STOMPER 98 haben sich in den letzten Jahren zu einer der erfolgreichsten Bands mit Oi!- und Skinhead-Hintergrund entwickelt, und gleichzeitig sind sie eine der am stärksten angefeindeten Bands wegen mehrere Jahre zurückliegender teils realer, teils behaupteter Verbindungen ins rechte Milieu. Zu all den Vorwürfen und Anfeindungen wurde schon viel geschrieben, kommentiert und diskutiert, die Band hat sich – für uns überzeugend – erklärt und positioniert, und deshalb soll dieses Thema (Stichwort „Grauzone“) nicht im Vordergrund des Interviews stehen, das ich mit Sänger Sebi und Bassist Lars führte. „... bis hierher“ ist der Titel des neuen Albums von STOMPER 98, wieder auf Sunny Bastards erschienen.
Sebi, worin seht ihr die Stärken, die entscheidenden Neuerungen des Albums?
Sebi: Neu war für uns, wie wir im Vorfeld und dann während der Aufnahmen vorgegangen sind. Nach fast 15 Jahren als Band und davon sieben in dieser Besetzung haben wir ein paar alte Muster durchbrochen und sind nicht mehr nur mit ein paar Ideen und nur im Ansatz arrangierten Songs ins Tonstudio gegangen, sondern wir haben ein halbes Jahr vorher viele Wochenenden im Proberaum verbracht und die Platte gemeinsam geschrieben und teilweise zwölf bis 14 Stunden daran gefeilt und geackert. Dadurch entstand ein Fluss an Energie und Power, den wir auch so im Studio einfangen wollten. Das neue Album ist viel kraftvoller und in sich geschlossener als unsere älteren Scheiben. Der ganze Prozess war mit viel Arbeit verbunden, und da unser Proberaum in Berlin liegt, haben wir alle viel Zeit investiert, bevor überhaupt eine Note auf Band war. Meine Familie hat mich an den Wochenenden kaum gesehen und es war ziemlich entbehrungsreich. Bei den Aufnahmen selbst haben wir zum ersten Mal mit einem Produzenten gearbeitet. Matthias „Matze“ Wendt war mit dabei, er ist auch live unser Mixer und weiß genau, wie wir klingen wollen, und stand uns mit Rat und Tat zur Seite. Wir haben wieder im Out-O-Space Studio hier in Göttingen aufgenommen, teilweise auch in Doppelschichten mit Matze und Toningenieur Tom abwechselnd an den Reglern. Vor und während der Aufnahmen habe ich mich intensiv mit alten Punk- und Hardcore-Platten beschäftigt, weil ich diese Wut, dieses Gefühl genau auf den Punkt auf dieser Platte haben wollte. Tommi hat die Scheibe mit Matze gemixt und gemastert und hatte eine klare Vorstellung davon. Es sollte keine Retroplatte werden, wir haben uns schon die Technik von heute zu Nutze gemacht, aber eben anders, als viele Punkbands da heutzutage rangehen. Es war uns wichtig, nicht glattgebügelt zu klingen. Der Gesang über allem und ein poppiger Unterton, das durfte auf gar keinen Fall sein, die Scheibe sollte pur sein. Beim Einspielen selber haben wir akribisch drauf geachtet, alles lebendig zu halten. Es wird mittlerweile so viel kopiert und hin- und hergeschoben im Tonstudio, dadurch geht Leben und Energie verloren. Beim Einsingen dachte ich teilweise, ich kippe um, weil die Jungs darauf bestanden, so viel wie möglich reinzubringen. Nicht anders sind wir bei den anderen Instrumenten vorgegangen. Als ich die Scheibe das erste Mal fertig und am Stück hörte, war ich sehr glücklich und zufrieden, und für uns alle war es ein Erlebnis, so vorzugehen. Zwischendurch habe ich mich so gefühlt, als ob es meine erste Aufnahme überhaupt wäre, alles war neu und spannend. Jeder Song auf der Platte kann für sich selbst stehen und trotzdem funktioniert sie im Ganzen.
