Um hier mal ganz subjektiv den Einstieg zu schaffen, stelle ich erneut fest, dass neben „Fire Of Love“ von THE GUN CLUB, „Songs The Lord Taught Us“ von den CRAMPS und „Dark Continent“ von WALL OF VOODOO das 82er Debüt einer Band aus LA namens THE DREAM SYNDICATE erheblich zu meiner persönlichen Sozialisation beigetragen hat. „The Days Of Wine & Roses“ wurde letztes Jahr auf Rhino wiederveröffentlicht, ergänzt durch die erste EP der Band, und ich bin immer noch schwer ergriffen von der Authentizität dieser vollkommen einmaligen, kraftvollen und rohen Rockplatte, die an drei Tagen unter der Obhut von FLESH EATERS-Frontmann Chris D. eingespielt wurde, der zuvor schon bei GUN CLUBs „Fire Of Love“ und „Walk Among Us“ von den MISFITS Hand angelegt hatte.
Sänger/Gitarrist der Band war Steve Wynn – zu dieser Zeit noch Verkäufer im Rhino-Plattenladen –, neben Karl Precoda (Gitarre), Dennis Duck (Schlagzeug) und Kendra Smith (Bass), die allerdings nach der Platte die Band verließ. Man beschrieb THE DREAM SYNDICATE, neben Bands wie RAIN PARADE, LONG RYDERS, BANGLES oder GREEN ON RED Aushängeschild des sogenannten „Paisley Undergrounds“, später als ähnlich einflussreich für die Entwicklung von „alternativer“ Musik wie VELVET UNDERGROUND oder die STOOGES, jedenfalls war ihnen zu dieser Zeit ein schneller Aufstieg inklusive Majordeal und ausgedehnten Touren beschienen. 1989 war allerdings das Kapitel THE DREAM SYNDICATE beendet, nach drei weiteren Studioplatten – „Medicine Show“ (1984), „Out of the Grey“ (1986), „Ghost Stories“ (1988) – und der Liveplatte „Live at Raji’s“ (1989). Steve Wynn machte danach erfolgreich solo weiter und hat seitdem acht durchweg hervorragende Platten eingespielt – zwei weitere unter dem Bandnamen GUTTERBALL –, bei denen es nicht schwer fällt, genügend Parallelen zum alten DREAM SYNDICATE-Sound zu finden. Das letzte, dieses Jahr auf Blue Rose veröffentlichte Album heißt „Static Transmission“ und ist vielleicht eines, das am besten den Spirit seiner alten Band aufgreift. Deshalb an dieser Stelle ein beinahe schon überfälliges Gespräch mit diesem einflussreichen Musiker, der sich zum Zeitpunkt des Interviews kurioserweise im Haus eines alten Weggefährten in Karlsruhe befand, dem GREEN ON RED-Keyboarder Chris Cacavas.
Steve, wenn man dich heute kategorisieren sollte, würde man unweigerlich „Singer/Songwriter“ wählen. Ein Bereich, in dem es auch leider unheimlich langweilige, belanglose Bands gibt. Wie siehst du dich selbst?
Laut Definition wäre ich sicher ein Songwriter, das ist eben das, was ich am besten kann. Genauso bin ich aber Bandleader einer Psychedelic-Garage-Improvisational-Freakout-Moody-Rockband. Ich hätte allerdings Schwierigkeiten, mich in mehr als zehn Worten beschreiben zu müssen. Bei dieser ganzen Countryrock-, Rootsmusik- und Singer/Songwriter-Geschichte gibt es einen schmalen Grat, der entscheidet, was gut und was schlecht ist. Entweder stimmt das Gefühl und es ist gut, oder es ist einfach nur eine beliebige ‚Tapete’.
Ich habe mal gelesen, du wärst ein „Kult-Rocker“ ...
Nicht übel, oder? Was ich mache, haben schon Generationen anderer Musiker gemacht, wie Archie Shepp, Roky Erickson, Alex Chilton oder John Lee Hooker. Allen ist gemeinsam, dass sie eigenartige, undergroundige Musik gemacht haben, die sich bestimmten Kategorisierungen entzieht, das ist meine Art von Musik. Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe, schaue ich, in welcher Stimmung ich bin und woher gerade eine bestimmte Inspiration kommt – ich versuche Dinge einfach passieren zu lassen. Und wenn das zu etwas bestimmten führt, ist das okay. Sei es ein richtiger Punksong oder eine atmosphärische Ballade, völlig egal, so lange es zu dem Moment passt. Echte Musik dreht sich ums Zuhören und Reagieren – den Leuten um dich herum zuhören und dem, was in deinem Kopf und Herz vorgeht.
