SUCKINIM BAENAIM

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Kontaktfreudige Extremsportler

Eine unglaubliche Live-Band! Auf den „Heartcore-Tagen“ im AJZ Wermelskirchen waren sie für mich die unterhaltsamste Band: ein Wirbelwind von Sänger, der in Socken durch den Saal tobte und dabei Vokalakrobatik à la Mike Patton vollführte, getrieben von einer Band, die hart, schnell, komplex und wirr zugleich agierte. Da bekam man den Mund nicht mehr zu, und so bat ich die Band aus Tel Aviv im Anschluss zum Interview. SUCKINIM BAENAIM sind Sefi (Bass), Nir (Drums), Ehud (Vocals) und Guy (Guitar). Die Band hat eine 10“ raus, die es auch als CD gibt, und eine Split-7“ mit ACHZAVOTH, die auch aus Israel sind. Und demnächst kommt noch eine neue 7“ mit den Belgiern THE BRAVE DO NOT FEAR THE GRAVE.

Das war eines der erstaunlichsten Konzerte, das ich seit langem gesehen habe. Was bringt euch dazu, so was zu tun?

Ehud: Keine Ahnung. Das hat wohl was mit Adrenalin zu tun. Und wir versuchen, Musik zu machen, die man so vorher noch nicht gehört hat. Und wir treiben uns an, immer noch wilder und verrückter zu sein. Das Ziel ist, anders zu sein, damit sich die Leute hinterher fragen: „Was war das denn?!“ Wenn wir diese Reaktion erreichen, waren wir erfolgreich.

Guy: Wir hatten uns von Beginn an vorgenommen, Punkrock zu machen, aber nur der Idee nach, nicht der musikalischen Norm entsprechend.

Wieso? Hattet ihr zu viele „normale“ Bands gesehen?

Guy: „Gesehen“ sicher nicht, wir kommen ja aus Israel, wo kaum mal eine ausländische Punkband tourt. Metal-Bands schon eher, oder Metal-Bands, die manche als Hardcore bezeichnen, HATEBREED etwa.

Ehud: Und ein paar D.I.Y.-Bands touren da auch, JULITH KRISHUN etwa, oder HORSE THE BAND. Von den immer gleichen Bands, die wir hörten, hatten wir irgendwann die Schnauze voll, von den ganzen Trends wie Thrash, Grindcore und den ganzen TRAGEDY-Nachahmern. Was wirklich Neues gab es nicht, alle Bands kopierten sich gegenseitig, und da verspürten wir das Bedürfnis, etwas Eigenes zu schaffen.

Es steckt also die bewusste Entscheidung, anders zu sein, hinter eurer Musik.

Guy: Exakt. Wir kommen alle aus der gleichen Szene, aber jeder von uns hat seine eigenen Einflüsse. Für mich waren THE LOCUST eine Band, die mich Musik mit anderen Augen sehen ließ. Die zeigten mir, dass es noch was anderes gibt, als einfach nur schnell zu spielen. Klar, macht es Spaß, mit seinen Freunden einfach nur Pop-Punk oder Hardcore zu spielen, doch um wirklich etwas Eigenes zu schaffen, muss man was anderes machen. Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg ...

Ehud: ... auf der Autobahn, hahaha.

Jello Biafra sagte, ihn faszinierten Sänger, die richtig aus sich herausgehen. Ich denke, er hätte auch an dir, Ehud, seinen Spaß.

Ehud: Auf Tour in Europa legen wir immer noch einen drauf. Wenn sich die Band auf der Bühne bewegt, besteht auch die Chance, dass sich die Leute im Publikum bewegen. Wenn wir spielen, sind wir nicht mehr wir selbst, wir stehen neben uns, die Muskeln fangen an, sich von alleine zu bewegen, das ist großartig.

Guy: Wenn wir uns bewegen und die Leute sich bewegen, ist das eine Art von Kommunikation, die sich verstärkt. Und je mehr Bewegung da ist, desto mehr fühlen wir uns motiviert.

Ihr kommt aus Tel Aviv.