Den Weg der BROILERS, stilistisch mit der Oi!-Vergangenheit weitgehend zu brechen, seid ihr nicht gegangen, im Gegenteil, ihr klingt heute mehr nach den britischen Klassikern als je zuvor. Wieso dieser Schritt?
Sebi: Was wir für Songs schreiben und wie die Platte klingen kann, wussten wir vor den ersten Proben nicht. Tommi hatte meine Texte, und dann haben wir uns getroffen. Da gab es kein Brainstorming, bei dem wir beschlossen hätten, es sollte das und das dabei herauskommen. Sicher war für uns nur, dass wir unseren Stil, unsere Attitude nicht ändern wollten. Da bin ich mir auch sicher, dass so was auch nicht möglich wäre, denn für mich passiert Songwriting aus dem Bauch heraus, ohne großes Kalkül. Wo ich mir allerdings sicher war – und die anderen auch –, das war einfach, dass wir genau das machen wollten, was uns allen an älteren Bands und Platten fasziniert. Da haben wir innerhalb der Band ein paar Schnittmengen, aber im Großen und Ganzen auch verschiedene Geschmäcker. Gerade bei meiner Vorliebe für frühen US-Hardcore und -Punk stehe ich allein auf weiter Flur. Da können wir uns gerade noch auf IRON CROSS einigen, hahaha. Lars hat einen Hang zu britischem Punkrock, Tommi mag es sehr melodisch und harmonisch. Phil hat sich aus verschiedenen Snaredrums die älteste und abgefuckteste ausgesucht, dadurch entstand der Sound. Wenn wir dicht dran sind an dieser Dekade und trotzdem nicht altbacken klingen, haben wir alles richtig gemacht. Ein paar Freunde der Band haben die Scheibe schon vorab gehört und sind positiv überrascht über die Entwicklung des Songwritings und wie wir 2012 klingen. Und trotzdem machen wir im Prinzip nichts anderes, als wir immer gemacht haben.
Euer Cover zeigt in einem scherenschnittartigen Schwarzweißmotiv einen Skinhead am Kreuz. Wer hat’s gezeichnet, und werden die armen, schwachen Skinheads wirklich von allen so zum Opfer gemacht ...?
Sebi: Jede Subkultur hat ihre selbst gewählte und selbst bestimmte Identität mit Symbolik und Merkmalen. Der öffentliche Blickwinkel auf die Skinhead-Lebenskultur ist bekannt und bei den Menschen verinnerlicht. Wir nutzen das gerne für unsere Plattencover und das Artwork der Band. Der „Crucified Skin“ ist ein klassisches Symbol, und ich sehe keinen Bezug zum Nazarener, in dessen Namen der halbe Erdball bluten muss. Schwach und arm sehe ich nicht in dem Bild, eher verächtlich und würdevoll und voller Selbstbewusstsein. Als Totschlagargument kommt immer wieder die „Opferrolle“, die sich Skins angeblich selber zuweisen. Ist ja auch sehr einfach, jeden Versuch, sich offensiv gegen bestehende Vorurteile zu wehren, als Opferhaltung darzustellen. Ganz egal, ob du grüne Haare hast, Mohawk oder rasiertes Haupthaar, grundsätzlich schlägt dir von der breiten Masse Verachtung entgegen und kein Verständnis. Außenseiter sind nicht beliebt, und das hat nichts mit einer Opferrolle zu tun. Auf meinen Schultern ist genug Platz, um Scheiß abzuladen, das geht schon in Ordnung. Kritikern kann ich nur raten, eines unserer Konzerte zu besuchen und sich selbst einen Eindruck davon zu machen, wie die Stimmung ist. Gerade bei Clubshows herrscht absolute positive Mental-Attitude ohne Aggressionen, es ist so, wie ein Punk-Gig sein sollte. Wild, enthusiastisch und jeder kann alles rauslassen und Teil des Ganzen werden. Es ist was Besonderes und wir behandeln dieses Gefühl pfleglich, damit es erhalten bleibt. Das Cover hat uns Nico von Slams Tattoo aus Nordhausen entworfen. Er hat auch das Cover für das „Tage deiner Jugend“-Album und die „Antisocial“-Mini-CD entworfen und unsere Wünsche perfekt umgesetzt. Gerade zwischen der „Antisocial“ und der neuen Platte „... bis hierher!“ liegt in der Symbolik der Cover eine Verbindung, und wir haben den knienden Skinhead dieses Mal ans Kreuz geschlagen. Einfach, direkt und ohne Umschweife kommen wir damit zum Thema, so wie in unseren Songs.