Entsteht dadurch nicht eine starke Diskrepanz zwischen deiner Arbeit im Studio und deinen Live-Auftritten?
Eigentlich schon, aber in letzter Zeit immer weniger. Vor allem meine letzten Alben ‚Here Come the Miracles’ und ‚Static Transmission’ fangen Stimmungen und Gefühle ähnlich wie eine Live-Show ein. Ich versuche, mich immer mehr von diesen typischen Studio-Konstruktionen weg zu bewegen, hin zum Einfangen bestimmter Momente.
Von deinen ersten beiden Solo-Platten „Kerosene Man“ von 1990 und „Dazzling Display“ von 1991 kann man das allerdings nicht behaupten, die waren ja schon schmerzhaft überproduziert.
Da hast du Recht, das war das genaue Gegenteil. Als ich die beiden Platten aufnahm, hatte ich sieben Jahre bei DREAM SYNDICATE gespielt und wollte etwas völlig anderes machen. Etwas, das möglichst weit davon entfernt war, und das waren diese beiden fett orchestrierten und arrangierten Platten. Das war recht aufregend, ich hatte so was vorher noch nie gemacht. Es hat damals Spaß gemacht, aber was ich natürlich vorziehe, ist ein paar fähige Leute im selben Raum zu versammeln und den richtigen Moment einzufangen. Das waren die beiden teuersten Platten, die ich jemals gemacht habe. Und es hat auch dementsprechend lange gedauert. Aber ich hatte die Möglichkeit dazu. Ich kann eine Platte für 100 Dollar machen, aber auch für 100.000 Dollar, das spielt eigentlich keine Rolle. Meistens lassen dich Beschränkungen sogar besser arbeiten, wenn du eine Woche Zeit hast, um zu proben und aufzunehmen, und das war’s. Das ist eigentlich das Beste, was dir passieren kann.
Du machst schon über 20 Jahre Musik und bist sozusagen Berufsmusiker, schließlich kannst du von deiner Musik leben. Was motiviert dich darüber hinaus noch dazu Platten aufzunehmen?
Ja, das ist schon ein etwas ungewöhnlicher Job, haha. Und wenn Leute zu mir meinen ‚Toll, du machst alle zwei Jahre ein neues Album’, sage ich ‚Das ist mein Job’. Ich schreibe und toure, suche nach neuen Möglichkeiten Musik zu machen. Und natürlich Platten, mit denen ich zufrieden bin. So lange es genug Leute gibt, die mit mir da einer Meinung sind, kann ich auch ein weiteres Album machen. Ich bin sehr froh, dass ich von meiner Musik leben kann, eigentlich schon seit dem ersten DREAM SYNDICATE-Album. Das ist nicht selbstverständlich und ich liebe nach wie vor, was ich mache.
Tatsächlich, schon seit dem ersten DREAM SYNDICATE-Album?!
Ja, direkt nach ‚The Days Of Wine & Roses’. Es ging alles sehr schnell, jeder von uns hatte zwar schon vorher Musik gemacht, aber was DREAM SYNDICATE betraf, ging es innerhalb von zwei Monaten vom Übungsraum auf die Cover von diversen Magazinen. Eine sehr seltsame, aufregende Erfahrung, die aber auch Schaden angerichtet hat. Wenn man 20 Jahre alt ist, überfordert das einen etwas. Wir haben allerdings nie so viele Platten wie HAIRCUT 100 oder HUMAN LEAGUE verkauft ...
Waren DREAM SYNDICATE eigentlich mal in den Charts?
Ja, ‚Medicine Show’ war drei Wochen in den Billboard Charts. Und wir waren in den Indie-Charts und Kritikercharts, das war auch sehr schön. Es war aber wichtiger, Musiker zu sehen, die mochten, was wir taten und von uns beeinflusst waren, und Kritiker, die über uns schrieben und uns verstanden. Es ist generell angenehmer, wenn deine Musik starken Einfluss auf 500 Leute hat, als wenn sie nur Hintergrundmusik für zwei Millionen ist. Es gab so viele Bands, die während meiner Karriere sehr populär waren und die fünf Jahre später verschwunden waren oder plötzlich in kleineren Clubs als ich spielten.
Wie wichtig war für euch zum Zeitpunkt des ersten DREAM SYNDICATE-Albums 1982 die Punkszene in LA?
