SWORN ENEMY vs. EARTH CRISIS

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Entweder du hast es oder du hast es nicht

Sie wollen die totale Weltherrschaft, kommen aus New York und neuerdings kriegt das Tough-Guy-Image von ihnen aufs Maul: SWORN ENEMY. Eine Band, die unterschiedliche Musikeinflüsse vereint und deren Mitglieder viele Freundschaften und Projekte mit anderen Bands pflegen. Kein Album, das von Kompromissbereitschaft zeugt, kein Thema, das zum Kuscheln einlädt. Trotzdem scheint die Band mit ganz unterschiedlichen Leuten und Einstellungen gut zurecht zu kommen. Jüngstes Beispiel ist möglicherweise ihr Deutschlandgastspiel zusammen mit EARTH CRISIS. Also vielleicht doch Kompromissbereitschaft und Rücksichtnahme? Genug Stoff für ein Gespräch. Gitarrist Lorenzo Antonucci stand Rede und Antwort, und durch einen glücklichen Zufall fand dann auch noch Karl Buechner von EARTH CRISIS seinen Weg in das Interview.

Als ich zum ersten Mal den Titel des Albums hörte, „Total World Domination“, dachte ich kurz, jetzt sind sie größenwahnsinnig geworden. Aber beim Hören dachte ich dann, dass der Titel doch zum Inhalt und Sound des Albums passt. Aber jetzt mal ehrlich, wie würde die Welt aussehen, wenn ihr sie beherrschen würdet?

Lorenzo: Ich glaube, im Zusammenhang mit der Platte und unserer Musik bedeutet „Beherrschen“ für uns nicht, dass wir der Welt schaden wollen, sondern mehr, dass wir so viele Konzerte in so vielen Ländern, wie nur irgend möglich, spielen und dabei einfach jedes Publikum begeistern wollen. Wenn wir das hinkriegen könnten, dann wäre ich glücklich. Natürlich wäre es super, mit so einer Platte auf der ganzen Welt Anerkennung zu ernten, aber das wird wohl nicht passieren. Wir machen, was wir machen, wir geben unser Bestes und versuchen, was wir können. Für uns bedeutet es, überall auf der Welt zu touren und Fans zu haben, in einer gewissen Art auch Erfolg zu haben, was für uns ein echter Segen ist. Weil Leute wie wir sonst eigentlich nicht viel zu erwarten haben. Mit dem neuen Album sind wir zu unseren Wurzeln zurückgekehrt, aber wir haben auch die Thrash- und Metal-Elemente beibehalten, was uns selber am besten gefällt.

Lorenzo, du hast mal in einem Interview gesagt, ihr interessiert euch nicht für Genres. Es sei euch egal, weil ihr einfach das macht, wozu ihr Lust habt. Und das wirkt auf mich, gerade in Kombination mit der neuen Platte „Total World Domination“, als wäret ihr keine Band, die jetzt unbedingt Kompromisse eingehen würde. Aber ist das wirklich so? Ihr seid gerade auf Tour mit EARTH CRISIS, sie sind eine Straight-Edge-Band und ihr nicht. Ich habe gelesen, beide Bands seien gut befreundet. Wie funktioniert das, ohne Kompromisse einzugehen?

Lorenzo: Also ich finde es gut, dass jemand wie Karl so leidenschaftliche Texte über seinen Lebensstil schreibt und darüber Straight Edge zu sein. So wie ich ihn verstehe, bedeutet Straight Edge für ihn nicht, jedem vorzubeten, er solle es auch machen. Er möchte nicht der Vater für jeden sein, oder Vater-Figur. Er macht es eher nach dem Motto „So lebe ich nun mal und darüber möchte ich gerne reden, warum es für mich gut ist, so zu leben.“ So zumindest sehe ich Karls Texte. Und wenn es um Straight Edge im Allgemeinen geht oder die Gründe, warum Leute Straight Edge sind. Ich selbst hatte nie den Drang, Straight Edge zu sein. Nicht, dass ich irgendwas dagegen hätte, tatsächlich bewundere ich die Jungs. Klar, hatten Karl und ich diese Diskussion schon mal, aber wie viele andere Leute auf der Welt sind denn überhaupt noch Edge? Und haben sich nicht aufgelöst? Ich respektiere das. Er wird demnächst 39 und immer noch Straight Edger zu sein, in dem Alter ...

