Tom Körner ist nicht nur Vorstandsvorsitzender des „Wahrheit“-Klubs – des Exekutivkommitees der täglichen Satireseite in der Berliner tageszeitung – und kaum geschlagener Meister im Wikingerschach, sondern seit 18 Jahren auch Zeichner des täglich in der taz erscheinenden Strips „Touché“. Über die Jahre entstand dort Tag für Tag ein eigener, inzwischen geradezu ikonischer Figurenkosmos: Die Bäume umarmende Ökofrau, die Post-Oma, der kleine Junge im Freibad und der Bademeister oder die Nordic Walker, um nur einige zu nennen. Mit ihnen gewinnt er dem Alltag immer neue komische Facetten ab und schafft mit bewundernswerter Gelassenheit und Konstanz die Gratwanderung zwischen Boshaftigkeit und Beschaulichkeit, ist selten gemein, aber auch nicht harmlos. Und inzwischen ließen sich Häuserzeilen bauen mit den in Ziegelformat erscheinenden Sammelbänden, in denen inzwischen 5.000 Strips nachgedruckt wurden. Neben „Touché“ zeichnet der viel beschäftigte Berliner weitere Strips, Karikaturen und Illustrationen und auch für das Ox hat er vor Jahren ein Cover beigesteuert. Wie das so ist in Berlin – jeder kennt jeden – und so wurde auch mir vor ein paar Jahren Tom vorgestellt. Seitdem gehören nicht zuletzt die Vorstandssitzungen des „Wahrheit“-Klubs auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt zu festen Terminen – die dort zur Mittagszeit angebotenen Getränke und albernen Spiele leisten beim Durchstehen eines weiteren Messetages bestens Hilfe.
Ganz allgemein: Wie kommt man dazu, einen Daily Strip zu machen? Und das in der taz? So viele deutsche Strips gab es vor 18 Jahren ja nicht.
Für mich war das ein großes Glück. Damals haben Karl Wegmann und Mathias Bröckers die „Wahrheit“-Seite in der taz gemacht und dafür innerhalb der Zeitung viel Gegenwind bekommen. Damals hatte man noch nicht begriffen, dass so was sehr wichtig ist. Die beiden wollten was Frisches haben, was Neues und Eigenes. Bei Strips kennt man ja die ewigen Nachdrucke und Sachen von Bulls Press, die überall hoch und runter abgedruckt werden. Da hatten sie zunächst Lilian „L.G.X.“ Gehrer gefunden, die zuerst das „Gruselalphabet“ gemacht hatte, mit so Sachen wie „Alle Kinder spielen, außer Rolf, der klebt am Golf“. Das war auch sehr schön gezeichnet, hatte aber den Nachteil, dass es eben nur 26 Teile gab, worauf von den Redakteuren der Auftrag kam, sich in der Szene mal umzuhören, wer Lust hätte, so etwas zu machen. Zu dem Zeitpunkt habe ich beim Comicladen „Grober Unfug“ gearbeitet und damals gab es dort noch einen Ausstellungsraum und an einem Tag eine Eröffnung, bei der ich mit Lilian gesprochen habe. Die erzählte mir davon, und dass es schnell passieren müsste, weil das Alphabet ausläuft. Da habe ich mich noch am selben Tag hingesetzt und mir meine Ein-Bild-Cartoons, die ich schon für die Zitty gemacht hatte, durchgesehen, ob sich da etwas auf einen Strip strecken lässt. Dann habe ich in der Nacht dann rund ein Dutzend Strips runtergezeichnet und die dann morgens im Umschlag bei der taz eingeworfen. Drei Tage später wurde der Erste auch schon gedruckt und seitdem sind sie drin. Unzensiert. Jeder wurde genommen. Was mich manchmal heute noch überrascht.
Deine Inhalte sind ja nun auch nicht so offensiv. Oder meinst du, dass im Laufe der Zeit schon kontroverse Strips darunter waren?
