Sänger und Gitarrist Michael Wahler, alias „Cäpt’n Suurbier“, war der Mitbegründer, kreative Kopf, Antreiber und Ausbremser der Berliner Funpunk-Band DIE SUURBIERS in Personalunion, und es sind im Zusammenhang mit der jüngst erschienen, mit viel Zeitaufwand und purer Liebe gefertigten Doppel-LP nicht wenige Stimmen ehemaliger Kollegen zu vernehmen, die den streitbaren Charakter dieses bisweilen etwas tragikomischen Freigeists kritisch nachzeichnen. Ich selbst habe ihn leider nicht mehr persönlich kennen lernen können, denn am Valentinstag 2014 nahm er sich das Leben.
Zuverlässig, berechenbar und stets friedfertig war Wahler eben nicht wirklich und doch gehört es nur allzu häufig zur Charakteristik eines Frontmannes. Aber da war ja noch vor allem sein anderes, positives, kreatives Schaffen, das bis heute nachwirkt. 1981 gründen sich FRAU SUURBIER als Trio – mit Thomas Mindach am Schlagzeug – und es entsteht eine wichtige Keimzelle des deutschen Fun-Punk. Bereits am Bass: Hans „Sahnie“ Runge, der später mit dem 1982 als Aushilfsdrummer bei den SUURBIERS tätigen Bela B. DIE ÄRZTE gründen wird. Der dritte „Arzt“ Jan Vetter ging mit Micha Wahler gemeinsam zur Schule, so dass sich ein Kreis bereits früh vorerst schließen lässt: Berlin Reinickendorf – Hort des heiteren Punk- und Billy-affinen Liedguts, obwohl doch Reinhard Mey in unmittelbarer Nachbarschaft musizierte. Dann stößt Wolfgang „Wölli“ Rohde als Drummer zur Band, die von 1982 bis 1984 mit der Besetzung Sahnie, Micha und eben Wölli eine gewisse Konstanz erlangt, ehe Wölli nach fast vier Jahren SUURBIERS zu den TOTEN HOSEN wechselte. In der Spielzeit 1984/85 geht Sahnie zu DIE ÄRZTE und wird von Tom Baumgarte abgelöst, ehe Michael Beckmann, heute wieder im „Kader“, diesen ablöst. Zählt man alle Musiker zusammen, kommt man im Laufe der Jahre auf 17 SUURBIERS, plus neun (!) weitere Musikerinnen und Musiker, die an Nebenprojekten oder den wenigen Plattenaufnahmen beteiligt sind.
Bedenkt man, dass die Gruppe bis dato auf Vinyl nur die Mini-LP „Kein Mann für eine Nacht“ (1985, Weserlabel) plus die EP „Zwei Boys! Jedes Girl!“ (1991 auf Polydor) zustande bringt, wird schnell klar, dass es sich einfach um eine vor allem live hervorragend performende Combo handeln muss. Der profunde Szenekenner Tom Druschba hierzu: „Konzerte waren eigentlich auch immer Micha-Suurbier-Shows. Er war ein Entertainer und konnte auch alleine so einen Laden unterhalten. Solche Konzerte liefen ziemlich familiär ab, aber keine Familie ohne Streit. Micha konnte manchmal aus kleinsten Anlässen fuchsig werden, und das, sowie sein körperlicher Zustand waren auch mit ein Grund, warum von ihm zu Lebzeiten so wenig veröffentlicht wurde.“
Noch ehe die mittlerweile zum Quartett gewachsene Gruppe für eine ganze Dekade (1991 bis 2001) ruht, kommt die von Michael Beckmann produzierte Single 1991 auf den Markt. Sie stellte eine – wenn auch nur sehr kurze – temporäre Abkehr von der Fun-Punk- und Spaß-Billy-Attitüde dar, die SUURBIERS zeigen sich hier unerwartet sozialkritisch. Tom Druschba sieht übrigens auch heute noch nicht die Billy- und Fun-Elemente als so entscheidend an: „Das mit dem Rockabilly war für Micha mal eine Phase, aber nicht so prägend. Ich finde auch nicht, dass das nun so ganz unbedingt das ganz große Fun-Punk-Ding war, immer im Sinne von komisch, lustig, tralala. Das war immer originell, aber nicht wie bei einigen Witzfiguren, wo ein Späßchen das nächste jagt.“