[Karl Buechner von EARTH CRISIS ist in der Zwischenzeit backstage gekommen und hört zu.]

Wie ist das für dich, Karl, siehst du das genauso? Hast du jemals das Gefühl, du musst einen Kompromiss eingehen, was deinen Lebensstil oder deine Einstellung angeht?

Karl: Für mich war Straight Edge nie wirklich eine Anstrengung. Ich hatte niemals die Lust zu trinken, zu rauchen, Drogen zu nehmen oder wechselnde Geschlechtspartner zu haben. Als ich also damals Straight Edge für mich entdeckte, als ich jünger war, war es etwas, das perfekt zu meinem Lebensansatz passte. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mir irgendetwas vorenthalte. Ich sehe das eher so, dass ich mich von Problemen befreie. Ich entferne einfach eine ganze Reihe von Hindernissen auf meinem Weg, die meine persönliche Sicherheit, Gesundheit und meinen Erfolg bedrohen könnten. Leute wie Lorenzo oder meine Mutter und mein Vater trinken. Meine Mutter ist Professorin und mein Vater Architekt und Lorenzo ist Gitarrist und Sänger. Offensichtlich hat der Alkohol sie in keiner Weise daran gehindert. Sie fahren nicht betrunken Auto, sie betrinken sich nicht und werden dann gewalttätig gegenüber ihren Freunden oder ihrer Familie. Ich habe aber gesehen, wie es ist, wenn jemand versucht, Straight Edge zu sein und vegan, und das als Belastung empfindet. Dann wäre es sicher das Cleverste für ihn, sich davon fern zu halten, weil es eine lebenslange Verpflichtung ist. Und das ist meiner Meinung nach einer der mächtigsten Aspekte der ganzen Straight Edge-Sache, der die Leute so anzieht. Einige Leute benutzen Straight Edge, um sich abzugrenzen, indem sie eben alkohol- und drogenfrei leben. Für mich ist Straight Edge anders, ich möchte mich nicht von den Menschen entfernen oder abgrenzen, sondern nur von den Problemen, die etwa Drogen mit sich bringen.

Man könnte also sagen, ihr habt beide eine sehr liberale Position eingenommen. Ihr versetzt euch in die Situation des anderen und denkt darüber nach, was seine Gründe sein könnten, so zu handeln, und wie er sich wohl fühlt ...

Lorenzo: Ja genau. Wer zur Hölle bist du, dass du mir sagen kannst, wie ich leben soll? Okay, du trinkst nicht, du nimmst keine Drogen, das ist dein gutes Recht. Genau so ist es mein gutes Recht, gerne Bier zu trinken. Ich übertreibe es nicht, auch wenn ich natürlich schon bescheuerte Sachen gemacht, wenn ich betrunken war. Man lernt halt nie aus. Ich hab’s trotzdem geschafft, Freundschaften zu pflegen, ich halte mein Wort und meine Versprechen. Ich kümmere mich um meine Freunde und Familie, ich bin loyal bis zum Äußersten.

Zu was anderem: Auf der neuen Platte befindet sich dieser gefakete Anruf, den ich ich als einen Angriff auf das Tough-Guy-Image verstehe.

Lorenzo: Nein, das ist ein echter Anruf. Wir haben da so eine Mailbox im Internet geschaltet, und Leute können darauf anrufen und dir eine Nachricht hinterlassen. Und das hat uns einer da draufgequatscht: „Hey yo, SWORN ENEMY ah, this is your boy big D, representing, you know, ah, tough guys everywhere, being real tough and stuff, you know, being awesome. Me and my boys, we’re just working out and being real tough and we like listening to SWORN ENEMY, cause it is really tough to listen to SWORN ENEMEY and it makes you tough ...“ Das ist echt unglaublich. Total bescheuert. Und wir haben bis heute keine Ahnung, wer der Typ ist.

