Dass bei Punk und Rock’n’Roll neben der Musik die Selbstdarstellung immer ein großer Faktor war, ist nicht von der Hand zu weisen. Man präsentierte sich so gut – oder eben schlecht – es geht, um ein gewisses Image aufzubauen. Natürlich verkommen viele Sachen schnell zum Klischee, aber werden gerade deswegen immer mit einer bestimmten Musik, verbunden. Beim Rock’n’Roll ist in diesem Fall das Pin-up-Girl ein Bild, welches immer wieder auftaucht. Einer junge Dame, die davon fasziniert ist, eben solche abzulichten, ist Tanja Ortmaier, welche den Leuten eher unter dem Pseudonym „Spooky Sally“ geläufig sein wird. Sie ist leidenschaftliche und ausgebildete Fotografin und soll hier einmal vorgestellt werden.
Sally wurde im Sommer 1981 in Berlin geboren und interessierte sich schon früh sehr für Fotografie, was darin gipfelte alles zu fotografieren, was ihr vor die Kamera rannte. Nachdem sie ihr Abitur hinter sich und einige Zeit bei ihren Eltern im Laden gearbeitet hatte, zog sie nach Hamburg, um dort ihr Hobby zum Berufsziel zu machen und die Akademie für Fotografie zu besuchen, an der sie dann im Mai 2004 ihren Abschluss mit Diplom gemacht hat. Danach hat sie sich bereits selbständig gemacht. Aber kann man von so was leben?
„Also, der Plan ist es zumindest, davon irgendwann mal zu leben, aber zur Zeit muss ich mich ganz schön durchbeißen. Das alles ist es mir aber wert, denn ich bin mein eigener Chef, kann wirklich die Bilder machen, die ich möchte, und was eigenes auf die Beine stellen. Und wenn ich bis morgens um sechs im Studio sitze, weiß ich zumindest wofür.“
Andere Fotografen werden von ihr zum Glück nicht als Konkurrenz gesehen, sondern vielmehr als Inspiration. Inzwischen ist sie sogar relativ erfolgreich und hat zusammen mit einem Freund eine Firma gegründet, die Webdesign mit ihrer Fotografie verbindet. Der Name ist „Partners in Crime“, und zur Feier der Gründung gab es sogar eine Ausstellung in einem Bekleidungsladen für Rock’n’Roll-Accessoires. Doch wieso soweit von Hamburg weg?
„Na ja, warum nicht? Ich habe zusammen mit einem Freund eine Firma gegründet, und der Gute kommt nun mal aus Köln. Da wir als ‚Kick-Off‘ die Ausstellung zusammen auf die Beine gestellt haben, lag es nahe, sie in Köln zu machen, denn dort war die Location schon gegeben! Abgesehen davon geht es ja auch darum, ein bisschen rumzukommen. Deswegen sind auch noch ein paar weitere Ausstellungen von mir in Wien, Walldorf, Hamburg oder auch in Berlin geplant.“
Wenn man ihre Internetseite beäugt, merkt man direkt, dass diese Frau Rock’n’Roll im Blut hat, obwohl sie sagt, dass es viel mehr ein Leben neben Rock’n’Roll geben wird, als eins danach. Man sieht sehr viele Pin-up-Bilder, und gerade die entfachen bei manchen Leuten ja immer wieder Diskussionen, da die Frau dort ja als Lustobjekt zu sehen sei. Auf die Frage, was sie davon halte, kam von ihr diese Erklärung:
„Ich denke, gerade die klassischen Pin-ups sind eher eine Hommage an die Frau an sich. Und zwar mit runden Formen, Weiblichkeit und keinen abgemagerten Calvin-Klein-Figuren! Aber gut, das muss wohl jeder für sich selbst an seinem eigenem p.c.-Barometer messen. In erster Linie sehe ich es tatsächlich als Kunst, z. B. Alberto Vargas, Eric Stanton, Bernhard Of Hollywood, Gil Elvgren, Edward Runci haben großartige Bilder und damit auch einen gewissen Kult geschaffen. Pin-ups aus dieser Zeit, seien es fotografierte oder gemalte, umgibt ein gewisser Charme oder Glamour, wo eine Kate Moss einfach nicht mithalten kann. Und in Bezug auf die originalen Pin-ups der Vierziger/Fünfziger Jahre, haben diese doch tatsächlich etwas von Emanzipation. Schließlich war das in einer Zeit, in der es schon als verpönt galt, wenn eine Frau Hosen trug.“
