SOEN

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Gefühle

Martin Lopez verfolgt mit dem Erschaffen von Musik bei SOEN auch einen therapeutischen Ansatz. Noch nie zu vor hatte der Schlagzeuger das Gefühl, so nah an der eigenen Vision seiner musikalischen Schöpfung zu sein, wie mit dieser Band. Im Interview erzählt er über genau diese Empfindungen, das neue Album „Imperial“ sowie die Freiheiten der Band und versichert, dass SOEN niemals einem Trend hinterherrennen würden.

Schon seit der ersten Veröffentlichung sagt man SOEN eine große musikalische Nähe zu TOOL nach. Auch Namen wie KATATONIA oder OPETH, wo Martin Lopez bis 2006 Schlagzeuger war, fungieren oft als Referenz, wenn man die Musik von SOEN beschreiben möchte. Für Martin Lopez sind diese Verweise allerdings kaum etwas, das ihn stört „Für mich sind TOOL großartige Musiker, die etwas komplett Eigenes gemacht haben. Mit ihnen verglichen zu werden, ist also eine absolute Ehre, wenn du mich fragst. Vorausgesetzt die Leute haben kein Problem mit den Bands, mit denen sie uns vergleichen.“

Doch ungeachtet dieser permanenten Vergleiche haben SOEN einen ganz eigenen Stil kreiert, den sie seit Beginn stringent verfolgen und immer wieder neu erfinden. Auf „Imperial“ haben die Schweden ihren Sound erneut überarbeitet, aber dennoch klingt auch dieses Album ganz klar nach SOEN. Das kommt daher, dass sich die Musiker schnell wieder in ihrem Stil einfanden und in diesen musikalischen Sphären unfassbar wohl fühlen, so Martin.

Echtheit & Befreiung
Martin sagt über sich selbst, dass er in seinem Leben stets versucht, so authentisch und ehrlich wie möglich zu sein. Die Musik von SOEN sei jedoch der einzige Bereich, in dem ihm das vollständig glückt. Unabhängig von jeder Beurteilung, Kritik oder Ansprüchen gelingt es ihm mit seiner Band sich selbst auszudrücken und diese Freiheit zu genießen.

Für „Imperial“ hatten SOEN pandemiebedingt sehr viel Zeit. So konnte die Band bis zu zwölf Stunden am Tag in das Album investieren. Eine Situation, die sich auszahlt, wie Martin resümiert: „Das gab uns die Zeit, es wirklich zu perfektionieren, Ideen auszuarbeiten und enorm viel auszuprobieren.“ Dieser Ansatz liegt grundsätzlich in der Musik von SOEN, die sich oft im Verlauf der Songs zuspitzt, um dann in einem fulminanten Finale zu enden. „Der nächste Part muss immer besser sein als der zuvor“, sagt Martin. Das lässt die Songs auf natürlichem Weg wachsen und macht sie besser, wie er hinzufügt. Auch deshalb moduliert der Schlagzeuger viel und variiert ständig sein Spiel.

Dennoch wünscht er sich nicht, für vorherige Alben mehr Zeit gehabt zu haben, da SOEN als Band grundsätzlich keinen Druck mit Deadlines haben. „Unser Label sagt nicht, dass wir bis zu einem gewissen Zeitpunkt ein Album vorlegen müssen. Dieser Druck würde uns nicht guttun.“ Stattdessen gehen SOEN erst dann ins Studio, wenn sie mit ihrer Musik absolut zufrieden sind, und nehmen sich die Zeit, die es benötigt. SOEN versuchen weder die härteste noch die technischste oder schnellste Metalband der Welt zu sein. Für die Schweden zählt nur der Gedanke, gute Musik zu schreiben und Gefühle zu teilen, mit dem Ziel, so natürlich und „echt“ wie möglich zu klingen.

Emotion
Die Arbeit an „Imperial“ betrachtet Martin auch als eine Form der Selbsttherapie. „Musik und Lyrics zu schreiben, ist etwas, das uns zu hundert Prozent selbst zeigt. Es reflektiert uns als Individuen, unsere Gedanken und unsere Sorgen. In diesem Prozess gibt es keine Verurteilung, sondern nur uns und die Musik. Sonst nichts.“ Auch deshalb sei die Musik von SOEN enorm emotional und wird insbesondere im Live-Kontext zu einer mitreißenden Erfahrung.

„Die Emotion ist alles in der Musik“, sagt Martin. „Wir müssen uns nicht verstellen, wenn wir auf der Bühne stehen. Die Lyrics und die Songs bringen uns dorthin, wo wir emotional landen. So ist es auch beim Songwriting. Manchmal bist du wütend und schreibst etwas Hartes, aber manchmal hast du gute Laune, reflektierst dich selbst und hast den Drang diese Gefühle auszudrücken. Du fühlst dich komfortabel darin und das endet in großer Ehrlichkeit und Emotionalität.“ So erschafft die Band Songs, mit denen sich die Fans identifizieren können und eine Verbindung zu ihnen herstellen. „Wir wollen in den Zuschauer:innen dieselben Emotionen hervorrufen, wie wir sie empfinden, wenn wir diese Songs für sie spielen.“

Einfluss
Der Sound von SOEN ist auf „Imperial“ härter geworden. Das heißt aber nicht, dass die Band auf einer emotionalen Ebene wütender ist, wie Martin hinzufügt. „Tief in uns drin sind wir nach wie vor Metalheads. Wir lieben Metal und kommen alle aus Bands, in denen es immer um Metal ging, also fühlen wir uns darin wohl. Es ist nur logisch, dass wir uns daran vielleicht mehr orientieren als an Bands aus den Siebzigern oder irgendwelchen Pop-Acts.“

Auch der Einfluss ungewohnter Rhythmen ist im abwechslungsreichen Sound von SOEN fest verankert. Ob arabische, lateinamerikanische oder afrikanische Percussion – wenn Martin das Gefühl hat, dass etwas in einen Song passt und ihn aufwertet, baut er diese Elemente ein. „Das ist nichts, was ich irgendwo reinzwängen würde, sondern etwas, das stimmig sein muss.“ Auch diese Percussion-Einsätze, auf dem neuen Album zum Beispiel bei „Modesty“, lassen die Songs von SOEN wachsen und kreieren einen Sound, der so einzigartig ist, wie das Gefühl, das diese Musik in uns auslöst.

Ob und wann diese Emotionen 2021 auf die Bühne gebracht werden können, ist vorerst unklar. Noch stehen die Termine der SOEN-Tour im Frühjahr und Martin kann es kaum abwarten, wieder auf die Bühne zu gehen oder selbst ein Konzert zu besuchen. „Meine Meinung zur aktuellen Situation ist, dass ich einfach so schnell wie möglich wieder auf Tour gehen möchte.“ Doch bis dahin wird uns zumindest „Imperial“ ermöglichen, die Vielfalt der Gefühle von SOEN zu erfahren.