Wiedererkennungswert: 100 Prozent. Sie sind individuell und innovativ. Traditionalisten haben ihre Probleme mit ihnen. Für alle Punks und Skins, die über den Tellerrand schauen, sind SCRAPY eine musikalische Bereicherung. Im Laufe der Jahre haben sie ihre eigene Schublade gezimmert: Streetska. Streetpunk-Hymnen mit treibendem Offbeat. Seit ihrem dritten Album "Unsteady Times" wurde es für SCRAPY-Verhältnisse etwas ruhiger. Nach einigen Besetzungswechseln steht nun wieder eine feste Mannschaft. Anlässlich ihres bevorstehenden Plattendebüts mit dem Titel "The Smart Sensation" auf Grover Records, habe ich mich mit den Gründungsmitgliedern Boscho und Kaiser im Regensburger Traditionsbiergarten Kneitinger getroffen, um über das facettenreiche neue Album, SCRAPY und die Welt zu plaudern ...
Ist derzeit eure Bühnenbesetzung gleich Studio-Line-up?
Boscho: Es gab viele Umbesetzungen, aber die jetzige Besetzung ist fest.
Was ist aus den vielen Ehemaligen geworden?
Kaiser: Mal abgesehen von den Schlagzeugern Max, der bei der CRO-MAGS-Coverband spielt, und Manderl, der bei den BABOONZ trommelt, sind alle Ex-Mitglieder nicht mehr musikalisch aktiv.
"The Smart Sensation" habt ihr wieder in Göttingen eingespielt. Was ist das Besondere an diesem Studio?
Boscho: Um das zu verstehen, musst du das Studio sehen. Die Atmosphäre ist einfach super. Tom Spötter, der Studiobetreiber, ist der herzensbeste Mensch, den man sich vorstellen kann. Was nützt es, im weltbesten Studio aufzunehmen, wenn der Betreiber ein Arschloch ist? All die Freundschaften, die sich mittlerweile in Göttingen ergeben haben, machen das ganze Umfeld aus.
Kaiser: Wie NO RESPECT oder ROCKSTEADY ORCHESTRA, plus die Wohngemeinschaft, in der wir bei Bedarf problemlos Wochen verbringen können. Fassen wir zusammen: Cooles Studio, super Typ und ein geiles Umfeld.
Produziert wurde die Platte von DJ Vincent Fries. Wie kam es dazu?
Kaiser: Vincent kommt aus unserer Gegend, nahe Passau. Er ist mit radikalem, ernsthaftem HipHop wie ANARCHIST ACADEMY aufgewachsen. Mittlerweile ist er ein sehr erfolgreicher Discjockey mit Europameister- und Vize-Weltmeistertitel und ein großartiger Tontechniker. Deshalb hat er die Platte produziert und saß die meiste Zeit an den Reglern. Er hat ein Ohr für verschiedenste Arten von Musik. Der künstlerische Aspekt war Grund genug, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Durch Vince bekam SCRAPY eine ganz neue Facette. Alles irgendwie nur eine Frage der Zeit, bis wir einmal miteinander arbeiten würden, zudem sein Bruder Adrian mittlerweile auch bei uns Schlagzeug spielt.
Viele neue Einflüsse, die irgendwie an TRANSPLANTS erinnern ...
Boscho: Eher unbewusst, auch wenn uns die Alben sehr gut gefallen. Alle Songs sind in sehr kurzer Zeit entstanden. Wir haben uns eine Woche lang in einen Keller eingesperrt, um das Material zu schreiben, die groben vorhandenen Konzepte haben wir mit der Band ausgearbeitet.
Kaiser: Die Grundideen sollten einfach und geradlinig werden. Ich zitiere mal BOY SETS FIRE: "Don't bother us, let's go to the chorus!" Vince' Ideen hingegen kamen eher überraschend hinzu.
Greift eure eigene stilistische Schublade "Streetska" noch?
Boscho: Keine Weiterentwicklung wäre Stillstand, sonst wären wir auch nicht zum Ska gekommen. "Streetska" ist unsere Auslegung von Punk und Ska mit Hintergrund, der sich vom Allerlei abhebt.
