Es gibt nur wenige Bands, denen man ohne Einschränkungen bescheinigen kann, völlig eigenständig zu sein, soweit das überhaupt möglich ist. Bei den 1977 in Los Angeles im Zuge von New Wave und Punk entstandenen WALL OF VOODOO (WOV) hört man zwar deren Einflüsse heraus, nichtsdestotrotz produzierte die Band einen Sound, den man schwerlich mit einer anderen Band vor oder nach WOV vergleichen könnte – was sich in dieser Form vielleicht noch über die musikalisch verwandten DEVO sagen lässt. Bei WOV vermischten sich synthetische, extrem beschleunigte Beats – so als ob die Rhythmusmaschine unter Bluthochdruck leiden würde –, seltsame Keyboardsounds mit verzerrten Morricone-Western-Gitarren, ein bizarrer, beklemmender Film-Noir-Soundtrack mit einem Sänger, dessen emotionsloser Sprechgesang und seine von Jim Thompson gespeisten Texte perfekt zum unterkühlten, metallisch scharfkantig klingenden Gesamtkonzept der Band passte. Der hieß Stan bzw. Stanard Ridgway und wurde auf dem 1981er Full-Length-Debüt „Dark Continent“ von Gitarrist Marc Moreland, Bassist/Keyboarder Bruce Moreland, Keyboarder Chas T. Gray und Drummer Joe Nanini unterstützt.
Es folgte 1982 mit „Call Of The West“ eine nicht minder großartige und ungewöhnliche Platte – allerdings ohne Bruce Moreland –, die mit „Mexican Radio“ den wohl bekanntesten und erfolgreichsten WOV-Song enthielt, wobei einer der besten Songs – die Coverversion von Johnny Cashs „Ring of fire“ – bereits in der Frühzeit der Band vor „Dark Continent“ entstand, und die auf der Compilation „The Index Masters“ bestens dokumentiert ist, welche aber leider, ähnlich wie „Dark Continent“, gerade recht schwer aufzutreiben ist. 1983 verließ Ridgway die Band und begann eine Solokarriere, während die restliche Band mit Andy Prieboy als Sänger noch zwei weitere, wenig bemerkenswerte Platten aufnahm. Auch wenn Ridgway auf seinen Solo-Platten – die erste war „The Big Heat“ und wurde 1985 veröffentlicht, mit Ridgways europäischem Hit „Camouflage“ – den kühlen WOV-Sound immer weiter auf normales Singer/Songwriter-Niveau zurückfuhr und seine Johnny Cash- und Morricone-Einflüsse offener zur Geltung kommen ließ, gehörte der Mann schon alleine durch seinen völlig einzigartigen Gesang und sein Talent zum Geschichtenerzählen zu den faszinierendsten Musikern der letzten zwanzig Jahre. Im letzten Jahr erschien Ridgways neue, hervorragende Platte „Snakebite: Blacktop Ballads & Fugitive Songs“ – und eine weitere ohne deutschen Vertrieb –, wo er mit dem Song „Talkin’ Wall of Voodoo Blues, Pt. 1“ das erste Mal auch die Geschichte seiner ehemaligen Band aufarbeitete und dem Umstand Tribut zollte, dass Marc Moreland und Joe Nanini in den letzten Jahren verstarben, womit der geneigte Fan seine Träume von einer WOV-Reunion endgültig begraben kann. Und auch am Telefon präsentierte sich Ridgway als unterhaltsamer Geschichtenerzähler und Mensch mit einem breiten musikalischen Horizont.
Stan, „Snakebite: Blacktop Ballads & Fugitive Songs“, deine neue Soloplatte nach einer Pause von fünf Jahren, ist irgendwie auch eine deiner besten geworden, quasi die Essenz deiner bisherigen Arbeit als Songwriter. Wie siehst du das selbst?
