SENSE FIELD

Happy End im Feld der Sinne

Wie groß eine Band ist, merkt man oft auch daran, wie lange es dauert, mit den jeweiligen Musikern einen Telefontermin vereinbart zu bekommen...
Im Falle von SENSE FIELD dauerte es fast einen Monat, bis an einem der ersten Frühlingstage des Jahres mein Telefon klingelte und ein verschnupfter Chris Evanson, seines Zeichens Gitarrist von SENSE FIELD, sich am anderen Ende der Leitung ein gelangweiltes „Hi, this is Chris, who is there“ hervorquälte. Kein SENSE FIELD-Interview dieser Tage ohne die Eingangsfrage, warum der Nachfolger zum 1997 bei Revelation erschienenen Referenz-Album „Building“ ganze fünf Jahre auf sich hat warten lassen.


„Also zunächst muß ich sagen, dass ich froh bin, dass diese Warterei überhaupt ein Ende hat“, spult Chris die Antwort zu dieser derzeit häufig gestellten Frage herunter.
„Als wir vor 5-6 Jahren ‘Building’ auf Revelation rausbrachten, klopften kurze Zeit später Warner an unsere Tür und wollten das Album lizensieren. Man muss dazu sagen, dass Revelation damals zwar schon einen sehr guten Namen hatte, aber in Sachen Vertrieb und Verkauf noch nicht groß genug war, um uns wirklich voran zu bringen. Wir einigten uns also darauf, mit diesem Album zum Major zu wechseln. Doch kaum waren die Verträge unterschrieben und die CD keine drei Monate später mit neuem Label im Rücken im Handel erhältlich, passierte gar nichts mehr. Irgendwie schien es, als habe die damalige Entscheidungsriege bei Warner nur eine Trophäe schießen wollen und uns anschließend an die Wand genagelt. Wir wollten dieser Misere natürlich so schnell wie möglich entfliehen und entschlossen uns, ein neues Album fertig zu stellen. Allerdings gab es auch dort Verzögerungen. Die letzten Leute bei Warner, die mit uns arbeiten wollten und für unser Signing verantwortlich waren, verließen die Firma und ihre Nachfolger wussten mit uns nichts anzufangen. Das war ganz schön Scheiße, kann ich dir sagen!“

Was folgte, war das bekannte Spiel aus Songs schreiben und sie der Plattenfirma vorstellen.

„Wir wurden jedesmal aufs Neue vertröstet, und obwohl wir bereits ein komplett neues Album fertig hatten, sollte ein Veröffentlichungstermin immer weiter verschoben werden. Wir haben dann die Geschicke selbst in die Hand genommen und an den bereits geschriebenen Songs weitergearbeitet. Wir wollten sie nicht neu schreiben, aber den über die Jahre verloren gegangenen Spirit neu erfinden. Ich besitze ein nettes kleines Studio, in das wir uns lange Zeit eingeschlossen haben, um das Album fertig zu bekommen. Gerne wären wir natürlich zu einem anderen Produzenten gegangen, doch dazu fehlte uns das Geld und außerdem hatten wir in der Vergangenheit stets Probleme mit anderen gehabt und noch nicht den richtigen Menschen für diesen Job gefunden. Irgendwie passte das aber zu unserer Situation: Wir waren komplett auf uns allein gestellt.“

Das Ende der Geschichte nahte, als der amerikanische Indie Nettwerk auf die Band zukam und anbot, sie aus dem Deal bei Warner heraus zu kaufen.

„Eigentlich hatten wir vor, mit dem fertigen Album auf großangelegte Labelsuche zu gehen, doch als Nettwerk die Initiative ergriff, haben wir gleich zugegriffen. Dass sich jemand um UNS bemühte, war ein Gefühl, das wir schon fast vergessen hatten. Das war ein echter Sieg für uns!“

Herausgekommen ist mit „Tonight And Forever“ ein Album, dem man die fünfjährige Odyssee nur anmerkt, wenn man auf Details achtet. Oberflächlich betrachtet bleibt nämlich alles beim Alten. Kenner der frühen SENSE FIELD-Songs werden vom ersten Ton an ihre alte Liebe neu entfacht sehen.

„Wir haben unseren sehr eigenen Sound auch auf dem neuen Album wiedergefunden, das stimmt“, erklärt Chris. „Wir haben nunmal eine Liebe für verzerrte Gitarren, über die eine Akustik-Gitarre tanzt. Neu ist aber, dass wir mit kleinen elektronischen Sounds rumexperimentiert haben. Die Musik sollte irgendwie moderner klingen und ich finde, die Samples ordnen sich dennoch dem Gesamteindruck einer reifen Rockband unter.“

Wie, was heißt hier Rockband? Ich dachte SENSE FIELD wären die Vorreiter des Emo-Core?

„Nein, nein, diese Schublade haben wir nie für uns beansprucht. Unser Basser Jon und ich haben bereits zu Schulzeiten angefangen, Punkrock zu spielen, damals noch unter dem Namen REASON TO BELIEVE. Der Spirit dieser Zeit ist uns erhalten geblieben, mehr aber nicht. Ich denke, der ‚Emo-Stempel‘ wurde uns zu Revelation-Zeiten aufgedrückt. Auf ihrem Jubiläums-Sampler zum 50sten Release war einer unserer Songs zwischen all den Hardcore-Bands wie JUDGE, GORILLA BISCUITS oder YOUTH OF TODAY zu finden. Es ist klar, dass die Leute da denken: Wow, das klingt viel ruhiger, das ist bestimmt Emo. Unser Selbstverständnis von SENSE FIELD ist aber das einer Band, die sich selbst nicht auf ein Genre beschränkt. Wir machen Musik, ohne darüber nachzudenken, wem sie nun am Ende gefallen wird oder was andere darüber denken, was uns aber oft genug Kritik von Seiten der engstirnigen Hardcore-Szene einbringt, denen das Material zu poppig und massenkompatibel ist.“

Und das gerade in Zeiten, in denen SENSE FIELD zu einem (kommerziellen?) Höhenflug in Amerika ansetzen. Ihre erste Single-Auskopplung „Safe Yourself“ zumindest mutiert auf US-College-Radios zum Dauerbrenner und eine landesweite Tour mit den GOO GOO DOLLS steht für Mai diesen Jahres auf dem Plan.