Aber meint ihr nicht, dass viele Leute in der Szene denken, dass die Musik genau so verstanden werden soll? Und mal ganz ehrlich, soll einen Hardcore nicht tough machen ...? Schaut man sich die Texte vieler Bands an, so geht es doch häufig darum, dass man echt hart sein muss, um den ganzen negativen Einflüssen standzuhalten und letztendlich entgegenzuwirken.

Karl: Ja, die Leute fangen irgendwie an, so eine Cartoon-artige Sicht auf den amerikanischen Hardcore zu entwickeln, und das ist echt bizarr, denn ganz offensichtlich sind die meisten Statements in den Songs Metaphern oder handeln von persönlichen Konflikten und Erfahrungen, und das eigentliche Ziel ist doch, negative Energien und Aggressionen oder Trauer abzubauen. Letztendlich soll das Ganze einen positiven, dich aufbauenden Effekt haben, sowohl für die Leute, die diese Musik machen, wie hoffentlich auch für die Leute, die die Musik hören. Egal, ob bei SWORN ENEMY oder HATEBREED oder EARTH CRISIS oder REIGN SUPREME oder TERROR, egal wer ... Hinter der Musik steckt eine psychologische Wirkung: Sie ist ein Ventil und soll dabei helfen, etwas heraus zu lassen. Sie ist etwas sehr Leidenschaftliches.

Wie siehst du das, Lorenzo? SWORN ENEMY als Band erscheint mir zumindest insgesamt als physisch ziemlich tough ...

Lorenzo: Na ja, ich bin mit ziemlich toughen Typen groß geworden, aber ich würde mich nicht als Tough Guy bezeichnen. Ich habe vor niemandem Angst und wehre mich gegen jeden, das stimmt, aber ich bin nicht der beste Kämpfer auf der Welt. Ich bin kein Tough Guy, ich bin einfach Lorenzo und hier, um Spaß zu haben. Natürlich habe ich mich auch mal geprügelt ...

Karl: Ich halte das Tough-Guy-Image sowieso insgesamt in Bezug auf Hardcore für komplett deplatziert. TERROR haben einen Anti-Drogen-Song. MADBALL singen: „I thank god and all my family“ ... wie lebensnah und positiv ist das? Das ist doch großartig.

Lorenzo: Ja, das ist kein bisschen tough.

Karl: Ich meine, hör dir doch den ganzen Mist an, den es sonst noch gibt da draußen, mit Texten wie „Opfert Tiere für den Teufel!“ oder „Brennt die verdammte Kirche nieder!“, über die angebliche Überlegenheit der weißen Rassen oder irgend so ein Schwachsinn. Diese ganze Gangsterattitüde, das ist doch alles Quatsch. Hardcore erhält in meinen Augen nie den Respekt, den er dafür verdient, eine positive und aufbauende Botschaft zu verbreiten.

Lorenzo: Ja, ich meine, das ist ja genau das, was Hardcore ausmacht: Ein realistischer Lebensstil. Du kannst das nicht in irgendeinem Laden kaufen, du musst es einfach leben. Du wirst an diese Sache herangeführt, weil du sie bereits in deinem Herzen hast. So zumindest sehe ich das. Du bist nicht auf einmal Hardcore, nach dem Motto: Ich war Gothic, jetzt bin ich Hardcore.

Karl: Ja, man erkennt es einfach. Es ist fast so, als ob man auf einen Spiegel zugeht und darin ein Spiegelbild deiner eigenen Gedanken, Erfahrungen und Überzeugungen in anderen Menschen sieht und du schließt dich ihnen an. Zumindest ging es mir so, als ich anfing, WARZONE und AGNOSTIC FRONT zu hören.

Lorenzo: Ja, es gibt keine Möglichkeit, einfach ein Hardcore T-Shirt anzuziehen, was weiß ich, von EARTH CRISIS und du bist Straight Edge oder von MADBALL, schon bist du Hardcore. Hardcore gibt es nicht zu kaufen, er ist in deinem verdammten Herzen.