Guy: Ja, und aus Orten in der Umgebung. Tel Aviv ist so was wie das Berlin von Israel, da spielt sich das Leben ab. Es gibt da eine Szene, aber sie ist nicht groß genug, um für jedes Genre eine eigene Nische zu haben. Und die meisten Bands bestehen auch aus den immer gleichen Leuten, also jeder spielt in mehreren Bands, und jeder beherrscht auch verschiedene Instrumente. Die Metal-Szene ist auch recht groß, aber die bleibt eher für sich.

Ehud: Die Pop-Punk-Szene ist in letzter Zeit auch etwas gewachsen. USELESS I.D. sind da sicher die bekannteste Band. Mir ist es am liebsten, wenn sich die Szene nicht so in verschiedene Nischen aufspaltet, so was finde ich immer engstirnig. Ich mag Offenheit, und das zeichnet die Szene in Tel Aviv eigentlich aus, da geht jeder zu jedem Konzert, letztlich besteht sie auch gerade mal aus 200 Leuten oder so.

Guy: Die Konzerte bei uns sind auch ganz anders als in Europa, denn das Publikum und die Bands sind voller Adrenalin, alle tanzen und springen.

Wieso ist das so?

Guy: Ich weiß auch nicht. Vielleicht haben wir mehr Aggressionen in uns, die wir loswerden müssen.

Ehud: Ihr habt hier ständig Konzerte von zig tourenden Bands, in Westdeutschland und Holland seid ihr echt übersättigt. Die besten Konzerte hier spielen wir meist in kleinen Orten.

Eure Situation ist ja ähnlich der von australischen Bands: Die Möglichkeiten zum Touren im eigenen Land sind sehr begrenzt.

Guy: Touren? Das ist ein Witz. Alle Städte sind höchstens eine halbe Stunde voneinander entfernt, hahaha. „Hey, morgen müssen wir echt lange fahren – zwanzig Minuten!“

Ehud: Auf dem Fahrrad, haha. Faktisch sind es nur drei Städte, die in Frage kommen, nämlich Haifa, Tel Aviv und Jerusalem. Und egal, wo du spielst, die meisten Leute im Publikum kommen aus Tel Aviv.

Meine Frage mag naiv sein, aber in einem der Länder um Israel herum zu spielen ist völlig ausgeschlossen?

Guy: Nein, so kann man das nicht sagen. Im Libanon etwa gibt es eine recht große Metal- und Hardcore-Szene, und als ausländische Band kann man da durchaus Konzerte spielen. Allerdings gibt es danach für Ausländer mit einem Stempel aus dem Libanon im Pass sicher Probleme bei der Einreise nach Israel. Für uns selbst ist es aber ausgeschlossen, da zu spielen. Ägypten wäre vielleicht möglich, aber von offizieller Seite wird davon abgeraten.

Der logische Schritt ist also, nach Europa zu fliegen.

Guy: Ja, das ist ganz einfach. Anfang der Neunziger tourten die ersten israelischen Bands in Europa, die öffneten damit die Tür für alle anderen, und seitdem ist das ganz normal. Die andere Option sind die USA, aber Europa ist näher. Wir sind dieses Jahr das zweite Mal in Europa, haben überall in Deutschland gespielt, außerdem in Belgien und England. Letztes Jahr waren wir in Deutschland, Tschechien, der Slovakei und Bosnien.

Und gab es irgendwelche Vorbehalte gegenüber einer Tour in Deutschland?

Guy: Nein, überhaupt nicht. Ehud, ist in deiner Familie jemand im Holocaust umgekommen? Nein? In meiner Familie allerdings gab es Tote, und meine Mutter bekam von ihrer Mutter all die Geschichten erzählt, aber ich wurde nicht zum Hass auf Deutsche erzogen.

Ehud: Das ist doch alles auch schon über 60 Jahre her, also was soll das.

Guy: Richtig miese Gefühle in uns erwecken höchstens die Antideutschen. Was für für Bekloppte! Die wollten, dass wir mit ihnen ein ehemaliges Konzentrationslager besuchen, und dass wir eine israelische Flagge aufhängen. Aber Nationalismus ist dumm, egal, welche Flagge da geschwenkt werden soll.

