... hat mich 2010 verdammt viel Geld gekostet. Mehr oder weniger aus dem Nichts explodiert ein zuvor eher weißer Fleck auf der kanadischen Punkrock-Landkarte plötzlich und spuckt Massen an großartigen Bands aller möglichen Spielarten aus, die sich scheinbar mittels gentechnischer Verfahren auch noch wie die altbekannten Karnickel vermehren. Scheuklappen und abgekapselte Szeneghettos werden dabei völlig außen vor gelassen und man muss sich fragen, warum so etwas eigentlich nicht überall möglich ist. Eine der Bands, mit denen das alles angefangen hat, waren die SEDATIVES, und genau aus deren Reihen rekrutieren sich auch drei Viertel der STEVE ADAMYK BAND, die jetzt eben nicht mehr in alter SEDATIVES-Manier orgelgetriebenen WIPERS-Punkrock zelebrieren, sondern ohne mit der Wimper zu zucken einfach mal ein Power-Pop-Punk-Meisterwerk der Extraklasse abliefern. Kanada, ich komme!
Wenn ich an meine persönlichen Punkrock-Favoriten des vergangenen Jahres denke, fällt mir auf, dass ein großer Teil von ihnen von Bands aus Ottawa aufgenommen wurde. Was ist das Besondere an eurer Stadt, das es schafft, bei mir derartige Begeisterungsstürme auszulösen?
Steve: Ottawa ist verglichen mit den anderen großen Städten in Nordamerika ein besonderer Ort, vor allem, was den Respekt angeht, mit dem Musiker miteinander umgehen. Weil es nicht so groß ist wie andere Städte, beispielsweise Toronto oder New York, kennen sich die meisten Musiker auch sehr gut, selbst außerhalb des Punkrock-Bereichs. Die Bands hier neigen dazu, ein sehr inzestuöses Verhalten an den Tag zu legen, was ihre Bandmitglieder angeht, wodurch die Szene ständig am Laufen gehalten wird.
Dave: Ich denke, der Schlüssel dazu, was die Szene in Ottawa so besonders macht, liegt darin, dass zwischen den Bands so etwas wie ein freundschaftlicher Wettkampf herrscht, was Songwriting und Plattenveröffentlichungen betrifft, außerdem arbeiten alle ununterbrochen daran, mehr und mehr Leute für ihre Musik begeistern zu können. Als die Bands anfingen, war das alles schon genauso, eben nur auf einem kleineren, lokalen Level, das jetzt halt etwas größer geworden ist. Wie gesagt, dieser gegenseitige, freundschaftliche Wettkampf treibt uns weiter an, alles Menschenmögliche in unsere Bands zu stecken, unsere ganze Energie zu investieren.
Sieht man sich die Compilation „Ottawa Gaga“ an, fällt einem vor allem auf, dass es innerhalb der Szene in Ottawa keine festgefahrenen Genregrenzen zu geben scheint. Trifft das so wirklich zu, oder hat die Compilation da bei mir einfach nur einen falschen Eindruck erzeugt?
Dave: Es trifft wirklich zu, dass unsere erweiterte Ottawa-Punkrock-Familie sehr abwechslungsreich ist und versucht, die ganzen Subgenres von Punkrock auszuloten. Die meisten von uns sind einfach an einem Punkt in ihrem Leben angekommen, wo sie erkennen, dass diese Subgenres nicht getrennt voneinander existieren müssen. Wenn du jünger bist, hast du oft das Gefühl, dich ausschließlich mit einer bestimmten Ästhetik identifizieren zu müssen, Hardcore, Pop-Punk, was auch immer. Du denkst, du müsstest dich abgrenzen, auch gegenüber den anderen Punks. Wenn du älter bist, erkennst du aber, das wir alle aus ähnlichen Gründen dabei sind, und dass du dich nicht schämen musst, weil du MR. T. EXPERIENCE hörst.
Steve: Zum größten Teil trifft das zu. Auch wenn dir persönlich ein bestimmtes Genre vielleicht nicht gefällt, respektierst und unterstützt du dich trotzdem gegenseitig.
Wo liegt eurer Meinung nach der Unterschied zwischen der Szene in Ottawa und dem Rest von Kanada?
Steve: Das einzig Charakteristische ist für mich, dass die Leute hier weniger eingebildet sind, oder sagen wir mal, sie sind toleranter, was die unterschiedlichen Arten von Punk angeht, was wohl auch der Grund dafür ist, warum die unterschiedlichen Bands hier soviel Unterstützung erfahren. Außerdem gibt es hier mehr Bands der „Pop“-Variante von Punk und Garage im Vergleich zu anderen Städten, was aber auch nur unsere Sicht sein könnte, weil wir viel mit dieser Art von Bands zu tun haben. Überall in Kanada sind großartige Bands zu finden. Meine Favoriten im Moment THE TRANZMITORS, SEX CHURCH und FEAR OF LIPSTICK.
Dave: Um ehrlich zu sein, achte ich nicht sehr viel darauf, was in anderen kanadischen Städten so passiert. In Montreal gibt es immer einige spannende Bands wie zum Beispiel die SONIC AVENUES, eine der besten Bands, die Punk im Moment zu bieten hat, und in Quebec gibt es auch ein paar aufregende Bands, PANIC ATTACK oder ROGUE RIVER, dasselbe gilt für Toronto.
Wer sind die Leute und Bands, die eine derartige Explosion der Szene in Ottawa möglich gemacht haben, denn in den vergangenen Jahren war es ja nicht unbedingt das Punkrock-Mekka par excellence, das es heute ist?