Kaiser: "The Smart Sensation" klingt trotz Weiterentwicklung nach SCRAPY. "Unsteady Times" war wesentlich experimenteller.
Trotz politischer Aussagen, einer gehörigen Portion Aggression, kristallisiert sich zwischen den Zeilen viel Frust heraus.
Kaiser: Betrachten wir die politische linke Szene, gab es seit Karl Marx immer wieder gute Theorien und praktische Ansätze, aber am Gesamtzustand der kapitalistischen oder der spätkapitalistischen Gesellschaft hat sich nichts geändert. Frust, weniger fatalistisch betrachtet, treibt mich und die Band weiter voran.
Boscho: Frust über die bestehende Situation, aber die nötige Aggression mit dem Willen, etwas zu ändern.
Angesichts der Textpassage, dass jede Generation ihren eigenen Krieg führt, interessiert mich, in welchen Krieg ihr verwickelt seid?
Kaiser: Erstens wird immer noch irgendwo Krieg geführt und zweitens, subkulturell betrachtet, hat sich seit 1968 nichts verändert. Soziale Bewegungen sind uns wichtig und jede Generation führt ihren Kampf gegen eine gewisse "Stammkultur", siehe G8-Gipfel. Ich will keinesfalls Gewalt verherrlichen, aber es zeigt, dass die Gesellschaft kein fader Einheitsbrei ist wie bei einer Fußballweltmeisterschaft. Die Realität zeigt, dass diese Gesellschaft antagonistisch und pluralistisch
Zu welchen Bands gibt es musikalische und ideologische Parallelen?
Kaiser: THE CLASH, THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY, RANCID, THE JAM oder THE SPECIALS. Unser Anspruch war, Ska im ursprünglichen Sinne sozialkritisch darzustellen, auch wenn SCRAPY nie als ultrapolitische Band à la ANTI-FLAG oder ZSK betrachtet wurde.
Boscho: Wie Bands eben, die etwas zu sagen haben, aber dennoch nie auf negative Art dogmatisch sind.
Kaiser, in unserem letzten Gespräch hast du geäußert, dass das neue Album umfangreicher werden würde, was jetzt aber ausblieb.
Kaiser: Es fehlt an Zeit und dann stellt sich noch die Frage: Wer soll das bezahlen? Wir waren jetzt einen Monat lang im Studio und sind froh, dass das Label die Kosten übernimmt.
Boscho: Um Joe Strummer sinngemäß zu zitieren: Ob es nicht besser gewesen wäre, "Sandinista" als Single zu veröffentlichen?! Wir sind Fans von knackigen Auftritten. Lieber nach einer Stunde voll in die Fresse mit Anstand die Bühne verlassen, als sich zwei Stunden den Wolf zu spielen und die Leute zu langweilen. So kann das auch mit einem Album laufen.
Und wie steht ihr zu Live-Aufnahmen?
Boscho: Grundsätzlich ja, aber eine gute Live-Aufnahme zu produzieren, ist relativ schwierig und ziemlich aufwändig. Die meisten einfachen Mitschnitte lassen sich nicht verwerten. Es muss eine gewisse Qualität gegeben sein. Mich stört es nicht, dass es Unterschiede zwischen Studiomaterial und Live-Auftritt gibt. Nehmen wir unsere Dub-Nummer, die live nie wie im Studio klingen würde, allerdings schließe ich nicht aus, dass wir den Song in einer anderen Variante auf die Bühne bringen. Im Studio will ich vieles ausreizen, was eben live nicht machbar ist.
Kaiser: Mir würde es nichts ausmachen, würden wir bei jedem Konzert die Songs etwas anders spielen. So werden die Stücke doch viel individueller. Natürlich spricht nichts dagegen, dass auch wir mal Live-Material veröffentlichen.
Warum der Labelwechsel von Mad Butcher zu Grover?