Im Song „Zwei Boys für jedes Girl“ heißt es: „Barbara aus Ostberlin, wollte immer mal nach California. Aber jetzt kommt die Arbeitslosigkeit. Der Kanzler macht uns alle kalt. Wir machen ’ne neue Revolution“. Beckmann: „Der Song bezog sich auf die damalige Umtauschquote zwei Ost- für eine Westmark. Der ,Cäpt’n‘ hatte wie viele einfach das Gefühl, dass die Wiedervereinigung nicht so richtig gut lief, und die Gräben waren zwischen Ost und West zwei Jahre nach dem Mauerfall noch ziemlich gewaltig. Zum anderen kam im Osten ein gewalttätiger Rechtsextremismus auf.“
Beckmann spielte zunächst bis 1987 bei den Nordberlinern, ehe er vollständig zu den RAINBIRDS wechselte und mit diesen (inklusive Rod, dem heutigen DIE ÄRZTE-Bassisten) seine erste goldene Schallplatte einfuhr. Beckmann erheitert:„Ich hatte dann als Erster, noch vor unseren Kumpels DÄ und DTH, eine Goldene. Aber das war nicht geplant. Mir wurde das mit den RAINBIRDS auch alles nach drei Jahren zu viel, weshalb ich mit Rod und Bela DEPP JONES gegründet habe.“
Doch wie entstand nun die durchaus ambitionierte Idee, noch einmal mit den SUURBIERS aktiv zu werden? „Wir haben alle zusammen bei Cäpt’n Suurbiers Beerdigung in der Kirche ,3 Akkordwunder‘ gespielt und hinterher bei der Trauerfeier im Clash noch weitere SUURBIERS-Songs. In den folgenden Wochen meldete sich immer wieder ein anderer Suurbier bei mir. Beim ersten Gig in Düsseldorf standen sieben (!) ehemalige SUURBIERS auf der Bühne. Das hat mächtig gerockt! Drei Gitarren, zudem singen Stefan „Overnight“ Fiebig, Ekki Busch durchgehend und ich die schnelleren Punk-Sachen, Akkordeon und Bass. Ich fühlte mich, als ob ich bei den DROPKICK MURPHYS wäre. Die größte Überraschung beim Gig war, dass ich hinterher mit mindestens zwanzig Leuten geredet habe, die zum allerersten Mal in ihrem Leben die SUURBIERS live gesehen haben. Weil sie 1987, als wir das letzte Mal außerhalb von Berlin spielten, auch oft noch gar nicht geboren waren ... Wenn man nach knapp dreißig Jahren wieder in Düsseldorf spielt und wie damals Andi Meurer und Breiti vorbeischauen, und dann beim Finale Fabsi, Isi (unter anderem ex-ZK) und Elf (SLIME, DIE MIMMI’S) auf der Bühne mit uns ,Bis zum bitteren Ende‘ singen, also mehr geht nicht.“ Dennoch wolle Beckmann nichts von einer „Reunion“ wissen.
Doch die Frage nach der Tragik um Michael Wahler bleibt doch irgendwie wie ein Damoklesschwert in der Luft hängen und lässt alte Fans hie und da mit einem mulmigen Gefühl für neue Auftritte unter altem Namen zurück. Warum war es so schwer mit ihm, was war der Grund dafür? Das Konglomerat aus autoritärem Vater, früh verstorbenem, geliebtem Bruder und eigenen Depressionen ganz gewiss. Doch seine Streitbarkeit, Kreativität und Kantigkeit lassen ihn unvergessen bleiben. Tom Druschba: „Als er dann krank wurde, ging das auch mit seiner Bühnenshow nicht mehr so weiter, und er war nach einer Dreiviertelstunde fix und alle. Später, als Micha ruhiger wurde, haben wir uns dann über Portwein und gutes Essen unterhalten.“
Und so wie ein Portwein, den man am besten erst zwanzig bis dreißig Jahre nach seiner Abfüllung verköstigt, ergeht es mir beim Anhören der 24 Songs auf den beiden SUURBIERS-Scheiben. Es erfreut einen die Nostalgie, es berührt einen der vielschichtige, oft heitere Inhalt aus einer ganz anderen Zeit, der des alten, einzigartigen West-Berlins nämlich. Man hört dieses musikalische Vermächtnis mit gehörigem Respekt und einer gewissen Traurigkeit. „Suurbier lebt, so wie die wahre Liebe, die niemals untergeht“ heißt es in einem Song. Dem ist nichts hinzuzufügen! Außer: Danke, Michael Wahler!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #120 Juni/Juli 2015 und Markus Franz
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #119 April/Mai 2015 und Markus Franz