Um eins direkt klarzustellen: Sally ist keine 08/15-Standard-Betty, wie sie heutzutage massenweise herumlaufen. Sie selbst empfindet diesen Trend auch als langweilig und beruft sich auf ganz andere Größen des Pin-up-Genres:
„Es gab oder gibt ja zum Glück auch andere großartige Ikonen wie Ava Gardner, Jean Harlow, Kathleen Hughes, Gypsy Rose Lee, Jane Russell, Judy Garland, Jane Mansfield ... Nur um ein paar zu nennen. Es geht um so viel mehr als um Betty Page. Für mich hat jemand Style, der auch das lebt, was er nach außen hin trägt. Was auch immer das nun sein mag. Ich denke, so was merkt man schon recht schnell, ob jemand er selbst ist, oder einfach nur einem Klischee folgt.“
Auf die Frage, was sie denn von Internet-Sexseiten halten würde, bei denen es um solche Leute und auch welche aus dem Punk-, Gothic- und Metal-Bereich geht, kriegte ich nur ein kurzes
„Tja, wenn schon Wichsvorlage, dann stilecht, oder?“
Man muss aber auch sagen, dass es bei cherrymuffins.com nicht nur um Fotos von Pin-up-Girls geht. Sallys Fotografie ist sehr vielfältig. Sie hat schon zahlreiche Bands wie die MARTHA AND HER TIGERS, die Berliner Bands MAD SIN und CHURCH OF CONFIDENCE, Ruhrpott-Hardcore/Metal-Bands wie MACHINE MADE GOD und ZERO MENTALITY und viele mehr abgelichtet. Ihr Traum wäre es allerdings, mal Tom Waits und Nick Cave vor die Linse zu kriegen. Man merkt, dass die Frau einen abwechslungsreichen Musikgeschmack hat, daher auch die Frage zum perfekten Soundtrack für ihre Bilder:
„Oha. Das ist schwierig. Ich denke, das wäre eine furchtbare Mutation aus Lavern Baker, Jello Biafra, Django Reinhardt, Frankie Lymon, Mike Ness, Big Mama Thornton, Benny Goodman, Joe Strummer und Carl Perkins. Oh Mann, das wird sich grauenvoll anhören.“
Neben Akten, Statuen, Landschaften und Gebäuden entdeckt man auf ihrer Seite auch eine Menge Fotos von alten Autos. Natürlich vorzüglich amerikanische Wagen, was doch ein wenig verwirrt, da neben Fußball, Autos doch ein Gebiet sind, welches von Männern beansprucht wird, aber selbst dafür gibt es eine kurze, plausible Erklärung der 23-jährigen Wahlhamburgerin:
„Hör einmal den Klang eines V8-Motors und sitz am Steuer eines 51er Mercurys ... Ich denke, das wirkt geschlechterübergreifend“
Nach der Frage, welche Aufträge sie grundsätzlich ablehnen würde (bei der ich natürlich eine lange ernste Antwort, etwa einen Vortrag über Pornografie und Gewalt, erwartet hätte), höre ich ein simples
„Hochzeitsfotos von Angela Merkel mit Edmund Stoiber“, was dann schon mal grob ihr politischen Ansichten anreißt.
Dass sie auch nicht gerade ein Kriegsbefürworter ist, kann man an ihrem linken Arm sehen, welcher komplett mit einem Kriegsszenario tätowiert ist. Der andere Arm ist nur mit einem kleinen „Straight Edge“-Schriftzug verziert. Und da sie auf ihrer Kölner Ausstellung auch nicht grade dem Kölsch abgeneigt war, warf sich als letztes die Frage auf, ob und wie oft sie deswegen komische Blicke auf sich zieht:
„Keine Ahnung, ich habe nicht mitgezählt. Da mache ich mir nun auch wirklich keine Gedanken drüber, weil Straight Edge immer nur für mich war und nicht für andere. Genau wie die Tätowierung. Die sieben Jahre waren verdammt wichtig und prägend für mich. Ich habe Straight Edge ‚bis zum Ende‘ mit der vollsten Überzeugung gelebt und deswegen bleibt die Tätowierung auch. Egal, wer auch immer was auch immer darüber denken mag.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #60 Juni/Juli 2005 und Timbo Jones