Ehud: Aber ich will die Antideutschen nicht verurteilen, die wissen es einfach nicht besser, die waren wohl noch nie in Israel. Es ist fehlendes Wissen, das sie zu diesem Denken bringt. Es ist genau wie mit Antisemitismus: So jemand hasst die Juden, weiß aber gar nicht warum. Und die Antideutschen mögen die Juden, wissen aber auch nicht warum, hahaha. Irgendwie ist das also dasselbe, hehehe. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man nicht den Fehler wiederholen sollte, ein Land zu schaffen, das nur für eine Ethnie oder eine Religion da ist, denn das bringt nur weitere Probleme. Man muss ein Land schaffen für die Freiheit des Denkens, doch die Antideutschen sind der Meinung, dass für die Sicherheit der Juden ein Staat nur für diese die beste Lösung ist. Das aber löst kein Problem, sondern schafft nur ein neues. Ansonsten haben wir als Band keinen politischen Anspruch oder eine Message, aber persönlich hat natürlich jeder von uns eine Meinung. Unser gemeinsamer Anspruch ist, anders zu sein.

Guy: Und Spaß zu haben.

In Deutschland besteht zwar Wehrpflicht, aber seit den Siebzigern hat man sich entweder durch Umzug nach West-Berlin oder Zivildienst dem Uniformtragen entzogen. In Israel ist das anders, Zivildienst gibt es nicht, und wer totalverweigert, geht in den Knast und muss mit erheblichen Problemen im späteren Berufsleben rechnen. Wie geht man als Punk mit so etwas um?

Ehud: Die meisten Leute aus der Punk-Szene haben den Mut, sich ihrer Einberufung zu verweigern – inklusive mir und all meiner Bandkollegen. Keiner von uns war bei der Armee, aber wir haben nicht den Wehrdienst verweigert unter Berufung auf eine pazifistische Einstellung. Sowieso funktioniert das bei uns nicht richtig, die stecken dich trotzdem für eine Weile in den Knast und man versucht da höchstens, sich etwas zu beweisen, was in einem Staat wie Israel sowieso nicht bewiesen werden kann – ich finde das recht sinnlos. Deshalb haben wir uns für einen anderen Weg entschieden, der allerdings auch unser Leben noch stärker beeinflusst hat: Wir haben uns wegen psychischer Probleme ausmustern lassen. So was hat verschiedene Folgen: Man kann in verschiedenen Berufen mit so einer Diagnose nicht arbeiten, manche Freunde brachen den Kontakt zu uns ab, wir hatten viel Streit mit den Eltern, trafen auf generelles Unverständnis für so eine Entscheidung – es gab da viele hässliche Szenen. Es ist echt hart, so eine Entscheidung durchzuziehen, so dass manche Leute sich dann doch für drei Jahre Armee entscheiden. Im Knast war bis auf Sefi zum Glück keiner von uns, aber sein Fehler war, sich erst gegen die Armee zu entscheiden, als er schon bei der Armee war, und das machte die Sache etwas schwerer.

Wie muss ich mir das vorstellen mit den „psychischen Problemen“?

Die Armee fängt an, die Jugendlichen zu mustern, wenn sie 16 sind, und dazu gehören körperliche wie psychologische Untersuchungen, Intelligenztest, und so weiter. Danach wird deine Tauglichkeit festgestellt. Sich bei diesen Tests als „geisteskrank“ durchzumogeln, ist eine ganz schön harte Sache, aber so machen das eigentlich all die Leute aus der israelischen Punk-Szene, die nicht zur Armee wollen. Ich würde mir wünschen, es gäbe in Israel einen Zivildienst, aber diese Option sehe ich nicht. Freiwillig kann man so was zwar machen, aber das rettet dich nicht vor dem Armeedienst. Und abgesehen davon wird in Israel einfach ganz allgemein akzeptiert, dass die Armee Teil des Lebens ist: Du gehst zur Schule, und wenn die vorüber ist, gehst du drei Jahre zur Armee und dann hast du deinen Job und machst jedes Jahr einen Monat lang deinen Reservisteneinsatz.