TANGLED LINES

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Juice Crew Thrash Trash

Die Geschwisterpaare Konrad (git) und Wolfram (dr) sowie Paul (bs) und Luise (voc) sind seit 2001 als THE TANGLED LINES unterwegs. Die Dresdner haben seitdem eine Handvoll Tonträger herausgebracht sowie eine beachtliche Anzahl von Konzerten in ganz Europa und jüngst auch an der US-Ostküste gespielt. Paul und Wolfi beantworteten mir gemeinsam ein paar Fragen.

Ist Oldschool-Hardcore mehr als 20 Jahre nach seiner Genese noch immer ein adäquates Ausdrucksmittel?


Für uns auf jeden Fall. Wir spielen die Musik, die uns Spaß macht. Ob man das dann Oldschool-Hardcore nennen kann, ist eine andere Frage. Das ist uns auch nicht so wichtig. Wir versuchen auch nicht einer bestimmten Sparte zu entsprechen. Wir treffen uns zum Proben, und die Songs sind dann das, was dabei rauskommt. Meistens kurz und schnell. Mehr Vorgaben gibt es eigentlich auch nicht. Sicher kann man vielleicht sagen, dass die besten Tage schon 20 Jahre her sind, aber uns geht es nicht darum, einem Ideal aus der Vergangenheit, weder musikalisch noch politisch, nachzueifern, sondern die Inspiration im Hier und Jetzt zu finden. Unsere besten Tage sind doch heute. Mit den meisten von den "alten Bands" sind wir sowieso nicht groß geworden, die entdeckt man erst jetzt nach und nach. So gesehen scheinen wir uns durch diese Art von Musik doch sehr adäquat auszudrücken. Zumindest scheint es eine Menge von Leuten zu berühren. Diese Stimmung, aus der diese Musik vor 20 Jahren entstanden ist, ist doch auch noch nicht verschwunden. Sie hat sich zwar etwas verändert, aber das hat sich die Musik ja auch. Ich glaube, wir sind eine ziemlich zeitgenössische Band.

Ihr seid ständig in ganz Europa unterwegs und wart im Frühling 2007 auch drei Wochen in den USA; wohl hauptsächlich dank eines relativ intakten subkulturellen Netzwerkes. Wie wichtig ist euch diese ganze Hardcore/Punk-Szenerie?

Es ist herrlich, dass du sonst wohin auf Tour gehen kannst und schon vorher weißt, dass du dort ein Haufen nette Leute treffen wirst, die dir die Schnitten schmieren, die Shows vorbereiten und mit dir abhängen. Das ganze Rumgetoure geht für uns nur, weil es eben die HC/Punk-Community gibt, ein Netzwerk von Leuten, auf die man sich im Großen und Ganzen verlassen kann und die sich kümmern. Das Beste ist, alles läuft ohne großartige businessmäßige Strukturen - schön D.I.Y. Alle Labels und Leute, die unsere Platten herausbringen und uns mit dem Touren helfen, folgen den D.I.Y.-Prinzipien und sind meistens auch sehr gute Freunde von uns.

Eure Texte sind immer mal direkt, mal augenzwinkernd, Ausdruck von Kritik und Positionen. Warum ist es euch wichtig, Stellung zu beziehen?


Das mit der Kritik kommt ganz automatisch. Es ist doch schwer, einen Text darüber zu schreiben, wie schön und toll die Welt ist, wenn dann doch zu viel Mist passiert. Im täglichen Leben wie "szeneintern". Die Texte drücken aus, was uns ankotzt und was Scheiße läuft. Sie sind auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss, aber immer positiv grundiert. Auf jeden Fall ist es immer wichtig, Stellung zu beziehen gegen jede Art von Unrecht, Menschenverachtung und Faschismus. Es ist doch peinlich, nur über Backstabbing- und Streetgang-Scheiße zu singen oder für eine bestimmte Schuhmarke zu werben.

Die HC/Punk-Szene ist (leider) immer noch sehr männlich dominiert. Frauen werden oft nur als "Accessoires der harten Kerle" wahrgenommen und behandelt. In "With make up and a push up bra" klagt eure Sängerin Luise genau diesen Umstand an. Seid ihr beziehungsweise Luise tatsächlich des Öfteren während der Konzerte/Touren mit Machismus und Frauenfeindlichkeiten konfrontiert?

Leider ja. Am Ende ist die "Szene" auch nur ein Abbild unserer Gesellschaft. Gerade deswegen sehen wir uns immer wieder mit den genannten Dingen konfrontiert. Besonders am Anfang von TANGLED LINES, im frühen 21. Jahrhundert, schien es noch ungewohnt eine Frau am Mikro einer Band zu sehen. Hier und da gab es schon mal dumme Sprüche, aber es scheint, dass sich das in den letzten Jahren geändert hat, insbesondere nachdem Luise mehrmals die Fäuste sprechen lassen musste, haha. Was in letzter Zeit auffällt, ist, dass immer mehr Mädchen zu unseren Shows kommen, die auch aktiv mittanzen und mitsingen können. Wahrscheinlich weil sie nun endlich die Möglichkeit haben, auch mal Lieder mitzusingen, die sie betreffen, und nicht nur die geistigen Ergüsse irgendeines versoffenen und testosterongeschwollenen Halbochsens.

In einem anderen Song namens "Hitler is dead" bezieht ihr explizit Stellung zu Nazis auf Hardcore-Shows. Habt ihr auf euren Konzerten Erfahrungen mit Neonazis gemacht? Und wenn, nur in Deutschland oder auch woanders?

