Punkrock ist Männersache – immer noch. Warum eigentlich? Es war doch Punk, der vor einem Vierteljahrhundert mit den Rock-Klischees brechen wollte und es Frauen ermöglichte, gleichberechtigt Bands zu gründen, Platten aufzunehmen und auf den Bühnen zu stehen. Und was ist davon geblieben? Nicht viel, wie es scheint: Punkrock ist vor allem Männersache, weniger was das Publikum auf den Konzerten anbelangt, als vielmehr was die "Aktiven" anbelangt: Fanzines, Labels und so weiter werden bis heute mit großer Mehrheit von Männern gemacht. Eine der wenigen Ausnahmen stellt da Anouschka mit ihrem Label Thunderbaby Records dar – und deshalb bzw. gerade nicht deshalb dieses Interview, das alles andere ist und sein soll als ein "Quoteninterview", sondern vor allem meiner Anerkennung für ihre Arbeit der letzten zehn Jahre ist. Zehn Jahre, in dem Thunderbaby Records aus Düsseldorf zum äußerst feinen LiebhaberInnen-Label für alle Spielarten von weiblichem Punkrock wurde.
Erstmal bitte die persönlichen Facts: wie lange Punkrock, Alter...
Punkrock seit ich 16 bin, das fing mit den TOTEN HOSEN an.
Die feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum...
Und ich bin jetzt 35. Mein allererstes Konzert war aber KISS in der Philipshalle. Da war ich zwölf. Naja, aber KISS hat ja nichts mit Punkrock zu tun. Oder irgendwie schon? Das war echt sehr cool, da bin ich als Paul Stanley verkleidet hingegangen, meine Freundin als Gene Simmons. Es gibt da sogar ein Bild von mir, und wir hatten uns da zwei Tage lang geschminkt und Klamotten genäht.
Und wie ging´s dann weiter?
Schwierig, sich daran so genau zu erinnern... Auf jeden Fall erinnere ich mich an KING KURT im Ratinger Hof. Da habe ich eine Mehlbombe auf den Kopf bekommen, die hat meine ganze wunderbare Frisur zerstört. Bis heute verbrauche ich übrigens pro Woche mindestens eine Dose Haarspray.
Wie und wann fand der Schritt statt, dass du von der reinen Szenegängerin zur Macherin wurdest?
Da kamen mehrere Faktoren zusammen. Ich habe schon früh angefangen Platten von Frauenbands zu sammeln, dabei in den Achtzigern speziell Sachen wie die PANDORAS und andere Neo-Sixties-Psychedelic-Sachen, aber auch RUNAWAYS, GIRL SCHOOL und so weiter, Hauptsache Frauen, quer durch alle Stilrichtungen, wobei es im New Wave-Bereich gar nicht so viele Frauenbands gab. Na gut, die GOGO´S, aber das war ja mehr Pop, und BANANARAMA konnten selber keine Instrumente spielen – ich find sie aber trotzdem gut. Und dann kamen DOLL SQUAD, das war Ende der Achtziger. In den USA hatte der Frauen-Punk-Boom schon Mitte der Achtziger angefangen, und zu der Zeit gab´s dann Bands wie BABES IN TOYLAND, HOLE und so weiter. Naja, und aus dieser ganzen Begeisterung heraus habe ich dann 1991 Thunderbaby Records gegründet, mit der Veröffentlichung der DOLL SQUAD-Single.
Was war deine Motivation? Hast du bewusst ein Label gegründet oder wolltest du einfach "nur" aus Begeisterung eine Platte dieser Mädels rausbringen?
Eigentlich beides: Das Konzept eines reinen Frauenband-Labels stand schnell fest, und da kamen DOLL SQUAD genau richtig. Das war eine sehr geile Band.
Gab´s bzw. gibt´s bei dir parallel auch noch eine bürgerliche "Karriere"?
Naja, ich bin Werbekauffrau, habe da eine Ausbildung gemacht und arbeite seit 13 Jahren in einem Laden für Doc Martens und so in Düsseldorf, nur einen Tag die Woche, wo ich Deko und Einkauf mache. Die Lehre wollte ich nur nicht durchziehen, als ich damals merkte, dass ich da gar nicht so kreativ sein konnte wie ich´s mir vorgestellt hatte, denn es war eben ein kaufmännischer Beruf.
Was im Nachhinein betrachtet aber vielleicht kein Fehler war, denn als SelbständigeR ist sowas durchaus nicht unpraktisch.
