Der Name Thies Mynther wird nicht jedem was sagen, allerdings hat er in sehr vielen Projekten seine Finger im Spiel. Er wurde in Bayern geboren, zog im Kindesalter nach Wuppertal, und machte seinen Weg über Ostwestfalen-Lippe und den Ruhrpott schließlich nach Hamburg. Dort arbeitete er als Mädchen für alles bei Alfred Hilsberg von Zick Zack. Der Plan, Musik zu machen, kam schon sehr früh und sogar Uschi Herzer interviewte ihn damals schon für ihr Fanzine "Sie trägt rote Pyjamas". Inzwischen ist er den meisten Ox-Lesern als Keyboarder von SUPERPUNK bekannt, aber er ist auch Teil der Popband STELLA, bei PHANTOM/GHOST (zusammen mit Dirk von Lowtzow von TOCOTRONIC), dem Projekt DAS BIERBEBEN und spielte bei DIE REGIERUNG. Wir trafen uns anlässlich des letzten SUPERPUNK-Konzertes in der Solinger Cobra und redeten über seine Musik, Politik und das Buch, das er niemals geschrieben hat.
Du machst ja schon relativ lange Musik, hattest Soloprojekte und hast SIEBEN FÜR LILA gegründet. Wie kamst du denn damals dazu?
Ich habe ziemlich abgeschieden in einem kleinen Dorf gelebt und alles, was ich von der Welt mitbekommen habe, hat sich über Musik vermittelt. In meinem kleinen Kämmerlein habe ich mich dann da reingekniet, mir alles zurecht imaginiert und darüber dann nach und nach Kontakt zu Leuten aufgenommen. Mein musikalischer Werdegang hat also mit der Suche nach Kommunikation begonnen. In den 80ern gab es ja eine relativ gesunde Kassetten-Szene, wo man oft in 50er-Auflagen seine Sachen über die Republik verteilt hat. So entstand zum Beispiel auch der Kontakt zum damaligen Fanzine "Sie trägt rote Pyjamas", da man sich damals dann Briefe geschrieben hat. Dass es auch Leute, die mich gar nicht kennen, interessieren könnte, bekam ich mit, als ich als großer Fan der Band damals eine Kassette an EA80 geschickt habe und einen langen Brief zurückbekam, in dem stand, dass ich das doch bitte weitermachen soll. Das hat mich dann angespornt.
Findest du es schade, dass es diese Form der Kommunikation in diesem Maße gar nicht mehr gibt?
Wenn man sieht, welche Masse an MySpace-Nutzern sich da selbst präsentiert und nach Freunden sucht, hat diese Art des Austausches da ja eine Art Reinkarnation erfahren hat, wie ich finde. Natürlich hat sich die Wertigkeit von Musik stark verändert. Früher kam man viel schwerer an Sachen heran, die einem was sagen, am Herzen liegen oder vielleicht sogar die Art zu denken beeinflussen. Heute googlet man einfach nach den Sachen, die man sucht.
Von wegen EA 80-Fan: Hast du denn damals auch generell viel Punkrock gehört?
Damals lebte ich noch in Ost-Westfalen und dort gab es eine relativ harte Straßenpunk-Szene, in die ich dann reingewachsen bin. Mein Musikgeschmack war schon immer breit gefächert, weil ich als Kind durch den Einfluss meiner Eltern schon relativ viel "gefressen" hatte. Aber an Punk haben mir dann auch die Leute sehr gefallen. Man war halt nicht total "verökt" oder Spießer. Ich habe auch viel finnischen Hardcore gehört, aber auch die amerikanischen Krachbands wie SCRATCH ACID.
Viele Leute sind ja nach Punk in der elektronischen Szene beziehungsweise Techno-Szene gelandet. Wie, denkst du, kommt das?
Wenn man in Deutschland nach den Wurzeln von Techno forscht, sieht man, dass es relativ viele Überschneidungen zwischen der Industrial-Welt und der ersten Techno-Generation gibt. Für viele Leute, zum Beispiel in Berlin oder Frankfurt, war es nur ein ganz kleiner Schritt. Gerade da war alles noch dichter beieinander, als man sich heute noch vorstellen kann. Die Leute hat das einfach geflasht und sie haben diesen Paradigmenwechsel dann über die Jahre vollzogen. Anfang der 90er habe ich gerade bei DER REGIERUNG gespielt und da liefen neben Hank Williams auch dauernd Strictly Rhythm Records-Platten im Tourbus. Der Schlagzeuger hatte damals auch den ersten House-Club im Ruhrgebiet eröffnet. Vorher gab es die Beatbox in Wuppertal und er machte dann in Essen die Rote Liebe. Da waren wir damals auch oft und haben alles mitverfolgt.