Ach, ich glaube nicht, nee. Aber grundsätzlich war es auch deren Einstellung, dass sie einem da nicht reinreden wollten und einfach die Plattform zur Verfügung stellen. Im Laufe der Zeit habe ich mir wohl auch ein gewisses Standing erarbeitet.
Bevor du zur taz gekommen bist, hattest du schon in der Zitty veröffentlicht. Das hört sich an, als wäre das damals alles impulsiv und spontan gelaufen. Man muss sich nicht hochoffiziell bewerben, sondern schickt einfach mal was hin und schon ist es drin – so wird man dann professionell.
Ja, im Prinzip ist es so, haha. Für die taz hatte ich schon einige Sachen gemacht, das waren mehr aktuelle, politische Karikaturen, die einmal die Woche in der Zeitung waren. Das war auch so eine Idee. Da habe ich auch mal einfach was hingefaxt und am nächsten Tag war es drin und mittags kam der Anruf, ob ich das nicht einmal die Woche machen wollen würde. Zu der Zeit war ich mir noch nicht sicher, wie es mit mir weitergehen würde und ob ich mit der Zeichnerei weitermachen sollte. Hätte das nicht geklappt, hätte ich mir was anderes einfallen lassen müssen. Für die Politkarikaturen gab es 60 Mark die Woche, also 240 im Monat, nebenbei habe ich noch im „Groben Unfug“ gejobbt, für die Zitty was gezeichnet und so funktionierte das schon ganz gut. Dann habe ich beschlossen, das Studium endgültig zu kippen und seitdem sage ich immer: „Guten Tag, ich bin Zeichner.“ So klappt das bis heute.
Wie holt man sich nach 18 Jahren immer noch neue Inspiration? Läuft das immer schon mit, wenn du durch die Stadt gehst und etwas siehst oder hörst? Überlegst du dann, wie das in drei Panels funktionieren könnte?
Ja, klar. Und da kann ich wieder meinen schlauen Satz sagen: Nach dem Streifen ist vor dem Streifen. Ich liefere ab und fange im Prinzip schon wieder an. Und ich versuche natürlich immer, ein wenig auf Halde zu denken. Das klappt im Moment wieder ganz gut, da habe ich einen Tag Vorsprung und den Druck ein wenig rausgenommen. Aber meistens hilft auch der Zeitdruck. Und neben dem Bett liegen Zettel und Stift. Mit der Ideenfindung fällt mir das nicht so schwer. Ich meine, die Welt dreht sich weiter und es kommt immer etwas Neues hinzu. Und auch die bestehenden Figuren ändern sich immer wieder ein wenig. Ich ändere mich ja auch und wenn ich mir die ganz alten Sachen ansehe, bin ich ganz erstaunt.
Aber du findest sie immer noch lustig?
Viele ja. Bei manchen ärgere ich mich, dass ich nicht mehr daraus gemacht habe und es Schnellschüsse geblieben sind. Andere würde ich heute anders in den Bildern aufteilen, die Texte ein wenig ändern und umsetzen, etwas anders zeichnen, also noch etwas daran schleifen.
Das ist sicher die Professionalität, die sich in den Jahren ausgebildet hat. Was ich mich trotzdem frage: Wie ist man auf Kommando lustig? Man kommt morgens ins Atelier und am Abend muss was Lustiges da sein ...
Man nimmt sich einen Zettel und einen Stift und setzt sich dann hin. Die Aufteilung in drei Panels hat sich bewährt, die steht also schon. Dann versuche ich, eine kleine Geschichte zu erzählen, mit einem Spannungsbogen und einem Gag am Schluss. Und da gibt es natürlich verschiedene Möglichkeiten da heranzugehen. Viel funktioniert ja über den Sprachwitz oder Situationskomik. Ich habe es auch ganz gern, wenn im letzten Bild gar kein Text steht, sondern eine Person in einer Situation steckt, die im vorletzten entstanden ist. Was wichtig ist, passiert dann eben zwischen den Bildern. Das löst sich dann im Kopf des Betrachters. Manchmal stelle ich auch einfach meine Figuren da hin und überlege mir, was da nun passieren könnte. Einige meiner festen Figuren haben nun auch schon so eine Art Bühnencharakter, wie der Friseur am Friseurtisch, die Post-Oma am Schalter, der Schwimmbadcharakter mit dem DLRG-Fritzen. Sich was zu überlegen, kann da schon ein Weilchen dauern, aber ich mache dann so ein Brainstorming und scribbel einige Sachen aufs Papier. Und wenn mir nichts einfällt, nehme ich die nächste Seite und fange mit einer anderen Figur an. Manchmal lasse ich auch etwas einfach liegen und wenn ich Wochen später wieder drauf schaue, kommt mir die zündende Idee.
