Wenn es um Punk-Rock aus Nordirland geht, fallen den meisten bestimmt als erstes STIFF LITTLE FINGERS oder UNDERTONES ein. Beide Bands erlangten zweifellos den größten Bekanntheitsgrad außerhalb der Insel. Doch sie waren nur ein kleiner Teil einer sehr lebendigen und interessanten Szene. Im letzten Jahr erschien „It makes you want to spit – an Alternative Ulster; Punk in Northern Ireland, 1976-1982“ von Sean O‘Neil und Guy Trelford (www.reekus.com). Ein großartiges Buch, das einen kompletten Überblick über das damalige Geschehen in Nordirland, speziell Belfast, liefert. Neben den oben genannten Bands findet man dutzende Namen, von denen man schon mehr oder weniger (in manchen Fällen noch überhaupt nichts) gehört hat. Bands wie VICTIM, RUEFREX, TEARJERKERS und natürlich THE OUTCASTS und RUDI! Durch meine Arbeit für Last Years Youth Records, bei denen im letzten Jahr drei EPs sowie zwei Alben mit allen Singles, bzw. unveröffentlichten Demos von RUDI erschienen („The Band That Time Forgot“ und „Complete Singles“) – ansonsten sind auf Anagram Records von beiden Bands CDs mit allen Singles und unveröffentlichten Demos erschienen –, hatte ich schon einige Zeit Kontakt zum ehemaligen RUDI-Sänger und -Gitarristen Brian Young. Er und der ehemalige OUTCASTS-Bassist und -Sänger Greg Cowan fanden es an der Zeit, mal wieder ein paar alte Hits zu spielen und so fanden sie sich mit Schlagzeuger Petesy Burns (ex-STALAG 17) zusammen, nannten das Projekt SHAME ACADEMY und spielten zur Veröffentlichungs-Party des Buches ein Set aus RUDI- und OUTCASTS-Stücken. Als langjähriger Fan beider Bands wollte ich mehr wissen, und so kam dieses Interview mit Greg Cowan und Brian Young über Vergangenheit und Gegenwart in Belfast per E-Mail zustande.
SHAME ACADEMY begann als einmaliger Spaß-Auftritt für die Veröffentlichungs-Party des „It makes you want to spit“-Buches – warum wurde mehr daraus?
Brian: „Es hat mehr Spaß gemacht, als wir uns gedacht hatten – wir waren fast ein wenig erschrocken von der großen Resonanz. Wir werden aber nur ab und an ein paar Konzerte machen – wir wollen kein dummes Retro-Punk-Kabaret daraus machen.“
Greg: „Schon das Proben war super, der Auftritt auch – ich hatte schon ganz vergessen, was für ein großartiges Gefühl es ist, auf der Bühne zu stehen.“
Was ist dran an einem SHAME ACADEMY-Album?
Brian: „Petesy rief eines Tages an und sagte, dass Combat Rock aus Frankreich ein SHAME ACADEMY-Album rausbringen wollen. Auf dem wird so ungefähr das drauf sein, was wir bei unseren Gigs spielen, also RUDI- und OUTCASTS- Nummern und ein paar Klassiker. Wir haben das auch so fast live aufgenommen – war klasse, ich spiel ‘ne Menge ‚Noisy-Thunders-Riffs‘, so was kann ich bei SABRE JETS ja nicht machen. Ich war gerade mit SABRE JETS in Norwegen, das bleibt meine Priorität. Das ist die wildeste und beste Band, mit der ich jemals gespielt habe. Wir fangen gerade mit den Aufnahmen für ein neues SABRE JETS-Album an und haben zwei Stücke für einen DVD-Sampler beigesteuert. Wir geben einfach Gas, und die Leute springen drauf an – das ist die Musik, für die ich geboren wurde. Aber wenn ich mehr Zeit habe, wer weiß, was wir noch machen werden. Erstmal das Album abwarten ...“
Also werdet ihr keine neuen Songs schreiben?
Brian: „Nein!“
Wird „Cops“ von RUDI mit drauf sein, ein Song, der leider nie veröffentlicht wurde?
Greg: „Es werden die folgenden Songs drauf sein: ‚Big Time‘, ‚The Pressure‘s On‘, ‚Time To Be Proud‘, ‚Cops‘, ‚Exitement‘, die sind alle von RUDI. Und von den OUTCASTS ‚7 Deadly Sins‘, ‚Self Conscious Over You‘, ‚You‘re A Disease‘, ‚Magnum Force‘. Dann ‚These Boots Are Made For Walking‘, ein Live-Standard-Song von den OUTCASTS, ‚Teenager In Love‘ und ‚I Wanna Be Your Dog‘. Ich hoffe, dass die Platte im Sommer rauskommt.“
Greg, bitte eine kurze OUTCASTS-Biographie!