„Ich weiß gar nicht so recht, was ich über ‚Snakebite‘ sagen soll. Meistens weiß ich erst ein Jahr später, worum es in den Songs wirklich geht. Sie spiegeln wieder, an was für einem Punkt ich mich gerade befinde, sie beschreiben meinen inneren Zustand, oder es sind einfach unterhaltsame Geschichten oder Statements, die ich verarbeitet habe. Ich habe diesmal sehr viele Songs für die Platte geschrieben, insgesamt sechzehn. Eigentlich sollte sie kürzer sein, mit nur zehn Songs. Ich war deswegen auch etwas unsicher, aber dann gefiel mir doch, wie sich alles entwickelte. Die Platte ist jetzt in drei Akte aufgeteilt, so kann der Hörer an jedem Punkt zu Akt 2 oder Akt 3 wechseln, wenn er keine Zeit hat, alle Akte in Ruhe durchzuhören. Wir leben in einer hektischen Zeit, da hat ja keiner mehr Zeit für so was, haha. Unglücklicherweise geht es auf der Platte oft um den Tod. Was, wie ich denke, so eine Art Wehklagen wegen Marc und Joe ist, die in den letzten Jahren verstorben sind. Das hat mich wirklich fertig gemacht, da ich sie lange nicht gesehen hatte. Ein Jahr lang hat mich das ziemlich beschäftigt, Leute sollten einfach nicht so früh sterben, und in diesem Prozess entstand der Song ‚Talkin’ Wall of Voodoo Blues, Pt. 1‘. Ich selbst bin jetzt auch schon fünfzig. Da denkt man mehr darüber nach, wo das alles hinführt, wo man selbst steht und was das alles bedeutet. Ich würde nicht sagen, dass es eine traurige Platte ist, aber sie ist auf jeden Fall sehr nachdenklich. Es geht in den Songs oft um Flucht und Entkommen, entweder vor miesen Lebensumständen oder emotionalen Problemen. Viele der Geschichten auf ‚Snakebite‘ finden auch in einem Auto statt, ich weiß nicht genau warum, aber es geht viel um Bewegung dabei, Leute, die irgendwohin reisen. Vielleicht in der Wirklichkeit oder nur in deinem Kopf. Ich muss das alles noch verdauen, um ehrlich zu sein, aber ich habe jetzt viel Spaß, die Songs auszuarbeiten und sie live zu spielen. Ich orientierte mich bei der Platte insgesamt mehr an der Vergangenheit, nicht nur textlich, ich wollte auch mehr Akustikgitarre einsetzen, und die Produktion sollte sparsam klingen und wenig zeitgemäße Einflüsse beinhalten, und so einen Rahmen für die sechzehn Geschichten schaffen. Ich wollte, dass auf der Platte echte Musiker echte Instrumente spielen. Der Titel sollte zuerst nur ‚Snakebite‘ sein, dann kam ‚Blacktop Ballads & Fugitive Songs‘ hinzu, weil ich dachte, das reicht nicht, es ist noch mehr als das. Das kommt daher, dass eine der Lieblingsplatten meiner Jugend ‚Gunfighter Ballads & Trail Songs‘ von Marty Robbins ist, mit seinem Hit ‚El Paso‘. Daran musste ich immer denken. Auf dem Cover trägt er einen richtig coolen Revolverhelden-Dress und zieht seinen Revolver, und der Hintergrund ist knallrot. Das macht auf einen Elfjährigen schon ziemlich Eindruck. Und wenn man dann noch die Songs hört, die überwiegend davon handeln, wie sich Leute gegenseitig erschießen ... Es war dysfunktionale Cowboymusik, vorgetragen von einem großartigen Sänger.“
Jedenfalls gab es überwiegend sehr gute Kritiken für deine Platte, das dürfte doch sehr befriedigend sein, oder?
„Ach weißt du, mit den Kritiken zufrieden sein ... Ich weiß nicht so recht. Norman Mailer hat mal gesagt: ‚Halt deinen Kopf gesenkt und schau nicht auf die Punktetabelle.‘ Es ist immer gut zu wissen, dass ein Paar Schuhe, das man gemacht hat, da draußen irgendwo herumläuft, und dass jemand es benutzen kann. Zur selben Zeit gibt es nicht viel, was ich deswegen unternehmen kann, wenn eine Platte das Studio verlassen hat. Ich bin aber eigentlich zufrieden mit dem, was ich tue – verhältnismäßig zufrieden jedenfalls.“
Ebenfalls im letzten Jahr kam „Blood“ heraus, der Soundtrack zur gleichnamigen Ausstellung von Mark Ryden in der New Yorker Earl McGrath Gallery, den du zusammen mit deiner Lebensgefährtin Pietra Wexstun aufgenommen hast. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Ryden, den viele wohl vor allem wegen seiner Plattencover für Sympathy For The Record Industry kennen?
„Mark Ryden ist ein Typ aus Südkalifornien und guter Freund von Sympathy-Boss Long Gone John, und wir sind uns über die Jahre immer mal wieder begegnet und mochten die Arbeit des anderen. Mark ist meiner Meinung nach ein vollendeter Künstler, aber es ist schwer zu beschreiben, was er genau macht. Für mich ist er ein moderner Dali, nur dass es bei ihm keine weichen Uhren gibt, sondern Colonel Sanders oder Abraham Lincoln, Sachen und Bilder, mit denen er aufgewachsen ist, und die verstörend auf ihn wirkten. Colonel Sanders und Kentucky Fried Chicken sollten dir eigentlich Lust auf gegrillte Hähnchen machen, aber ihm machten sie Angst, und das kommt in seiner Kunst zum Vorschein. Die ‚Blood‘-Ausstellung ist Marks Verarbeitung seiner Scheidung und so ist das Ganze natürlich recht depressiv. Mark dachte, es wäre schön, Musik dafür zu haben. Und auch in der Musik steckt natürlich eine gewisse Akzeptanz der dunkleren Seiten des Lebens. Zuerst hatten wir die Idee, man könnte zu jedem Bild gehen, ein Telefon abheben und eine bestimmte Musik hören, aber das wäre zu kompliziert geworden. Also wurde es eine Art Soundtrack für alle Bilder. Die Musik soll fließen, es gibt wenig Beats und das Meiste ist orchestraler Natur. Es wäre auch nicht angemessen gewesen, wenn ich und Pietra Musik dafür geschrieben hätten, die irgendwie trendy wäre: Hey, lass uns ein paar tolle Hip-Hop-Beats über Marks Kunst legen! Die Platte ist ein bisschen wie Sergei Prokofjews ‚Peter und der Wolf‘, nur dass der Wolf Peter frisst und alles ziemlich übel ausgeht. Ich bin sehr zufrieden damit, aber es handelt sich nicht gerade um Partymusik. Es ist eher wie: Ich setze mich jetzt mal in die Badewanne und schneide mir die Pulsadern auf, haha. Danke für die schöne Zeit, Stan und Pietra. Also seid auf der Hut, wenn ihr Antidepressiva oder so was nehmen müsst. Vielleicht sollte eine Warnung auf der Platte sein.“
Deine erste Zusammenarbeit mit Pietra Wexstun ist meines Wissens nach das DRYWALL-Projekt Mitte der 90er mit den beiden Platten „The Drywall Project“ und „The Drywall Incident“, die im Gegensatz zu deinen anderen Soloplatten sehr stark an die dunklen Industrial-Sounds von WOV erinnern.
