Wir schreiben das Jahr 2001. 80 Millionen Nutzer:innen streamen respektive downloaden zwei Milliarden Musikdateien beim Marktführer. Dieser hieß damals Napster – und hat der Musikindustrie auf unbequeme Art den Zahn gezogen, bis ans Ende aller Tage physische Tonträger verkaufen zu können. Seitdem hat sich vieles geändert. Doch auch zum Guten?
Die Auswahl eines Musikstreamingdienstes ist wie Online-Shopping. Unzählige Anbieter überfluten den Markt mit den gleichen Produkten und wer am lautesten schreit, gewinnt. Dass bei einem derartigen Aufwand zwangsweise auch Beteiligte auf der Strecke bleiben, liegt auf der Hand. Sind es in der Textilbranche Näherinnen und Näher, die in Sweatshops zu unmenschlichen Bedingungen Fast Fashion für den Westen produzieren, so sind es im Musikstreaming Bands, Solokünstler:innen und Orchester, also jene, ohne die es gar kein Musikstreaming geben würde. Paradox.
Der harte Kampf der Musikschaffenden
Musiker:innen und ihr Ruf hatten es in den letzten Jahren nicht leicht, auch wenn sie selten selbst den Grundstein für die Aufregung gelegt haben. Dennoch werden sie angeguckt, wenn es teuer wird: Gestiegene Ticketpreise für Konzerte durch höhere Produktionskosten sowie fragwürdige Methoden durch Dynamic Pricing von Ticketanbietern (vgl. Ticketmaster-Eklat), Veranstalterwillkür bei der Preisgestaltung und angezogene Saalmieten, gepaart mit unverhältnismäßigen Gebühren durch Merch-Cut-Forderungen der Locations, hohe Kosten für die Merchproduktion und Preisangleichungen beim Support-Act-Merch auf Shows von Major-Bands, wachsende Reise- und Unterkunftskosten sowie Crew-Honorare und fast schon vergessen: die Deals mit Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften, die an nahezu jeder Einnahme in unterschiedlichsten Gewichtungen mitverdienen. Am Ende zahlen den Preis immer die Künstler:innen und Fans. Die Frage, wieso sich Künstler:innen auf diesen Kampf überhaupt noch einlassen, ist eindeutig berechtigt.
Spotifys kluger Kapitalismus-Kurs
Der Spotify Wrapped-Jahresrückblick war 2023 bereits Ende November durch, und wie andere Anbieter auch, hat es Spotify Nutzer:innen natürlich leicht gemacht, ihre statistischen Hörgewohnheiten grafisch hübsch verpackt zu teilen. Statistiken und Musikgenuss, das klingt irgendwie falsch.
Der Mensch, dessen Wesen es ist, sich Gruppen zugehörig fühlen zu wollen, freut sich, dabei zu sein. Spotify bietet dieses Community-Feature selbstverständlich nicht uneigennützig an, denn jeder in den Socia-Media-Diensten geteilte Jahresrückblick ist kostenlose Werbung für Spotify und damit Teil des Werbedrucks. Millionen Botschafter:innen, die für ihr Streaming-Abo bezahlen, stärken Spotify und CEO Daniel Ek unentgeltlich den Rücken, anstatt für ihre werbliche Arbeit belohnt zu werden.
Dass Ek, der mit bedauernswerten 3,37 Milliarden Euro aus unser aller Taschen laut Forbes leider nur Platz 898 der reichsten Menschen der Welt belegt, die Gewinne des Unternehmens eher seltener in musikkulturelle Projekte investiert, ist kein Geheimnis. So hat er 2021 mit Shakil Khan, einem ehemaligen Spotify-Kollegen, der weiterhin als Investor geführt wird und bereits im Bereich der Immobilienspekulation Erfahrung gesammelt sowie eine Haftstrafe wegen Drogendelikten verbüßt hat, die Investmentfirma Prima Materia mit einer Milliarde Euro Kapital gegründet. Diese wiederum hat unter anderem 100 Millionen Euro in Helsing investiert, eine Firma zur Entwicklung von KI-gesteuerten Kampfdrohnen. Dieses Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, weltweit, Zitat: „demokratische Werte zu schützen“ und bewertet nach eigens erstellten ethischen Leitlinien, welche Länder verteidigt und welche Länder angegriffen werden sollen. Dass Spotify zum eigenen medialen und monetären Vorteil zudem beispielsweise mit Joe Rogan und Tucker Carlson wissentlich und vertraglich geregelt Personen eine Podcast-Bühne bietet, die rechte Verschwörungserzählungen, Falschinformationen, Rassismus und russische Kriegspropaganda verbreiten, nagt zusätzlich am Hochglanzimage des Unternehmens. Wo bleiben hierbei eigentlich die Musikschaffenden?
Rette sie, wer kann!