Stimmt allerdings. Schreibmaschine schreiben, Rechnungswesen, Buchhaltung und so weiter habe ich damals an der Höheren Handelsschule gelernt, nachdem ich vom Gymnasium geflogen bin. Naja, und heute kommt mir das durchaus zu Gute.
Gab´s denn von Anfang so ein richtiges Labelkonzept?
Mir war schon klar, dass es Frauenbands sein sollten und außerdem besondere Singles, etwa mit Poster-Faltcovern, buntem Vinyl, irgendwelchen Beilagen und so. Das "Problem" war, dass es eigentlich hier in der Nähe gar keine Frauenbands gab. Die Bands haben mir nicht gerade die Tür eingerannt, das kam ganz allmählich, so durch´s Hörensagen. Zum Beispiel die EMBRYONICS aus Solingen, die waren damals in Frankreich auf Tour und lernten WHORE kennen, über die ich wiederum an MOONSTRUCK gekommen bin, und so hat sich das dann nach und nach entwickelt.
Nicht zu vergessen deine eigene Band LIVE ACTION PUSSY SHOW.
Oh ja, da habe ich immer noch den Keller voller Singles... Aber man muss eben so seine Erfahrungen sammeln. Ebenso wie mit allem, was mit dem Druck zu tun hat. Ich hatte ja keine Ahnung, hab´ dann bei DOLL SQUAD eine handgezeichnete Skizze an den Drucker geschickt und gesagt, so will ich das haben. Der hat erstmal geschluckt und meinte, das würde teuer werden – und dabei hatte ich mit Kreide und Filzstift so schön gemalt... Das wurde dann leider wirklich etwas teuer, weil ich ja nicht wusste, dass man da Filme machen muss und so.
Für zehn Jahre hast du gar nicht soooo viele Releases.
Ich bin jetzt bei Nr. 34, wobei das in den letzten zwei, drei Jahren mehr geworden ist. Ich habe mich lange gegen alles gewehrt, was man so als Label gemacht hat, etwa sich einen Vertrieb zu suchen, und wenn alle mir sagten, die oder die Band tauge nichts, hab´ ich trotzdem eine Platte gemacht.
Wie wichtig ist die "Frauenschiene" bei Thunderbaby? Ich habe den Eindruck, dass dir die "Frauensache" schon wichtig ist, andererseits scheint´s du mit, naja, "Emanzengetue" auch nichts am Hut zu haben.
Ich versuche Musik und Frauenthematik miteinander zu verbinden, bin immer wieder mal zu Diskussionen und Symposien zu dem Thema eingeladen. Und ja, ich habe auch lesbische Bands im Programm, wobei ich denke, man muss das nicht extra erwähnen. Problematisch fand ich bei Veranstaltungen zu dem Thema immer, Hetero-Frauen und Lesben unter einen Hut zu bringen – das ist grauenvoll! Ich hab´ genau darüber und über meine Pläne mit dem Label mal mit Kathleen Hanna gesprochen, und die meinte, sie fände die Idee großartig, aber ich solle ihr Bescheid sagen, wenn ich es geschafft habe, das umzusetzen...
Und, hast du dich schon bei ihr gemeldet?
Nein, noch nicht, denn es ist schon sehr schwer. Ich habe eben keine Lust darauf zu achten, wem was womöglich nicht passt. Und so machen mich eben irgendwelche Lesben an, ich sei frauenfeindlich, bloß weil ich gesagt habe, dass mir eine Band gefällt, weil die Mädels alle geile Titten und Ärsche haben, dann verstehe ich nicht so ganz, was die von mir wollen. Ich als Frau frauenfeindlich...?
Da sprichst du ein Problem an, das in gewisser Weise szenetypisch ist, denn gerade in der Rock´n´Roll-Punk-Szene, in der du dich auch rumtreibst, werden ja gerne mal Klischees strapaziert, gerade auch was Frauen anbelangt – sei´s im Artwork oder mit albernen Tattoos nackter Frauen. Und du entsprichst von deinem Outfit her auch gerne mal solchen R´n´R-Klischees.
Klar, die Rock´n´Roll-Szene ist natürlich total sexistisch. Ich denke schon, dass mich viele für eine Mega-Feministin halten, und ich verstehe mich auch als Feministin, aber deshalb brauche ich mich doch nicht an irgendwelche Kleidungsvorschriften zu halten. Aber soll ich mich denn irgendwie anders geben als ich bin, nur um so Hardcore-Feministinnen zu gefallen? Ich habe mir schon auf die Fahne geschrieben, da zwischen den Extremen zu vermitteln, so als Lebensaufgabe.
