SUCK AND FUCK AND COOK AND CLEAN

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Von Rock-Klischees, Metal-Männerwelten und Frauen, die das anders sehen

„Suck and fuck and cook and clean/Baby, you know what I mean/It’s your daily routine.“ Diese Zeilen singen die MENTORS in ihrem Song „SFCC“. Sie stellen sehr explizit die Rolle der Frau dar, wie Sänger El Duce sie sich vorstellte. Natürlich war bei dieser Band nicht alles so ernst gemeint, wie sie es propagierte, doch selbstverständlich wurden die MENTORS wegen ihrer sexistischen Texte harsch kritisiert. So offensichtlich wird Sexismus in der Rock-, Punk-, Hardcore- und Metal-Welt nur selten zur Schau gestellt, aber wenn man genauer in die Materie einsteigt, dann bemerkt man sie doch: die Frauenfeindlichkeit, die man überall finden kann. Nur, dass sie normalerweise auf einer wesentlich subtileren Ebene stattfindet.

Seien wir ehrlich: Natürlich nimmt ein Mensch mit zumindest ein wenig Grips im Kopf Bands wie W.A.S.P. oder MANOWAR nicht wirklich ernst. Mit ihrer Aufmachung à la „Conan, der Barbar“ wirkt vor allem Letztere eher wie ein Haufen weltfremder Spinner, welche sich ihr Paralleluniversum selbst erschaffen haben und in diesem tun und lassen können, was sie wollen. Wer diese muskelbepackten Monster ernst nimmt, hat wohl einen verzerrten Sinn der Realität. Doch sehen solche Bands und viele Fans das weibliche Geschlecht nicht wirklich als Teil der Szene an. GUNS N’ROSES oder MÖTLEY CRÜE sind mit ihrem schwanzgesteuerten Rock Paradebeispiele dafür.

Doch wenn man bedenkt, was für eine Exotenstellung Kira Roessler Anfang der Achtziger in der Hardcore-Szene hatte, als sie bei BLACK FLAG den Bass bediente, dann sieht man klar und deutlich, dass Frauen in der Szene eher eine kleine Rolle spielten. Gut, natürlich dürfen sie im Publikum stehen, sie dürfen auch Fotos und Interviews für Fanzines machen. Doch wehe, wenn sie es wagen, auf die Bühne zu gehen! Das sieht seltsam aus, sie können definitiv nicht so gut spielen, geschweige denn singen oder den Musikstil repräsentieren wie wir Männer! Nicht wenige Szeneprotagonisten denken so.

Aber auch weibliche Musikerinnen wie die WHITE ZOMBIE-Bassistin Sean Yseult sind nicht zwingend begeistert von der Rolle der Frau im Metal. So gab sie vor einem Jahr im Ox-Interview (#81) Folgendes zu Protokoll: „Ich habe die anderen Frauen in Bands gehasst, dafür, wie sie ihr Instrument spielen: Sie krallten sich wie Babys an ihre Instrumente, guckten die ganze Zeit nur auf den Boden. Ich habe mich stark bemüht, richtig Gas zu geben und nicht wie die anderen Frauen gesehen zu werden.“ Frauen können scheinbar nicht „richtig rocken“ und werden erst als Frau, dann als Musikerin, gesehen.

Aber woran liegt das genau? Ein kleiner Rückblick ist angebracht, um die Problematik zu erklären. Das Thema wurde vor zwanzig Jahren, als der Metal seinen ersten kommerziellen Höhepunkt erreichte und selbst MTV nicht ohne ihn auskam, noch gar nicht als Problem gesehen. Vielmehr wurde es im Metal, wie auch allgemein in der westlichen Gesellschaft, schlichtweg ignoriert. Denn in unseren Gefilden denkt man patriarchalisch. Man glaubt also an eine Herrschaftsform, in der Männer das Sagen haben. Auch, wenn das im ersten Eindruck wie eine Unterstellung klingt, so wird beim genaueren Betrachten des Mann-Frau-Verhältnisses eins klar: in Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens gibt es eine klaffende Lücke und es herrscht wenig Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau – seien es die wiederkehrenden Diskussionen um fehlende Frauen in Führungspositionen, die Kritik, dass sie es sowieso nicht draufhätten, seien es die Einkommen der Frauen, die bei der selben Arbeit immer noch ein Viertel unter denen der Männer liegen, oder die geringe Wertschätzung seitens der Männerwelt gegenüber dem Vaterschaftsurlaub. Und außerdem, sind Frauen nicht sowieso schwächer, emotionaler und empfindlicher als Männer? Und heulen für jeden Kleinkram drauflos?