Wenn es nicht Daniel Ek tut, was können wir aktiv als Fans leisten, damit unsere Lieblingsmusiker:innen (über)leben, damit sich nicht die nächste verarmte Band auflöst, damit das Leben laut bleibt und wir unvergessliche Erinnerungen von Konzerten und Festivals, von Urlauben mit Freunden, von Geburtstags- und Hochzeitsfeiern, von Partys und Sportevents mitnehmen? Wie können wir unseren Respekt und unsere Dankbarkeit vermitteln für jene, die unter erschwerten Bedingungen versuchen, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen, ohne mehr investieren zu müssen, als sie rausbekommen? Respekt für die, die sich ausdrücken und uns mitreißen wollen?
Weshalb die Rechnung derzeit nur für Spotify aufgeht
Ein Ansatz zur Rettung liegt vielleicht so nahe, dass wir ihn gar nicht erst im Fokus haben. Denn der Werbedruck mit seinen bunten Botschaften ist so hoch, dass wir denken, wir würden sowieso bereits das einzig Richtige für unsere Lieblingsbands tun – indem wir so oft es geht Musik streamen, anstatt sie zu kaufen, sie in öffentliche Playlisten packen oder Social-Media-Posts damit ergänzen. Und das geht natürlich am besten mit Spotify, dem grünen Riesen aus Schweden, dessen gewinngetriebene Vermarktung von Musik als Produkt immer wieder neu am Reißbrett optimiert wird und Künstler:innen kompromisslos Strategien diktiert, wie und wann sie Musik zu produzieren haben. Ek glänzte einst mit der Aussage, Bands sollten lieber öfter Singles anstatt über längere Zeiträume Alben veröffentlichen. Dieses „Release early, release often“-Prinzip stammt aus der Softwareentwicklung und erzeugt keinen Mehrwert in der musikalischen Betrachtung. Konstant Content anstatt durchdachter Kunst zu publizieren, mag für vermeintliche Populärmusik ansatzweise funktionieren, nimmt zugleich jedoch der Kreativität den Raum.
Da wir uns beim Fuze Magazine aber mit weniger umsatzstarken Genres beschäftigen, die meist aus einer anderen Motivation heraus entstanden sind, treffen diese Konzepte nicht unbedingt auf die Realität. Rock und Metal sind zwar schon lange keine Subkulturen mehr, sondern feste Inspirationsquellen für die Popkultur, funktionieren jedoch mit einer anderen Dramaturgie.
Was von Abos übrig blieb
Zurück zu den Möglichkeiten, die Fans bleiben, schöne und wertvolle Dinge mit ihrem Beitrag zu finanzieren. Eine kleine Rechnung: Im Durchschnitt hat meine Bubble von Januar bis November 2024 ganz grob ca. 20.000 Minuten Musik bei Spotify gehört. Basierend auf der Annahme, ein Song dauert dreieinhalb Minuten, ergibt das ungefähr 6.060 Streams pro Person (20.000 Minuten / 03:30 Minuten = Anzahl Streams). Auf zwölf Monate hochgerechnet beträgt die Anzahl der Streams damit etwa 6.611.
Spotify tut sich sehr schwer, Details ihres Bezahlmodells preiszugeben. Analysen haben ergeben, dass das Unternehmen in Deutschland derzeit geschätzte 0,0033 Euro pro Stream zahlt. Ab weiteren Schwellenwerten erhöht sich der Wert minimal. Die Auszahlung je Stream variiert dabei stark nach Ländern. Für Deutschland ergibt sich bei 6.611 Streams dadurch grob ein individuell „erhöhter“ Umsatz von 21,81 Euro pro Jahr oder 1,82 Euro pro Monat – bei einem monatlichen Single-Abopreis von 9,99 Euro (2023).
Die Summe von 21,81 Euro wird derzeit abzüglich Gebühren nach einem komplexen System auf die Künstler:innen verteilt. Laut einer Statista-Studie von 2021 schüttet Spotify sogar nur 73,2% der Einnahmen an die Rechteinhaber:innen und andere Gebührennehmer:innen aus.
Good to know: Unabhängige Bands zahlen ca. 20,00 Euro Gebühr pro Jahr, um ihre Musik selbständig über Distributoren wie Distrokid oder Tunecore bei den Streamingdiensten anbieten zu können.
Abhängig davon, ob die Streams per kostenlosem „Free“- oder bezahltem „Premium“-Abo erfolgen, wird der von Spotify ausgeschüttete Betrag erneut unterschiedlich bewertet und die Summe, die Abonnent:innen dank Musikhören „erwirtschaftet“ haben, wird nochmals variabel weiterverteilt.