Kam für dich dann auch der Schritt, elektronische Sachen zu produzieren?
Es war ja damals viel schwieriger, die Produktionsmittel dafür zu bekommen. Sampler waren wahnsinnig teuer. Ich erinnere mich, als wir den ersten Atari-Computer mit einem halben MB Speicher hatten - dazu brauchten wir auch Sampler und Midigeräte -, dass das damals noch alles das Zehnfache gekostet hat. Das haben wir uns dann halt dann nach und nach zusammen gesucht. Als ich dann nach Hamburg gekommen bin, bin ich auf Mense Reents und Jimi Siebels getroffen, die EGOEXPRESS machen, und wir haben dann unser Studio gegründet. Das war recht trashig, in einem Keller mit einer 8-Spur-Maschine, einem Mach 2-Sampler mit einem MB Speicher, einem Atari und einem kleinen Mischpult. Weil wir die Sachen, die wir gemacht haben, bei LADO veröffentlichen konnten, die das gut fanden, ist man direkt in der Öffentlichkeit gewachsen, denn es gab auch immer Reaktionen auf das, was man gemacht hat. Selbst wenn die mal nicht positiv waren, entwickelt man sich ja dadurch weiter.
Du bist ja bei vielen Projekten involviert. Wie setzt du da deine Prioritäten?
Man versucht seine Zeit aufzuteilen und das funktioniert auch ziemlich gut. Ab und zu prallen Sachen aufeinander, aber das passiert recht selten. Vielleicht muss ich alle vier bis fünf Jahre mal sagen: "Das mache ich jetzt und das mache ich nicht!" Grundsätzlich steht alles, was gebucht ist, auch so fest und wird auch nicht abgesagt. Alle Bands sind ja Freunde von mir und da ist dann auch nicht wichtig, ob die gerade angesagt sind oder nicht. Es geht darum, Lust zu haben, wieder was zusammen zu machen, und einen Kitzel zu verspüren. Ich bin schon sehr eingespannt und das sind dann einfach Verabredungen mit meinen Freunden.
Gerade hinter elektronischen Produktionen steckt viel Detailarbeit. Woher nimmst du die Geduld, ein Lied immer und immer wieder zu hören, ohne irgendwann genervt zu sein?
Das geht, denn es unterscheidet sich nicht wirklich von einem Playstation-Level. Immer wenn ich Playstation spiele, denke ich mir, dass ich eigentlich auch ein Stück machen könnte, denn das ist dann irgendwie geiler und man ist nicht so gaga danach. Lieber zehn Stunden dasselbe Stück hören, als zehn Stunden "Grand Theft Auto" spielen, zumindest bei elektronischer Musik, hahaha. Ich hab tatsächlich das Gefühl, dass man da so im Fluss ist und ich keine Probleme habe, mich über lange Zeit zu konzentrieren. Mir wurde diese Fähigkeit, mich verdammt gut darin vergraben können, auch schon von anderen nachgesagt. Es macht mir auch total Freude, den ganzen Tag mit einem Beat zu verbringen. Das wächst mit der Zeit und irgendwann denkt man sich: Ah, das hört sich jetzt wie Musik an. Vorher hat man keine Ruhe ...
Könntest du damit leben, in einer Band zu spielen, in der du gar keinen kreativen Einfluss hast und nur als Musiker funktionierst?
Wenn ich das toll finden würde, sicherlich. Da bin ich relativ frei von Eitelkeit. Die Situation des reinen Spielens hat sich aber nie so richtig ergeben. Ich bin aber mal bei einer MOTION-Tour eingesprungen, habe da schnell das Repertoire gelernt und das war einfach lustig. Das war damals die Band von Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun , wo beide gesungen haben, mit Ale Sexfeind am Schlagzeug. Landerschier Jones, der jetzt bei LITTLE MACHINE und Jan Delays Band mitspielt, konnte damals nicht und da bin ich eingesprungen. Das war aber auch das einzige Mal, dass ich als Instrumentalist ohne Vorgeschichte was gemacht habe, haha.
