Abgehmusik
Der Berliner Drummer fällt auf, schon rein optisch. Tom Petersen, am Schlagzeug bei der Berliner Glamrock-Band EAT LIPSTICK beschäftigt, schminkt sich nicht nur für die Bühne die Augen, er läuft auch im so genannten Alltag zum Beispiel mit knallengen Latexhosen durch die Stadt. Da er schon seit den Achtzigern bei etlichen Berliner Bands aktiv war und ist, hat der 52-Jährige aus seinem musikbewegten Leben mit Bands wie PVC, TAKE THE CAKE und MARQUEE MOON dementsprechend einiges zu erzählen. Aber auch durch seine Social-Media-Posts gerät er nicht in Vergessenheit.
Tom, du hast in den Neunziger Jahren mit einer Band namens TAKE THE CAKE Platten aufgenommen und dabei sogar länger in London gewohnt. Wie kam das?
Das erste Mal in London war ich sofort im Knast, als ich geschäftlich etwas für meine Band MARQUEE MOON erreichen wollte. Die Idee war, als Band doch am besten aus England zu kommen, weil eine deutsche Gruppe zu der Zeit damals einfach nicht viel galt. Also habe ich versucht, einen Distribution-Deal an Land zu ziehen. Sah auch anfangs ganz gut aus, wir waren damals in Verhandlungen mit Sony. Dann kam leider alles anders. Mit TAKE THE CAKE waren wir später bei Warner, wo wir die TTC-Scheibe „The Definition Of Groovecore“ einspielten. Das war schon eine Hammerband.
Weitere Stationen waren SISTERBUTTERFLY und Darryl Read. Welche musikalische Richtung wurde dort eingeschlagen?
Es gab so dermaßen viele Bands im Laufe meines Lebens. Ich spiele seit 1979 in Bands und es sind zu viele, um sie hier aufzuzählen. Zu viele, in denen ich Session-Arbeit geleistet habe. Darryl Read, mein Freund seit 1985, mit dem ich unendlich viele Konzerte in Deutschland und London zelebrierte, gilt als der „Modfather of Punk“. Er nahm vor dessen Tod noch zwei Alben mit Ray Manzarek auf, die ich sehr schätze. Darryl war ein unglaubliches Original aus der wilden Zeit des Rock’n’Roll, von ihm habe ich echt unendlich viele Storys auf Lager.
Nun wird ja niemand direkt am Drumkit geboren. Durch welche Bands fand deine musikalische Sozialisation statt und wie hast du dein Instrument entdeckt?
Ich entdeckte meine Faszination fürs Trommeln schon sehr früh, tatsächlich mit Kochlöffeln der Mutter auf Telefonbüchern und Töpfen. Doch real wurde es erst, als ich meinen ersten Beat auf den Drums, den Groove von „Don’t bring me down“, eindrucksvoll spielen konnte. Es waren gute Jahre für den Rock’n’Roll, MOTÖRHEAD waren da gerade noch neu. Alle alten Alben der Rockgeschichte fanden mein Herz und die Fusionwelt stand mir offen, einfach dadurch, dass ich gut sein wollte auf meinem Instrument. So fand ich den Zugang zu im Grunde allen Arten der Musik und zwar im frühen Alter. Stanley Clarkes Album „Rocks, Pebbles And Sand“ bombte mich zum Beispiel schier weg. Simon Phillips wurde ein Held für mich. Er ging mit 17 Jahren rüber, um mit Stanley das Album aufzunehmen, was echt grandios war.
Die Band, die mir als Allererstes zu dir einfällt, sind jedoch MARQUEE MOON. Diese galten als „THE CURE von Berlin“, was man auch im Netz recht gut nachhören kann. Wann startete die Gruppe und wann und warum fand dies dann doch ein Ende?
1984 begann die Geschichte von MARQUEE MOON, die zuvor als ELEGANT für einige Furore in Berlin sorgten. Als ich sie das erste Mal persönlich traf, ging ich mit sechs verschiedenen Songs im Kopf nach Hause. Das waren Ohrwürmer, die nicht mehr aus mir rauszukriegen waren. Das war dann schnell meine Band. MARQUEE MOON waren genial und drogenfrei. Das erste Album gilt nach wie vor als ein Meilenstein in der Gothrock-Szene. Danach ging ich direkt für über zwei Jahre nach NYC, was der einzige logische Schritt damals war, einfach dort hingehen, wo „es“ passiert.
Das klingt spannend. Wen hast du da so getroffen, und konntest du dort auch von der Musik leben?
Das war eine geile Zeit, jeden Tag hatte ich irgendwo eine andere Session. Ich habe illustre Leute getroffen und auch zum Beispiel im Trump Tower als Kellner gearbeitet, haha. Auch aus dieser Zeit gäbe es so viel zu berichten. Ja klar, man trifft da eben berühmte Leute, weil die sich da auch aufhalten. Deswegen bin ich ja dort hingegangen.