Wie hält man für sich die Arbeit spannend?
Spannung kommt allein schon durch den Zeitdruck. Wenn es eng wird mit dem Redaktionsschluss, kommt man schon auf Touren. Und wird nervös. Es baut sich ein enormer innerer Druck auf. Aber das klappt eigentlich immer mit den Ideen. Ich zeichne das, scanne es ein und schicke das dann rüber. Mein Mail-Programm macht dann so ein Rausch-Geräusch und dann atme ich erst einmal durch. Das ist eine sehr große Befriedigung und man hat wieder einen Tag Zeit.
Und du arbeitest wirklich nur einen Tag vor?
Ehrlich gesagt habe ich in den letzten Monaten immer nur ein paar Stunden vorgearbeitet, haha. Das ist immer abhängig vom persönlichen geistig-moralischen Zustand. Im Januar war ich vier Wochen lang schwer erkältet, was die Arbeit schon zu einem Kampf gemacht hat. Dann kommen eben Schnupfen- und Arztwitze.
Hast du schon einmal daran gedacht, ganz andere Comics zu machen, also aus dem Drei-Panel-Schema auszubrechen? Eine längere Geschichte zum Beispiel.
Schon. Ich habe nun eine Weile für den Uni-Spiegel einen One-Pager machen dürfen, der jetzt leider einer Heftreform zum Opfer gefallen ist, womit ich auch da quasi bei einem Streifen gelandet bin. Das hat viel Spaß gemacht, weil man auf einer ganzen A4-Seite ganz anders arbeiten kann: Einfach länger erzählen, mit mehreren Witzen oder einem Running Gag. Leider geht so etwas nebenher zu machen gerade gar nicht, weil ich einfach schon sehr gut beschäftigt bin. Weiterhin mache ich für andere Zeitungen Ein-Bild-Geschichten, dazu Text- und Zeitungsillustrationen. Da bleibt nicht viel Zeit für längere Geschichten, aber schon so ein Album mit 48 Seiten wäre anderthalb bis zwei Jahre Arbeit. Ich weiß auch nicht, ob ich genug Ideen hätte für so etwas Langes, und hätte dabei schon sehr hohe Ansprüche. Bei einem Strip ist es so, dass die Leute ihn sehen, lachen oder auch nicht, und am nächsten Tag kommt ein neuer. Ein richtig langer Band würde da ganz anders funktionieren. Ich komme ja eigentlich mehr aus der Cartoonisten-Szene und weniger aus der Comic-Ecke.
Was mich nun noch interessiert, ist ein ganz besonderes Phänomen. Als du angefangen hast, war die große Zeit der Knollennasen, gerade in Deutschland. Alle Zeichner, die damals in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, eben du, Walter Moers, Brösel und Ralf König, haben Knollennasen gezeichnet. Woher kam das?
Das ist eine gute Frage. Das liegt sicher an den gemeinsamen Vorbildern. Asterix zum Beispiel hatte auch eine Knollennase. Dieses Überzeichnete ist etwas aus den 1970ern und auch vorher. Bei den „Freak Brothers“ zum Beispiel war das auch so. Mir ist aufgefallen, dass sie bei mir im Laufe der Zeit kleiner geworden sind. Früher waren sie noch recht groß und sie hingen ein wenig. Das ändert sich. Aber es wird natürlich auch ein Markenzeichen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #88 Februar/März 2010 und Christian Maiwald