SPIRITBOX

Foto© by Ana Massard

Angst und Euphorie

Courtney LaPlante hat sich gerade ihren ersten Kaffee des Tages gemacht, als wir sie zum Gespräch treffen. Sie ist in Plauderlaune. Am 1. Dezember erscheint die neue EP der Band aus Vancouver: „The Fear Of Fear“. Uns verrät sie, welche Ängste sie aktuell umtreiben, echauffiert sich über den Status von Frauen in der Metal-Szene und gibt uns einen Einblick in ihre TikTok-For-You-Page.

Mit eurem Album „Eternal Blue“ wart ihr 2021 schlagartig in aller Munde. Wie habt ihr die Zeit seitdem erlebt?

Ich dachte immer, wenn ich je mein Ziel erreichen sollte, auf das ich fast mein ganzes Leben gemeinsam mit Mike [Stringer, Bassist und Courtneys Ehemann, Anm. d. Red.] hinarbeite, würde ich mich glücklich und sicher fühlen. Je älter ich wurde, desto weniger Hoffnung hatte ich darauf. Doch jetzt haben wir es geschafft, können weitestgehend von unserer Musik leben – und in erster Linie spüre ich Druck. Auf einmal haben wir etwas zu verlieren. Zugleich bin ich nicht bereit, für kommerziellen Erfolg meinen künstlerischen Ansatz aufzugeben. Das ist ein Drahtseilakt. Mit jedem neuen Song wächst die Angst, dass kaputtgehen könnte, was wir erreicht haben. Wir haben aktuell so viel Spaß, unsere Band wächst, wir leben unseren Traum. Ich bin glücklicher und zugleich unsicherer denn je.

Beeinflusst der Druck aber vielleicht doch etwas euer Songwriting?
Jein. Songwriting muss für uns ein nach innen gerichteter Prozess sein. Ich finde, es geht nicht darum, was die Fans hören wollen. Wir müssen unser Bestes geben, unsere Emotionen und unsere Message so zu transportieren, dass es sich für uns richtig anfühlt. Wenn ich dabei an die Außenwirkung denke, bin ich sofort blockiert. Besonders in unserem Genre tendieren die Leute dazu, viel zu sehr zu analysieren, beispielsweise ob sich Cleangesang und Screams in einem angemessenen Verhältnis bewegen. Darüber möchte ich mir keine Gedanken machen, obwohl wir dann vielleicht erfolgreicher wären. Es würde aber unsere eigene Experience mit unserer Musik ruinieren.

Gelingt es euch gerade deswegen, einen ziemlich diversen Sound zu bewahren?
Vielleicht. SPIRITBOX sind ein eigenes Genre. Das gibt uns die Möglichkeit, authentisch zu bleiben. Bei uns kommt außerdem hinzu, dass uns die Leute bereits mit unserem Debütalbum und somit viel früher als andere Bands entdeckt haben. Die Öffentlichkeit beobachtet uns quasi dabei, wie wir uns finden und definieren. Andere Bands erreichen oft erst einen bestimmten Bekanntheitsgrad, wenn sie bereits zwei, drei Alben herausgebracht und ihren Weg gefunden haben. Dann fällt es beiden Seiten – Fans und Band – schwerer, frei zu denken und sich auf Neues einzulassen. Ich hoffe, wir finden nie heraus, welches der Nenner ist, auf dem wir und unsere Fans uns bewegen. Ich möchte frei bleiben.

Ihr habt bereits vier EPs veröffentlicht, aber nur ein Album. Der Trend geht ja generell dahin, eher häufiger, dafür weniger Musik zur gleichen Zeit zu veröffentlichen. Wie steht ihr dazu?
Ich mag beides! Aber wir gehören nicht zu denen, die am laufenden Band neue Musik schreiben. Leider gibt es zu viele Bands, die für ein Album mit Mühe einen Haufen Lückenfüller um ein paar Singles herum stricken. Unsere Welt verehrt merkwürdigerweise das Format Album – aber keiner weiß wieso. Ein großes Missverständnis vieler Labels ist, dass eine Band nur dann große Aufmerksamkeit bekommt, wenn sie viel Musik auf einmal veröffentlicht. Es ist auch verständlich: Wer große Summen investiert, möchte am Ende nicht nur drei Songs sehen. Hinzu kommt, dass die Materialkosten für eine EP die gleichen sind wie für ein Album, du aber weniger einnimmst, wenn du weniger Songs zum Strea­ming anbietest. Unser Anspruch ist es, ein Produkt zu kreieren, das aus Leidenschaft und mit ehrlichen Intentionen entsteht. Glücklicherweise lässt uns unser Label den Freiraum. Ich glaube, wir sind ein kleines Experiment für sie. Wären wir clever gewesen, hätten wir unsere letzte EP und die neue in ein Gesamtwerk gegossen, das fühlte sich aber nicht authentisch an.