Was die Courage betrifft, vor Leuten Musik zu machen, war Punk sicher einflussreich. Wir gründeten DREAM SYNDICATE aber, weil wir ansonsten alles in LA hassten. Die Musik, die wir mochten, wurde nirgends gespielt, also machten wir sie selbst. Vor allem Synthie-Bands wie HUMAN LEAGUE waren populär, und auch an JOURNEY kam man nur schwer vorbei. Es war eine ziemlich trostlose Zeit für gute Musik. Punkrock war zu dieser Zeit auch unheimlich langweilig. Vor allem sehr restriktiv, man musste seine Haare in einer bestimmten Art tragen und bestimmte Klamotten anhaben. Darauf hatten wir überhaupt keine Lust. Wir haben gegen Punk genauso rebelliert, wie gegen alles andere. Wir rebellierten gegen alles: Keiner spielte lange Songs, also spielten wir 20-minütige Songs. Keiner spielte Soli, wir taten es. Wir hatten auch nichts dabei zu verlieren, da wir sowieso kaum fassen konnten, dass wir für unsere Musik bezahlt wurden. Wir waren nur ein Haufen College-Abbrecher.
Ihr habt zu dieser Zeit auch Sachen von Neil Young gecovert wie „Cinnamon Girl“. Wie sah da die Akzeptanz aus?
Wir haben alles mögliche gecovert: Neil Young, ROLLING STONES, Bob Dylan, Eric Clapton, was du willst, klassische Rocksongs eben. Zu dieser Zeit war das sehr radikal. Neil Young gilt heute zwar als Vater von Grunge, Indie und allem, aber 1982 hieß es: Was, Neil Young, dieser alte Hippie?! Er war nicht cool und hat zu dieser Zeit auch ein paar ziemlich schlechte Platten gemacht. Was könnte für einen Punkrocker weniger hip sein als 70er-Rock ...
Ihr wurdet damals oft mit VELVET UNDERGROUND verglichen. Hat euch das eigentlich geschmeichelt?
Wir haben es gehasst. Wir waren damals 20 Jahre alt und alles, worauf wir stolz waren, sollte woanders her stammen. Das wollten wir nicht hören. Wir haben es immer geleugnet. Wenn die Leute mit VELVET UNDERGROUND ankamen, sagte ich immer: Von denen habe ich noch nie gehört. Dummerweise nahmen sie uns dann immer ernst. Das ist doch Lou Reeds alte Band, haha. Aber das ist eine Weile her.
THE DREAM SYNDICATE und andere Bands wurden unter dem Begriff „Paisley Underground“ zusammengefasst. Wie siehst du diese Kategorisierung rückblickend?
Man kann von keiner wirklichen ‚Bewegung’ sprechen, weil wir uns vorher kaum untereinander kannten. Bis wir anfingen, zur selben Zeit in den selben Clubs zu spielen. Innerhalb kürzester Zeit gab es fünf oder sechs Bands, die Musik machten, die ansonsten keiner machte und die sich sehr ähnlich war. Wir benutzten Gitarren und spielten 60s-Psychedelic-Rock. Es gab keinen Wettbewerb untereinander, es war mehr wie ‚Wir gegen den Rest der Welt’. Ein Jahr lang war es eine sehr aufregende Szene, dann veränderte sich das alles. Das hatte viel mit dem Erfolg zu tun, denn wir begannen alle auf der ganzen Welt zu touren. Wir waren zwar immer noch Freunde, aber es war keine Szene mehr, weil wir alle LA verließen.
Wie haben eigentlich die BANGLES, die sich ja gerade reformiert haben, in diese Szene gepasst?
Die BANGLES, wie sie sich später nannten, haben die wildesten Shows von uns allen gespielt und extrem trashigen Garagenrock gemacht. Man hört das noch bei ihren ersten Singles. Es war ein langer Weg von Coverversionen der SEEDS und LOVE bis zu ‚Eternal Flame’, den ich immer noch für einen guten Song halte. Susanna Hoffs konnte man zuletzt übrigens auch als Sängerin der Austin Powers-Band in ‚Goldmember’ sehen. Na ja, ihr Mann hat ja auch alle drei Austin Powers-Filme gedreht. Einige Leute aus dieser Zeit machen überhaupt keine Platten mehr, andere jedes Jahr. Andere machen Millionen von Dollar, andere haben recht schwere Zeiten. Komisch ist, dass ich eigentlich immer noch Kontakt zu den meisten von ihnen habe.
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