SCARBORO, ein Trio aus Brooklyn, NY, spielen wundervoll snotty Punkrock, der nach allem klingt, was mir heilig ist: ADOLESCENTS, BLACK FLAG, BAD RELIGION, DESCENDENTS. 14 knappe, knackige Songs werden auf dem „Here Comes The Hangover“-Album, das kürzlich via WTF Records aus Holland veröffentlicht wurde, abgefeuert, so dass ich CEREBRAL BALLZY schon fast wieder vergessen habe (Was machen die eigentlich?). Ich wollte von Shi Heng Shi (Gitarre/Vox), Jack Counce (Bass/Vox) und Gayla Escoda Brooks (Drums) wissen, was derzeit so geht mit Hardcore in Brooklyn.
Die Basics, bitte.
Shi: Ich bin Gitarrist und Sänger, Jack Counce spielt Bass und sing ebenfalls, und Gayla sitzt am Schlagzeug. SCARBORO habe ich vor etwa fünf Jahren mit einem alten Freund vom College gegründet. Anfangs war es eher ein Hobby, aber als die Besetzung sich veränderte und der Sound und die Songs sich herauszubilden begannen, wollte ich die Sache ernsthafter weiterverfolgen. Ich bin mit Punk und Hardcore aufgewachsen und irgendwie fehlten mir in einigen Bereichen der sich permanent verändernden Punk- und Hardcore-Szene die Aggression, die Geschwindigkeit und die einprägsamen Songs. Diese Lücke wollte ich schließen und den Leuten kurze, knackige Songs vorsetzen, zu denen sie ausrasten können. Was die ideale Band angeht, sind wir das für mich schon. Eine Gruppe von Leuten mit verschiedenen Hintergründen und „Altlasten“, die dann in die Songs einfließen, und individuellen Talenten, die sich wirklich sehr gut gegenseitig ergänzen. Ich meine, bis jetzt sind wir einander noch nicht an die Gurgel gegangen, das ist definitiv ein Pluspunkt.
Jack: Ich hatte gerade mit Francisco Botero im Studio G in Brooklyn an der „The Safeword Is ,Yes‘“-EP gearbeitet, als ich hörte, dass SCARBORO einen Bassisten suchten. Der Rest ist Geschichte. Für mich besteht die ideale Band aus Freunden, die schnell und laut zusammen Krach machen.
Gayla: Ich wohne bei Jack und wir spielen auch noch in einer anderen Band zusammen. Ich war schon immer ein Fan von SCARBORO, aber hatte mir nicht zugetraut, Zeit für zwei Bands zu haben. Als SCARBORO dann kürzlich einen Schlagzeuger suchten, habe ich angeboten einzuspringen, bis sie dauerhaften Ersatz gefunden hätten. Aber nachdem ich den fertigen Mix des neuen Albums gehört hatte, wollte ich Vollzeit dabei sein. Für mich sind die ideale Band Leute, mit denen du mehr als eine Woche im Auto verbringen kannst, ohne sie umbringen zu wollen. Letztlich sind die besten Bands doch die, die irgendwann eine Einheit bilden und wo die Chemie stimmt, so dass man miteinander etwas aufbauen kann.
Brooklyn war lange ein ziemlich rauhes Pflaster, speziell der Stadtteil Williamsburg aber scheint heutzutage eine noble und gentrifizierte Gegend zu sein, die auch deutsche Touristen anzieht. Wie ist das Leben hier wirklich?
Shi: Ich bin in Queens geboren und aufgewachsen, während Jack und Gayla in Bushwick in Brooklyn leben, daher sehen wir das alle etwas unterschiedlich. Das Schöne an New York ist für mich, dass es so eine riesige Stadt ohne ein wirkliches Zentrum ist, so dass man, wenn man weiß wo, immer noch das „alte“ New York entdecken kann. Was die Punk- und Hardcore-Szene angeht, ist es auch ziemlich cool, da nach wie vor überall großartige Dinge passieren, egal ob die Bands sich in Brooklyn, der Bronx, Queens, oder anderen Bezirken durchschlagen – von unserer Warte aus ändert sich in diesem Punkt also nichts. Der größte Effekt, den die Gentrifizierung hier hat, sind die steigenden Mieten, weswegen einige Veranstaltungsorte schließen mussten, aber die Szene findet einfach einen anderen Keller oder Hinterhof. Neue Läden machen auf und wir unterstützen uns immer gegenseitig.
Gibt es bei euch eine lokale Hardcore-Szene? Welche anderen Bands muss man kennen, wo werden Konzerte veranstaltet, wo geht ihr einen trinken und wo kauft ihr Platten?