Man sieht, auch wenn die Frauen mit der Nationalelf besser abschneiden als die Männer in unserer Fußballrepublik, auch wenn es eine Merkel gibt, die die repräsentative Spitze dieses Landes bildet, so sind altertümliche Rollenbilder nach wie vor in unseren Köpfen festgenagelt und man braucht schon einen starken Willen und viel Kraft, um diese Nägel aus unseren Gehirnen herauszuziehen. Dabei spiegelt die Musik genau das wider, was die Gesellschaft vorgibt; sie ist der Mikrokosmos im übergeordneten Makrokosmos, beide ergänzen sich und sind voneinander abhängig. Auch wenn die Punk- oder Metal-Szene sich selbst als frei, unabhängig und rebellisch betrachtet, ist sie doch spießiger und traditioneller, als sie sich eingestehen will.

Mit genau dieser Thematik befasste sich ein Kongress namens „Heavy Metal and Gender“, der vom 8. bis 10. Oktober 2009 an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln stattfand. Wie der Name schon sagt, wurde hier von knapp vierzig Wissenschaftlern und Referenten aus der ganzen Welt die Geschlechterfrage im Metal thematisiert. Daran teil nahm zum Beispiel die Musikwissenschaftlerin Deena Weinstein, die als erste Akademikerin den Heavy Metal ernsthaft in vielen Facetten untersucht hat. Diese Veranstaltung war zwar nicht die erste, die sich ausschließlich mit Metal befasste, doch die Ausrichtung auf das ungleiche Geschlechterbild in dieser Subkultur ist ein Novum in dieser Forschungsrichtung.

Der Heavy Metal – und natürlich all seine Spielarten und Subgenres – hat sich also unbewusst ein neues Feindbild erschaffen. In seiner mittlerweile vierzigjährigen Existenz wurde er aufgrund seines Images, seiner scheinbar satanischen Inhalte, seines Dresscodes und seiner musikalischen Ausrichtung belächelt, kritisiert und verpönt. Nun muss er sich schlussendlich der Gender-Frage stellen. Und genau das passierte an diesen drei Tagen in Köln. Dieser Kongress war wohl eine der wenigsten wissenschaftlichen Veranstaltungen, auf der man tatsächlich kluge Köpfe in Shirts von MOTÖRHEAD, MASTODON oder SLAYER bestaunen durfte – auch wenn diese unter den Jacketts versteckt waren.

Die knapp vierzig Referate der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hatten schillernde Titel wie „Power and Gender in Metal“, „Extreme, Aggressive, Female“ oder „Metal and the Male Monster“. Auch wurde hier analysiert, wie sich MÖTLEY CRÜE in ihren Videoclips präsentierten oder wie Tori Amos SLAYERs „Raining blood“ interpretiert, konkrete Fortschritte oder gar Lösungen des Problems konnte man bei solchen Vorträgen allerdings nicht erwarten. Vielmehr ging es um einen erstmaligen wissenschaftlichen Diskurs, der im internationalen Vergleich die Problematik der ungleichen Geschlechterrollen darlegen sollte. Doch da das Wissen der Forschenden für den einen zu theoretisch sein könnte und für die andere zu hochgestochen, hat Florian Heesch, Veranstalter dieses Kongresses und wissenschaftlicher Mitarbeiter der MHS Köln, vier Frauen eingeladen, die schon seit mehreren Jahren ihr Revier im Metal erfolgreich verteidigen können: Angela Gossow von ARCH ENEMY, Sabina Classen von HOLY MOSES, Britta Görtz von CRIPPER und Doro Pesch gaben sich die Ehre und kamen in einer belebten und unterhaltsamen, aber leider recht unkritischen Podiumsdiskussion zu Wort.