Ich finde Hamburg hat so seine eigene Mentalität, auch gerade, was den Humor angeht. Hat die Stadt, in der du wohnst, auch immer einen Einfluss auf deine Musik oder ist das einfach nur dein Wohnort?
Mittlerweile ist das nur noch mein Wohnort. Einfluss haben eher Platten aus aller Welt, Musicals oder andere Sachen, die mich interessieren. Als ich 1992 nach Hamburg gezogen bin, war alles toll, da es eine sehr lebendige und brodelnde Szene gab. Niemand von den ganzen Bands war sonderlich bekannt und alles war egalitär, wuselig und heiß. Da reinzukommen, hat Spaß gemacht, denn ich bin auch sehr freundlich aufgenommen worden. Das hat mich beeinflusst und geprägt, da von 1992 bis '95 auch unheimlich viel passiert ist. Während der Zeit im Ruhrgebiet gab es das auch schon, aber da war es verstreuter. In den 80ern war das aus meiner Sicht noch alles sehr vereinzelt. Das soziale Leben in Hamburg war auch sehr wichtig für mich. Das waren ja auch alles Leute, die Musik aus aller Welt gehört haben, und da wurde auch viel über Erhöhungen nachgedacht und probiert, alles etwa mehr zu intellektualisieren als in anderen Städten.
Gibt es denn viel aktuelle Musik, die dich interessiert, oder greifst du lieber auf alte Platten zurück?
Das kommt ganz auf das Musikfeld an. Elektronische Tanzmusik ist ein Feld, das mich sehr interessiert. Das Ganze ist wahnsinnig schnell und da höre ich mir die neuesten Sachen an, da mich interessiert, wie sich das entwickelt. Bei Rockmusik greife ich eher zu älteren Platten.
Gibt es spezifische Sachen, die dich bei Rock nerven?
Grundsätzlich nervt einfach dieses extrem durchformatierte Klangbild, das alle Sachen heutzutage haben. Neulich in Wien habe ich einfach mal zwei Stunden Musikfernsehen geschaut und dabei wirst du gaga. Das klingt alles gleich. Die Schlagzeuger haben immer dieselbe Art von Knalligkeit, es sind immer die selben zurückgenommenen Strophen und die selben lauten Refrains. Das strahlt eine wahnsinnige Ödnis aus, die sich als rebellisch geriert, aber so systemkonform ist, dass es kracht. Da klingelt dann überhaupt nichts mehr, wenn ich mir das anschaue. Es gibt auch Ausnahmen, wie die WHITE STRIPES, die aber auch sehr alt klingen.
Man entwickelt sich musikalisch ja immer weiter. Würdest du sagen, dass es zum Beispiel SUPERPUNK vor zehn oder zwanzig Jahren gar nicht hätte geben können? Hätten dich die Musik und der Humor der Band damals überhaupt interessiert?
Ich glaube nicht, denn ich bin ein eher ernster Mensch. Humor ist nicht so mein Metier ... Das habe ich im Laufe der Jahre durch diese Spacken, mit denen ich immer rumhänge, erst gelernt, ebenso wie auch die Sprache. Vor zehn Jahren gab es die Band auch noch nicht in der Form, weil wir einfach noch nicht so gut spielen konnten. Wir haben immer probiert, das mit Krach zu überdecken, was manchmal auch geklappt hat.
Du remixt ja auch viel. Was ist daran der größte Reiz für dich?
Ich mag es gern, wenn man in einem Stück eine versteckte Referenz erkennt und die dann mit etwas anderem kurzschließt, was auch damit verbunden ist. Solche Sachen bringe ich eigentlich immer gerne unter, auch wenn die kein Mensch kapiert. Ich habe zum Beispiel mal einen Remix von CONSOLEs Version von "Freiburg" gemacht und das Titelthema von "Suspiria", einem Argento-Film, der teilweise in Freiburg gefilmt wurde, untergebracht. Dirk von Lowtzow, der ja auch aus Freiburg kommt, fand das dann recht witzig. So was checkt zum Beispiel kaum jemand. Versteckte Signale finde ich sehr schön und das gibt mir einen Extrakick.
Du spielst ja nicht nur D.I.Y.-Shows, wo du nur Spritgeld bekommst, aber im Nightliner tourst du ja auch nicht durch die Gegend. Wie setzt du dir deine Ziele?
