Gute Labels erkennt man daran, dass sie für Musikinteressierte die Trüffelschweinrolle übernehmen und einen mit jedem neuen Release aufs neue überraschen. Neugierige Labelmacher gehen mit offenen Augen und Ohren durch die Welt, sind begeistert von neuen (und alten) Bands und verspüren dann dieses unbändige Bedürfnis, mit diesem oder jenem Künstler eine Platte zu machen. Genau so ein Label ist Tapete Records (mit dem Sublabel Bureau B) aus Hamburg, 2002 gegründet von Gunther Buskies und Dirk Darmstaedter. Dirk ist seit 2013 raus, Gunter der alleinige Chef, mit Unterstützung eines enorm kompetenten Teams, zu dem auch Carsten Friedrichs von DIE LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN gehört. Der nahm sich die Zeit, fürs Ox zehn bemerkenswerte Releases aus 15 Jahren Tapete zu kommentieren – ein subjektives Best Of, ausgewählt aus über 300 Releases.
PALAIS SCHAUMBURG
„s/t“
Der erste Release auf Tapete Records war ein Reissue und zwar das erste Album von PALAIS SCHAUMBURG. Komischerweise hat sie aber nicht die Katalognummer TR 001. Warum? Es waren wilde Zeiten in den Nuller Jahren, man ließ auch mal Fünfe gerade sein. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Tapete war free und fresh und fortlaufende Katalognummern waren was für Spießer! Und schon auf diesem Album fand sich ein inoffizielles Motto von Tapete: Ahoi, nicht traurig sein! Mit dem geselligen PALAIS SCHAUMBURG-Bassisten Timo verbindet uns heute sogar eine Art Freundschaft.
Niels Frevert
„Du kannst mich an der Ecke rauslassen“
Niels Frevert war Mitbegründer von Tapete Records. Mitgegangen, mitgefangen. Musste er natürlich drei großartige Alben bei uns veröffentlichen. „Du kannst mich an der der Ecke rauslassen“ vom „Typ der nie übt“ war zu Recht ein ziemlicher Erfolg. Schade, dass es solchen genialen Exzentrikern (siehe nur das „e“ im Vornamen oder seine Songtitel „Niendorfer Gehege“, „Ich möchte mich gern von mir trennen“, „Einwegfeuerzeugstichflamme“, „H-Milch“ ) immer so schwer gemacht wird. Der sollte mindestens Platz vier der Albumcharts sein. Aber wenn man Songs wie „Ich würde dir helfen, eine Leiche zu verscharren, wenn’s nicht meine ist“ im Frühstücksfernsehen spielt, wird hierzulande die Luft dünn. Anderswo gäbe es dafür mindestens eine Titelseite im NME. So sieht’s doch aus. Auch Niels hat auf dem Folgealbum „Zettel auf dem Boden“ dem Tapete-Records-Motti-Fundus ein schönes geflügeltes Wort hinzugefügt: „Frustrationstoleranz, (Herr Frevert!)“
Lloyd Cole
„Broken Record“
Bahrenfeld ist nicht genug! Hinaus in die Welt! Wäre es nicht cool, coole Engländer auf dem Label zu haben? Wen mögen wir alle? Jeder von der Tapete-Crew durfte drei Namen auf einen Zettel schreiben, anonym, ganz demokratisch. Auf jedem dieser Zettel stand ein Name: Lloyd Cole. Stundenlang gegooglet, mehrere verwirrte Coles am Telefon gehabt ... und dann der Richtige „Hello, zis is Tapete Records from Hamburg schpeaking. Would you like to be on our label?“ Nach dem zehnten Anruf dann: „For heaven’s sake, yes!“
MOBYLETTES
„Immer schlimmer“
Wir haben ja das Vergnügen, in Hamburg ansässig zu sein. Backen wir uns jetzt kein Ei drauf, ist einfach gut gelaufen. Als Label natürlich ganz toll, da es hier doch ziemlich viele gute Bands gibt. Ein paar davon haben dann auch bei uns veröffentlicht: BERND BEGEMANN & DIE BEFREIUNG, ZIMMERMÄNNER, SUPERPUNK ... und die fantastischen MOBYLETTES. „Immer schlimmer“ ist ein Hammer-Album: Northern Soul, Brill Building Sound & Songwriting und Punk. Wer macht so was? Eben, niemand außer den MOBYLETTES. Und Nixe ist eine der besten Texterinnen der Welt. Ihre Texte sind die Quadratwurzel aus den Lyrics von Morrissey, Gainsbourg und Krug. „MOBYLETTES are the hidden jewel of Hamburg Soul“ hat mal ein Experte geschrieben. Kauft die „Immer schlimmer“-Platte. Irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, wird sie sehr, sehr teuer sein. Das war ein Kundenservice von (ihr ahnt es schon): Tapete Records!