Der Konsens, auf den sich alle vier einigen konnten, war: „Je mehr darüber geredet wird, desto mehr wird es zum Problem.“ Classen erwähnt im Ox-Interview, dass sie – als wohl die erste Frau, die extreme, männlich erscheinende Vocals im Metal verwendete – sich „überhaupt gar keine Gedanken darüber gemacht“ habe, was sie hinterm Mikro eigentlich tue, und ob sie als Frau das überhaupt dürfe. Vorbilder gab es keine, da ihre Helden wie etwa Ozzy Osbourne allesamt männlich waren. In den frühen Achtzigern, als Classen als Sängerin bei HOLY MOSES einstieg, gab es schlicht – von Ausnahmen wie den RUNAWAYS, GIRLSCHOOL oder Suzi Quatro mal abgesehen – keine Frauen, die in der Rockmusik aktiv waren. Doch Classens Motivation zu singen war eine andere: „Ich habe einfach gefühlt, dass es mir gut tut; dass ich Energien austauschen konnte.“

Ähnlich sieht es auch die Shouterin Angela Gossow, seit ihrem Einstieg vor acht Jahren bei der Death-Metal-Band ARCH ENEMY muss die sympathische Kölnerin sich auch der Presse und ihren Kommentaren stellen: „The woman who can growl like a man“, ist dabei noch einer der wenigen Kommentare, der sich nicht auf eine zwischenmenschliche Ebene bezieht. Ansonsten zählt sie den „hottest chicks in Metal“, wie sie von den Lesern englischer Musikmagazine gekürt werden. Wenn man das erste Zitat auseinander nimmt, bemerkt man, dass sie, trotz des „Nachteils“, weiblich zu sein, dennoch die gleiche Leistung wie ein Mann erbringen kann. Zumindest am Mikro. Sie muss damit leben, dass sie auf solche Merkmale reduziert wird. Denn, wie Gossow im Telefoninterview erwähnt, ist sie als Frontfrau „das Sprachrohr der Band“ und weiß, dass das „immer noch relativ besonders ist“.

Auch der Musikwissenschaftler Heesch erwähnte im Interview, dass er bei seinen Studien die primäre Rolle der Frau im Metal als die einer Hintergrundfigur entlarven konnte: „Was immer wieder auffällt, ist die Art der Beteiligung. Also, wie viele Frauen stehen denn eigentlich tatsächlich auf der Bühne?“ Um diese Frage zu beantworten, begab er sich unter anderem auf das Ragnarök-Festival, dem größten Pagan Metal-Festival: „Da waren Frauen die absolute Ausnahme. Und wenn, dann waren sie ganz typisch als Sängerinnen zu sehen, sie haben eine typische Rolle eingenommen.“ Damit meint er konkret, dass Frauen auf der Bühne meist für den „schönen“ Gesang zuständig seien. Natürlich gäbe es ganz viele Ausnahmen. „Aber auch bestimmte stereotype Rollen. Wenn wir Frauen auf der Bühne sehen, dann sind sie meist Sängerinnen, meist schöne und schön singende. Besonders im Gothic Metal. Oder auch Keyboarderin, vielleicht noch Bassistinnen.“ Das war es dann aber schon. Des Weiteren legt Heesch Wert auf die Feststellung: „Wenn Frauen marginalisiert werden, treten einem diese Dinge nicht schreiend entgegen.“ Das passiert eher subtil.

Wenn eine Frau wie Gossow total aus dem Klischee ausbricht und die eigene Persönlichkeit offensiv zur Schau stellt, dann ist das überwiegend männlich besetzte Publikum doch ein wenig irritiert. Trotzdem lenkt die Metal-Presse lieber ein wenig ab: „Wie ist es mit drei Männern in einer Band?“ Oder wie es mit dem Duschen nach dem Auftritt sei, wie Gossow ironisch hinzufügt. Warum finden wir es immer noch ungewöhnlich, eine Frau zu hören und zu sehen, die tatsächlich annähernd „so gut wie ein Mann“ grölen kann? Nur am Gesang sind keine Unterschiede zu erkennen, wie Gossow in einem Vocal-Workshop auf dem Kongress demonstrieren durfte. In den neunzig Minuten hat Gossow bewiesen, dass auch Frauen fähig sind, die männlich anmutenden Death-Metal-Vocals zu erzeugen. Es ist nur immer noch „komisch“, eine Frau zu beobachten, die sich so „männlich“ verhält und so „männliche“ Urlaute von sich gibt. Aber warum denken wir so?