Lars: Das Motiv des „Crucified Skin“ stammt aus England Anfang der Achtziger Jahre, aus einer Zeit, als Skinheads als Sündenböcke für alle möglichen Missstände – wie Gewalt, Rechtsradikalismus – herhalten mussten. Auch in Deutschland Anfang der Neunziger war das Wort „Skinhead“ ein Synonym für „Nazi“ ... Nicht Nazis haben Asylantenheime angezündet, nein, es waren immer „Skinheads“. Resultat: wer noch Haare auf dem Kopp hatte, musste sich selber nix vorwerfen, auch wenn er noch so sehr rassistisch und ausländerfeindlich war. Vor allem die Boulevardpresse tut sich ja gerne damit hervor, irgendeine Sau durchs Dorf zu treiben, um die wahren Ursachen nicht benennen zu müssen. Gehirnwäsche pur: weil ja Skinheads, Moslems, Hartz-IVler, Bürger mit Migrationshintergrund etc. schuld daran sind, dass die Welt vor die Wand fährt, muss Otto Normalbürger sein Verhalten nicht ändern, kann weiterhin Bild lesen, billiges Fleisch fressen, die Umwelt verpesten, die Dritte Welt ausbeuten und nach wie vor mit dem Finger immer auf die anderen zeigen. Der „Crucified Skin“ sagt: „Du denkst, das sei alles meine Schuld und ich müsse für deine Sünden büßen? Fick dich! Hass mich doch, ist mir egal!“ Das hat nichts mit Opferrolle oder mangelndem Selbstbewusstsein zu tun, eher im Gegenteil. Verhasst und unverstanden zu sein schweißt zusammen, deshalb tragen viele Skins dieses Motiv ja auch auf ihrer Haut spazieren. Es ist eine Art Totem, der einem jeden Tag aufs Neue sagt, wer man ist und wo man herkommt. Wir fühlen auch nach all den Jahren immer noch so, und diese Verbundenheit bringt dieses Motiv zum Ausdruck.
Auch im Text von „SFFS“ geht es um die Opferrolle und Skinheads: Der Psychologe und Soziologe sagt, dass so eine Selbststigmatisierung nicht gerade von Selbstbewusstsein zeugt. Warum also immer diese Opferrolle, dieses ... Selbstmitleid?