„Das wird eine ganz neue Erfahrung für uns. Wir haben noch nie mit einer Major-Band getourt und sind gespannt, wie es wird, in riesigen Hallen voll mit für SENSE FIELD untypischen Fans zu spielen. Andererseits ist es für uns auch eine Chance, denn nach einer so langen Pause trotzdem Erfolg zu haben, ist ein wahnsinnig gutes Gefühl.“

Doch nicht nur die über den Szene-Tellerrand hinaus wogenden Medien-Wellen (z.B. Jay Lenos „Tonight Show“) und die angesprochene Tour laden zu Missverständnissen innerhalb der eingeschworenen Fangemeinde ein, auch „Safe Yourself“ selbst wird derzeit heftigst von Hardliner-Fans beschossen: Explizit wird im Text des Songs über das „sich für den Richtigen aufheben“ gesprochen, ein christlicher Aufruf zur sexuellen Enthaltung vor der Ehe?

„Oh nein, keinesfalls!“, entgegnet Chris. „Wir wollen niemanden vorschreiben, mit wem er wann Sex hat. Der Text greift lediglich ein anderes Thema beispielhaft auf. Es geht vielmehr darum, sich selbst in keiner Lebenssituation unter Wert zu verkaufen. Es geht um deinen ganz persönlichen Selbstrespekt. Wir sind definitiv keine Christen-Band, sondern einfach nur nachdenklich. Der Song ‘Fun Never Ends’ zum Beispiel handelt vom Selbstmord einiger Freunde von uns, die nicht damit klar gekommen sind, dass die Sonne eben manchmal aufhört zu scheinen. Die Spaß-Gesellschaft spielt uns ja immer ein anderes Bild vor und wir sagen: Pass auf dich auf, du bist nicht unzerstörbar. Finde Kraft in dir selbst! Jetzt wo wir alle in der Band die magische Alterszahl von 30 erreicht haben, können wir mit diesem Abstand wesentlich konstruktiver mit den Problemen eines Jugendlichen umgehen, ohne gleich die Attitude von BLINK 182 an den Tag zu legen.“

Ein weiteres Kuriosum ist auf dem Album zu finden. Song Nummer fünf trägt den Titel „Beatles Song“. Der bekennende BEATLES-Maniac Chris meint dazu:

„Dieser Song ist ein Anliegen unseres zweiten Gitarristen Rodney. Er hatte damals ein Mädchen auf seiner Kunst-Schule, über die es eine ganz lustige Geschichte zu erzählen gibt: Sie baute aus Papier und Klebeband ein Haus, das aber immer wieder kaputt ging und sang dabei ‘Across The Universe’ von den BEATLES. Immer wieder, fast zwei Stunden lang, bevor die anderen Kursmitglieder wie aus einer Kehle ‘HALT’S MAUL’ brüllten. Einen tieferen Sinn gibt es nicht, außer dieser unterschwelligen Verbeugung vor den Fab-4!“

Ende Juni/Anfang Juli werden SENSE FIELD zum zweiten Mal auch bei uns in Deutschland auftreten, sieben Jahre nach ihrer letzten Europa-Tour. Entsprechend hoch pendeln sich Vorfreude, aber auch Sorgen ein.

„Wir freuen uns gewaltig auf diese Wochen in Europa, denn unsere erste Europa-Tour gehört definitiv zur besten Zeit, die wir in unserer Bandgeschichte hatten. Außerdem wird es ein Eintauchen in eine ganz andere Welt: Während wir hier in Amerika ja in immer größeren Hallen spielen und immer mehr Kids zu unseren Konzerten kommen, werden in Europa wohl ‘nur’ noch die HC-Fans zu unseren Shows kommen, was uns die Band aus einer ganz anderen Sichtweise erleben läßt. Live sind wir ohnehin viel härter und punkiger als auf Platte, so dass wir gespannt sind auf die Reaktionen der Leute, die uns nur vom neuen Album her kennen...“

Beim Thema Europa-Tour fällt mir auch gleich SENSE FIELD-Sänger Jons Freundschaft mit ONELINEDRAWING- und NEW END ORIGINAL-Frontmann Jonah ein, der in den letzten Monaten ja schon so etwas wie ein Dauergast auf deutschen Bühnen war. Darauf angesprochen meint Chris:

„Wir trafen Jonah vor vielen Jahren, er war noch bei FAR, auf einem Benefiz-Festival und es entwickelte sich spontan ein guter Kontakt. Wir sind begeistert von dem, was er tut und haben ihn vor kurzem eingeladen, auf unserem nächsten Album einen Gast-Track einzusingen. Wir werden definitiv wieder bei mir im eigenen Studio aufnehmen, also soll er ruhig mal reinschauen, wenn er in der Nähe ist. Aber eins ist sicher, wir werden ganz bestimmt keine fünf Jahre warten, also muss er schnell sein.“