„Pietra und ich kannten uns bereits schon vor WOV. Ich glaube, wir begegneten uns das erste Mal 1975 bei einer Charlie Musselwhite Blues-Show. Schon in der Frühzeit von WOV gibt es Sachen, auf die Pietra Einfluss hatte und wo ich konkret mit mir zusammengearbeitet habe. Es war, wie mit einem guten Freund darüber zu reden, wie man etwas umsetzen könnte. Speziell beim ‚Call Of The West‘-Album beriet sie mich hinsichtlich des Konzepts der Platte, so dass es eine Art musikalischer Roman wurde. Pietra hat sehr viel Erfahrung mit Literatur, ihr Vater war ein italienischer Professor. DRYWALL war die erste musikalische Kollaboration, wo sie konkret mitgespielt hat, das stimmt. Aber auch schon bei meinen ersten Soloplatten war Pietra die Keyboarderin auf allen Touren. DRYWALL ist für mich eine elektronische Bluesband. Bei WOV war die Idee ja, solche Einflüsse zu verstecken und etwas anderes daraus zu machen, denn wir wollten nicht, dass jemand sagt, wir würden Blues spielen. Bei DRYWALL kamen all diese Einflüsse deutlich zum Vorschein, weshalb alles auch wesentlich bluesiger ist. Die Instrumente, die ich dafür benutzte, hatte ich noch in meinem Schrank – sie stammten aus alten WOV-Zeiten. Eines Tages stieß ich wieder auf sie und dachte, ich hole alle mal raus und spiele wieder auf ihnen. Und Pietra brachte dann noch ihre Ideen ein und so begann alles. Allerdings fragen wir uns, ob das wirklich noch eine Stan Ridgway-Soloplatte wäre? Ich denke nicht, sagte ich, es ist mehr ein neues Projekt, wo wir all diese Sachen filtern und ein bisschen verrückt sein können. Nicht, dass meine Solo-Sachen nicht auch eine Möglichkeit wären, verrückte Dinge zu tun, aber die Perspektive dabei ist eine andere. Auch wenn bei DRYWALL viel auf analogen Sounds basiert, habe ich es immer als etwas Frisches und Neues angesehen, denn es ist eine sehr wütende Musik, gerade auf ‚The Drywall Project‘. Es geht dabei weniger um konkrete Songs, es geht um Strukturen und diese zu vermischen. Und DRYWALL war damals unsere Reaktion auf die L.A. Riots, es sollte eine Trilogie apokalyptischer Dokumentationen sein. Das hat uns aber Probleme eingebracht, denn nachdem wir das gesagt haben, müssen wir natürlich insgesamt drei Platten machen, aber es gibt erst zwei. Doch die dritte Platte ist zur Hälfte fertig, ich habe sie hier, und sie kommt vielleicht schon bald raus.“
Sowohl „Blood“ als auch „The Drywall Incident“ verzichten auf dein eigentliches Markenzeichen, deinen unverwechselbaren Gesang, der auch WOV nicht unwesentlich geprägt hat. Wie sieht generell dein Verhältnis zu Instrumentalmusik aus? Fehlt deiner Musik dadurch nicht ein wichtiges Element?