Ich habe mal in eure EP reingehört ...
Ich bin ziemlich aufgeregt, dass du schon die EP gehört hast! Ich habe bislang nur mit Freund:innen und Familie darüber gesprochen. Hat es sich für dich wie ein Konzeptalbum angefühlt?

Ja, das Tracklisting ist auf den Punkt! Ist es eigentlich schwieriger, mit wenigen Songs einen Spannungsbogen aufzubauen als mit einem ganzen Album?
Danke, das liegt uns sehr am Herzen! Über mein Outfit darf man lästern, über unser Tracklisting nicht, haha! Ich finde es mit wenigen Songs einfacher. Wir hatten im Hinterkopf, dass die EP ein einziger langer Song sein soll, den wir in einzelne Teile zerlegen. Das Outro des einen Songs wird zum Intro des anderen, musikalische und textliche Motive wiederholen sich. Ich bin sehr gespannt, ob die Leute das selbst entdecken. Es gibt auch eine Textzeile, die immer mal wieder auftaucht. Ich möchte, dass die Leute gezielt danach suchen. Mal sehen, wer sie findet.

Dann verraten wir sie nicht. Eure Platte heißt „The Fear Of Fear“. Sprichst du damit die eingangs genannte Angst an?
Genau. Ich bin eine sehr ängstliche Person. Die meisten in unserer Band sind das. Wir wollen das, was wir jetzt haben, auf keinen Fall vor die Wand fahren. Vor ein paar Jahren hatte ich noch einen Bürojob und jetzt bin ich hauptberuflich Musikerin – das ist einschüchternd. Es geht aber auch um das übernatürliche Schicksal, alles bewegt sich in immer gleichen Bahnen und wir fühlen uns oft zu schwach, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Gibt es etwas, das du in Momenten der Angst tust?
Es hilft, mich darauf zu fokussieren, dass es dort draußen Leute gibt, die unsere Musik hören, zu unseren Shows kommen, unsere Platten kaufen. Das gibt uns ein wohliges Gefühl und hat mich persönlich in diesem Jahr sehr beruhigt. Wir haben unsere ersten Headliner-Shows gespielt. Ich erlebe das erste Mal, dass wildfremde Menschen nur wegen uns zu unseren Konzerten kommen und beobachte, wie eine Community um unsere Band entsteht. Ich versuche, mir zu sagen: Die Leute finden dich cool, du bist cool.

Wie schön, dass dir etwas hilft, das mit dir persönlich zu tun hat. Viele stürzen sich in etwas, das weit weg von ihnen ist, um Ängste zu überwinden.
Das ist ein guter Punkt! Die meisten suchen sich Hilfe im Außen, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was sie selbst schon haben. Aber nach dieser EP möchte ich das Kapitel dann auch abschließen und mich neuen Themen widmen.

Welchen?
Das weiß ich noch nicht so genau, das wird entstehen, wenn ich die ersten Songs von Mike höre. Erst gestern habe ich mit ihm darüber gesprochen, in welche Richtung wir gehen wollen. Es ist auch schon wieder beängstigend zu wissen, man möchte einen neuen Weg gehen, aber nicht zu wissen welchen. Ein zweischneidiges Schwert: einerseits aufregend und befreiend, andererseits einschüchternd.

Hast du eigentlich auch irrationale Ängste?
Es ist ein bisschen peinlich, aber ich habe furchtbar Angst vor der Dunkelheit. Nachts alleine im Dunkeln ins Bad zu gehen, ist für mich schon schlimm. Ich weiß, das ist weird ...

Stichwort „weird“: Du sagtest mal, dass Björk eine große Inspirationsquelle für dich ist.
Oh, mein Gott, yes! Sobald sie etwas Neues über ihren Produktionsprozess veröffentlicht, schreibe ich mit. Sie ist so detailverliebt. Ich war zum Beispiel fasziniert, wie sie ein hochsensibles Mikrofon für ASMR verwendet und ihre Texte dann aber von einem anderen Raum aus geschrieen hat, um so einen bestimmten Effekt zu kreieren. Und bei ihr hat alles eine Bedeutung, jede einzelne Silbe.

Dann findet man wohl viel Björk-Content auf deiner TikTok-For-You-Page. Was noch?
Videos von Beyoncé. Und ich bin besessen von Umkleide-Videos von Céline Dion. Ich möchte aufwändige Bühnenoutfits tragen, aber niemand kann mir Tipps geben, weil alle in meinem Umfeld nur Jeans und T-Shirt tragen.