Greg: „THE OUTCASTS fingen Ende 1976 an, der erste Auftritt war im Mai ‘77. Die erste Besetzung bestand aus vier Leuten: Getty, meine Brüder Martin und Colin und ich. Raymond kam als zweiter Drummer 1981 dazu. Nach Colins Tod – er starb bei einem Autounfall – machten wir zu viert weiter. 1984 lösten wir uns auf – kein großes Drama, es war einfach genug. Ich glaube, Bands haben nur eine gewisse Halbwertzeit – es macht Spaß auf dem Weg nach oben, wenn es dann bergab geht, ist es weniger erfreulich. Aber ich bin stolz auf die OUTCASTS – wir waren eine verdammt geile Live-Band. Auf Vinyl kam das leider nicht so rüber. Unser erstes Album finde ich peinlich, die späteren Sachen klangen auch nicht viel besser. Gut, dass wir jetzt endlich die Stücke so aufnehmen werden, wie sie klingen sollten – leider 25 Jahre zu spät. Nach dem Ende der Band experimentierten wir ein wenig mit elektronischer Musik – gaben das aber schnell wieder auf. Martin und mir gehört ein Maler-Betrieb – bis vor drei Monaten hat Getty da auch gearbeitet. Raymond war 12 Jahre im Knast, jetzt ist er wieder in Belfast.“
Haben die anderen kein Interesse mehr, Musik zu machen?
Greg: „Nein, keiner von ihnen. Martin schaut aber ab und zu bei den Proben rein und passt auf, dass ich mich nicht zum Idioten mache. Ich denke, er ist stolz, dass seine alten Songs wieder gespielt werden.“
Stimmt die Geschichte, dass drei Viertel der Auflage eurer ersten Single bei der Explosion einer Autobombe in Belfast vernichtet wurde?
Greg: „Nein, das ist ein Gerücht, aber es ist eine schöne Geschichte ...“
Brian, ein paar Background-Infos über RUDI bitte.
Brian: „RUDI starteten irgendwann Ende 1975, Anfang 1976 ... Wir waren ein Haufen Teenager aus dem Osten Belfasts, die rumhingen und sich Ärger einhandelten, von Mädchen träumten, tranken und Thawpit schnüffelten, ein Reinigungsmittel, von dem der Song ‚Overcome By Fumes‘ handelt. Wir liebten Glam-Rock und alten Rock‘n‘Roll, und nachdem Grimmy und ich T. REX spielen sahen, das war im Juli 1975, fanden wir es an der Zeit, auch Musik zu machen. Marc Bolan gab mir ein T. REX-Songbook, und ich ging los und kaufte mir meine erste Gitarre – er hat uns den letzten Anstoß gegeben. Die beste RUDI-Besetzung bestand aus Ronnie Matthews – Bass, Gitarre und Gesang – Graham Marshall am Schlagzeug und Brian Young – Gitarre und Gesang. Wir hatten nicht viel Equipment, spielen konnten wir auch nicht, aber nach einer Menge Lineup-Wechseln konnten wir auftreten und spielten ‘76 das, was man später Punkrock nannte. Für lange Zeit waren wir Belfasts erste Punkband! Die ganze Geschichte steht auch in den Booklets der diversen posthumen CDs und Platten ... Na ja, kurz vor unserem ersten wirklichen Chart-Hit lösten sich Jamming! Records auf – unser damaliges Label, das Paul Weller gehörte. Das war 1981, kurz nach dem Ende von THE JAM. Das war wohl ein Tritt in die Fresse zuviel, denke ich, wir hatten alle keine Lust mehr – unser letzter Auftritt fand Weihnachten 1981 statt ...“
Warum habt ihr nie ein Album rausgebracht?
Brian: „Terri Hooley wollte, dass wir ein Album für sein Label Good Vibrations aufnehmen, aber wir wollten kein Studio-Album mit ihm machen. Stattdessen haben wir ein Live-Album aufgenommen, aber der Soundmann hat die Vocals versaut, so haben wir das auch bleiben lassen. Ich persönlich hätte gerne ein Album für Good Vibrations aufgenommen, wurde aber überstimmt. Mit Terri und Good Vibrations verband uns eine Hassliebe, weil er die Bands gegeneinander ausspielte. Eine Menge guter RUDI-Songs sind nie aufgenommen worden – sehr schade.“
Haben OUTCASTS damals viele Gigs zusammen mit RUDI gespielt?
