Rund 40 Jahre nachdem mit „Wie lang noch ...“ die erste LP der Leverkusener Hardcore-Punk-Band auf Rock-O-Rama erschien, gibt es jetzt mehrere Wieder- und Neuveröffentlichungen von STOSSTRUPP. Vor allem das schlicht mit „Hardcore Live ’85/’86“ betitelte Album auf Scheibenklar zeigt mit bis dato unveröffentlichten Songs das große Potenzial dieser Band. Warum damals keine zweite LP erschienen ist und wie es jetzt zu den zahlreichen Rerelease kam, darüber sprachen wir mit Sänger Alla. Natürlich gibt es auch einen Blick zurück in die 1980er Jahre und auch auf Rock-O-Rama.
Den Anfang der STOSSTRUPP-Rereleases machte 2022 eure Single „Kein schöner Land“, die ursprünglich 1983 auf Rock-O-Rama erschien. Wie ist es dazu gekommen, gab es keine Probleme wegen der Rechte?
Nein, wegen der Rechte gab es noch nie Probleme, weil wir nie welche hatten. Thomas Lenz von Power It Up hatte mich kontaktiert und von der Idee geschwärmt, eine Doppel-LP veröffentlichen zu wollen, die die „Wie lang noch ...“-LP und „Live in der Wuppertaler Börse“ enthält. In dem Rahmen gab es noch die Single „Kein schöner Land“, sozusagen als Startschuss.
Ich habe mich damals gewundert, als ich die Single kaufte, dass auf dem Cover einige Textzeilen durchgestrichen waren. War das Selbstzensur?
Nee. Eines Tages kamen wir beim Rock-O-Rama-Laden rein und Labelboss Egoldt persönlich war mit dem Edding dabei, auf den Singlehüllen die Textzeile „Neo’s, die Spinner der Union“ durchzustreichen, mit der Begründung, Angst davor zu haben, dass es Ärger mit CDU-Leuten geben könnte und das dann etwas kosten würde.
Gab es bei Texten wie dem von „Neo’s“, der sich ja klar gegen Neonazis richtet, keine Bedenken von Egoldts Seite oder den Versuch, in eure Texte einzugreifen?
Erfreulicherweise nicht. Allerdings wollte er uns nicht unter unserem damaligen Bandnamen SCHEISS DRAUF rausbringen. Und da wir gierig waren und keine andere „Gelegenheit“ für eine Platte weit und breit in Aussicht war, sind wir den Kompromiss eingegangen – nachdem wir zuvor schon KRUZIFIEDS und E-605 hießen –, noch einmal den Namen zu ändern. Schließlich kannte uns niemand und bis dahin gab es auch nur Kassettenrekorder-Aufnahmen mit einem Mikrofon, das von der Proberaumdecke hing.
Beim Konzertplakat vom Frühlingsfest 1984 steht unter eurem Namen was von „dummen Gerüchten“ und „STOSSTRUPP ist keine Faschoband“. Lag das an eurem Namen oder doch an Rock-O-Rama?
Irgendwie haben wir uns da selbst reinmanövriert, durch den Namen, der eigentlich nicht militärisch gemeint war, sondern Nach-vorne-Brettern bedeuten sollte, da gab es ja Punk-mäßig auf dem deutschen Markt nicht wirklich was. Und dann kam das auch durch die Bomberjacken, die wir auf dem Poster trugen, das der „Wie lang noch ...“-Scheibe beilag. Das war eine Modewelle, die gerade aus England herübergeschwappt war. Da kann man keinem den Verdacht ein paar Jahre später wirklich übelnehmen. Das Foto auf der Rückseite der Platte entstand im Hof unseres Proberaumes, dem Lux-Kino auf der Leverkusener Hauptstraße, in dem nur Pornos und Kung-Fu Filme-liefen. Und direkt daneben war das legendäre TT-Embargo, wo wir unseren ersten Auftritt – mit drei Stücken, mehr gab es noch nicht – zusammen mit OHL hatten. Da habe ich mich noch am Bass versucht und Kerkie, ein krasser Typ aus der Leverkusener Szene, hat gesungen und während des Auftritts neue Texte erfunden. Danach bin ich dann aufs Mikro umgestiegen.
Das Foto führte auch zu Aussagen in Fanzines, etwa dass „die Leute nicht ganz dem Ideal des Hardcore“ entsprechen ...
Man muss auch bedenken, dass es in Köln nur einen Schuster gab, bei dem man anständige Nieten kaufen konnte, von Badges, Aufnähern oder so ganz zu schweigen. Die gab es nur von AC/DC und den Hardrock-Typen. Die ersten Jahre haben wir alles selbst gemacht nach englischen Vorbildern, Lederjacke und T-Shirts bemalen, besticken und bekleben.