„Nein, ich denke höchstens: Endlich brauche ich mal nichts zu tun und kann mich ausruhen, haha. Als ich mit dem Musikmachen begann, mit elf oder zwölf, dachte ich auch nicht an Songs, sondern an Instrumentalmusik. Als Teenager und auch noch danach war mein Ziel, Gitarrist von Miles Davis’ Band zu werden, und einen Herren namens John McLaughlin zu ersetzen. Das hatte ich wirklich vor. Und bereits vor WOV, so zwischen ’72 und ’74, lebte ich in San Francisco und spielte Gitarre. Wir spielten Sachen in der Art von Ornette Coleman, viel Freejazz-Kram, wir probierten viel aus und spielten in kleinen verrauchten Jazzclubs. Aber nach einer Weile, weil wir auch kein Geld damit verdienten, meinte ich: Wir brauchen jetzt mal ein paar richtige Songs. Und weil ich durch meinen Vater viele Country&Western-Sachen kennen gelernt hatte, begann ich einige Johnny Cash-Songs zu singen, die ich immer gemocht hatte. Aber menschliche Emotionen sind oftmals zu komplex, um sie in Worte zu fassen. Und deshalb ist das Beste, was Gott jemals erfunden hat, purer Sound, dadurch kann man Emotionen transportieren, die man eigentlich gar nicht genau benennen kann. Da gibt es nichts, was sich zwischen den Hörer und die Musik stellt, also keine Worte, und das macht es zu einer der intensivsten Kunstformen, die es gibt. Gerade die Jazzmusik Mitte der 60er war eine wichtige Quelle für wirklich tolle Musik und Erneuerungen, all das besaß eine große Vitalität. Und es gibt auch Worte dabei, aber es sind keine richtigen Worte. Saxophonisten wie Ornette Coleman spielten damals auf Jahrmärkten in Texas. Coleman begann dort über sein Saxophon förmlich zu fluchen, durch eine bestimmte Art von Sound und Geräuschen. Das war eine Sprache, die sich zwischen Instrumentalmusikern entwickelte. Das begann bereits mit der Bluesmusik der Schwarzen. Hinter der Musik steckte immer eine Botschaft, die sich aber nicht immer über Worte definierte.“
Du gehörst sicher zu den prägnantesten amerikanischen Sängern der letzten 25 Jahre, umso verwunderlicher ist der Umstand, dass es eigentlich nie geplant war, dass du der feste Sänger von WOV sein solltest.
„Ja, zu Beginn wollte ich eigentlich einen anderen Sänger für meine Songs finden. Ich hatte zwar immer gerne gesungen, schon in meinen früheren Bands als Bluesmusiker. Aber ich dachte, um mit dem, was wir taten, erfolgreich zu sein, hätte ich nicht das nötige Selbstvertrauen. Ich wollte der Mann im Hintergrund sein, der Gitarre und Keyboards spielte, der Bandleader. Wir probierten es mit einigen anderen Sängern, aber keiner war dafür geeignet, alle versuchten wie Jim Morrison, Iggy Pop, Bryan Ferry oder David Bowie zu klingen, und das funktionierte nicht. Und so sprang ich als Ersatz ein, weil ich dachte, wir würden bald jemanden finden, um mich zu abzulösen, aber das ist nie passiert. Als ich dann schließlich mit der Band das erste Mal auf der Bühne stand, musste ich grinsen, weil ich dachte, das hier oben geht nicht lange gut, aus der Nummer bin ich jeden Moment wieder raus. Ich ducke mich lieber schon mal, weil bestimmt jeden Moment jemand mit Eiern auf mich wirft. Aber es ging dann so weiter ... Ich dachte eigentlich schon immer, dass in vielen Songs einfach zuviel Melodie sei, und vollkommen umrissene und gestaltete Melodien würde die Emotionen zurückhalten. Auf einem formalen Level kam ich das erste Mal durch Komponisten wie Arnold Schönberg mit solchen Ideen in Berührung. Aber das damals jemand zu erklären, wäre zu suspekt gewesen, vor allem einem Punkrock-Publikum gegenüber. Fuck man, who does this guy think he is, Mr. Smarty Pants? Also habe ich es nie getan ... Ein Einfluss für meinen Gesang waren auch Science-Fiction-Serien wie ‚Twilight Zone‘ oder ‚Outer Limits‘, mit denen ich aufgewachsen war, und die einen Erzähler hatten. Und wenn man es in dieser Form betrachtete, konnte man mit dieser Idee von Freiheit darin sehr vieles tun, man konnte eine Melodie singen oder auch einfach nur sprechen, und so innerhalb der Struktur des Songs einen Platz dafür finden. Das ist nicht so großartig verschieden von dem, was Bob Dylan entwickelt hat. Als Dylan begann, so zu singen, war das Publikum wegen dieses Sprechgesangs erst mal fast peinlich berührt. Denn als er um 1962/63 damit begann, wurde in der Folkmusik ziemlich korrekt gesungen, mit der richtigen Intonation. Aber als Dylan auftauchte, wurde er ein völlig unberechenbarer Faktor. Und Bob Dylan vermittelte durch die Erfindung dieses Gesangsstils quasi jedem: Sing nicht, um zu singen. Er gab vielen Leuten erst das Selbstvertrauen zum Singen. Er und Johnny Cash ... Denn Johnny Cash ist ein ganz ähnlicher Typ von Sänger. Niemand würde behaupten, dass er Caruso ist, aber er ist ein großartiger Sänger. Und warum ist er ein großartiger Sänger? Weil seine Herangehensweise die ist, dass man einer Person zuhört, die ihre Geschichte erzählt, und nicht jemandem, der irgendwas singt. Und das war zu Beginn auch meine Herangehensweise. Aber niemand will mit so einem Stil ewig weitermachen. Und ein Grund, warum ich aus WOV herauswuchs, war diese Art von Beschränkung, dass jemand in der Band entscheiden musste, was man tun durfte und was nicht. Und zu dieser Zeit war mein Kopf einfach voll mit ganz unterschiedlicher Musik. Für mich war es das Beste, mich einfach selbst zu feuern und mein eigenes Ding zu machen, weil es immer schwieriger wurde, die Ideen anderer Leute umzusetzen, und jeden dabei zu beteiligen. Und ich wollte niemanden mit meinen Vorstellungen belästigen.“
Auf „Seven Days In Sammystown“ von 1985 hieß der Sänger dann Andy Prieboy, die Band aber immer noch WOV. Wie hast du den späteren Sound der Band empfunden, den du ja maßgeblich mitentwickelt hattest?
