Im Booklet des ersten NATION OF ULYSSES-Albums „13-Point Program to Destroy America“ von 1991 konnte man über deren damaligen zweiten Gitarristen lesen: „Tim Green plays electric guitar, having quit his theological studies at seminary after first being introduced to the illicit sound of the Nation of Ulysses. [...] Now, Timothy studies the revisionist history taught by the Nation of Ulysses, and ignores the fascist trumpets which bombard him daily. [...] Tim plays a Gibson copy by Gem, and his kiss is rumoured to taste like honey dew melon.“ Nach nur zwei Platten löste sich diese „revolutionäre“ DC-Band allerdings schon wieder auf und während Sänger Ian Svenonius zusammen mit Bassist Steve Gamboa und Schlagzeuger James Canty bei THE MAKE-UP endlich die verdiente Anerkennung erfuhren, verschwand Tim Green scheinbar in der Versenkung.
Scheinbar, denn seit seinem Umzug nach San Francisco 1995 hatte Green im hauseigenen Louder Studio bzw. auch schon davor in DC bei den Platten von Bands wie BRATMOBILE, BIKINI KILL, CHERRY VALENCE, COMETS ON FIRE, FEDERATION X, HUSBANDS, JACK SAINTS, MELVINS, PEECHEES, SLEATER-KINNEY, TRANS AM, TRUMANS WATER oder UNWOUND seine Finger im Spiel. Außerdem spielt er auch noch bei dem „Power-Metal-Trio“ THE FUCKING CHAMPS eine ganz fantastische Gitarre und lässt bei seinem Solo-Projekt CONCENTRICK seiner Vorliebe für KRAFTWERK-artige Sounds freien Lauf. Allerdings wurden die bisherigen drei Platten der FUCKING CHAMPS in Europa eher mal ignoriert, was auch für ihre EP auf Thrill Jockey zusammen mit TRANS AM unter dem Namen TRANS CHAMPS von 2001 gilt. Ende November erschien via Matador unter dem Titel „Greatest Hits“ ein Zusammenschnitt ihres bisherigen Schaffens, sozusagen ein Appetizer für die zurückgebliebenen Europäer. Ein viel beschäftigter Mann also, den ich allerdings bei meinem Anruf am Spätmittag beim Herumbasteln an seinem Auto störe.
Dir gehört ja Louder Studios. Wie gestaltet sich das in der Praxis, ich meine, das ganze Equipment ist sicherlich auch nicht ganz billig, oder?
Ja, das ist mein eigenes Studio. Ursprünglich hatte ich noch einen Partner, aber der ist vor vier Jahren nach LA gezogen. Ihm gehören zwar noch Teile des Equipments, aber er hat mit dem Studio nichts mehr zu tun. Angefangen haben wir 1995 mit einem Acht-Spur-Gerät, 1998 waren wir schon bei 16 Spuren und 2000 hatte ich eine 24-Spur-Maschine. Ich habe überwiegend altes Equipment und muss halt viel selbst reparieren, was ich mir über die Jahre irgendwie selbst angeeignet habe. Bestimmte Ersatzteile sind allerdings schon teuer. Das Studio befindet sich in meinem Haus, so muss ich nicht noch extra Miete dafür bezahlen, was oft die Hauptkosten ausmacht. So kann ich die Kosten niedrig halten. Ich habe schon länger in San Francisco nach einem besseren Platz für das Studio gesucht, aber es ist alles viel zu teuer.
Du hast ja schon an Unmengen von Platten mitgearbeitet und auch Bands wie die DONNAS und die MELVINS produziert. Wie kommen diese Aufträge in der Regel zustande?
Mit den MELVINS habe ich fünf Platten gemacht, bei den DONNAS war es nur eine 7“. Bei dem Album ‚Get Skintight‘ entschied das Label, dass es Steve und Jeff McDonald produzieren sollten, die beiden Typen von REDD KROSS. Beim nächsten Album war ich auch wieder im Gespräch, aber da die Gitarristin Allison Robertson den Produzenten Robert Shimp geheiratet hatte, hat der es dann gemacht. In den meisten Fällen läuft es über Freunde oder Leute, die irgendwie meine Nummer oder E-Mail in die Finger bekommen haben und mich kontaktieren, ohne dass ich sie unbedingt kennen würde. Ich gebe keine Anzeige auf, und es ist gar nicht so einfach, mich zu fassen zu kriegen, haha. Das ist auch gar nicht nötig, da ich auch so genug zu tun habe.
Gibt es bei der Art, wie du produzierst, etwas Besonderes, den Tim Green-Touch?