Wenn ich das Gefühl hätte, dass alles, was ich mache, ungehört verpufft, dann würde ich mir überlegen, was ich anders machen könnte. Das, was zurückkommt, bringt mich durchaus weiter, denn ich stehe gerne auf der Bühne. Ich fände es aber ganz gut, wenn etwas mehr Geld dabei rumkommen würde, weil ich davon lebe und es manchmal echt eng wird. Ansonsten finde ich das Level, auf dem ich hantiere, ganz gut.
Wie siehst du denn die Verbindung zwischen Musik und Attitüde oder Politik? DAS BIERBEBEN hat ja auch kritischere Texte.
Die Ausgangsfrage wäre, wenn Musik eine Haltung transportiert, ist sie dann automatisch politisch? Wie würdest du das sehen?
Durch die Haltung, die du nach außen hin zeigst, kannst du Leute beeinflussen, die noch nicht wirklich gefestigt sind...
Ich finde es nicht unbedingt falsch, Slogans zu singen, aber stelle auch fest, dass mir mit zunehmendem Alter jeder Dogmatismus immer mehr auf die Nerven geht. Gerade bei den deutschen Linken gibt es ja sehr viele festgefahrene konträre Positionen, wo man sich wirklich fragt, warum sich da die Köpfe eingeschlagen werden.
Gerade wenn es um "Anti-Deutsch" oder "Anti-Imperialistisch" geht...
Das ist Wahnsinn, wie sich das so entwickelt. Da schlage ich mittlerweile die Hände über dem Kopf zusammen. Traditionell würde ich mich schon zu der Seite der Anti-Deutschen rechnen, aber es gibt da auch so viele Seltsamkeiten und halbgare Argumentationen.
SUPERPUNK wird ja auch nachgesagt, eine anti-deutsche Band zu sein.
Sind wir auch stark, und gerade Karsten ist stramm anti-deutsch. Ich reise ganz gerne, bin schon auf einigen Kontinenten gewesen und habe schon viel im Ausland gespielt, wie mit dem BIERBEBEN, und da kriegt man mit, dass das Anti-Deutsche ein sehr deutscher Reflex ist. Es ist richtig, dass es den gibt, und ich formuliere das immer so, dass ich ihn als historische Chance sehe, ein politisches Bewusstsein ohne nationalen Kern zu entwickeln.
Durch die WM war das ja bei vielen andersherum. Kein politisches Bewusstsein, dafür mehr Nationalstolz und Parolen wie "Wir sind wieder wer".
Es ist aber auch relativ neu, dass das in diesen Pop-Diskurs wieder reingekommen ist. Es ist wieder normal geworden, dass die Leute sich Deutschlandflaggen raushängen, was für sie dann zwar nicht faschistisch gemeint ist, aber man will sagen können, dass Deutschland eigentlich ganz schön ist. Keiner sagt aber, dass es so schön ist, weil das Land reich ist und es dafür auch bestimmte Gründe gibt, zum Beispiel, dass die globale Ökonomie bestimmten Ländern einfach vieles zuspielt und andere ausbeutet. Das ist ein Fakt, der dabei gerne ausgeblendet wird. Und Sätze wie "Wir sind ja schon ein fleißiges Volk" finde ich dann ziemlich gruselig.
Es wird ja gerne viel gemeckert.
Larmoyant, ein wahnsinnig larmoyantes Volk. Mit Verlaub, aber worüber sich hier beschwert wird ... Das Einzige, wofür hier die Studenten noch auf die Straße gehen, ist, wenn Studiengebühren erhoben werden. Das finde ich ein bisschen trist, wenn sich nur was tut, wenn am eigenen Stuhl gesägt wird.
Du bist aber auch nur noch Betrachter?
Ab und zu habe ich schon Position bezogen, aber das letzte Mal war ich vor drei Jahren auf einer anti-deutschen Demo. Wir haben mit SUPERPUNK in Berlin beim "Tag der Niederlage" gespielt. Ich bin auch 1999, als in Belgrad das Bombardement war, mit Elena von STELLA dorthin gefahren und hab mir das angeguckt, als dort sonst niemand im Land war. Wenn ich das Gefühl habe, dass alles durchdreht, schaue ich mir das ganz genau an und sage auch was dazu. Vor allem, wenn es eine Position ist, die nicht da oder unterrepräsentiert ist, fühle ich mich angehalten, diese auch öffentlich zu machen. Kommt aber, ehrlich gesagt, nicht so oft vor.
Timbob Jones
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #75 Dezember 2007/Januar 2008 und