Der Beitrag Österreichs zur europäischen Hardcore-Geschichte ist überschaubar, doch es ist die Qualität, die zählt, nicht die Menge. Mit TARGET OF DEMAND nahm die Geschichte von SEVEN SIOUX einst Ende der Achtziger in Linz ihren Ausgang, und nachdem T.O.D. nach nur einem Album - "Gruß" auf We Bite, 1989 - wieder Vergangenheit waren, ging für deren Sänger Rainer Krispel die Geschichte mit SEVEN SIOUX weiter. 1994 und zwei Alben später war dann wieder Schluss, doch mit der Distanz von zehn Jahren wurde ein Neuanfang gewagt, und vor ein paar Wochen erschien mit "We Are Not The Scared People" ein neues Album der jetzt in Wien ansässigen Band, zu dem mir Rainer ein paar Fragen beantwortete.
Ich kann es mir und euch nicht ersparen: Bitte ein Abriss der Bandgeschichte, denn manche Ox-Leser waren zum Zeitpunkt der Bandgründung noch nicht geboren.
Bei TARGET OF DEMAND gab es, weil Bassist Johnny und Gitarrist Mops in Wien waren, Leerlauf, und so haben Schlagzeuger Huckey, und ich in Linz mit zwei Freunden, Horst, Gitarre, und Peter, Bass, zu spielen begonnen. Anfangs gab es den Plan von einer WIPERS-Coverband, aber dann waren da auf einmal eigene Songs, mit als Unterschied zu T.O.D. englischen Texten ... Das war so 1988, bei den Aufnahmen zur veröffentlichten Version unseres ersten Tapes ist Alex als Sängerin dazugekommen. Als SEVEN SIOUX haben wir etliche Konzerte gespielt, zwei LPs, zwei 7"-EPs und eine 10" herausgebracht. Alex ging '91 nach Wien, der Rest der Band ist dann zu SCHWESTER - mit deutschen Texten - mutiert, bevor '94 ganz Schluss war.
Gibt es einen Unterschied zwischen der Meinung zur Reunion von Bands, die man als Musiker selbst sehr schätzt, und der Reunion der eigenen Band ...?
Ich hatte das Glück, fantastische Konzerte der reformierten DINOSAUR JR., der FEHLFARBEN oder WIRE - waren die gut! - zu erleben, bin also nicht der Meinung, dass eine Reunion grundsätzlich suspekt ist. Die Frage ist halt immer: Was sind die Motive, die Umstände und funktioniert der bandinterne Bullshit-Detektor? Bei uns als kleiner, unbedeutender Band fällt Geld als Motivation sowieso weg und der "Spaß" an unserer Musik taugt offensichtlich noch/wieder als Motor. Es war aber auch immer klar, dass wir, wenn die Chemie und das Resultat nicht stimmen, die Sache nicht durchziehen. Mit unserem neuen Schlagzeuger Pezzy ist es auch genau genommen keine tatsächliche Reunion. Wir nähern uns auch dem Punkt, wo wir live keine alten Lieder mehr spielen.
Damals wurde eine Verbindung eures Namens zu 7 SECONDS vermutet - wahr oder falsch?
Korrekt. Eine Mischung aus 7 SECONDS, den ebenfalls sehr verehrten SIOUXSIE & THE BANSHEES und dem Umstand, dass ich einen Western gesehen hatte, bei dem sieben Apachen aus dem Reservat ausgebrochen sind. Ach ja, und nüchtern waren wir auch nicht ...
Zu den Texten: "Crosses" ist offensichtlich ein aggressives Statement gegen die Kirche. Erzähl mal was zum Text und seinem Hintergrund.
In Österreich hatten wir bis vor kurzem eine von der ÖVP dominierte Regierung, die sind vergleichbar mit der CDU. Was zu Huldigungen des Papstes anlässlich der Audienz eines prominenten ÖVP-Politikers führte, in der zentralen TV-Nachrichtensendung zur Hauptsendezeit, in einem öffentlich-rechtlichen Sender! Und Live-Übertragungen von Wallfahrten. Dazu die unreflektierte Phobie gegenüber dem Islam oder die Debatte über einen Gottesbezug in einer allfälligen europäischen Verfassung. Ich finde das alles schlicht absurd und bedrohlich, wenn ich an das Gewaltpotenzial religiöser Konflikte denke. "So you dig Jesus, he likes Mohammed, some do read Marx, why does it separate?" Ich respektiere Spiritualität und Religiosität als ein Grundrecht des Individuums, habe großen Respekt vor der Arbeit, die Organisationen leisten, die "christlich" als Menschenliebe verstehen, gleichzeitig finde ich es aber an der Zeit, dass wir geistig und strukturell das "christliche Abendland" überwinden und uns zu einem Abendland der Vernunft entwickeln. Wenn ich im Intro zu "Crosses" mit dem Abfackeln von Kirchen kokettiere, ist das Polemik, rein symbolische Gewalt als ein kleiner Befreiungsschlag gegen die tatsächliche Gewalt, die die Kirche noch immer ausübt - warum muss ich mir dieses grässliche Glockengebimmel anhören oder das homophobe Gekeife von katholischen Würdenträgern?
Auch sonst nehmt ihr kein Blatt vor den Mund. Warum ist man als Enddreißiger noch so wütend und nicht ausgeglichener?
