Mit "When 20 Summers Pass" melden sich SHELTER nach zweieinhalb Jahren in der Hardcore-Szene zurück. In der Zeit nach "Beyond Planet Earth" hat sich einiges verändert...
Zum Zeitpunkt dieses Interviews hält sich Ray Cappo gerade in Costa Rica auf, wo er zusammen mit ein paar Freunden eine alte Surfschule direkt am Strand erworben hat. Dementsprechend gut gelaunt ist der gute Mann auch, der (wenn er nicht gerade mit SHELTER unterwegs ist) ständig zwischen New York, Los Angeles und Costa Rica hin- und herpendelt. Vor weit über zehn Jahren schrieb er mit seiner Ex-Band YOUTH OF TODAY bereits Musikgeschichte. Nach der Auflösung von YOUTH OF TODAY widmete sich Ray gemeinsam mit seinem Kumpel und musikalischen Mitstreiter Porcell einer neuen Herausforderung: SHELTER. Seit Beginn der neunziger Jahre veröffentlichten die beiden unter der Mithilfe diverser Musiker fünf Alben, die sich allesamt an einer Form des melodischen Hardcore orientierten. Doch nicht nur die Musik spielt bei SHELTER eine sehr wichtige Rolle, sonder auch die Texte. Für all diejenigen, die zum ersten Mal etwas über SHELTER lesen: Ray ist Krishna-Anhänger. Die meisten seiner Texte beziehen sich auf spirituelle Themen wie Wiedergeburt, Selbstfindung und Kontemplation. Aber auch wesentlich greifbare Themen wie z.B. Vegetarismus, Sexismus und die allgemeine Orientierungslosigkeit unsere Zeit werden immer wieder zur Zielscheibe seiner Songs. Das hat ihm im Lauf der Jahre natürlich nicht nur Freunde eingebracht - gerade in der HC-Szene ist die Vermischung von Musik und Religion immer wieder kontrovers diskutiert worden.
Soviel zur bewegten Vorgeschichte von Ray Cappo und SHELTER. Doch kommen wir nun auf das neue Album zu sprechen, das den Titel "When 20 Summers Pass" trägt. Mit dieser Platte bewegen sich SHELTER wieder vom ziemlich poppigen und kommerziellen Sound des Vorgängers "Beyond Planet Earth" weg, was den New Yorkern meiner Meinung nach sehr gut zu Gesicht steht. Die zwölf neuen Stücke zeigen wieder verstärkt die rauhere Seite der Band. Wie kam es zu dieser musikalischen Rückbesinnung, die stark an Rays Nebenprojekt BETTER THAN A THOUSAND erinnert? "Auf der letzten Platte hatten wir ein ziemlich cleanen Sound. Die Produktion war sehr kompliziert und langwierig. Wir waren damals insgesamt drei Monate im Studio, so dass Kosten von über 100.000 Dollar entstanden! Aber diesmal wollten wir zurück zu unserem ursprünglichen Sound, weshalb wir auch Don Fury als Produzent gewählt haben. Wir wollten es diesmal etwas ruhiger und entspannter angehen lassen. Don ist ein guter Freund und ein alter Hase im Geschäft, der seit den Anfangstagen schon viele Hardcore-Bands, unter anderem AGNOSTIC FRONT und YUPPICIDE, produziert hat. Wir sind mit dem Sound der neuen Platte wirklich zufrieden, weil sie genauso klingt, wie wir uns das vorgestellt haben. Sie klingt sehr frisch und warm."
Mittlerweile haben sich SHELTER auch von ihrem alten Label Roadrunner Records getrennt, um (mit Ausnahme der USA, wo sie bei Victory Records untergekommen sind) bei Century Media zu unterschreiben. Wie kam es zu der Trennung von Roadrunner? Wurde dort zuviel kommerzieller Druck ausgeübt? "Schwer zu beantworten", zögert Ray ein wenig, "Aber ich würde sagen, dass die Zusammenarbeit einfach nicht mehr richtig geklappt hat. Sie wußten nicht genau, wer wir sind und was wir eigentlich wollen. Und wir wollten nicht das sein, was sie aus uns machen wollten. Dann kam noch hinzu, dass einige Freunde, die dort arbeiteten, Roadrunner verließen. Für uns war das dann irgendwann ein ganz anderes Label." Und wie kam dann der Kontakt zu Century Media zustande? "Wir sind mit einer der A&Rs dort gut befreundet. Als sie von dem neuen Album hörte, stellte sie den Kontakt zum Eigentümer des Labels her. Erst hatte ich ja einige Bauchschmerzen bei der Vorstellung, von einer großen Metal-Firma zur nächsten zu wechseln, aber als ich dann den Inhaber traf, verschwanden meine Zweifel recht schnell. Er ist ein ausgesprochener Hardcore-Freak, der die alten YOUTH OF TODAY-Scheiben sehr zu schätzen weiß. Wir wurden sehr schnell Freunde..."