Moneten, Mythen, Mauscheleien
Jetzt wird es noch komplexer, denn Spotify zahlt nicht allen Musiker:innen auf der Plattform den gleichen Anteil. Nach dem so genannten „Pro-rata“-Bezahlsystem gehen Streaming-Gelder derzeit nicht direkt an die Künstler:innen. Sie fließen in einen Gesamtpool, der dann an alle Artists auf Spotify verteilt wird – und zwar je nachdem, wie groß ihr Anteil an allen Streams ist.
Das hieße, dass einige Acts mehr, andere wiederum weniger bekommen. Ihr erinnert euch an den Hinweis, dass Labels natürlich auch am Streaming mitverdienen? Je nach Vertrag kommen am Ende nur noch Bruchteile der eigentlichen Einnahmen bei den Künstler:innen an. Es gibt zudem Gerüchte über Vereinbarungen mit Labels zu unterschiedlichen Anteilen an der Gesamtauszahlung. Einer der Spotify-Aktionäre: Universal Music Group.
Zudem hat Spotify ein Problem mit so genannten Ghost Artists, also konzipierten „Künstlerhüllen“, die eine ausgedachte Biografie erhalten und – so wird vermutet – von Spotify beauftragt werden. Sie landen in den prominenten Playlists und spülen indirekt noch mehr Geld in die Kassen des Unternehmens.
Sehr gute Beiträge hierzu findet ihr beim NDR und in der ARD-Mediathek unter dem Stichwort „Spotify“.
Deezer zum Beispiel führte zuletzt zusammen mit Warner Music und Universal das „Artist centric“-Abrechnungssystem ein – vorerst im Heimatmarkt Frankreich. Hierbei werden Künstler:innen belohnt, die Streams durch die aktive Suche von User:innen generieren und nicht aufgrund der Empfehlung eines Algorithmus.
Auch 2024 dunkle Wolken am Horizont
Seit dem 01.01.2024 zahlen „Premium“-Nutzer:innen 10,99 Euro/Monat. Dafür erhalten sie weiterhin keine HiFi-Qualität, die zum gleichen Preis zum Beispiel bei Apple oder Deezer schon lange inklusive ist. Auch seit diesem Stichtag schüttet Spotify Geld nur noch für Songs aus, die mehr als 1.000 Streams pro Jahr aufweisen – von mindestens 50 einzelnen Usern. Ab dem 1.001. Stream fängt Spotify bei 0,00 Euro an zu zählen. Dabei ist auch unklar, ob die Summe der Streams auf Compilations zusammengerechnet wird. Betroffen sind 150 Millionen Tracks, so das US Medienanalyse-Unternehmen Luminate. Ein Schlag ins Gesicht für Indielabels, unabhängige Distributoren und Nachwuchskünstler:innen, deren Kunst in der Definition von Spotify wertlos ist. Der unter 1.000 Streams erwirtschaftete Betrag kommt Majorlabels und größeren Acts zugute, die zum Beispiel durch Marketingbudgets mehr Sichtbarkeit haben. Diese Verlagerung des Fokus auf umsatzstärkere Künstler:innen untermauert das Desinteresse von Spotify an Musik als Kulturgut.
Was wir tun können
Wechseln. Spotify sind unsere Lieblingsbands egal und trotz des Reichtums des CEO hat das Unternehmen zuletzt sogar 1.500 Mitarbeitenden (17%) gekündigt, um den Aktienkurs zu optimieren. Es geht um Geld, nicht um die Menschen oder gar Kunst.
Eine kleine Tat mit großer Wirkung
Es gibt einige Anbieter wie zum Beispiel tunemymusic.com, die den Umzug kostenlos innerhalb weniger Minuten ermöglichen. Die meisten Streamingdienste bieten zudem kostenlose Probemitgliedschaften an. Es ist also möglich, parallel einen „weichen“ Übergang zu testen. Die Musikkataloge der gängigen Anbieter sind ähnlich groß wie bei Spotify, teilweise sogar umfangreicher. Kein Song geht verloren. Bis auf wenige exklusive Formate finden sich auch Podcasts auf anderen Plattformen wie Google Podcasts (ab April 2024 bei YouTube) oder podcast.de.
Es liegt – so pathetisch und traurig es klingt – in unseren Händen, die Zukunft unserer Lieblingsbands mitzubestimmen. Nutzt Alternativen, unterstützt den Nachwuchs. Werdet laut für die Musik wie sie für euch. Danke.
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Info
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Vergleich
Ein Vergleich der Ausschüttung pro 6.611 Streams, wenn 100% bei den Künstler:innen ankommen würde (Ertrag aufsteigend sortiert; Werte basierend auf 0,0033 Cent/Stream):
Spotify: 21,81 Euro
Amazon Music: 25,91 Euro
Deezer: 34,18 Euro
Apple Music: 41,05 Euro
YouTube Music: 44,70 Euro
Tidal: 53,28 Euro
Napster: 102,30 Euro
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