Ganz anderes Thema: Wieso hast du deinen Podcast „Good For A Girl“, in dem es um die Herausforderungen von Frauen in der Musikbranche geht, nach vier Folgen an den Nagel gehängt?
Ach, ich dachte, es gibt so viele Podcasts da draußen, da muss ich nicht auch noch einen machen. Aber das Thema ist mir natürlich nach wie vor wichtig.

Welcher Realität begegnest du heute in der Branche? Hat sich in den vergangenen Jahren etwas verändert?
Ich kann gar nicht sagen, ob Menschen heute weniger misogyn und sexistisch sind oder es nur besser verstecken, weil es sozial weniger akzeptiert ist. Sobald Frauen involviert sind, scheint aber in unserem Genre noch immer jede Objektivität verloren zu gehen. Meine Erfolge werden infrage gestellt, weil ich eine Frau bin. Gleichzeitig werden die Erfolge männlicher Bands in unserer Szene infrage gestellt, wenn ihre Fanbase hauptsächlich aus Frauen besteht. Schau dir BAD OMENS oder SLEEP TOKEN an. Und wenn jemand meine Musik hört, heißt es: Du magst SPIRITBOX doch nur, weil du auf die Sängerin stehst. Männer sind in unserer Gesellschaft die Standardeinstellung und wir Frauen haben uns an sie angepasst. Aber ist das nicht merkwürdig? Schließlich sind die Hälfte aller Menschen, mit denen Männer zu tun haben, Frauen. Wieso stellen sie sich also nicht mehr auf uns ein? Wieso nehmen sie uns nicht ernst? Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, auch wenn viele momentan abfeiern, dass es in unserem Genre heute mehr Frauen gibt. Wir sind noch lange nicht genug! Das sieht man zum Beispiel daran, dass ich nur männliche Vorbilder habe. Außerdem wird eine furchtbare Rivalität zwischen weiblichen Musikerinnen eröffnet – nicht von uns Bands, sondern von allen anderen. Man liest Kommentare unter unseren Videos wie „Tatiana von JINJER ist besser“. Das ist völlig absurd, weil das musikalisch gar nicht vergleichbar ist. Aber weil wir beide Frauen sind, werden wir verglichen. Das würde nicht passieren, wenn wir Männer wären. Manchmal wird mir gesagt: „Hey Courtney, ich mochte weibliche Sängerinnen nie, bis ich dich gehört habe.“ Das ist kein Kompliment, weil du gleichzeitig alle Frauen schlecht machst. Also ja, es ist heute etwas besser, aber die Messlatte war im Keller, jetzt ist sie im Erdgeschoss. Je größer SPIRITBOX werden, desto mehr werde ich erforschen, wie es um die Rechte von weiblichen Artists bestellt ist.

Ja, ich glaube, es ist wichtig, dass unsere Generation am Ball bleibt, um es nachfolgenden hoffentlich etwas einfacher zu machen.
Unbedingt. Aber das übt auch Druck aus, weil man in diesem Licht betrachtet wird. Wenn ich die Bühne betrete, analysieren die Leute mein Auftreten: „Oh, ich mache mir Sorgen, Courtney sah etwas divenhaft aus. Sie ist nicht mehr Metal genug.“ Ich bezweifle, dass mal jemand über Caleb Shomo von BEARTOOTH etwas sagen würde wie: „Oh, seine Moves sind aber etwas anzüglich geworden und sein T-Shirt zieht er auch häufiger aus.“ Haha!

Aber über Sam Carter von ARCHITECTS wurde gelästert, als er angefangen hat, Eyeliner und Schuhe mit Absatz zu tragen ...
Ja, genau! Weil er mit Elementen experimentiert, die als feminin assoziiert werden, und das wird gesellschaftlich als negativ gesehen. Außerdem fühlen sich Leute unbehaglich, wenn man mit vermeintlichen Geschlechterregeln bricht. Ich mag, wenn Menschen in ihre Ästhetik investieren. Außerdem können die Leute aber auch sonst nichts an Sam kritisieren.

Im Januar geht ihr mit ARCHITECTS und LOATHE auf Europatour. Was erwartet uns – und euch?
Es wird aufregend! ARCHITECTS spielen in viel größeren Hallen als wir und haben eine andere Fanbase. Es wird interessant sein, zu sehen, wie die auf uns reagiert. Aber ARCHITECTS sind großartige Menschen, sie werden ihren Fans sagen: „Schaut mal, das sind SPIRITBOX, unsere kleinen, sonderbaren Geschwister. Spielt ein paar Videospiele zusammen und seid nett zueinander.“ Ich bin übrigens froh, dass wir im Winter in Europa sind, dann sind die Hotelzimmer nicht so heiß. Für uns auf Klimaanlagen versessene Nordamerikaner:innen ist das sonst nämlich eine Tortur bei euch, haha!