, und Leuten Hoffnung bringt und eventuell auch den Mut, sich für Veränderungen einzusetzen, damit die Bedingungen für alle besser werden.
Christopher: Ja, wir wollten in der EU bleiben und haben für „Remain“ gestimmt– und müssen jetzt raus. Wir wollten von Großbritannien unabhängig sein, haben für die Unabhängigkeit abgestimmt und müssen trotzdem im United Kingdom bleiben. Ich frage mich manchmal, wie es wäre, auf der Gewinnerseite eines Volksentscheids zu stehen ... Im Kontext dessen, was wir machen, und vor dem Hintergrund dessen, wo wir herkommen, ist es fast unvermeidlich, dass es konkrete politische Anhaltspunkte in unserer Musik gibt. Generell würde ich sagen, dass es in all diesen Genres – also im authentischen Folk-, Punk-, oder auch Folkpunk-Genre, politische Wurzeln gibt. Diese Bewegungen sind in erster Linie als politische Statements populär geworden. Dennoch bedeutet es nicht, dass jeder Song politisch sein muss, weil man als politische Band bekannt ist. Dieses Grundprinzip gilt für THE WAKES genau so wie für jeden anderen Künstler, für jede andere Band. THE CLASH zum Beispiel hatten unzählige politische Songs, aber sie hatten noch mehr gemäßigte. Manche von Woodie Guthries Songs waren unerhört politisch. Aber er hat auch völlig unpolitische Kinderlieder geschrieben.
Ihr habt einen Song mit dem Titel „Venceremos“, das kann ganz verschiedene Bedeutungen haben. Was wolltet ihr damit sagen?
Paul: „Venceremos“ bedeutet „wir werden (es) überwinden“. Es geht um die Underdogs, deren Tag kommen wird. Es geht darum, dass die Leute für ihre Rechte einstehen, auch trotz diverser Widrigkeiten. Zu der Zeit, als ich den Song schrieb, hatte er nichts mit einer bestimmten politischen Bewegung zu tun, sondern mit der Kraft des menschlichen Geistes. Die Message lautet, nicht aufzugeben.
Christopher: Im Kern ist das ja eine Philosophie, eine Einstellung und eine Hymne verschiedener Bewegungen des 20. Jahrhunderts, eingeschlossen der Arbeiter-, Gewerkschafts- und Bürgerrechtsbewegungen. Obwohl Paul „Venceremos“ für ein anderes Publikum schrieb, war und ist der Optimismus und der Glaube an diese drei Worte – „we will overcome“ – ungebrochen. Heute genauso wie damals.
Ihr spielt Musik, die man gemeinhin „Celtic Punk“ nennt. Findet ihr diese Bezeichnung passend?
Chris: Ich würde unseren Sound als Folk’n’Roll bezeichnen ... Aber ich kann verstehen, warum man sagen würde, dass wir ins Celtic-Punk-Genre passen. Aufgrund der Besetzung und der Instrumente liegt das nahe. Unser Sound ist beeinflusst von Punkrock, Ska, Folk, irischer und schottischer traditioneller Musik und obendrein sogar von ein paar Funk- und Jazz-Grooves.
Christopher: Celtic Punk ist als Bezeichnung okay, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Definition nicht zu eng ist, obwohl wir ganz klar „keltische“ und Punk-Elemente verbinden. Mir ist es immer etwas suspekt, wenn Bands mit ihren Genrebezeichnungen total durchdrehen. Folk’n’Roll ist ziemlich nah dran, denke ich. Das beinhaltet das Folk-Element, und die Einflüsse, die uns am ehesten antreiben; deutet aber auch an, dass es bei uns soundtechnisch etwas härter zugeht und weniger geradlinig und traditionell als im Folk-Rock.
Paul: Unser Sound hat sich definitiv über die Jahre stark entwickelt. Ganz am Anfang waren wir dem traditionellen Folk definitiv näher, allerdings ein bisschen wilder. Etwas später begannen wir, E-Gitarren einzusetzen. Als wir anfingen, unsere eigenen Songs zu schreiben, wurde es einfacher, sich stilistisch etwas freier zu bewegen. Ich denke, unsere persönlichen musikalischen Vorlieben spielen auch eine Rolle. Ich bin großer Punkmusik-Fan, fühle mich aber von Luke Kelly von den DUBLINERS genau so beeinflusst wie von Joe Strummer, der, neben meinem Vater, mein großer Held ist.
