STOFF GEWORDENER ROCK - Teil 4

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DIE SECHS TYPEN VON SHIRT-TRÄGERN

1. Der Coolness-Hardliner

Ist bei Konzerten anzutreffen. Und er wird vor allen anderen genannt, weil er der nervigste von allen Shirt-Träger-Typen ist. Er ist der Miesmacher und Besserwisser, der allen anderen stumm mitteilt: „Ich bin besser, härter, cooler, geiler als ihr. Ich bin allwissend. Ihr steht vielleicht auf die Band da vorne. Und die spielt ja auch ganz nett. Kann man sich mal ansehen. Ist besser, als zu Hause auf der Couch zu liegen oder zu arbeiten. Deshalb bin ich ja auch hier. Aber eigentlich ist das hier doch alles Pipifack. Schaut doch mal auf mich und was ich hier am Leib habe: die geballte Ahnung und Kompetenz und Härte.“ Der Coolness-und-Miesmacher-Hardliner trägt natürlich immer das Shirt einer Band, die viel schneller, besser, lauter, intelligenter spielt als die, die er sich da gerade anschaut (anschauen muss). Geht er zum Indiepop-Konzert, trägt er ein Punk-Shirt. Geht er zum Punk-Konzert, dann muss es ein Hardcore-Shirt sein. Wagt er sich unter klassische Hard- oder Bluesrocker, dann geht es nicht unter einem Thrash-Statement mit METALLICA. Und geht er zu METALLLICA, dann streift er sich SLAYER über. Wichtig ist aber auch, bei Bands, die erstmals auf Tour zu kommen, vorher ein Shirt aus den USA besorgt zu haben, um damit mit stolzgeschwellter Brust vor der Show durch die Menge zu paradieren, auf dass sich jeder frage, was das denn für ein toller Hecht ist, wo der wohl dieses coole Shirt her hat, wow! Allerdings war das Leben für Typen wie ihn besser, als es das Internet noch nicht gab und das Bestellen in den USA eine Wissenschaft für sich war. Seitdem wirkt der Coolness-Hardliner etwas verbittert.

2. Der Ärmelabschneider

Er ist der auf Effekheischerei gepolte Ignorant unter den Shirt-Trägern: Selbst bei den schönsten, kultigsten und exklusivsten Leibchen holt er gnadenlos die Schere aus der Schublade und macht sich ans Verstümmeln des Textils: Schnipp, schnapp, Ärmel ab! Schließlich soll jeder seine Tattoos sehen. Die hat er sich ja eigentlich „für sich“ stechen lassen. Aber immer nur selber gucken im Spiegel ist langweilig. Kann man ja mal zeigen, was man so auf der Haut hat: Songtexte, Bandlogos, Spinnennetze, Koi-Karpfen, Totenköpfe, Sternchen, Schlangen, Drachen, Zombies, Gitarren, Mikrofone, Würfel – jedes Motiv ergibt einen Coolness-Punkt. Und dann noch das NIRVANA-Shirt von 1990 dazu? Keine Chance für die anderen! Hier ist der Star – vor allem unter den Konzertbesuchern. Denkt, dass sogar seine unrasierte, stinkende Achselhöhle noch ein Geschenk für die ist, die drumherum stehen dürfen. Schlimmer sind nur drei andere Typen: Shirt-Träger Nummer eins (siehe oben). Die Blankzieher mit ihrem Freier-Oberkörper-Kult im Moshpit-Gemenge vor der Bühne. Und Guildo Horn.