Sebi: ... Vielleicht von Anfang an verloren“. Der vorurteilsfreie Umgang mit Skinheads funktioniert nicht mal innerhalb der sogenannten Szene, da kann sich jeder ausmalen, wie der Umgang in der Gesellschaft stattfindet. Wer sich entscheidet, die Haare zu rasieren, muss einfach damit leben, einen Lebensweg einzuschlagen, der relativ auffällig ist und sehr abfällig und von oben herab behandelt wird. Zumindest wenn die Leute weiter entfernt stehen und nicht nah dran sind. Gerade Soziologen sagen die tollsten Dinge, und es geht auch nicht um Opferrolle oder Selbstmitleid. Um sich abzugrenzen, bedarf es Stilmittel, und egal ob innerhalb oder außerhalb der Subkultur fühle ich mich dabei pudelwohl. Ganz egal, welchen Weg du einschlägst, es gibt überall den Soundtrack dazu, und bei uns sind es diese Songs. Die abfälligen Bemerkungen über „Fleischmützen“ und „Pimmelköppe“ haben sicherlich bei jedem ihre Spuren hinterlassen, der das miterlebt hat, und diese Sprüche kamen ja nicht nur von Spießern oder aus der Mitte der Gesellschaft, sondern eher aus dem direkten Umfeld. Über Punk zu Skinhead und mit dem Moment, wo die Haare ab sind, fängt das Theater an, das hat sich bis heute auch bei den Kids nicht geändert. Und ohne Selbstbewusstsein Skinhead „zu sein,“ stelle ich mir ziemlich schwierig vor, wobei Psychologen auch da die passende Erklärung parat haben werden. Inspirationen zu dieser Art von Song sind Bands wie YOUTH BRIGADE, 7 SECONDS, MINOR THREAT, frühe AGNOSTIC FRONT, WARZONE, URBAN WASTE, THE MOB und so weiter. Gerade die ersten sogenannten Hardcore-Bands – eigentlich ist das alles Punk – strotzen in ihren Texten von dieser Thematik und haben Generationen damit geprägt. NEGATIVE APPROACH bringen es in „Ready to fight“ in einer Minute auf den Punkt, und haben nichts an Aktualität eingebüßt für mich. Wenn ich genauso mit meinen Texten polarisiere, dann freut mich das sehr.
Wie geht ihr heute nach zig Diskussionen mit Angriffen um, gerade wenn sie anonym sind, während man selbst im Rampenlicht steht und sich nicht wehren kann gegen die Heckenschützen aus den Tiefen des Web?
Sebi: Ich schleiche mich in gebückter Haltung ins Schlafzimmer, ziehe die Decke über den Kopf und weine bitterlich in mich hinein. Im Ernst, es ist nicht so leicht, das alles an einem abprallen zu lassen, aber anders geht es bei Anonymität einfach nicht. Es ist einfach, über einen zu reden und immer wieder Dinge aufzurollen, zu denen wir längst alles gesagt haben. Grundsätzlich habe ich da mittlerweile ein dickes Fell entwickelt, denn wer sich nicht zu erkennen gibt, kann nicht erwarten, von mir auch ernst genommen zu werden. Ansonsten bin ich immer bereit, mich zu allen Themen zu äußern, und wir machen das auch in Interviews, Berichten, werden auf Konzerten angesprochen, etc. Dann lieber offenes Visier und auch mal lauter, anstatt auf diese Art und Weise.
Die Problematik der „falschen Freunde“ besteht immer noch. Nicht jeder Anhänger des Skinheadkults hat den „Spirit of 69“ verinnerlicht, immer noch ist es bisweilen der „Spirit of 88“. Wie weit muss, nach all euren Erfahrungen der letzten Jahre, die Verantwortung einer Band reichen, wenn es um die Einstellung der Bands geht, mit denen man spielt, beziehungsweise jener Bands, mit denen irgendeine dieser Bands mal gespielt hat?
Wo ist eure Schmerzgrenze nach all den Jahren der Diskussion?
