Während viele Bands den Frust und die Krisen der letzten Jahre in eher düsteren und schweren Alben verarbeiten, bleiben die Waliser SKINDRED gewohnt optimistisch, dankbar und positiv. So positiv, dass sie ihren neuesten Longplayer plakativ „Smile“ betiteln. Im Interview verrät uns Benji Webbe, warum er diese Entscheidung bewusst getroffen hat und warum die Band keinen Producer, sondern einen Schiedsrichter braucht im Studio.
Bevor ich ihm die erste Frage stellen kann, dreht Benji den Spieß um und interviewt mich zum neuen Album: „Wie gefällt dir ‚Smile‘? Hattest du Spaß damit?“ Ich antworte ihm, dass es die typische gute Laune und Energie versprüht, die ich von SKINDRED gewohnt bin, und dass ich es beachtlich finde, ein so optimistisches Album in genau dieser Zeit rauszubringen. „Weißt du, ich wollte, dass SKINDRED-Fans etwas haben, das ihnen etwas Aufwind gibt“, antwortet Benji, „Wenn du den Fernseher anmachst, hast du genug Negatives. Mit SKINDRED wollen wir ein Gegengewicht dazu schaffen und das Herz ausbilden und erheben. Wenn ich so langweilig wäre wie alle anderen, dann würde ich keine Musik mehr machen. Es muss Kunst sein, es muss anstößig sein, es muss konfrontieren. Ich will nicht immer nur zustimmen.“
Als ich Benji erzähle, dass ich zwei Alben für diese Ausgabe reviewen durfte und eines davon „No Joy“, das andere „Smile“ heißt, muss er lachen. „Haha, Yin und Yang, das gefällt mir.“ Ich mag die bewusste Entscheidung für das Positive. „Ja, ich verstehe das. Besonders in der Rockmusik gibt es so viele, die einen auf Tough Guy machen. Ich hingegen trage Pink, weil mir dieses ganze Alpha-Male-Gehabe rein gar nichts bedeutet! Auch dieses Streben danach, ein Anführer zu sein, ist mir egal. Je älter ich werde, umso mehr Respekt habe ich für all die unterschiedlichen Menschen da draußen. Ich erkenne zudem immer mehr, dass wir im Kern alle gleich sind.“ Ich ergänze, dass dieses Tough-Guy-Gehabe oft auch einer tiefen Unsicherheit entspringt. „Ja, genau, das ist ein weiterer Punkt. Am Ende wollen die alle auch nur eine Umarmung, haha.“
Bei dieser positiven Attitude überrascht es wenig, dass der Entstehungsprozess von „Smile“ viele gute Seiten hatte. „Ich erinnere mich an eine Menge Lachanfälle, vor allem als ich den Mittelteil von ‚Our religion‘ aufnahm. Ich wollte, dass es wie in einer Irrenanstalt klingt. Hör dir den Part an, es war wirklich abgefahren. Selbst der Producer musste lachen. Dann kam er zu mir und entschuldigte sich dafür, aber ich fragte ihn nur: ‚Warum? Das war doch verdammt lustig.‘ Wir hatten wirklich eine unglaublich gute Zeit im Studio. Wir sind die Art von Band, die keinen Producer braucht. Wir brauchen einen Schiedsrichter. Nach 23 Jahren ohne Wechsel im Line-up hat man eine Menge gemeinsame Geschichte und jede Menge Kämpfe. Wir kommen aber alle super miteinander aus und lieben, was wir mit SKINDRED tun.“
Natürlich hatten die Umstände während der Entstehungsphase einen Einfluss auf „Smile“ und die Band wurde leicht aus der Komfortzone gerissen. „Wir haben die Songs nicht in einem Raum schreiben können. Wegen der Pandemie mussten wir jeder in unseren eigenen vier Wänden schreiben. Ich bekam ein Riff geschickt, dann schickte ich meine Vocals zurück, dann kam die Bassline und ich machte die Harmonien und so weiter. Irgendwann nannten wir das Ganze ‚Tennis‘. Wenn du das erste Mal ein Album schreibst, hast du alle Zeit der Welt, für jedes weitere hast du sechs Monate, aber für „Smile“ hatten wir wieder so viel Zeit, wie wir haben wollten. Der Umstand, dass wir alle zu Hause waren und eben diese Zeit hatten, um zu schreiben, hat uns eine Menge Energie gegeben. Wir konnten mehr über die Songs nachdenken und das hatte einen sehr guten Einfluss.“