Wir kommen nicht umhin, deine Zeit bei der Berliner Bandlegende PVC zu beleuchten. Wie hast du diese Jahre erlebt?
Gerrit Meijer war ein enger Freund seit den frühen MARQUEE MOON-Tagen. Gerrit war ein außerordentlich guter, einzigartiger Gitarrist, Sänger, Komponist und Mensch. Wir haben tolle Sachen zusammen aufgenommen und einige veröffentlicht. Ich habe noch einen riesigen Fundus ungehörter Stücke im Versteck.
Ständig sieht man deine zumeist unterhaltsamen Posts in den sozialen Medien. Vor allem weibliche Schönheiten in High Heels und engen Latexhosen sind da zu bestaunen. Musstest du dich schon ernsthaft mit Sexismus-Vorwürfen auseinandersetzen? Und ist unsere Zeit nicht in Wahrheit so verklemmt wie lange nicht?
Wer seine Leidenschaft verneint, verneint für mich sein Menschsein. Ich bin ein schönheitsliebender Mensch und diese verbirgt sich eben im Detail. Die Zeiten sind immer, wie sie sind, und man kommt schon klar und feiert sozusagen die Liebe. So sehe ich das. Als ich damals in New York City lebte, galten Röcke über dem Knie schon als aufregend, haha. Das ist unfassbar, aber wahr – andere Länder, andere Sitten. Wir leben in einer goldenen Zeit und ich bin sehr dankbar dafür, in dieser Zeit zu leben. Niemals zuvor ging es der Menschheit dermaßen gut wie heute. Und es wird immer besser. Wer Schlimmes sucht, wird immer Schlimmes finden, doch sollte man sich dessen gewahr sein, damit man auch etwas ändern kann.
Nun nimmst du ja eventuellen Wortattacken schon den Wind aus den Segeln, weil du selbst im Sexy-Outfit deinen Alltag bestreitest. Oder erlebst du darauf doch noch direkte Reaktionen aller Art?
Glanz gehört seit meiner Kindheit zu mir und ich feiere meinen Style bravourös. Es ist ja eben schon etwas anderes, den Arsch einer Frau in sattem, weichem Leder zu spüren, als einen alltäglichen Jeans-Po. Wir fühlen uns sexy.
Aktuell scheinst du ja deine musikalische Heimat bei EAT LIPSTICK gefunden zu haben. Mittlerweile seid ihr wohl allein aufgrund eurer Optik in Berlin bekannt wie ein bunter Hund. Wie seid ihr zusammengekommen? Ihr wirkt so eng verbandelt ...
Wir erscheinen überall, wo man uns will, und wir stecken Herzblut in die Sache, was jeder sofort spürt. Disco-Punk, wie wir ihn verabreichen, hört man ja ansonsten kaum noch so explosiv und dramatisch, und durchzogen von Soul-Feeling und derbster „Abgehmusik“. Unsere Freundschaft zeichnet uns aus. Da passt niemand dazwischen.
Ist dein Leben nun Sex, Rock’n’Roll, nur ohne Drugs. Oder sind diese beiden Dinge schon deine Drogen?
Ich meine, „Love ist the drug“, alles andere ordnet sich unter. Wenn wir das Prinzip der Liebe zelebrieren, kann alles nur besser werden. Alles andere wird wertlos, wenn wir ohne Liebe sind.
Du kannst am besten die Zeiten der Undergroundmusik aus eigenem Erleben nachzeichnen. Beschreibe doch Achtziger, Neunziger und Nuller Jahre mit ihren wichtigsten Auffälligkeiten ...
Es war eine Zeit, in der man neugierig war auf das Neue, das Unerwartete. „Das neue Album von ...“ oder die Szene da und da. Es wurde tatsächlich Überraschendes und Magisches angeboten, eine Zeit der Pioniere. Ich könnte jetzt was zu der ganzen Gothic-Geschichte um Siouxsie oder ALIEN SEX FIEND sagen ... auch zu späteren anderen Bands wie CLAWFINGER und vielen mehr. Alles unterlag einem Wandel. Es war eine gute Zeit, um in der Musikszene zu leben.
Neulich konnte man von dir lesen, dass du noch 15 Jahre leben wirst. Planst du diese Jahre noch in irgendeiner Weise, hast du richtig konkrete Ziele?
Das Leben ist schön und täglich freue ich mich ungemein darüber in vollem Bewusstsein. Ich trommle fast täglich, höre die für mich persönlich geilste Musik, bin inspiriert durch Kunst und Liebe und habe in der Tat einen Wunsch, der auf seine Erfüllung wartet. Das wird dann das „Tom Petersen Project“ und es steht kurz vor seiner Umsetzung.
Markus Franz
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #146 Oktober/November 2019 und