Gayla: Da gibt es einige coole Läden, wie das Anchored Inn oder Bar Matchless, und wir spielen sogar Konzerte bei uns zu Hause. Einige Clubs mussten schließen und suchen nach neuen Räumlichkeiten, aber glücklicherweise gibt es eine florierende D.I.Y.-Szene. Wir warten gespannt darauf, dass das ABC No Rio, eines der legendären D.I.Y.-Projekte, das seit jeher unermüdlich die Punk- und Hardcore-Szene unterstützt hat, wieder aus dem Exil zurückkehrt.
Jack: Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass das Geschäft sich verändert hat und dies Auswirkungen auf die Plattenläden hier in den Staaten hatte. Daher bekommen wir die meisten Platten inzwischen von den Bands selbst, oder kaufen sie online bei den Labels, die noch Mailorder anbieten. Oder wir besuchen coole Plattenläden, wenn wir auf Tour sind.
Shi: Es gibt auf jeden Fall noch eine lebendige Szene, und es wird sie auch immer geben. Einige unserer Favoriten unter den örtlichen Bands, die ihr im Auge behalten solltet, wären RED ARKADE, THE CAR BOMB PARADE, OUT.LIVE.DEATH, NONE ABOVE ALL ... und das sind nur die, die mir gerade aus dem Stegreif einfallen. Ich weiß genau, dass ich jemanden vergesse, denn wir sind gerade unterwegs im Tourbus. Aber das ist schon okay, denn es zeigt einfach, dass da ganz viel großartige aufstrebende Bands existierten. In dem Sinne, sorry an alle Freunde, die wir nicht erwähnt haben.
An einem bestimmten Ort zu leben bedeutet nicht unbedingt, dass man eine persönliche Verbindung dazu hat, die Einfluss auf die Musik hat. Wie ist das in eurem Fall?
Jack: In unseren Songs geht es mehr um persönliche Erfahrungen, als um die Gegend oder wo man geografisch verortet ist. Das ganze Album beschäftigt sich weniger mit unserem Lokalpatriotismus als vielmehr mit unserem Selbsthass.
Shi: Da ich in dieser Stadt aufgewachsen bin, ist sie mir in Fleisch und Blut übergegangen, aber ich würde mich da trotzdem Jack anschließen. Dieses Album sowie das Songwriting haben sich schon immer um persönliche Erfahrungen gedreht – unsere eigenen und die von Leuten aus unserem Umfeld – und die damit einhergehenden Turbulenzen. Ich denke, manche Leute hören unser Album und für sie ist es eine Partyplatte, was cool ist. Andere hören die Perspektive heraus, aus der es auch geschrieben wurde, die düstereren Themen und eine ungesunde, von Wut geprägte Art, mit ihnen umzugehen – und auch das ist cool. Songs wie „Watch ya back“ und „One heart one mind“ dient New York zwar als Kulisse, es geht dabei aber nicht um die Stadt als solche, sondern um die Erfahrungen, die dort gemacht wurden. Im Grunde genommen möchte ich, dass sich jemand in Berlin, oder wo immer er oder sie sich gerade aufhält, etwas in unseren Songs findet, womit er sich identifizieren kann.
Welche alten und neuen lokalen Bands haben euch beeinflusst? Über euer Album sagt euer Label: „Für Fans der frühen AGNOSTIC FRONT und H2O.“
Shi: Ich würde definitiv sagen, dass die Energie und das Temperament der frühen AGNOSTIC FRONT, H2O und BAD RELIGION einen Einfluss auf unser Songwriting hatten. Ich habe immer versucht, eine Balance zwischen konfrontativen, lauten und schnellen Punk-Songs auf der einen und eingängigen Ohrwürmern auf der anderen Seite herzustellen. Die wichtigste Lehre, die ich aus dem Schaffen dieser Bands gezogen habe, ist, exakt das zu tun, was ich will, und das auf eine ehrliche Art und Weise. Wenn H2O zum Beispiel Madonna covern können und Freddie Madball ein HipHop-Soloprojekt startet, dann kann ich ja wohl verdammte Cellos und Violinen in einem Song verwenden, hahaha! Was aktuelle Einflüsse angeht, muss ich passen. Ich will einfach nur machen, was auch immer uns gerade beschäftigt, und mich nicht zu sehr damit aufhalten, was andere gerade tun oder nicht tun. Entweder fahren die Leute auf das ab, was wir machen, oder sie entscheiden, dass es nicht ihr Ding ist, und das respektiere ich.
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