Findest du denn, dass Punkrock generell eine Männerszene ist?
Nee, gar nicht. Klar sind wohl immer mehr Männer auf Konzerten und die "Macher" sind eher Männer. Ich fände es gut, wenn´s da mehr aktive Frauen geben würde, aber was willst du denn machen? Ich weiß echt nicht, warum nicht mehr Frauen was machen. Es ist halt ein Knochenjob und du verdienst nicht viel damit, vielleicht ist es auch das. Die meisten Mädels wollen doch Karriere und ordentlich Kohle. Nein, das ist schwer zu erklären, denn da steckt bei mir so viel Herz drin, so viele Tränen. Ich kenne ja wiederum jede Menge aktiver Mädchen, die eben in Bands spielen und so weiter, die irgendwie engagiert sind.
Warum ist es eigentlich scheinbar was besonderes, wenn Frauen Musik machen? Dann ist das eine Frauenband, machen Männer Musik, ist´s eben eine Band...
Das ist von den Medien abhängig, denke ich, und ja, es ist was besonderes. Klar sagen die Frauenbands, sie seien nichts besonderes, aber irgendwie stimmt das ja auch nicht so ganz. Ich meine, ich bin ja nicht blöd, und wenn ich ein Konzert mit den BOONAARAS mache, dann kommen nur halb so viele Leute, als wenn ich das mit der Frauenband nicht richtig groß rausstelle. Es ist einfach so, dessen sollte man sich bewusst sein, und von diesem Denken kann ich mich nicht ausschließen. Schließlich mache ich ja auch explizit ein "Girl Band Label".
Was waren deine letzten Releases, was können wir in den nächsten Monaten erwarten?
Es kommt auf jeden Fall im Mai die BOONAARAS-LP, und was dann ansteht, ist noch nicht spruchreif. Ich habe eine sehr geile schwedische Old School-Garagenband an der Hand namens VOLADORAS, die bei mir eine Single machen wollen, dann eine Split-7" der BOONAARAS und dann mal sehen. Die letzten Releases waren die beiden 5"s zum Thunderbaby-Jubiläum, zum einen die BOONAARAS, zum anderen der Sampler "Welcome To The Hotrod Girl Garage". Dann gab´s die HEMICÜDA-LP, die TWIGGY KILLERS, die BATTLEDYKES, die LULLABELLES und die BOONAARAS.
Was war die bislang bestverkaufte Scheibe auf Thunderbaby und was der größte Flop?
Die Beste war die Platte der 5. 6. 7. 8´s, da habe ich schon 2000 verkauft. Das ist echt schön, da habe ich auf einem einzigen Konzert 80 verkauft! Eine schöne Erfahrung, wenn man mal sieht, dass man das alles nicht umsonst macht. Flops? Naja, die Sachen aus der Anfangszeit, da war eigentlich alles ein Flop, da habe ich nicht so richtig darüber nachgedacht und eben Fehler gemacht.
Wie wichtig ist Vinyl für Thunderbaby?
Sehr wichtig! Ich wollte anfangs ja überhaupt nie CDs rausbringen und will´s auch heute noch nicht, aber manchmal muss es eben sein. Am liebsten ist es mir aber, wenn wie im Falle von HEMICÜDA ein anderes Label die CD macht und ich eben die LP. Die wollen übrigens dieses Jahr noch auf Tour kommen – wenn alles klappt...
In welchen Ländern läuft´s denn für Thunderbaby am besten?
Früher war´s in Deutschland sehr schwierig für mich, da waren Frankreich, Spanien, Italien und Japan viel besser und auch die USA. Mittlerweile, so seit drei Jahren, ist es auch hierzulande okay, wobei´s kein "Hauptland" gibt.
Wie lange willst du Thunderbaby noch machen?
Ich habe nicht vor damit aufzuhören! Klar gab´s zwischendurch mal Phasen, wo ich keine Lust mehr hatte, aber ich hab´ mir jetzt ein paar jüngere Mädels "rangezüchtet" – ich finde es einfach wichtig, deren Meinungen zu hören und zu kennen – und denke, dass es irgendwie weitergeht und ich vielleicht irgendwann das Label mal an eine Jüngere abgebe. Es wäre ja auch Scheisse, wenn keine jüngeren Mädels Interesse an der ganzen Sache hätten.
Anouschka, ich danke dir für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #46 März/April/Mai 2002 und Joachim Hiller