Es kommt immer häufiger vor, dass sich besonders auf den großen Mainstream-Shows auch immer mehr Nazis tummeln, die das meistens auch ganz öffentlich zur Schau stellen. Das liegt, denke ich, daran, dass in den meisten großen Läden am Einlass nicht richtig drauf geachtet wird. Und außerdem sieht der Nazi von heute auch nicht mehr aus wie ein Skinhead, sondern eher wie ein Hardcore/Rockabilly-Kid, also wie alle anderen mit schönem Haarschnitt und Stoffschuhen. Die meisten der Besucher solcher Shows scheint das auch nicht zu interessieren, Ich jedenfalls musste fast kotzen, als ich das zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen habe. Auch auf einem Konzert von uns ist das schon vorgekommen, dass sich welche reingeschlichen haben, das haben wir dann zusammen mit den anderen nach der ersten Band abgebrochen und die Leute mussten wieder nach Hause gehen, weil die Nazis lieber am Tresen stehen bleiben wollten. Mindestens genauso schlimm wie Nazis auf Shows sind Leute, denen es egal ist, ob welche da sind oder nicht. Und diese werden meines Erachtens immer mehr, gerade eben bei so größeren Sachen oder "Dorf-Metal"-Shows. Auf keinen Fall aber ist es nur ein deutsches Problem. Besonders in Osteuropa gibt es regelmäßig Angriffe auf Shows. In Vilnius auf unserer Baltikumtour gab es zum Beispiel einen Tränengasanschlag von Nazi-Hools auf unser D.I.Y.-Konzert, bei dem glücklicherweise keiner verletzt wurde und in Liepaja, in so einem zwielichtigen Rockschuppen, hatte einer der Türsteher ein fettes Hakenkreuz-Tattoo auf dem Hals. Auch in einer anderen Stadt auf dieser Tour schienen Nazis ein- und auszugehen in dem Club, in dem wir dort spielen sollten, zumindest einen Proberaum hatten die dort im Keller. Zur Show war glücklicherweise keiner der Wichser da.

Ihr habt seit Bandgründung im Jahre 2001 "nur" Kleinformate und Split-Platten veröffentlicht. Wird es nicht Zeit für ein Full-Length?

Wir sammeln schon seit unserem letzten Release Anfang letzten Jahres Material und Ideen für ein Full-Length-Album. Nur ist unsere Proberaumzeit so knapp, dass wir kaum Lieder schreiben. Aber in diesem Jahr wird es sicher was. Das nächste Release ist eine Diskografie-CD auf Refuse Records in Polen und Läja Records in Brasilien.

Wolfi, du bist ja seit einiger Zeit als Drummer bei der Amsterdamer Hardcore/Punk-Band VITAMIN X an Bord. Wie kam es dazu?


Das spielte sich alles Ende letzten Jahres ab und es ging so schnell. Ich war gerade auf Hartz IV mit einer Nebenbeschäftigung und da ist mir das Jobangebot von VITAMIN X sehr gelegen gekommen. Also hab ich eine Mappe mit Live-Fotos von mir zusammengestellt und mit einer Bewerbung, sowie einem tabellarischen Lebenslauf nach Amsterdam geschickt. Nachdem ich diese erste Hürde genommen hatte, durfte ich zum Vorstellungsgespräch, nach intensiver Vorbereitung - dem Lernen von 25 Liedern - in Amsterdam antanzen. Nach gelungenen ersten Proben, einem ausführlichen Briefing und einem Crashkurs in Niederländisch wurde ich feierlich als neuer Schlagzeuger der internationalen Presse vorgestellt.

Überhaupt seid ihr alle nebenbei noch in einer Vielzahl verschiedener Bands aktiv, Wolfi spielt noch bei VITAMIN X, THE FIGHT und KOMMISSAR X, Luise bei SUGAR CRASH, Paul bei JULITH KRISHUN und KOMMISSAR X, und Konni bei DEPRESSIVE STATE und KOMMISSAR X. Wie bekommt ihr die ganzen Projekte koordiniert?

Einfach ist es auf keinen Fall. Jeder von uns hat eine Zweitband, doch besonders für Wolfi ist es natürlich am schwersten, weil VITAMIN X die meiste Zeit im Moment beansprucht. Mit THE FIGHT hat er fast ein Jahr lang nicht geprobt, seit er bei VX eingestiegen ist. Mit TANGLED LINES haben wir dadurch 2007 ungefähr nur sechs Mal proben können, obwohl wir über 50 Konzerte gespielt haben, und KOMMISSAR X liegt bis auf weiteres auf Eis - hoffentlich taut er nächstes Jahr wieder auf. Alle anderen Projekte laufen ganz gut, und lassen sich auch gut koordinieren. Meistens gilt: Wessen Show zuerst steht, der hat sie, alle andern haben Pech, haha.

Was macht ihr außerhalb der Bandaktivitäten?

Paul studiert Kunst, macht Shirtdesigns und Artworks nebenbei und sporadisch noch das Flying Tiger-Tape-Label. Konni studiert Landschaftsbau und nimmt Bands auf. Luise studiert Mode, betreibt ihr eigenes kleines Klamotten-Label "Mein Hansi" und engagiert sich stark in der lokalen Antifa. Wolfi jobbt in Amsterdam, fährt Fixie, sammelt Zines und gibt "How to do a good working band"-Workshops.

Was motiviert euch, so viel Zeit, Mühe und Kraft in die "Szene" zu investieren?

Der Spaß an der Freude. Man lernt so viele nette Leute kennen, reist herum, trifft neue und alte Bekannte, neue geile Bands. Außerdem gibt es soviel positives Feedback und ein schönes Gefühl, wenn man ein richtig cooles Konzert gespielt hat und in einigen Abständen ein eigenes Stück Vinyl in den Händen hält. Bis jetzt hat es sich nur ausgezahlt.