DIE LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN
„Alle Ampeln auf Gelb!“
Tja, welche Liga-Platte kommt in diese Liste? Sind alle 1A. Und eine DLDGG-Platte muss hier rein. Machen schließlich welche von der Belegschaft mit und die meisten Songs wurden zudem im Tapete-HQ in der Stahltwiete 10 nach Feierabend geschrieben. Okay, oder? Nehmen wir „Alle Ampeln auf Gelb!“. Hit-Platte („Kennst du Werner Enke?“, „Alleine auf Partys“, „The Out-Crowd“), aufgenommen im gemütlichen Artikel-1-Kellerstudio von Zwanie Jonson.
DIE HÖCHSTE EISENBAHN
„Wer bringt mich jetzt zu den anderen?“
Yacht-Pop der Soft-Rock-Giganten, natürlich aus Berlin-sur-Mer. Die ganz große Brian Wilson/Steely Dan-Schule. Wie kommt man auf so was? Wir müssen Francesco, Moritz, Max und Felix mal fragen. Und das Allerbeste: dieses Pop-Meisterwerk gefiel nicht nur der In-Crowd, sondern ziemlich vielen beziehungsweise einer ziemlich großen In-Crowd. Folge: Top 20. Wir trauten unseren Augen kaum. Danke, Höchste Eisenbahn, wir haben wieder Hoffnung! DHE sind die Band, „welche die Trampelpfade von dem verlässt, was wir unter ,Popmusik‘ hinzunehmen gelernt haben“. (Bernd Begemann). Tipp: Falls euch Yacht-Rock aus Berlin gefällt, dann gefällt euch vielleicht auch Sunshine-Pop aus Augsburg? Checkt das FRIEDRICH SUNLIGHT-Album aus. Gern geschehen!
THE MONOCHROME SET
„Volume, Contrast, Brilliance Vol. 2“
Die Band, die den Indiepop-Sound erfand, die Band, ohne die es THE SMITHS nicht gegeben hätte, und in letzter Konsequenz (da sie ja den Indiepop-Sound erfand) auch die Band, ohne die es Tapete Records nicht gegeben hätte. Kein Indielabel ohne Indie-Sound, capice? Auch FRANZ FERDINAND, DIVINE COMEDY und BLUR, um nur ein paar Bands zu nennen, haben Bid und Co. ziemlich auf die Finger geschaut. Glaubt ihr nicht? Hört euch „Volume, Contrast, Brilliance Vol. 2“, die dritte Veröffentlichung von TMS auf TR an. Und die sind auf unserem Label! Wie cool ist das?
Robert Forster
„Songs To Play“
Wer hat nicht die eine oder andere GO-BETWEENS-Platte im Schrank? Die etwas älteren TR-Mitarbeiter haben die GO-BETWEENS auch noch live gesehen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ehrfürchtig wir waren, als Forster uns zum ersten Mal im Tapete-Büro besuchte. „Hi, I’m Robert.“ Sehr netter Typ. Und sehr groß, zwei Meter. „Songs To Play“ ist ein Monolith von einem Album und wird in vielen Listen als eines der Top-50-Alben der 2010er Jahre auftauchen. Forster war schon auf einigen super Labels: Postcard, Rough Trade ... und jetzt auf Tapete. Passt!
JAGUWAR
„Ringthing“
Ein Blick in die Zukunft: Im Januar 2018 erscheint bei uns „Ringthing“ von JAGUWAR. Sollte eigentlich schon 2017 erscheinen, aber bei so Shoegaze-Bands dauert es ja gerne mal länger. Ende 2016 erhielten wir eine Mail von JAGUWAR. Sie fragten an, ob sie bei den großartigen britischen Noiserockern THE TELESCOPES Support machen können. „Da hören wir doch mal rein!“, dachten wir, sehr neugierig geworden. Bands, welche die TELESCOPES mögen, haben bei uns schon mal einen Stein im Brett. „Ringthing“ wird unsere erste Veröffentlichung 2018 sein und somit wird das neue Jahr bei uns sehr, sehr, sehr laut beginnen.
HGICH.T
„Mein Hobby: Arschloch“
Pop darf nicht langweilig sein. Keine weiteren Regeln. Maiskolben!
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