Dass man so empfindet, ist ein Zusammenspiel von kulturellen Einflüssen, der Erziehung und dem soziopolitischen System, in dem wir leben. Geschlechterrollen und ihre Differenzen sind beileibe keine Naturgesetze und demnach können sie ebenso gut geändert oder auch ignoriert werden. Warum passiert dann aber kein gerechter Ausgleich? Und warum ist die Gesellschaft eigentlich so, wie sie ist? Dafür gibt es viele verschiedene Erklärungsmodelle. Man muss im Hinterkopf behalten, dass sich die Gesellschaft, so wie wir sie kennen, über Jahrtausende entwickelt hat. Und in dieser langen Zeitspanne haben die Männer permanent dafür gesorgt, für die Geschichtsschreibung und die Machtverteilung zuständig zu sein. Außer einer Handvoll historischer Ausnahmen wie zum Beispiel Kleopatra, Jeanne d’Arc oder Mary Shelley waren es meist Männer, die sich um Kultur, Geschichte und Herrschaft gekümmert haben. Die Frau wurde bei wichtigen sozialen und politischen Entscheidungen meist nicht mit einbezogen. Sie hatte keine Stimme, kein Wahlrecht und war in Haus und Hof an Kind und Kegel gebunden.

Ein Grund für diesen Missstand ist ein Buch namens „Die Bibel“, das auf unsere westliche, religiös geprägte Welt einen enormen Einfluss ausüben konnte. Allein schon im so genannten Schöpfungsbericht im „Buch Genesis“ findet sich indirekt eine starke Misogynie, also Frauenfeindlichkeit, von der sich die Frau niemals erholen sollte. Der erste Mensch auf Erden war der gute Adam. Dann kam Eva. Gott hat Adam zusammengeknetet, Eva hingegen wurde aus einer von Adams Rippen gebastelt. Also hat im interpretatorischen Sinne die Frau ihr Leben dem Mann zu verdanken. Wofür aber brauchen wir sie überhaupt? Wir können doch auch aus unseren Rippen neue Männer für starke Männerbündnisse zusammenwerkeln.

Adam war ein wenig deprimiert, so alleine im Paradies. Er hat sich einsam gefühlt, da er unter den Tieren keinen Gefährten finden konnte: „Das sah Gott und sprach: ‚Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.‘“ Die Frau ist also die bessere Alternative zum Tier. Auch muss sie dem Mann zu Dank verpflichtet sein. Denn er hat für sie eine Rippe geopfert. Beim Weiterlesen wird eindeutig klar, warum die Frau in der christlichen Welt problemlos unterdrückt werden konnte: „Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, sintemal er ist Gottes Bild und Ehre; das Weib aber ist des Mannes Ehre.“

Als wäre das nicht schon schlimm genug, gesellt sich nun aber noch ein weiterer Kritikpunkt hinzu. Eva, also die Frau an sich, ist außerdem Schuld an der Vertreibung aus dem Paradies. Denn Eva gibt dem Mann in ihrem sehr naiven Verständnis der Dinge von der verbotenen Frucht, dem Apfel, zu essen. Und somit ist das Paradies, das zum Greifen nahe war, passé und wir sind verbannt auf den Schrotthaufen, den wir Erde nennen. Kein Wunder, dass die Frau über Jahrhunderte unterwürfig gemacht wurde, sie hat uns Männern schließlich den Eintritt zum Paradies versaut; das Land, wo Milch, Honig (und Bier) von überall her in deinen Mund fließt. Für immer! Zumindest bis zum Tode, falls wir entsprechend devot leben.