„Für mich klang es einfach anders. Ich fand immer, dass die neuen WOV eher nach melodischem Death-Rock klangen. Es wurde so was wie Nick Cave mit einem Cowboyhut auf. Es war extrem ungeschickt, es immer noch WOV zu nennen. Aber IRS sagte ihnen wohl damals: Ihr bekommt kein Geld mehr von uns, wenn ihr nicht einen Ersatz findet. Für die alten Fans war das sicher etwas seltsam, aber es kamen ja auch neue Fans hinzu. Und es gab da ja noch Marc Moreland, und er war sehr wichtig für den Sound der Band. Ich alleine habe diesen Sound ja auch nicht entwickelt, auch wenn man durchaus sagen könnte, dass ich der Architekt des Ganzen war – meiner bescheidenen Meinung nach. Wir probten Tag und Nacht, um so originell wie möglich zu klingen. Wir verbrachten viel Zeit damit, besagte Regeln aufzustellen, was wir in den Sound integrieren und was nicht, um gewisse Klischees zu beseitigen. Und das geschah in enger Zusammenarbeit mit Joe, Marc, Bruce und Chas. Wir wollten erreichen, dass unser Sound so klang, als ob er von einem anderen Planeten käme, wo es keine Einflüsse gäbe, die jemand erkennen könnte. Das war sehr anstrengend. Und auch ermüdend, wie ich hinzufügen muss. Es war verdammt harte Arbeit, die Sachen so zu gestalten, dass sie so klischeefrei wie möglich waren. Ungefähr vor einem Jahr sprach ich mal mit Mark Mothersbaugh von DEVO über seine Band und WOV, und wir waren beide derselben Meinung, dass wir mit beiden Bands etwas wirklich Originelles gemacht hatten, auch wenn das sicherlich Höhen und Tiefen hatte. Es war in künstlerischer Hinsicht höchst interessant, zur selben Zeit nahmen wir aber in Kauf, dass einige Leute nicht verstanden, was wir da taten. Und dann waren wir zu stolz, das jemandem zu erklären, weil es auch viel zu anmaßend gewesen wäre. Aber wenn man dann als Musiker und Songschreiber mit der Zeit erwachsener wird, sieht man, dass das, was man für völlig einzigartig gehalten hatte, auch nichts Neues unter der Sonne war. Und vieles, was einzigartig und neu war, musste auch nicht zwangsläufig so klingen, als ob es von einem anderen Planeten käme. Vieles was ich mache, beschreiben die Leute vielleicht als Blues-Lick, aber es ist eine Qualität oder Essenz damit verbunden, die mit der eigenen Persönlichkeit oder einem besonderen Standpunkt zusammenhängt. Das ist es, was einen Song ausmacht. Und wenn es ein starker Standpunkt ist, dann ist es auch originell. Es ist auch nichts falsches an einem Ein-Akkord-Song. Lieblingssongs von Marc und mir waren deshalb auch immer ‚Louie, Louie‘ und ‚Wooly Bully‘. Waren die originell? Ich denke schon. War es ein originelles musikalisches Konstrukt? Nicht notwendigerweise. Diese Professoren-Attitüde verliert sich nach einer Weile, wenn man als Songwriter merkt, dass Originalität nicht daher kommt, dass man dieses oder jenes los wird, oder es so oder so macht, es ist das ganze Packet, und man kann dabei so originell sein, wie es der eigene Geist zulässt. ‚Dark Continent‘ war in dieser Hinsicht sicher eine sehr originelle Platte. Nicht viele Platten klingen so, und wahrscheinlich wird keine andere je wieder so klingen. Vor allem Songs wie ‚This way out‘ oder ‚Crack the bell‘. Ich meine, was genau ist das? Viele dieser Songs waren beeinflusst von Bildern und Ideen für Filme, und erst später wurden daraus richtige Songs mit Texten.“
Das bringt uns zu einer weiteren Besonderheit bei WOV, denn zuerst war „Wall Of Voodoo“ gar keine Band, sondern eine Art Soundtrack-Firma, die du gegründet hattest.