Sebi: Die Diskussion um uns hat zu einer Sensibilisierung geführt, was das Spielen von Konzerten angeht. Wir achten genau darauf, mit wem wir uns die Bühne teilen und mit welchen Veranstaltern wir Shows machen. Dadurch kommen wir gar nicht in die Situation, dass wir für andere da den Kopf hinhalten müssten. Gerade bei unseren Touren in den letzten Jahren hat sich das super eingespielt, und wir haben einen ganz guten Überblick über alles. Generell bin ich davon überzeugt, dass wir für Nazis oder Sympathisanten der rechten Szene völlig irrelevant sind, denn für die ist schon unsere Affinität zur traditionellen Skinhead-Szene ein rotes Tuch. Ein gutes Beispiel ist eine unserer Touren: Wir sind nach einer Show, in Jena glaube ich, mit dem Tourbus auf eine Tankstelle in einem Kaff gefahren, und Phil und Jean-Luc – ein schwarzer und ein asiatischer Skinhead – waren schon im Laden, den die örtliche Nazicrew wohl als Treffpunkt nutzt. Bevor wir alle eintrudelten, wurden die beiden schon als Opfer auserkoren, ohne dass sie es bemerkten hatten. Die ersten Sprüche kamen und hätten diese Typen nicht eindeutige Klamotten getragen, etwa von Thor Steinar, hätte ich gedacht, das wären Hardcore- oder Skaterkids. Na ja, noch eh wir komplett waren, haben wir die aus dem Laden geschmissen und ihnen ans Herz gelegt, nur ein Wort zu sagen und wir krempeln sie von innen nach außen. Die sind hängenden Kopfes und ohne Worte abgehauen, Hals über Kopf. Von uns haben in dem Fall zwei Leute und ein paar Worte gereicht, es hätte auch anders ausgehen können. Dieses Pack ist so weit von uns entfernt, und ich kann nicht verstehen, wie manche Kids diesen Abschaum gleichsetzen mit Leuten, die gegen rechte Tendenzen und Strukturen vorgehen. Die Faschos in diesem Tankstellenbistro hätten Phil und Jean-Luc kaltgemacht, ohne mit der Wimper zu zucken, und das ist menschenverachtend und das Allerletzte.
Lars: Es muss einen Grundkonsens geben, und da wir Anhänger einer multiethnischen Subkultur sind, ist dieser ganz klar antirassistisch. Wem das nicht passt, der hat auf unseren Konzerten auch nix verloren. Ich muss nicht mit jedem hundertprozentig einer Meinung sein, aber dieser gemeinsame Nenner steht nicht zur Debatte.
Letztlich wird die ganze „Grauzonen“-Diskussion immer absurder: Unlängst lösten sich UNITED STRUGGLE auf, weil sich einer von denen mit einem von euch hat fotografieren lassen. Auch die STAGE BOTTLES müssen sich für die Freundschaft mit euch rechtfertigen. Reitet die Heilige Römische Inquisition wieder?
Sebi: Unser Bassist Lars wird von mir auch liebevoll „Weltenzerstörer“ genannt und trotz meiner Warnungen scheint es Dutzende Musiker anderer Punkrock-Bands nicht davon abzuhalten, sich mit ihm fotografieren zu lassen. Das ist schon ein Running Gag und da sind Leute dabei, die auf uns zukommen, die nicht mal annähernd im Fokus zu dem Thema stehen.
Lars: Diese Geschichte ist an Absurdität wirklich kaum zu überbieten, es erinnert doch tatsächlich an die Spanische Inquisition. Ich werde wohl nie verstehen, dass ein lausiges Foto, auf dem zwei Leute nebeneinander stehen, dazu führen konnte, dass eine Band aufgelöst wird. Das hat für mich nichts mit Konsequenz oder Glaubwürdigkeit zu tun, sondern eher mit blanker Angst vor einem möglichen Shitstorm im Internet oder blindem Glauben an so was Hirnrissiges wie „Kontaktschuld“. Dass sich neuerdings auch die STAGE BOTTLES Anfeindungen ausgesetzt sehen, ist absolut lächerlich, kommt aber nicht unerwartet, sondern ist eher gewollt. Marcel von den STAGE BOTTLES hat sich ganz bewusst mit mir fotografieren lassen, um darauf hinzuweisen, dass diese ganze Grauzonendiskussion mit Mitteln geführt wird, deren Verwendung wohl niemals zu einer Lösung führen wird, sondern eher kontraproduktiv sind. Man sollte nicht alle „Fakten“, die eine selbsternannte und anonyme Szenepolizei im Internet verbreitet, für bare Münze nehmen, sondern sich selbst einen Kopf machen. Man muss ja nicht in allen Punkten übereinstimmen, aber wir sollten nicht vergessen, wer der wahre Feind ist. Wir stellen uns klar gegen Rassismus, aber entsprechende Ansagen auf Konzerten, diverse Stellungnahmen in Interviews, ja sogar die „Oi! against Racism“-Show in Chemnitz Anfang Mai werden in dieser Diskussion einfach als bloße Lippenbekenntnisse abgetan, oder gleich komplett ignoriert. Das würde ja nicht ins Bild passen ...