Eure LP „Wie lang noch ...“ ist letztes Jahr unter dem Titel „Keine Hoffnung“ als Doppelalbum auf Power It Up wiederveröffentlicht worden. Auf der zweiten Platte befinden sich Live-Aufnahmen von einem Konzert am 19. Juni 1982 in der Wuppertaler Börse, bei dem auch LIEBIS, HASS und BLUTTAT spielten. Kannst du dich noch an den Gig erinnern?
Ja, ich kann mich sehr gut erinnern, weil es viel Aufregung wegen Skinheads und einer Neonazi-Versammlung im Haus gegenüber gegeben hat. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nie so viele Punks auf einem Haufen gesehen, und obwohl Wuppertal nur ein Katzensprung von Leverkusen entfernt ist, war alles außer Köln für uns eine Weltreise. Die Aufnahmen sind meines Wissens nach durch Karl Nagel, der auch die „Punk-Foto“-Website mit tausenden von Fotos betreibt, bei YouTube eingestellt worden.
Im Interview mit dem Anti-System-Fanzine habt ihr 1983 gesagt, dass ihr schon wieder 17 neue Songs hättet. Warum ist nie eine zweite Platte erschienen?
Ehrlich gesagt kann ich mich auch nicht so richtig erinnern. Egoldt wollte ja auch vom ersten deutsch-englischen Hardcore-Festival im Kölner Stollwerck eine Live-LP machen, zu der es leider nicht gekommen ist. Ich glaube, er hat sich da schon mehr auf die nordischen und finnischen und danach auf die rechten Bands versteift. Wieso Egoldt ausgerechnet auf die Skandinavier gekommen ist oder welche Verbindungen es gab – keine Ahnung.
Auf Scheibenklar ist 2022 die 12“ „Hardcore Live ’85/’86“ mit zwei Gigs erschienen. Warum dort und wäre das die zweite LP gewesen?
Genau! Da sind die meisten Songs drauf, die auf die zweite Platte sollten. Die neuen Veröffentlichungen liefen völlig parallel und auf einmal war das Interesse an STOSSTRUPP neu entflammt. Paul Schneider von Hörsturzproduktionen hatte auch Interesse an unveröffentlichten Sachen und vor allem Live-Material. Dann war da auch noch Björn Fischer mit seinem Buch „Als die Deutschen kamen“ plus CD und LP auf Scheibenklar am Start, wo wir auch dabei waren. Und man konnte sich nur wünschen, dass wieder 1980 wäre und alles nicht so kompliziert mit Label, Studio, Konzertmöglichkeiten.
Ihr klingt auf dem Live-Album ziemlich nach DISCHARGE ...
Auch das lief ziemlich parallel. Ich will mal behaupten, dass wir im Proberaum und auf den Kneipen- und Clubkonzerten schon immer diesen geilen Sound hatten, während wir uns mit den Rock-O-Rama-Aufnahmen nie wirklich identifizieren konnten. Das brauchte ganz schön Gewöhnung.
Ihr habt zwei Coversongs auf der „Die Antworter sind stumm“-7“, darunter auch „Tomorrow belongs to us“ von DISCHARGE.
DISCHARGE waren in den 1980er Jahren eine Offenbarung – jedenfalls für Loller und mich. „Fight Back“ und „Decontrol“ höre ich auch heute noch immer wieder gerne. Unsere Coverversion ist sozusagen eine Hommage.
Warum habt ihr euch entschieden, auch ein COTZBROCKEN-Cover mit auf die EP zu nehmen?
Der Text von „Wie sieht der denn aus?“ hat zu der Zeit wohl den meisten aus dem Herzen gesprochen. Loller war der erste Leverkusener Irokese, in Köln gab es zwei, Funz-Ralf und Krieger, die wegen ihrer Frisur gejagt worden sind, aber vor allem wegen der Klamotten, die wir uns zum großen Teil selbst gemacht haben. Mit COTZBROCKEN gab es ansonsten eigentlich nur Saufkontakte oder Begegnungen bei Konzerten im Blue Shell, Rausch, dem News, später Kong, Stollwerck und Kartäuserwall. Und natürlich kannte man sich aus dem Rock-O-Rama-Plattenladen, wo es immer frischen Punk aus England gab.
Doch noch mal zu Rock-O-Rama. Wie kam der Kontakt zustande?
Wir sind auf der Abkürzung vom Hauptbahnhof zum Kölner Saturn, wahrscheinlich der erste in Deutschland, auf Egoldts Laden in der Weidengasse gestoßen. Und es kam auch über Deutscher W. von OHL, der davon erzählte, dass sie vielleicht eine Platte machen können.