„Stimmt, das muss ungefähr Ende 1975 gewesen sein. Ein Freund von mir arbeitete damals in Hollywood für die Firma von Harry Novak, der Exploitationfilme machte, die man in den Drive-Ins sehen konnte, mit ein paar Nacktszenen und Rockmusik und so was. Und ich dachte, ich könnte mit meiner Soundtrack-Firma vielleicht ich in diesem Bereich Arbeit bekommen. Mein Enthusiasmus damals grenzte fast an Blödheit. Aber ich hatte zumindest ein Büro – wo ich auch lebte –, ein Telefon und ein Schild an der Tür. Hallo hier bin ich! Science Fiction?! Low Budget?! Ich bin euer Mann! Zuerst gab es nur mich und ein Tonbandgerät, später leistete ich mir dann irgendwann eine Zweispurmaschine. Etwas von dem, was ich da machte, landete in Trailern der Filmfirma, wo mein Freund arbeitete. Es führte aber zu nichts. Zur selben Zeit arbeitete ich auch noch in einem Delikatessenladen auf dem Hollywood Boulevard, um meine Rechnungen bezahlen zu können. Taxi bin ich auch noch gefahren. Was mich damals zu der Soundtrack-Sache gebracht hatte, war erstens, dass es mir gefiel und mich diese Art Musik begeisterte, und zweitens, dass es für Bands, die keinen festen Plattenvertrag hatten, wirklich schwer war, irgendwo aufzutreten. Wenn man nicht gerade einen Radio-Hit hatte oder in einer Top-40-Band spielte, war keiner an einem interessiert. Im selben Gebäude gab es ein paar Typen im Keller, die ab und an mal zu mir hoch kamen, um mir was aufs Band zu spielen, und einer davon war Marc Moreland. Und wir wurden dann Freunde, weil wir sehr ähnliche Interessen hatten, wir wollten beide etwas Originelles machen. Marc stand sehr auf einige Progrock-Bands, die ich aber nicht kannte, weil mein musikalischer Hintergrund eher Blues und Jazz war. Also hatten wir etwas zu teilen. Marc fragte: Hast du schon von CAPTAIN BEYOND gehört? Nein, aber kennst du Lightnin’ Hopkins? Was wir beide mochten, waren Bands wie KRAFTWERK oder Brian Eno. Von da ab wurden Marc und ich ein Duo, mit mir an der Farfisa-Orgel und an der Rhythmusmaschine und Marc an der Gitarre. Ich war eigentlich auch Gitarrist, mehr als Keyboarder, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt die Nase voll von Gitarren. Ich wollte es für eine Weile nicht mehr machen und Keyboards erschienen mir einfach interessanter. Bei meiner Rhythmusmaschine hatte ich dann die Idee, den Geschwindigkeitsknopf voll aufzudrehen, und so klang der Rhythmus für mich beängstigend und aufregend. Vor allem, wenn man dann noch einen Mambo mit einem Samba oder einen Country&Western-Rhythmus mit einem Walzer mischte, denn es gab Knöpfe, die man zur selben Zeit drücken konnte. So bekam man einen recht schnellen Rhythmus. Und wenn man im Verhältnis dazu andere Musik etwa in halber Geschwindigkeit spielte, also mit anderen Worten deutlich langsamer, entstand ein recht beklemmender Sound, der mich sehr ansprach. So ging es mit dem WOV-Konzept in gewisser Weise los. Die Inspiration war für mich dabei die Band WEATHER REPORT, eine Jazzband, die von einem Österreicher namens Joe Zawinul gegründet worden war. Und ein Großteil der Musik von WEATHER REPORT bewegte sich wesentlich langsamer als deren eigentlicher Rhythmus. Ich weiß nicht, ob ich das ausprobiert hätte, wenn es WEATHER REPORT nicht gegeben hätte ...“
Der bizarre WOV-Sound verschaffte dem nicht weniger bizarren Porno „Nightdreams“ von 1981 – nicht ganz zu Unrecht als „Citizen Kane of Adult Films“ bezeichnet – einen besonderen Höhepunkt, wenn in einer Szene gut hörbar und in voller Länge eure fünfminütige Version von „Ring of fire“ läuft. Wie kam es dazu?
„Frank bzw. Francis Delia, der Regisseur des Films, von dem auch die Fotos auf ‚Call Of The West‘ stammen, hatte damals ein Büro direkt neben meinem, ein Filmemacher mit recht zweifelhaftem Ruf, der auch für diverse einschlägige Magazine arbeitete. Und er benutzte ‚Ring of fire‘ für den Film, ohne dass wir etwas davon wussten. Er zeigte ihn uns dann später: Hey Jungs, der Film ist draußen, wie findet ihr das? Und wir dachten nur: Wow, nicht übel! Mitchell Froom, der dort auch ein Büro hatte, hatte den Rest des Soundtracks komponiert. Ich kannte ihn schon eine ganze Weile, und Mitchell machte zu dieser Zeit die Musik für Filme mit ebenfalls recht zweifelhaftem Ruf. Er bekam sein Geld damals in Schuhkartons überreicht, das hatte er mir mal gezeigt. Aber wie man weiß, macht Mitchell inzwischen ganz andere Sachen, und hat als Produzent mit Suzanne Vega, CROWDED HOUSE, Richard Thompson oder Elvis Costello gearbeitet.“
Konkret an Film-Soundtracks hast du dann allerdings erst später während deiner Solokarriere gearbeitet, wobei die wenigsten davon wirklich bekannt sein dürften. Einer deiner ersten und bekanntesten Beiträge für einen Film müsste der Song „Don’t box me in“ für Coppolas „Rumble Fish“ sein, oder?