Kaiser: Wir wollten noch einmal einen Schritt nach vorne wagen und mit einem Label zusammenarbeiten, das größer ist als Mad Butcher. Durch bessere Vertriebswege erreichen wir hoffentlich noch etwas mehr Leute. Wir sind dankbar für die jahrelange Arbeit mit Mike, aber es war an der Zeit, die eingefahrenen Wege zu verlassen. Jetzt ist die Situation wieder neu. Grover ist für mich auch eines der besten und größten Szenelabels mit einem großartigen Programm.
Wird es "The Smart Sensation" auch auf Vinyl geben?
Kaiser: Auf alle Fälle! Eine Nachpressung von "Unsteady Times" ist mir ein Anliegen. In Punk- und Skinhead-Kreisen ist "Saturday Night" das bislang beliebteste SCRAPY-Album.
Bitte ein kurzer Satz zu jedem Song auf "The Smart Sensation".
Kaiser: "Radio underground" ist Kritik an der Kulturindustrie. "That's right" - "Freedom is a road, seldom travelled by the multitude". "Train's leaving", ein Liebeslied, das eine traurige Wendung nimmt, aber dennoch kämpferisch bleibt. "Broken avenues" handelt über unser hübsches, kleines Städtchen zu Hause und was man am Wochenende dort so anstellen kann. "This generation" ist eine Hymne für kommende G8-Gipfel und "DJ, DJ" ist ein Song von und für Vincent Fries und Juggleberry Spin.
Boscho: "No tomorrow" ist ein Trinklied. "The smart sensation" ist eine wunderbare Uptempo-Nummer. "Empire" - Sozialkritik und "Jenny Soho" ist der zweite Teil von "Sad nights in Soho".
Skinhead/Punkrock-Attitude oder dreht sich bei euch alles nur um Musik?
Kaiser: Früher machte ich mir darüber Gedanken. Heute versuche ich, nicht mittelmäßig zu sein. Ich versuche, wie es der Subkultur entspricht, eine andere Lebenseinstellung zu praktizieren. Wir verdienen Null mit der Musik. Wir sind idealistisch und haben Spaß daran. Wir glauben daran, dass damit etwas bewegt wird und man junge Menschen von schlechteren Einflüssen wegbringen kann. Darum geht's mir.
Boscho: Die Subkultur ist der Hintergrund für uns. Darauf baut alles auf. Natürlich freuen wir uns, wenn das Album gekauft wird. Schließlich soll gehört werden, was wir zu sagen haben.
Eure Meinung zur derzeitigen deutschen Ska- und Punk-Szene?
Kaiser: Insgesamt positiv.
Boscho: Andererseits ist der Markt gesättigt. Es gibt wahnsinnig viel, was ich nicht brauche.
Welche deutschen Bands findet ihr innovativ und interessant?
Kaiser: Meistens Bands, mit denen wir uns gut verstehen, wie NO RESPECT oder STAGE BOTTLES.
Boscho: Sehr viele junge Bands orientieren sich nur an traditionellen Schemata und Perfektion.
Kaiser: Von den Traditionalisten werden wir komisch beäugt. Okay, aber mich langweilen musikalisch ausgelatschte Pfade furchtbar schnell.
Welche Rolle spielen dagegen "deutsche Altmeister" in Sachen Ska?
Kaiser: Mit vielen haben wir bereits gespielt. Da ich mir die Sachen nicht anhöre, fällt eine objektive Beurteilung schwer, auch wenn sie live nach wie vor ihr Ding machen. BLUEKILLA gefallen mir von den alten Bands mit am besten, wenngleich sie allesamt Vorreiter sind. Eine Tendenz, die mir am deutschen Ska missfällt, ist dieser überschwängliche Hang zum Spaßfaktor. Ich bevorzuge "dunklen" Ska, wie ihn THE SPECIALS, OPERATION IVY, RANCID oder THE SLACKERS vermitteln. Viele deutsche Skabands sind mir einfach zu lustig. Live stört mich die Show, die oftmals mehr an ein Bierzelt erinnert.
Boscho: Es degradiert Ska zur Partymusik, was Ska definitiv nicht ist und nicht sein soll.
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