Es gibt beim Album mit "Late bloomers" und "Lovesong" wenigstens zwei Stücke, die auch von Glück handeln, von Zufriedenheit. Als Person "leide" ich heute weniger an meiner Wut, weil ich in vielen Bereichen sehr erfüllende, glückliche Lebensumstände habe, gleichzeitig müsste ich schon ein Riesenarsch sein, um auszublenden, dass ich als Österreicher, weiß, männlich schon per Geburt privilegiert bin, mit Möglichkeiten und Chancen, die sich Millionen, ja Milliarden von Menschen so nicht bieten. So gesehen, halte ich das, was du als Wut bezeichnest, auch nicht für eine Frage des Alters, sondern für eine der Sensibilität oder des eigenen Talents zum Verdrängen. Das Benennen von Dingen, die einem nicht passen in unseren Songs hat etwas Befreiendes, Klärendes - dass man "im Alter" nicht mehr erwartet oder hofft, dass das was ändert, halte ich für eine Segnung des Enddreißigertums, dass einen das nicht hindert, es zu tun, ebenfalls.
Was bitteschön ist Fettkakao?
Mein lieber Freund Andi Dvorak, guter Mensch und ein Musik-Nerd - Eigendefinition - allererster Güte macht hier in Wien unter diesem Namen sein kleines, feines Label, auf dem er unter anderem uns veröffentlicht. Auf seiner Homepage www.fettkakao.com gibt's glaub ich sogar das Rezept für einen echten Fettkakao ....
Du gestehst offen ein, dass Dischord für dich bis heute das Maß der Dinge in Sachen Labels ist. Kannst du deine Leidenschaft mal begründen und erläutern? Und besteht da in der Band ein Konsens?
Ich nehme an, dass Dischord auch für meine Linzer Kollegen einen erhöhten Stellenwert hat. Bei dem Statement ging es mir um den Modellcharakter davon, wie Dischord mit Musik umgeht, was sie aus welchen Gründen wie machen - das finde ich beispielhaft und ja, glorreich. Auch das Paradoxon, Musik eben nicht als Geschäft zu sehen, und damit dennoch geschäftlich erfolgreich zu sein. Sich Verwertungslogiken wie Promo, Marketing etc. zu verweigern und dennoch vernehmbar zu sein. Dieser fast schon Starrsinn, auf Prinzipien zu beharren, obwohl doch auch in der Indie- und Punk-Welt schon weitgehend business as usual herrscht und der Unterschied zwischen Major und Indie "nur" noch der zwischen Tante-Emma-Laden und Supermarkt und kein prinzipieller mehr ist. Musik selbst hat für mich heute nicht mehr den Stellenwert wie früher, das heißt, eine neue Band kann per se für mich nicht mehr den Stellenwert von RITES OF SPRING, BEEFEATER oder IGNITION erreichen, weil "Gutfinden" auch berufsbedingt - ich schreibe viel über Musik - heute etwas Abstrakteres, Distanzierteres ist. Mich interessieren und berühren heute oft mehr die Ideen, die Motive dahinter und beim Musikmachen/-veröffentlichen, darum greift für mich auch das Argument bedingt, dass Dischord nicht mehr so viel gute Musik rausbringt. Ich höre THE EVENS selten, aber ihr Konzert in Wien war extrem inspirierend, nach einem kurzen Gespräch mit Ian war es auch so: nach Hause gehen, Song schreiben, Buch schreiben, Menschen lieben, Band gründen, Kollektiv gründen, Welt verändern, jetzt! Und ab und zu kommt dann eben auch wirklich wieder erstaunliche, berührende Musik auf Dischord daher.
Musikalisch liegt ihr bis heute nahe an dem, was einst in den späten Achtzigern schon etwas hilflos als "Emocore" bezeichnet wurde. Deine Gedanken dazu?
Im Grunde denkt man von seiner eigenen Musik irgendwann tatsächlich nicht mehr in Kategorien, solchen Kategorien. Aber im Sinne von "Emocore is just a word, but I use it": Ich finde es absurd, dass ein Begriff, der schon bei seinem Auftauchen absurd war, heute noch immer eine Rolle spielt. Und wenn ich schlaflos im Musikfernsehen hängen bleibe und die entsprechenden Bands peripher mitkriege, die heute wohl unter "Emo" laufen, frage ich mich schon, warum sich die Welt eigentlich immer wieder von so langweiligen, nichtssagenden, tatsächlich und im übertragenen Sinne blassen Ami-Buben was vorgaukeln lässt. Wie hohl die Musik ist. Wie bedeutungsschwanger. Und wie distanzlos die Protagonisten von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt sind, als ob die Sonne aus ihrem Arsch scheint.
Warum bist du/seid ihr dem Punk/Hardcore-Gedanken bis heute treu geblieben, was bedeutet euch der?
Für mich: Weil sich die Ideen - der Versuch eines anderen Lebens ist möglich -, die ich damit verbinde, bis heute als tragfähig erwiesen haben. Weil mir Musik, Literatur, Kunst, die sich diesem Geist verbunden fühlt, immer wieder Arsch und Herz kickt. Weil Selbstermächtigung einfach ein geiles Prinzip ist. Weil, sich selbst Definitionsmacht zuzugestehen, tatsächlich subversiv ist. Weil sich an den Verhältnissen gerieben werden muss. Und weil ich bei dem Satz "Ich bin ein Punk" lachen kann.
Zuletzt noch eine Frage zu TARGET OF DEMAND: Gibt es da irgendwelche Pläne, und sei es nur die Neuauflage des "Gruß"-Albums?
Wir haben einmal 1996 noch ein Konzert gespielt, dabei wird es bleiben.
Wir haben auch über eine CD mit allem Studiozeug nachgedacht, aber wir haben das nie auf die Reihe gekriegt ... Ich fände es sehr schön, wenn die Musik - wieder - erhältlich wäre, habe aber nicht die Energie und die Zeit, das zu betreiben.
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