„Ja, das stimmt. Die Arbeit an ‚Rumble Fish‘ war allerdings eine recht isolierte Angelegenheit. Stewart Copeland, der ein WOV-Fan war, rief mich damals an und wollte einen Song für einen Film haben, für den er den Soundtrack machte. Wir nahmen den Song auf, und Stewart benutzte Teile davon dann auch für den restlichen Soundtrack, die Mundharmonika und solche Sachen. Ich hatte den Song eigentlich als Ballade geschrieben, und als ich ihn Stewart vorspielte, entwickelten wir diesen Reggae-Mittelteil, der scheinbar ganz gut funktionierte. Danach hatte ich nicht mehr allzu viel mit Soundtracks zu tun, ich konzentrierte mich mehr auf richtige Platten, was mir karrieremäßig sinnvoller erschien. Aber 1989 rief mich jemand vom Sundance Institut an und lud mich über den Sommer als Komponisten ein. Dafür wurde man zwar nicht bezahlt, traf aber all diese Filmleute. Also warum nicht, dachte ich. Ich war da ungefähr einen Monat und dadurch ergab es sich, dass ich einige Soundtracks komponierte. Unglücklicherweise war keiner dieser Filme ein Hit. Und wenn man fünf oder sechs davon macht, die keinen Erfolg haben, entwickelt sich daraus keine wirkliche Karriere. Aber ich mache immer noch Soundtracks, wenn mich jemand anspricht, weil er mich für ein Projekt haben will, oder es ein Film ist, den ich mag. Damals habe ich das überwiegend gemacht, um etwas Übung zu bekommen. Denn die Hälfte dieser Arbeit ist eher technischer Natur, mit den Geräten im Studio und Timecodes und so was. Die andere Hälfte ist die konkrete Zusammenarbeit mit dem Regisseur, um zu klären, an welcher Stelle man durch Musik die Geschichte unterstützen sollte. Ich fand das auf einer handwerklichen Ebene sehr interessant. Aber ich weiß nicht, ob Soundtrack-Arbeit noch wirklich eine Kunstform ist, in den 60ern und 70ern war sie das. Nimm Leute wie Lalo Schifrin, Nino Rota oder Ennio Morricone, da war auch die Zusammenarbeit zwischen Komponist und Regisseur wesentlich enger. Das findet man inzwischen nur noch selten, es gibt nur wenige Regisseure, die nur mit einem einzigen Komponisten arbeiten. Filmmusik ist meistens nur eine Tapete. Das ist teilweise eine wichtige Sache, um den Film zu unterstützen, aber das unterscheidet sich nicht großartig von der Arbeit eines Klempners. Tom Waits hat mal gesagt, als man ihn fragte, warum er keine Soundtracks machen wolle: ‚Man trifft sich mit diesen Leuten und sie bringen etwas mit, was wie ein kaputtes Spielzeug ist. Sie stellen es auf den Tisch, ziehen es auf und sagen: Eigentlich macht es dieses oder jenes, was können wir tun, um es zu reparieren?‘ Und das ist eine gute Umschreibung dafür, wie es ist, an den meisten Filmen zu arbeiten. Viele Filme sind einfach nicht besonders gut. Und die Musik ist oftmals eine Möglichkeit, bestimmte Stellen des Films zu verarzten. Nehmen wir mal an, dass eine Stelle des Films traurig sein soll, aber die Schauspieler sind dabei nicht besonders überzeugend, dann setzt die Musik ein und dadurch wirkt es traurig. Die ganzen Produzenten wollen jede Szene in dieser Form melken, weil sie schreckliche Angst davor haben, originell zu sein. Ich schaue mir nicht zuerst an, an welche Stelle Musik gehört, sondern wo keine Musik nötig ist. Anstatt den Film auf eine sensible und fürsorgliche Art bezüglich der Erzählweise seiner Geschichte zu betrachten, sagen die Produzenten mittlerweile: Schreib einfach Musik von Anfang bis Ende, und wir schauen dann, was funktioniert und was nicht. Eine andere große Persönlichkeit in Bezug auf Filmmusik war Stanley Kubrick, der ihre Funktion neu erfand, indem er seine eigene Auswahl traf, ohne einen eigenen Soundtrack zu haben. Er suchte sich einen Avantgarde-Komponisten wie György Ligeti und platzierte dessen Stücke in seinem Film ‚2001‘. Genauso wie der Einsatz von Johann Strauß bei der Raumstation-Szene, das war wirklich inspirierend. Aber wenn er deswegen die Studioinstanzen hätte durchlaufen müssen, hätte er sicher nur zu hören bekommen: Mein Gott, das können wir unmöglich machen! Es gibt viele Leute, die ich im Filmmusik-Bereich schätze, weil sie Dinge anders angehen. Zum Beispiel jemand wie Thomas Newman, er ist wirklich gut und schrieb die Musik für Filme wie ‚American Beauty‘ oder ‚The Shawshank Redemption‘. Ich habe ihn ein paar Mal getroffen, er ist ein großer WOV-Fan. Und er meinte zu mir: Stan, wie gerne wäre ich in einer Band wie deiner. Und ich sagte: Tommy, verdammt, verschaff mir ein paar Filme wie deine.“
Glaubst du eigentlich, dass Leute, die WOV mögen, auch automatisch deine Solo-Sachen mögen?