„No human is illegal“ ist der Titel eines Songs von THE WAKES. Viele Leute sehen das momentan anders, möchten die ganzen Flüchtlinge, die illegal in ihr Land gekommen sind, am liebsten rausschmeißen, in Großbritannien wie auch in Deutschland. Wie ist euer Statement zu verstehen und wie ist die Situation der Flüchtlinge in Glasgow?
Paul: Man muss das Ganze im Kontext sehen. Diese Menschen stehen vor der Entscheidung, entweder in einem Land zu leben, das vom Krieg total zerrissen ist, oder ins Ungewisse zu fliehen, zu Fuß und mit dem Boot, in der blinden Hoffnung, dass irgendwo anders ein besseres Leben auf sie wartet. Es brauchte ein totes Kind, das am Strand angespült wurde, um die Situation der Flüchtlinge zum Thema zu machen, obwohl die Situation dieser Menschen schon lange im Zentrum unserer Aufmerksamkeit hätte sein sollen. In Glasgow gibt es viele Flüchtlinge, die schreckliche Dinge durchleben mussten. Es gibt einige sehr gute Initiativen für Flüchtlinge in Glasgow, die alles tun, um den Leuten zu helfen. Zum Beispiel United Glasgow, die Integrationsarbeit und Fußball miteinander verbinden. Letztendlich ist es einfach so: Kein Mensch sollte hier illegal sein. Fremdenfeindlichkeit ist etwas, das wir als Band komplett ablehnen.
Was ist ein „Whisky afternoon“, den ihr in einem Song beschreibt? Und da ihr offensichtlich Whisky mögt, habt ihr eine Empfehlung für unsere Leser?
Christopher: Es meint einfach das Trinken am Nachmittag, aber bei einem authentischen „Whisky afternoon“ sollte im Hinterkopf der nagende Gedanke sein, dass man eigentlich andere Pflichten hätte, als im Pub zu sitzen und zu trinken. Bonuspunkte für Glaubwürdigkeit gibt es, wenn es eine reale Chance gibt, dass man dabei erwischt werden könnte, zum Beispiel vom Chef, der Ehefrau oder dem Ehemann. Man könnte es als „kleine Feier mit möglichen Konsequenzen“ bezeichnen.
Paul: Ich würde nicht sagen, dass es den „Whisky afternoon“ offiziell gibt, ich habe ihn quasi erfunden. Aber ja, in diesem Fall geht es in dem Song darum, immer weiter zu trinken und immer weitere Ausreden zu erfinden, um die Bar nicht verlassen zu müssen. Man kann nicht raus, weil es regnet, man will nicht raus, weil es zu sonnig ist, und so weiter.
Chris: Ich kann keinen Whisky trinken ... Whisky macht mich irre. Ich mag lieber Bier und Buckfast, das ist eine Art Rotweingetränk.
Paul: Ich mag Whisky, aber wenn ich einen ganzen Nachmittag trinke, bin ich meist vor Mitternacht schon im Bett. Meine Empfehlung für Whisky ist, ihn mit einem Eiswürfel zu trinken, und den etwas schmelzen zu lassen. Was irischen Whiskey angeht, mag ich am liebsten Jameson und bei Scotch sollte es ein Glenmorangie sein.
Ihr seid Fans des FC St. Pauli – gibt es in Schottland keine guten Fußballclubs?
Paul: Wir haben den berühmten Celtic Glasgow, Europacup-Gewinner und eines der berühmtesten Teams der Welt. Mit den besten Fans. Diese Saison sind sie wieder in der Champions League. Wir sind alle Celtic-Fans, aber St. Pauli hat einen ganz besonderen Platz in unseren Herzen. Ich habe „You’ll never walk alone“ in der Mitte des Stadions gespielt, als Fabian Boll sein Abschlussspiel beim FC St. Pauli hatte. Und wir durften zum 100. Geburtstag des Millerntors spielen. Eine besondere Ehre.
Christopher: Für mich persönlich geht’s als Fan von St. Pauli nicht allein um den Fußball. Es geht um deren ganze Anschauung, die Philosophie, und ihre Arbeit abseits des Spielfelds. Diese Dinge bewundere ich an dem Club und so schnell macht ihnen das auch keiner nach, weder in Schottland noch sonst wo auf der Welt.
Chris: Die Fans von St. Pauli als auch Celtic Glasgow stehen jeweils links und sind auch stolz darauf! Es gibt keine bessere Atmosphäre als in der Fankurve vom Millerntor in Hamburg oder im Celtic Park in Glasgow.
Übersetzung: Jennifer Baatsch
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