Dabei haben sich SKINDRED ein weiteres Mal vom Zeitgeist inspirieren lassen. „Auch für unser achtes Album haben wir uns wieder vieler Einflüsse aus der aktuellen Musikszene bedient. HipHop, Elektro, all das hält unsere Musik frisch. Wir nutzen alles, was wir können, um die Leute zum Rocken zu bringen. Es ist uns verdammt wichtig, die Party mit allem, was wir haben, am Leben zu erhalten.“ Ist es für Benji noch immer so aufregend und spannend, ein neues Album zu schreiben, wie damals? „Es hat gutgetan, so viel Zeit für ‚Smile‘“ zu haben. Wie schon erwähnt, haben wir öfter mal kleine Kämpfe innerhalb der Band. Das ist wie beim Boxen. Und das ist okay, denn wir sind alle verdammt leidenschaftlich in dem, was wir tun, und jeder von uns will sich einbringen. Das ist nicht nur die Band von dem schwarzen Typen, das ist die Band von jedem Einzelnen von uns. Da will natürlich jeder von uns seinen Einfluss einbringen. Wir haben uns aber geschworen, niemals handgreiflich zu werden. Nur Schreien, kein schlagen, haha.“ Also lieber die Konflikte in „Mortal Kombat“ ausspielen, als sich richtig zu schlagen? „Ja! Und rate mal, wer immer gegen unseren Drummer verliert in ‚Mortal Kombat‘ – ich! Unser Drummer ist ein Genie an der Konsole.“
Dabei kommen nicht alle Inspirationen für die Musik von SKINDRED nur aus der aktuellen Musikszene. „Wenn ich einen Film schaue, ziehe ich daraus Inspiration. Wenn ich in den Zoo gehe, ziehe ich daraus Inspiration. Wenn ich mir den ganzen Irrsinn in Amerika anschaue, ziehe ich daraus Inspiration. Aber ich lasse mich nicht von der Politik runterziehen. Mir geht es um das Soziale. Wenn ein Typ im Pub erzählt, er hat gerade Probleme mit seiner Ehefrau, dann ist das eine reale Sache. Ich vertraue keinem einzigen Politiker. Jeder Politiker tritt nur für die eigene Sache ein und für das eigene Wohl. Zeig mir einen Politiker, der in einer normalen Gegend, in einer normalen Straße wohnt und seit Jahrzehnten sein Bier in ein und demselben Pub trinkt. In meinen Lyrics beschäftige ich mich lieber mit dem echten Leben und damit, wo wir gerade als Gesellschaft stehen.“
SKINDRED stehen kurz vor einer Tour als Support für die Rocklegenden KISS. „Es gibt so viele große Rockbands, die einfach nur das machen, was schon so viele vor ihnen gemacht haben. Aber KISS machen jeden Abend etwas, das extrem viel Power hat. Sie sind exzellente Musiker und ihre Show ist Kunst. Sie sind für mich einer der besten Live-Acts.“ Gibt es eine andere Band, mit der Benji gerne mal auf Tour gehen würde? „Es gibt zwei Bands, mit denen ich unglaublich gerne touren würde, aber ich glaube, beide werden das nicht mehr tun, und das bricht mir das Herz. Zum einen wären das SYSTEM OF A DOWN und zum anderen RAGE AGAINST THE MACHINE. Egal wann und wo, jedesmal wenn ich die Musik von diesen Bands höre, verliebe ich mich aufs Neue. Sie sind so cool. Es gibt so viele großartige Bands da draußen, aber so wenige Sachen, bei denen ich selbst gerne dabei gewesen wäre. Und wenn es mal etwas gibt, wo ich gerne dabei gewesen wäre, dann liegt das in der Vergangenheit. Auch wenn es viele gute neue Bands gibt, habe ich das Gefühl, neunzig Prozent der Bands da draußen singen nicht mal wirklich, sie mimen einfach nur. Ich meine, das sind Rockbands, what the fuck!?“
© by Fuze - Ausgabe #101 August/September 2023 und Marvin Kolb
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Lars Koch
© by Fuze - Ausgabe #101 August/September 2023 und Marvin Kolb