Ich nehme es mal an, aber ich könnte nicht genau sagen, was es ist. Aber ich habe in Reviews schon mal was über einen Tim Green-Sound gelesen. Wie gesagt, ich benutze viel altes analoges Equipment, denn meiner Meinung nach war die Hochzeit der Aufnahmetechnologie in den 70ern, und aus dieser Zeit stammt viel davon. Ich bemühe mich auch um einen räumlichen Sound, so als ob du in einem Raum mit der Band bist, um die Spannungen dabei einzufangen. Ich benutze Computer nur, wenn Leute es unbedingt wollen. Ich muss allerdings gestehen, dass meine Solo-Platten digital aufgenommen sind, da es ansonsten schwer ist, sich selbst aufzunehmen. Allerdings gefällt mir der Sound der Platten auch nicht.
War dein Umzug nach San Francisco damals eigentlich auch mit ein Grund für die Auflösung von NATION OF ULYSSES?
Das war auch ein Grund, aber wir hatten einfach musikalisch unterschiedliche Ansichten. Die anderen wollten simplere Garage- und Soul-Sachen machen, und ich war an komplexeren Sachen interessiert.
Ihr habt damals in Interviews immer diese wilden Theorien verbreitet. Wie ernst war es euch wirklich damit?
Wir haben schon daran geglaubt, aber wir haben natürlich nie etwas in die Luft gejagt, haha. Es war eine Reaktion auf die Musik zu dieser Zeit, die uns dekadent erschien und nicht besonders inspirierend, wie bei Sub Pop, wo es nur darum ging, die 70er erneut zu durchleben, das hielten wir für ziemlich schwach. Ich weiß nicht, ob du die MC 5-Doku ‚A True Testimonial‘ kennst. Ich habe sie jetzt viermal gesehen, und mir wurde bewusst, wie stark wir von ihnen politisch beeinflusst waren. Es gibt da einige Parallelen, was mir früher noch nicht so klar war, obwohl ich immer ein Fan von ihnen war, aber nicht viel von ihrer Geschichte wusste. Sie hatten ein 10-Punkte-Programm und sympathisierten mit der Black Panther Party, sie hatten eine ausgeprägte Revolutions-Ideologie, aber sie sind nicht rausgegangen und haben jemanden erschossen – sie waren Pazifisten.
Und wie haben NATION OF ULYSSES in die damalige DC-Szene gepasst?
Es war schon sehr ungewöhnlich und viele unsere Freunde in DC wussten nicht so recht, was sie mit uns anfangen sollten und dachten, wir wären verrückt oder würden einfach nur Witze machen. Es unterschied sich ziemlich von dem, was sonst so passierte. Aber an sich war es auch nur eine Band, die andere dazu anregen wollte, aus ihrem konventionellen Lebensstil auszubrechen.
Was hältst du heute vom NATION OF ULYSSES-Sound, betrachtet mit einem Abstand von gut zehn Jahren?
Die Produktion ist für mich eigentlich immer noch enttäuschend. Es klingt nicht so, wie wir uns das eigentlich vorgestellt hatten. Wenn wir nicht in so einem neumodischen Studio aufgenommen hätten, wären die Platten besser. Ich weiß nicht, ob du die ‚The Embassy Tapes‘-Platte mal gehört hast, das sind Sachen, die wir auf Vierspur aufgenommen haben, nach dem zweiten Album, kurz bevor sich die Band auflöste. Das klingt schon wieder etwas zu abgefuckt, aber eher so, wie wir klingen wollten, und wie wir live klangen. Hektischer und chaotischer, nicht so clean. Aber die Songs mag ich immer noch. Vor kurzem war James Canty mit seiner neuen Band FRENCH TOAST hier, und wir hörten uns unveröffentlichte Sachen an, die er auch schon länger nicht mehr gehört hatte. Das war ziemlich amüsant, da uns auffiel, dass wir die Hälfte der Zeit nicht darauf geachtet haben, was der andere gerade spielt, haha. Steve Gamboa hatte eigentlich erst angefangen Bass zu spielen, als es mit der Band los ging. Er hatte nie zuvor ein Instrument gespielt und konnte keine Noten lesen. Bis zur zweiten Platte schrieben wir die Bassparts für ihn, haha. Bevor ich bei NATION OF ULYSSES einstieg, hatte ich all ihre Shows gesehen. Ihre Ideen und Songs waren erstaunlich und ganz anders, aber als Musiker waren sie schrecklich. Sie schafften es kaum einen Song durchzuspielen, haha.
Deine aktuelle Band THE FUCKING CHAMPS pflegt auch einen ziemlich unkonventionellen Sound, wobei es sicher Blödsinn wäre, euch als Metal-Band zu bezeichnen, oder?