Dave: Ottawa hat in den Hochzeiten von Punk sicher seinen Anteil beigetragen, aber in meiner Zeit als Musiker ist es auf jeden Fall das erste Mal, dass ein derartiges internationales Interesse an Ottawa-Punkrock besteht. In aller Bescheidenheit denke ich, dass Ian Manhire von WHITE WIRES und Going Gaga Records, als er zurück nach Ottawa kam, und Steve, Emmanuel, Ian und ich, als wir die SEDATIVES gegründet haben, dafür mitverantwortlich sind, weil andere dadurch bemerkt haben, dass hier etwas passiert und plötzlich Interesse an Ottawa hatten. Sicher sind vor allem auch die WHITE WIRES, eine andere der besten Bands heutzutage, dafür verantwortlich, und als sie dann soweit waren, auch an der Seite von größeren, etablierteren Bands zu spielen, wie unseren guten Freunden von THE CREEPS, ist dadurch die Szene weiter gewachsen und konnte mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Steve, du scheinst ein ziemlich ruheloser Typ zu sein, hast schon bei den MILLION DOLLAR MARXISTS gespielt, bei den SEDATIVES und hast nebenbei etliche andere Projekte laufen. Wie kam es bei all dem auch noch zur Gründung der STEVE ADAMYK BAND und gleichzeitig zum Ende der SEDATIVES?
Dave: Ich würde nicht sagen, dass sich die SEDATIVES aufgelöst haben, wir wollten nur alles etwas ruhen lassen, während wir uns anderen Sachen widmen. Wir sind alle noch immer sehr gute Freunde und unterstützen die Bands der anderen, wo immer es nur möglich ist. Nach der Europatour war uns aber auch klar, dass wir innerhalb kürzester Zeit mehr erreicht haben, als wir jemals zu träumen gewagt hätten. Also wollten wir etwas Abstand von der Sache gewinnen, bevor es mehr zu einer Last wird, anstatt uns weiterhin Spaß zu machen.
Steve: Zu dieser Zeit hatte ich irgendwie das Gefühl, dass ich der Einzige von uns vieren bin, der kein Projekt hatte, in das er seine Zeit investieren konnte, also nahm ich ein paar Songs, die ich irgendwann mal geschrieben hatte, und formierte dafür eine Band. So gesehen, war es also eigentlich nur, weil ich sonst nichts zu tun hatte, ich bin halt einfach nicht der Typ, der einfach nur herumsitzen kann, ohne etwas Kreatives zu machen. Ich brauche eben einen dauerhaften musikalischen Fokus, um am Boden zu bleiben.
Was ist das Besondere an der STEVE ADAMYK BAND, verglichen mit den anderen Bands, in denen ihr spielt oder gespielt habt? Welche anderen Projekte sind das genau, die ihr nebenbei noch am Laufen habt?
Steve: Das Besondere ist, dass ich keinen in irgendeiner Form zufrieden stellen muss. Ich meine damit, dass wir immer gemeinsam als Band arbeiten und jeder gleichermaßen an allen Entscheidungen die Band betreffend beteiligt ist, wir uns aber zur selben Zeit auch dermaßen gut verstehen und auf einer Wellenlinie liegen, dass ich glaube, dies wird immer mehr oder weniger der Fall sein, wenn wir zusammen arbeiten. Ich habe immer versucht, Songs zu schreiben, die eine gewisse Pop-Kante haben und hatte in der Vergangenheit nicht immer das Gefühl, dass ich das wirklich gut umsetzen kann. Ich spiele auch noch in einer anderen eher traditionellen Powerpop Band, URANIUM COMEBACK, zusammen mit allen Originalmitgliedern der MILLION DOLLAR MARXISTS. Unsere erste LP wird Anfang 2011 bei Going Gaga Records erscheinen.
Dave: Da bin ich absolut derselben Meinung, wir haben alle dasselbe Ziel, das wir mit unserer Musik erreichen wollen, und der unterschiedliche musikalische Background von jedem ist es, der das letztendliche Ergebnis vielleicht interessanter macht, als wenn wir alle immer nur Pop-Punk oder Powerpop gehört hätten.
Ihr werdet häufig mit klassischen kanadischen Punkrock- und Powerpop-Bands verglichen wie den POINTED STICKS oder DIODES.
Steve: Oh Mann, das haut mich wirklich um, denn ich liebe diese beiden Bands, aber ich hatte eigentlich keinen speziellen Sound im Kopf, als ich die Songs geschrieben habe. Aber ich denke, dass es auf jeden Fall einen einzigartigen Stil gibt, der irgendwie typisch kanadisch ist, und der heute viele neue Punk- und Powerpop-Bands beeinflusst. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob wir hundertprozentig in diese Kategorie passen, aber trotzdem sehe ich das als Kompliment.
Eines der typischen Klischees hinsichtlich Bands mit einem eher poppigen Sound ist, dass ihre Texte hauptsächlich schmalzige Liebeslieder sind, die sie für ihre Ex-Freundinnen geschrieben haben. Trifft das auf euch auch zu und würdest du das überhaupt als etwas Schlechtes sehen?
Steve: Sicher trifft das zu, und auch ich muss gestehen, dass ich einfach nicht anders kann, als meine Zeit damit zu verbringen, solche Liebeslieder zu schreiben, das liegt einfach in meiner Natur. Das liegt nicht daran, dass ich einer bestimmten Vorgabe folge oder versuche Klischees zu erfüllen, ich schreibe einfach über das, was mir gerade im Kopf herumschwirrt. Vielleicht eine Art Hirnschädigung, wer weiß. Immerhin versuche ich, das seit Neustem mehr und mehr zu vermeiden, und mit den nächsten Platten gelobe ich, eine etwas breitere Themenpalette abzudecken.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #94 Februar/März 2011 und Dirk Klotzbach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #92 Oktober/November 2010 und Joachim Hiller