Der „Ochsensong 2“ drückt nicht gerade Sympathie für Menschen in Uniform, also Polizisten und Soldaten, aus. Einschneidende, prägende Erfahrungen und Erlebnisse? Und ... was ist mit „Szeneuniformen“?
Sebi: Leider kann ich bis heute kaum auf gute Erfahrungen mit der Polizei zurückblicken. Manchmal glaube ich, dass es irgendeinen Grund geben muss, warum jemand Polizist werden möchte, und in solch einer Entscheidung steckt dann schon der Wurm. Selbst wenn ich nicht jedem Polizisten unterstellen möchte, dass er faschistoid oder herrisch in seiner Pflichterfüllung ist, so glaube ich, dass unser System hier die Leute genau dorthin bringt, wo sie letztlich voller Pflichtbewusstsein das „Recht des Staates“ durchdrücken, ob es den Menschen passt oder nicht. Jeder engagierte Mensch wird bei Demos oder beim Fußball schon miterlebt haben, wie Bullen teilweise mit friedlichen Menschen umgehen. Jeder kennt aggressive und arrogante „Kontrollen“ und so weiter. Wie die teilweise mit kleinen Punks und Skins umgehen, die in der Stadt rumhängen, das ist kaum erträglich. Auf der anderen Seite steht natürlich meine Situation als Familienvater, ich möchte meinen Kindern eigentlich nicht meine Storys mit Polizisten aufdrücken, sie sollen selbst im Leben ihre Erfahrungen sammeln. „1-2-3-4-Bullenschwein“ kam für uns nicht in Frage, wir sind die Nummer humorvoller angegangen und haben ’nen lupenreinen Singalong gemacht, den jeder nach zweimal Hören mitgrölen kann. „Szeneuniformen“ sind eine andere Nummer, denn über Outfit drücke ich gerne aus, wo ich mich zugehörig fühle. Sicher nicht mehr ganz so konsequent wie mit 20, aber dennoch weitestgehend stilsicher, hahaha. Für junge Leute ist es sowieso wichtig und sie transportieren damit auch ein Zugehörigkeitsgefühl, und daran kann ich nichts schlimm finden, solange sich niemand Zwängen unterwirft, denen er oder sie gar nicht gerecht werden möchte und kann.
Bei „Heartbeat“ singt Lars Frederiksen von RANCID mit. Wie habt ihr den kennen gelernt, was verbindet euch?
Sebi: Als Lars anfing mit THE OLD FIRM CASUALS, kamen wir übers Internet in Kontakt. Er schrieb mich an, und es stellte sich heraus, dass er STOMPER 98 schon seit Anfang an kannte und die meisten unserer Platten hat und als Vinyljäger ziemlich viele Underground-Bands supportet und mag. Irgendwann haben wir telefoniert und bestimmt drei Stunden gequatscht. Danach habe ich ihn fürs Ox interviewt und seitdem telefonieren wir oft und haben uns längst angefreundet. Im Mai waren wir zusammen mit THE OLD FIRM CASUALS auf Tour und im Sommer dann für die RANCID-Tour gebucht. Die mussten wir leider canceln, allerdings war der Grund auch erfreulich, denn die Frau unseres Saxophonisten Holgi erwartete genau in dem Zeitraum ihr erstes Kind ... Family first! Lars und ich haben viele Gemeinsamkeiten und er ist ein ehrlicher, sensibler Mensch, den ich sehr schätze. Er ist mit seinen Bands sehr erfolgreich und trotzdem komplett geerdet und offen. Auf Tour hat er uns zu Hause besucht, und auch wenn wir nicht mit RANCID gespielt haben, so war ich mit ihnen im Tourbus unterwegs und wir hatten eine Menge Spaß zusammen. Während der Tour mit OFC haben wir zusammen gejammt und nächstes Jahr wollen wir das ein bisschen vertiefen und gemeinsam Musik machen. Die Idee zu „Heartbeat“ kam uns auf der Tour, als ich ihm von der Platte erzählte und speziell von dem Song, den ich auf einer unserer Touren vorher verfasst hatte. Die dritte Strophe war noch offen und er schrieb den Text dann auf Englisch, nachdem wir ihm alles andere übersetzt hatten. Na ja, dann hat er es eingesungen und es geschafft, das Gefühl des Liedes zu transportieren, ist echt toll geworden. Am Ende singt er mit uns noch den Chorus auf Deutsch. Dass er bei uns auf der Platte mitsingt, ist schon etwas Besonderes für uns, denn es ist ein Resultat der Freundschaft und nichts Arrangiertes. Für 2013 planen wir gerade eine gemeinsame Tour durch Europa, denn im 15. Jahr STOMPER 98 wollen wir natürlich auch viel spielen und unterwegs sein!