Zu dieser doch recht vergilbten Bibellehre hat Heesch noch andere Punkte hinzuzufügen, die zu der Problematik beitrugen: „Im Mittelalter bis in die Neuzeit hinein, das ist zumindest die These von Thomas Walter Laqueur [amerikanischer Kultur- und Wissenschaftshistoriker, der sich hauptsächlich mit Sexualwissenschaft beschäftigt], herrscht das ‚Ein-Geschlecht-Modell‘ vor. Das heißt, dass Frauen und Männer nicht als zwei grundsätzlich verschiedene Typen von Mensch betrachtet wurden, sondern Frauen als minderwertige Männer. Das geht bis in das biologische Bild hinein, dass die Vagina als ein nach innen gestülpter Penis begriffen wurde.“

Also merkt man, dass selbst in den vermeintlichen Wissenschaften wie der Biologie – zumindest in ihren Urformen – noch eine Diskrepanz vorherrschte und der Mann sich sein Weltbild individuell und auf seine Bedürfnisse zusammenschneiden durfte. Dabei legt Heesch Wert darauf festzuhalten, dass das Geschlecht bei Männern wie Frauen sozial vermittelt ist. „Männer sind als Männer, Frauen als Frauen sozialisiert. Damit sind aber auch bestimmte Ansprüche an Macht verbunden, von denen man sich gar nicht so einfach befreien kann.“

Radikale Feministinnen wie zum Beispiel die Gender-Forscherin Judith Butler vertreten sogar die Theorie, dass es generell gar keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gäbe, sondern dass die Geschlechterdifferenz nur aufgrund von Machtzwecken kulturell erschaffen sei. Das ist eine Theorie, über die man lange diskutieren könnte. Doch Heesch erklärt weiter: „Erst im 19. Jahrhundert wurde die Differenz der Geschlechter so stark gemacht, wie wir es heute auch kennen, dass die Frau als ‚das Andere‘ gegenüber der Norm Mann gehandelt wurde.“ Diese Hierarchie würde größtenteils von der bürgerlichen Kultur ausgebildet, die sich „am Adel orientierte“. Als Musikwissenschaftler hat Heesch natürlich besonders die musikalischen Institutionen untersucht.

Und um nun wieder auf den Metal zurückzukommen: Heesch merkt an, dass Frauen, wenn sie denn überhaupt musikalisch in der Szene aktiv sind, entweder elfengleich singen oder Keyboard spielen. Gitarristinnen und Schlagzeugerinnen sieht man ganz selten, vielleicht mal bei KITTIE oder so. Das liegt daran, dass nicht nur die Singstimme – wie bei Gossow –, sondern auch Instrumente geschlechtlich konnotiert sind. Charlie Benante hat einen ganz eigenen Leitsatz für dieses Phänomen. In einem Interview von 1987 wurde der ANTHRAX-Drummer gefragt, ob seine Band nicht auch Keyboards in ihre Songs einbauen würden. Seine Antwort lautete: „That is gay. The only band that ever used keyboards that was good was UFO.“ Wenn also Männer Keyboards nutzen, müssen sie demnach wohl aufpassen, dass sie demnächst nicht auch noch auf ihre Bandkollegen scharf sind. Zwar hat sich diese Situation geändert – beziehungsweise wurde dieses Instrument „entschwulisiert“ – und Bands wie TYPE O NEGATIVE oder auch CHILDREN OF BODOM nutzen das Tasteninstrument seit vielen Jahren, ohne an männlicher Authentizität einzubüßen, bei genauerer Betrachtung erkennt man allerdings, dass Josh Silver und Janne Viljami Wirman ihre Keyboards auch recht rüde und „männlich“ bearbeiten.

Heesch wollte mit seinem geschichtlichen Exkurs den Fokus darauf richten, dass die Instrumentenwahl auch erzieherisch und gesellschaftlich zur Geschlechterfrage gemacht wird. Billy Elliot will im Film „Billy Elliot – I Will Dance“ Ballett tanzen und sein spießiger, Alkoholikermalochervater verbietet ihm das, weil Ballett „Weiberkram“ sei. Dieses Muster ist typisch in der Erziehung. Instrumente können weiblich oder männlich sein, wie Heesch behauptet: „Die E-Gitarre als zentrales Instrument im Metal kommt ja aus dem Rock und Blues und war auch da schon eher ein Männerinstrument. Oder umgekehrt das Tasteninstrument, was auch heute noch als weniger männlich gilt.“ Die Wikinger von AMON AMARTH haben, wie Heesch weiter erläutert, ihren Fans regelrecht versprochen, niemals Frauengesang und niemals Keyboards in ihre Musik mit einzubringen.