Greg: „Wir haben wahrscheinlich mehr mit RUDI, als mit jeder anderen Band gespielt – wir hatten immer Streit, wer die beliebteste Band Belfasts war, wir oder sie.“
Brian: „Hauptact war dann die Band, die den Gig organisiert hatte – meistens haben wir uns aber abgewechselt.“
Hattet ihr Kontakte zu den UNDERTONES oder STIFF LITTLE FINGERS?
Brian: „Ich kannte die STIFF LITTLE FINGERS sehr gut, da Gordy bei ihnen gespielt hat, als sie noch Hippie-Hardrocker waren und HIGHWAY STAR hießen. Mit Henry hatte ich den meisten Kontakt, da er auch ein großer T. REX Fan war – er lebt jetzt in Amerika, aber ich höre noch ab und zu was von ihm. Mit den UNDERTONES hatten wir nicht viel zu tun, da sie weiter weg wohnten. Feargal und Jake von STIFF LITTLE FINGERS waren sich sehr ähnlich. Sie waren sehr ehrgeizig und wollten den Erfolg um jeden Preis – mehr sag ich dazu nicht. Ich mochte damals am liebsten PROTEX, die wurden später allerdings zur einer weinerlichen Boy-Band, und VICTIM. Auf jeden Fall auch die OUTCASTS, trotz der Rivalitäten.“
RUDI und OUTCASTS hatten nie politische Songs wie etwa die STIFF LITTLE FINGERS. Hattet ihr kein Interesse an Politik?
Brian: „Das stimmt nicht ganz, denn bei RUDI sangen wir über die Sachen, die unser Leben bestimmten und beeinflussten – und das ist politisch. Nimm Songs wie ‚Cops‘, ‚Life‘ oder ‚Toytown‘ ... Wir hatten aber keine Lust auf billige, kitschige Parolen, wie die STIFF LITTLE FINGERS sie benutzten. Vor allem, wenn sie von einem sensationssüchtigen, englischen Zeitungsjournalisten geschrieben wurden, zu einer Zeit, als sie noch eine Heavy-Rock-Band waren und Punk hassten. Außerdem war dieses ganze politische Getue für uns ein weiterer Trend aus London – in Belfast hätten sie dich dafür erschossen.“
Inwieweit haben die Auseinandersetzungen zwischen IRA und UDA euer Leben beeinflusst?
Brian: „Ich habe Verwandte, die in solche Sachen verwickelte waren oder sind. Jeder, der damals hier aufgewachsen ist, wusste genau, was Sache ist. Das ist auch einer der Hauptgründe, weswegen ich Musik machen wollte – um mit den ganzen Sachen nichts zu tun zu haben.“
Ist es also schon möglich, sich rauszuhalten? Es scheint wie eine Tradition des Hasses, bei der keiner mehr weiß, warum es immer noch weitergeht. Hattet ihr bei Konzerten ein gemischtes Publikum aus Protestanten und Katholiken?
Brian: „Man war entweder auf der einen oder auf der anderen Seite, je nachdem, wo man geboren wurde und lebte. Man blieb auch meist in seiner vertrauten Gegend, die von einer der beiden Religionen und Traditionen dominiert wurde. Gerade in den späten 70ern, als es besonders schlimm war. So wusste man auch nicht viel von der ‚anderen Seite‘. RUDI kam aus Ost-Belfast, eine protestantische/loyalistische Gegend. Van Morrison und Eric Bell gingen auf die gleiche Schule wie wir, Gary Moore wuchs zwei Häuser weiter auf, wo ich lebte. Auch Terry Hooley und THE DEFECTS kommen von dort. Aber die Punk-Bewegung ermutigte die Leute, für sich selbst zu denken und sich mit Leuten zu ‚vermischen‘, die die gleiche Musik und Kleidung mochten, egal wo sie herkamen. Es war uns egal, welcher Religion jemand angehörte. Also wurde das Publikum gemischt und bald auch die Bands – das war am Anfang noch getrennt. So war das Leben hier eben. Punk durchbrach eine Menge Barrieren – du warst Punk, alles andere kam erst danach.“
Greg: „Klar, gab es auch Ärger, aber es war eine großartige Zeit. Jeder Tag war ein Abenteuer, und ich möchte keinen Tag davon missen.“
Wie sieht es denn heute aus?
Greg: „Heute ist Belfast viel friedlicher und angenehmer. Jeden Tag machen irgendwelche neuen Bars auf. Und leider bin ich einer dieser peinlichen alten Männer, die denken, sie wären noch Teenager, haha.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #55 Juni/Juli/August 2004 und Ox