„Ich denke, dass das nicht immer der Fall ist, aber ich habe das nie wirklich überprüft. Aber viele Leute, die mich kennen, kannten vorher WOV nicht, sie entdeckten das oft erst im nachhinein. Und es gibt ja auch mehr Soloplatten von mir, als es WOV-Platten mit mir gab.“
Gab es eigentlich jemals Bestrebungen, von welcher Seite auch immer,
als WOV in der Urbesetzung wieder auf die Bühne zu gehen?
„Es gab immer wieder Leute, die mit dieser Idee ankamen. Marc und ich hatten auch mal darüber geredet, wieder zusammen zu spielen, aber nicht als WOV. Ich fand diese Idee auch nie besonders interessant. Für mich haben WOV wirklich tolle Musik gemacht, aber das war damals. Ich habe mich seitdem weiterentwickelt, und bin auch nicht der Typ, der sich in einer Band wohl fühlt. Ich habe eine Band immer mehr als Projekt betrachtet, weniger als Ehe. Und für so eine Reunion muss es schon die richtige Band sein, die richtige Mischung von Charakteren. Die PIXIES sind zum Beispiel wieder zusammen und scheinen ganz gut miteinander auszukommen. Aber wir werden sehen, wie lange es dauert. Und ob sie eine neue Platte machen können. Denn was für einen Sinn macht es, sich wieder zu reformieren, wenn man keine neue Platte machen kann? Es ist kein wirklich schöner Gedanke für mich, sich wie ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt zu fühlen.“
Grundsätzlich ist es ja momentan gar nicht so einfach, sowohl an alle deine Solo-Sachen als auch an die Platten von WOV heranzukommen. Das gilt auch für die späteren WOV-Platten mit Andie Prieboy, unter anderem bedingt durch die Pleite von IRS. Und so werden Platten wie „Dark Continent“, die WOV-Compilation „The Index Masters“ oder „Seven Days In Sammystown“ teilweise zu völlig astronomischen Preisen gehandelt. Dadurch sind auch die frühen Platten einiger Bands wie den FLESHTONES momentan nicht erhältlich. Was kannst du zu dem Hintergrund von IRS sagen?
„IRS war ein kleines Label, das von Miles Copeland gegründet wurde, der der Manager von POLICE war und bei A&M Records angefangen hatte. Also stolperte er unweigerlich in die Arme der Leute von A&M wie Herb Alpert – Mr. Tijuana Brass –, und sagte ihnen: Hört mal, ich habe da eine Idee, warum gebt ihr mir nicht das Geld, um sie umzusetzen? WOV waren von IRS so beeindruckt, weil sie die CRAMPS herausbrachten, und deshalb dachten wir: Was gut für Lux und Ivy ist, muss auch gut für uns sein. Aber die CRAMPS verklagten IRS nach ein oder zwei Alben, weil sie nicht bezahlt wurden. Und bei einigen anderen Leuten auf dem Label entwickelten sich ähnliche Dinge ... Über die Jahre habe ich immer mal daran gedacht, die Rechte zurück zu bekommen. Aber das ist leider eine alte Geschichte, dass bei den Plattenfirmen ständig die Besitzer wechseln. Und bei ‚Dark Continent‘ war es so, dass sie von einer Firma herausgebracht wurde, deren Mutterfirma EMI war, und ‚The Index Masters‘ kam bei A&M heraus, die dann von Polygram aufgekauft wurden. Alle paar Jahre fragt man sich, wo die Platten jetzt wohl sein mögen. Man braucht dafür jemanden bei einer Plattenfirma, der sich wirklich damit auskennt, um sagen zu können: Jetzt machen wir es. Es wäre toll, wenn jemand die Platten wieder rausbringen würde, aber bis jetzt ist es noch nicht passiert. Und für mich ist es einfach zu kompliziert, ich bin mehr an Sachen interessiert, die ich kontrollieren kann, neue Sachen, an denen ich die Rechte habe. Das ist ein Problem, das viele Musiker haben. In einer besseren Welt würden Platten wie ‚Dark Continent‘ und ‚The Index Masters‘ wieder den Leuten gehören, die sie gemacht haben. Aber es ist leider nicht so leicht, einfach zu sagen: Hey Jungs, ihr macht die Platten also nicht mehr? Dann mach ich sie jetzt. Und ihr bekommt einen Nickel von jeder verkauften Platte. Okay? Denn es gibt dort zu viele Rechtsanwälte, die dann denken: Warum wollen die das wohl? Vielleicht sollten wir es doch lieber selber machen. Und dann gehen sie essen und vergessen es wieder. Dieses Problem kennt jeder aus dieser Zeit, der nicht die Form von Erfolg hatte, der die Veröffentlichungsmaschinerie am Laufen hält. Und die meisten Leute bei den großen Plattenfirmen tun eher nichts, bevor sie etwas Falsches tun. Aber vielleicht tut sich in der Zukunft in dieser Hinsicht etwas, denn es sind Platten, die ich gerne erhältlich sehen würde. Und viele andere Leute auch, die dann nicht hundert Dollar oder mehr dafür zahlen müssten.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #60 Juni/Juli 2005 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Kay Werner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #55 Juni/Juli/August 2004 und Thomas Kerpen