Stimmt, aber es gibt unheimlich viele Leute, die sich aufregen, weil wir angeblich eine Metalband sein wollen. Und das wollten wir nie, das wäre auch völlig lächerlich. Sie halten uns wegen unseres Sounds dafür, weil wir laute, ‚heavy‘ Gitarren und bestimmte Harmonien benutzen, was Leute, die davon keine Ahnung haben, wohl für Metal halten. Aber unsere Melodien sind viel zu schmalzig und glückselig, haha. Das könnte niemals als Metal durchgehen, wir klingen dafür nicht düster und böse genug.
Wie passt dazu dein Solo-Projekt CONCENTRICK, das geht doch in eine ganz andere Richtung? Interessant fand ich bei einem Track übrigens den Sample vom „Profondo Rosso“-Soundtrack ...
Haha, ich liebe GOBLIN, und ich mag generell 70er-Horror-Soundtracks. Vor allem auf dem zweiten CONCENTRICK-Album findet man einige solcher Samples, zu der Zeit habe ich auch viel APHEX TWIN bzw. elektronische Musik gehört, das hatte mich ziemlich inspiriert. Aber so verschieden ist es gar nicht von den CHAMPS, zumal einige der Songs auf den CHAMPS-Alben ursprünglich CONCENTRICK-Songs waren, wie zum Beispiel auf ‚Greatest Hits‘ ‚Police Nauts‘.
So richtig von den CHAMPS habe ich erst im Zusammenhang mit eurer EP zusammen mit TRANS AM gehört. Generell hat mich erstaunt, wie ähnlich die Arbeitsweise beider Bands ist. Seit wann kennst du TRANS AM und wie kam es zu der EP?
Also, ich habe die CHAMPS nicht gegründet, das waren Tim Soete und Josh Smith, ich kam dazu, als es sie schon gab. Von TRANS AM hörte ich erst, als ich ca. acht Monate in der Band war. Als ich die erste TRANS AM-Platte in die Finger bekam, war ich geradezu schockiert über die Gemeinsamkeiten, zumal sie aus DC kamen, und ich noch nie von ihnen gehört oder sie mal getroffen hatte, als ich noch dort gelebt habe. Die Idee mit der EP stammt von dem Typen, der das Label Temporary Residence betreibt. Er meinte, wir sollten was zusammen machen, und er bringt es dann als Split-Picture Disc heraus. Wir sollten TRANS AM-Songs spielen und sie eben welche von uns. Irgendwie entwickelte es sich aber so, dass wir die Songs zusammen einspielten. Die CHAMPS nahmen sehr minimal drei Songs auf und schickten die TRANS AM, die das dann vervollständigten und noch eigene Songs schrieben, die sie dann uns schickten. Ich habe dann das meiste hier abgemischt. In England bekam die EP richtig miese Kritiken, und die meisten gaben uns die Schuld, wobei sie immer falsch lagen, wenn es darum ging, uns bestimmte Teile eines Songs zuzuschreiben. Sie hatten keine Ahnung, wovon sie eigentlich redeten. Es gab sehr wütende Besprechungen, was schon wieder richtig lustig war. Wir arbeiten inzwischen auch an einem kompletten Album, das auf Drag City erscheinen soll.
Ähnlich wie TRANS AM kann man euch nicht als reine Instrumentalband bezeichnen, das scheint ihr eher undogmatisch zu handhaben. Woran liegt das, hat keiner von euch Lust Texte zu schreiben?
Haha, da könnte was dran sein. Ich mag es eigentlich sehr, wenn Tim singt, er hat eine gute Stimme. Und wir sprechen auch darüber, dass wir andere Songs mit Gesang schreiben sollten. Aber uns interessiert es mehr, interessante Gitarrenparts zu schreiben. Um darüber Gesang zu legen, müssen wir es weniger komplex machen und das wollen wir eigentlich nicht.
In den Booklets gibt es lange Listen, wo ihr die verwendeten Instrumente auflistet. Was hat es damit auf sich?
Das war meine Idee, das findet man auch auf alten Jazz-Platten von Atlantic und Prestige. Aber die beiden anderen sind viel mehr als ich von Gitarren besessen, wann sie gemacht wurden und solcher Unsinn. Sie wollten das alles da rein schreiben. Es ist aber auch als Witz gedacht, wo wir uns selber über unsere eigene Technik-Obsession lustig machen, welches Plektrum wir benutzt haben und so was ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #53 Dezember 2003/Januar/Februar 2004 und Thomas Kerpen