Und wie sieht es mit Rays eigenem kleinen Label Supersoul aus? "Das existiert noch, aber es ist mehr ein Freizeitprojekt für mich, das vor allen Dingen Spaß machen soll. Mehr ein Hobby eben. Als letztes habe ich eine Platte von einer norwegischen Band namens SPORTSWEAR herausgebracht, die ich in New York produziert habe. Und 1999 gab es eine Compilation." Und BETTER THAN A THOUSAND, Rays andere Band, bei der unter anderem auch Ken Olden mit von der Partie ist? Gibt es die auch noch? "Eigentlich gab es diese Band nie so richtig", schmunzelt Ray. "Wir haben zwar zwei Alben gemacht, aber irgendwann wurde es mir einfach zu viel, obwohl es natürlich auch Spaß gemacht hat. Irgendwie habe ich in letzter Zeit ein wenig das Interesse an BETTER THAN A THOUSAND verloren, aber das kann sich auch schnell wieder ändern, wenn es um SHELTER wieder etwas ruhiger wird."
Einen sehr wichtigen Stellenwert hat bei SHELTER übrigens das Touren. So haben sie diesem Thema auf dem neuen Album sogar einen eigenen Song gewidmet: "In The Van Again". "Ich bin echt abhängig vom Touren und Konzerte geben", gesteht Ray. "Ich freue mich schon wahnsinnig auf die Konzerte in Brasilien, Japan und Europa. Deutschland ist eines der besten Länder für uns."
Und das, obwohl die Band im Herbst 1997 einen ziemlich schlimmen Unfall hatte, als der Fahrer ihres Vans nachts auf dem Weg nach Denver am Steuer einschlief. "Wir sind eine 15 Meter tiefe Böschung herabgestürzt. Aber wie durch ein Wunder wurden alle bis auf einen nur leicht verletzt." War das so eine Art Wendepunkt oder ein göttliches Zeichen für Ray? "Die Tatsache, dass ich das überlebt habe, machte mir noch bewusster, dass ich etwas Sinnvolles mit meinem Leben anstellen muss." Ein ähnliches Thema behandelt übrigens auch der Opener und Titeltrack des Albums. "When 20 Summers Pass" stellt die Frage nach dem Sinn und dem Ziel des Lebens: "Dieser Song beschreibt die Situation, in der man sein reales Leben mit den selbstgesteckten Zielen vergleicht." Oder um es anders auszudrücken: "Man steht auf dem Highway des Lebens und schaut auf die Karte, um zu sehen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist."
Aber noch ein einschneidendes Erlebnis wird auf "When 20 Summers Pass" angeschnitten, und zwar in dem Stück namens "Song Of Brahma", in dem Ray über eines seiner spirituellsten Erlebnisse überhaupt berichtet. Ray: "Puh, das ist eine verdammt lange Geschichte, die schon ungefähr zehn Jahr her ist. Nach einer Show in New York betraten dieses bewaffneten Typen den Raum und drohten uns alle umzubringen. Und als einer dieser Typen pausenlos auf mein Gesicht einschlug, passierte etwas sehr Seltsames. Ich hatte überhaupt keine Angst, obwohl ich total hilflos war. Ich spürte, dass er nur meinen Körper verletzten konnte, aber nicht meine Seele. Ich fühlte in diesen Sekunden, dass ich unsterblich bin! Das war ein unglaubliches Erlebnis, fast wie ein Wunder. Es war die erste übernatürliche Erfahrung meines Lebens überhaupt."
Bisher hat er jedenfalls alle diese schicksalhaften Zwischenfälle heil überstanden. Und zum Schluss muss ich ihn dann doch noch etwas über Straight Edge und Krishna ausquetschen. Wie steht er im Jahr 2000 zu diesen Themen? "Ich bezeichne mich eigentlich nicht mehr als SXE. Das habe ich früher getan, als ich noch jünger war. Letztes Jahr gab es ja so eine Art Skandal, als ich mit einem Glas Wein in einem italienischen Restaurant gesehen wurde. Viele Fanatiker haben sich darüber aufgeregt. Ich habe sehr viel gemischte Post bekommen - manche fanden das völlig in Ordnung, aber manche fanatischen Hardliner haben sich auch bitter beschwert. Mir hat diese ganze Geschichte die Augen geöffnet - dieser ganze Fanatismus zeigt doch nur, dass irgendwas nicht stimmt. Fanatiker sind immer Idioten, egal ob SXE-Fanatiker, Krishna-Fanatiker oder was auch immer. Fanatiker haben einfach keine rationale Philosophie. Straight Edge an sich ist eine gute Sache, wenn es darum geht, sich selbst zu verbessern. Aber wenn es nur darum geht, mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen und sie zu verdammen, dann ist das idiotisch. Eigentlich habe ich auch gar keine Lust mehr, über dieses Thema zu reden, weil es meine Privatsache ist." Kann ich sogar irgendwie verstehen...
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