3. Der eBay-Käufer

Von ihm gibt es zwei Subtypen: Subtyp A ist vor allem eins: manisch. Absolut manisch. Sein Konto dagegen ist meist leer. Absolut leer. Denn der eBay-Käufer muss sie alle haben: Die Kult-Shirt aus fast vierzig Jahren Rock-Shirt-Geschichte. Oder die seiner Lieblingsband. Wenn er einer geregelten Arbeit nachgeht, dann kommt er nach Hause, stellt sich eine Fünf-Minuten-Terrine in die Mikrowelle, absorbiert deren Inhalt in zwei Sekunden – und hängt dann bis in den frühen Morgen vorm PC, um bei eBbay nach Band-Shirts zu suchen, auf sie zu bieten, sie zu kaufen. Wenn er keiner geregelten Arbeit nachgeht, dann macht er das auch den ganzen Tag über. Immerhin: Geht er unter Menschen, dann lenkt das wunderschöne Vintage-Shirt mit dem MISFITS-Ghoul von dem augenberingten Ghoul oben auf seinem Hals ab. Subtyp B wiederum kann es sich ohne Weiteres leisten, eBbay shirttechnisch leerzukaufen, weil er relativ vermögend ist. Zu diesem Vermögen gesellt sich jedoch auch – wie bei Typ 1 und 2 in dieser Liste – das elitäre Verhalten. Und das wiederum entbehrt bei ihm meist jeder Grundlage, denn Subtyp B kauft sich eine Sammlung von Shirts zusammen, ohne jemals eine der darauf gezeigten Bands selber live gesehen, ohne jemals eines der darauf gedruckten Konzerte selber besucht zu haben. Das wissen aber nur seine besten Freunde und engsten Vertrauten. Alle anderen denken: Wow, schau mal an: Der hat sie alle gesehen! Auch Hendrix 1969 im Fillmore East. Und das obwohl er aussieht wie dreißig. Wie bewundernswert!

4. Der Konzertneukäufer und Drüberzieher

Ist harmlos für alle anderen Konzertbesucher, denn er zieht weder blank noch will er zeigen: „Seht her, wen ich schon alles live gesehen habe in meinem Leben.“ Der Konzertneukäufer und Drüberzieher geht vor jedem Konzert an den Merch-Stand, kauft sich das aktuelle Tourshirt der Band, die er sich gleich anschauen wird – und streift es einfach über sein zu Hause angezogenes Shirt. Jetzt hat er zwei Shirts an. Entweder wird ihm also zu warm oder er ist, wenn er später nach Hause fährt, draußen besser gegen die Kälte geschützt. Beim nächsten Konzert zieht er dann das neue, an diesem Abend übergestreifte Shirt an – und kauft sich das nächste, das er dann über das mittlerweile alte streift. Befindet sich in einer Endlosschleife. Läuft Gefahr, sich selber zu verwirren, wenn er mal vor die Türe geht, ohne ein Konzert zu besuchen: Welches Shirt soll er denn dann anziehen? Er kann sich ja gleich kein neues kaufen, um es über das alte zu streifen.

5. Der Selbstmacher

Er ist zweifelsohne der Kreativste unter der Shirt-Träger-Typen, ein Anhänger traditioneller D.I.Y.-Technik und damit nah an den Punk-Roots. Anstatt Unsummen für offizielle Band-Shirts auszugeben, die in der Herstellung 1,50 Euro kosten, kauft er sich Blanko-Shirts für einen Appel und ein Ei bei H&M oder Galeria Kaufhof und malt seine Bandmotive mit Textilfarbe selber drauf oder bastelt gar eine Sprühschablone. Vielleicht batikt er den Stoff vorher sogar – dann sieht alles noch mehr Oldschool und D.I.Y. aus. Wird von den anderen eigentlich nicht beachtet, es sei denn er ist so gut, dass er später entweder bei Ed Hardy oder von einer großen Band als Shirt-Designer verpflichtet wird. Dann wird er plötzlich zu dem, der die Shirt-Träger-Typen 1 bis 4 sowie 6 beliefert.

6. Das Allover-Print-Kid

Für ihn wurde der Sechsfarbdruck erfunden. Sein Genre ist Extrem-Emo-Metalcore und Artverwandtes, die Motive müssen wirklich krass und bunt sein, und vor allem nicht dezent. Er liebt seine Shirts vollflächig bedruckt, von Achsel zu Achsel, vom Halsausschnitt bis ganz nach unten. Sieht zwar beschissen aus, es findet weder die Band noch das Label noch sonstwer mit Stil gut, aber das Design von der Stange – es gibt Leute, die leben davon, solche grellen, flashigen Motive meistbietend an Bands zu verkaufen – kommt bei den Kids eben gut an. Shirts für die Altkleidersammlung, in zwei Jahren will das niemand mehr tragen, nicht mal beim Streichen der Wohnung ... Ist aber egal, Allover-Print-Kids hören in zwei Jahren sowieso schon längst andere Bands.