Auch im Sport findet man dieselben Regeln wie in der Musik. Classen zum Beispiel hat als Mädchen schon sehr, sehr früh Fußball gespielt, „was vor fast fünfunddreißig Jahren sehr ungewöhnlich war“, wie sie erzählt. Doch die Sängerin hat sich ebenso wie Gossow niemals von ihrem Weg abbringen lassen. Sie befinden sich jenseits dieser ganzen Geschlechterdebatte – weil sie sich eigenständig dort positioniert haben. Classen geht es darum, ihre eigene Persönlichkeit zu sein und somit die Diskussion um ihre „Exotenrolle“ gar nicht erst aufkommen zu lassen. Gossow empfindet, wahrscheinlich im Gegensatz zu Kollegen wie Benante, die harte Metal-Musik gar nicht als großartig männlich. Vielmehr haben sie im Metal immer „die Härte und die Aggression“ angesprochen: „Dass man irgendwas rauslassen kann.“ Für sie ist Heavy Metal schlicht und einfach „Kampfmusik“, Musik als universelle Kraft.

Doch ohne die Hilfe einer funktionierenden Familie hätten beide Frauen sich nicht zu dem entwickeln können, was sie heute sind. Classen: „Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der mein Vater genauso gespült oder einen Staubsauger in die Hand genommen hat und mein Bruder mit meinen Puppen gespielt hat und ich mit seinen Spielzeugautos.“. Gossow ist ebenfalls zum Glück in einer Umgebung groß geworden, in der ihre Mutter die starke Person war und auch laut und aggressiv wurde. „Und mein Vater war der Sanfte. Ich hatte sozusagen ein vertauschtes Rollenvorbild vor mir.“ Bei der 35-jährigen Angela Gossow gab es also keine geschlechtsspezifischen Barrieren und von beiden Sängerinnen wurde nicht erwartet, leise, brav und gehorsam zu sein.

Gossow sieht die Entwicklung der Selbstbestimmung von Frauen in letzter Zeit positiv: „Die Frauen, die jetzt 20 oder 25 sind, sind mehr mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass sie alles dürfen. Die gesellschaftliche Norm ist mittlerweile so geworden, dass Männer und Frauen gleich sein müssen. Wenn ich mir jetzt die 13- oder 15-Jährigen anschaue – und die Jungs in meiner Band haben ja alle Kinder, alles Mädchen in dem Alter –, dann hören die mit totaler Selbstverständlichkeit SLAYER und SLIPKNOT und spielen Gitarre und brüllen dazu. Und keiner von den Jungs in meiner Band würde sagen: ‚Das darfst du nicht, das gehört sich nicht für ein Mädchen!‘“ Es ist diese Generation, die in zehn Jahren Bands gründen wird – und das mit völliger Selbstverständlichkeit: „Singen, schreien, Gitarre und Drums spielen, ohne überhaupt drüber nachdenken zu müssen, ob das was Besonderes ist als Frau. Sondern sie dürfen sich einfach als Musikerinnen definieren.“

Ofensichtlich sind die Geschlechterrollen also nach den Vorgaben der Gesellschaft stark vorbestimmt. Sie sind nicht nur Phänomene innerhalb der Metal-, Rock- oder Punk-Welt, sondern es gibt sie überall in der vermeintlich fortschrittlichen, westlichen Welt. Es geht nicht darum, jemand den schwarzen Peter zuzuschieben oder den ersten Stein zu schmeißen, wenn da einer sein sollte, der sich wie ein Macho verhält. Vielmehr sollten alle ihre eigenen Ausgangsposition reflektieren, den Dialog suchen und diesen Missstand, der so subtil und so unbewusst in all unseren Köpfen steckt, diskutieren und kritisch hinterfragen – und vielleicht auch einmal über seinen eigenen Schatten springen. El Duce würde sich im Grabe umdrehen!