Und wie kommt es zum KFC-Cover „Knülle im Politbüro“?
Sebi: Darauf bin ich schon vor Jahren gekommen, dank dem „ZK Knülle im Politbüro“. Das waren die, die 2008 unser Konzert im Conne Island in Leipzig als „rechtsoffen“ bezeichneten und verhindern wollten. Der KFC jedenfalls ist eine großartige Punkband und die beiden Longplayer und auch die „Kriminalpogo“-7“ sind in meinen Augen Klassiker, wie auch DAILY TERROR, DIE ALLIIERTEN und SLUTS. KFC-Songs wie „Der goldene Schlagring“ oder „Kein Paradies“, hach, da gerate ich ins Schwärmen. Jetzt haben wir die Nummer auf unsere Art umgesetzt und hoffentlich entdecken ein paar Kids die Band auch für sich.
Was bringt die Zukunft? Ihr scheint mir nicht die Band zu sein, die ihrer „Karriere“ Familie und Beruf komplett unterordnet, gleichzeitig kommen immer mehr Leute zu euren Konzerten.
Sebi: Es ist schon schräg, wenn ich manchmal so sehe, wie die Band funktioniert und wir keinerlei Stress damit haben. Natürlich gibt es Stoßzeiten, wo es mal mehr wird, aber jeder hat seine Aufgaben, wir sind da ein eingespieltes Team. Dazu muss ich aber auch sagen, dass es ohne die Strukturen, die wir uns da geschaffen haben, nicht klappen könnte. Zuerst stehen unsere Familien hinter uns und unterstützen alles, was mir machen. Dazu das Label Sunny Bastards, das uns viele Freiheiten lässt und uns vertraut. Unser Booker Marc Nickel und MAD Tourbooking, auf die wir uns verlassen können. Holgi kümmert sich mit Carmen ums Merch, Tommi und ich um die Organisation, Lars und seine Frau Angy sind immer für die Band da und kümmern sich um Fotos, Websites, und so weiter, und Flacke trinkt Bier – was auch nicht zu unterschätzen ist. Uns ist wichtig, dass der Spaß immer dabei bleibt und wir nur das machen, was wir auch wollen. Da wir alle Jobs haben, können wir kaum alle Gigs spielen, die uns angeboten werden, gerade auch diese ganzen Sachen in Südamerika und Asien müssen wir immer wieder aufschieben, aber auch das wird noch mal alles klappen. Grundsätzlich lassen wir alles erst mal laufen und freuen uns jetzt erst mal auf die Veröffentlichung der neuen Platte „... bis hierher!“. Dann kommt nächstes Jahr der 15. Geburtstag, und der wird unter anderem damit gefeiert, zum ersten Mal in London zu spielen, und nach Kalifornien auf eine Club- und Festival-Tour sind wir auch schon lange eingeladen.
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