Wart ihr damals zufrieden mit dem, was ihr da bekamt?
Bei Rock-O-Rama gab es eigentlich immer billigen Sound, schlechte Cover und Schreibfehler wegen der Produktion in Belgien. Von unserer LP gibt es wohl verschiedene Versionen. Der Titel lautete eigentlich „Wie lange noch“, aber die Belgier haben es nicht hingekriegt. Das ist, glaube ich, bis zum Schluss geblieben. Ansonsten hat uns nur interessiert, ob die Musik was kann oder nicht.
Wie habt ihr die Entwicklung von Rock-O-Rama zum Nazi-Label mitbekommen?
Der Fascho/Rechtsscheiß ist auch alkoholbedingt ziemlich an uns vorbeigegangen und wir haben das auch zu der Zeit nicht ernst genommen. Bekloppte halt, die es nicht geblickt haben. Das lief alles unter der Kategorie Lehrer/Polizisten/Hausfrauen/Popper und Arschlöcher allgemein. Wie das mit der Entwicklung war, weiß ich nicht. Ich vermute, dass es sich unter den rechten Bands schnell rumgesprochen hat, dass Egoldt Platten macht, und dann standen die wohl Schlange. Ich habe irgendwann gehört, dass es eine Demo vor der Tür in der Weidengasse gab und eine Scheibe zu Bruch ging.
1999 hat R-O-R eure LP wiederveröffentlicht, 2008 gab es die Compilation „Rock-O-Rama Records ... Nach 30 Jahren Lieder aus der Punk-Ära Teil 1“. Wusstet ihr davon?
Nein, das wusste ich bis gerade eben nicht.
Im Rückblick, welche Texte sind für euch noch aktuell?
Na ja, heute würde ich es wohl alles anders formulieren und die Naivität ist zum Glück mit den Jahren auch geschwunden. Aktuell ist aber, glaube ich, alles geblieben. Nur heute würde ich nicht mehr aus der Sicht des „Opfers“ und mit dieser Vorwurfshaltung singen. Gemecker und Besserwisserei begleiten mich seit der frühesten Kindheit und haben zumindest bei mir nur noch mehr Schaden angerichtet. Heute würde ich „powervolles Aufdecken“ bevorzugen, um eine Botschaft zu verbreiten. Uns hat vor allem das „Mach, was du willst“, Saufen, Musik und gegen alles, was wir scheiße fanden, anzubrüllen interessiert.
Die Neuauflage der Platten, die Wiederveröffentlichung alten Materials, das Rock-O-Rama-Buch, das Interview jetzt – wundert dich das Interesse nach all den Jahren?
Ja, logo. Verwundert sind wir schon, aber natürlich ist es auch eine große Freude, vor allem das Material mit satter Soundqualität jetzt öffentlich zu wissen. Das kommt zwar 40 Jahre „zu spät“, aber besser spät als nie.
Woher kommt das viele Material?
Hauptsächlich stammen die Aufnahmen aus dem Proberaum, aus der Kölner Rhenania und von Konzerten.
Ihr habt 2017 noch mal einige Songs aufgenommen, war das der Versuch einer Reunion?
Nein, diese Songs entstanden im Rahmen der Eröffnung einer Ausstellung mit meinen Arbeiten in der Kölner Kolbhalle. Marcus Krips, Kölner Künstler auf allen Ebenen und alter Freund aus Stollwerck-Tagen, ist auf die Idee gekommen und hat uns angeschubst, ein STOSSTRUPP-Konzert zusammen mit KACKREIZ und CHEAP in der Kolbhalle zu spielen. Dafür haben wir ein paar Mal in Köln geprobt, und es war wirklich toll, nach so vielen Jahren so viele bekannte Gesichter auf dem Konzert wiederzusehen.
Du bist als Künstler aktiv – die Weiterentwicklung vom Punk zur Kunst?
Nun ja ... Wenn es nicht die Kopie von einer Kopie ist, ist Punk natürlich auch Kunst. Ich mag es, mich selbst davon überraschen zu lassen, was sich zeigen und ins Leben kommen will. Nach dem alten Motto „Fresh fruit for rotting vegetables“.
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Diskografie
Wie lang noch ... (LP, Rock-O-Rama, 1983) • Kein schöner Land (7“, Rock-O-Rama, 1983; Rerelease: Power It Up 2022) • Hardcore Live ’85/’86 (LP, Scheibenklar, 2022) • Keine Hoffnung (2LP, Compilation, Power It Up, 2023) • Laute Schreie (CD, Compilation, Power It Up, 2023) • Die Antworter sind stumm (7“, Compilation, Power It Up, 2024)
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