Dass Ronnie Biggs einmal zu einem Promi-Kriminellen werden würde, der mit weltberühmten Punkbands Songs aufnimmt, hätte der Engländer wohl kaum gedacht, als er 1963 dabei half, einen Postzug zu überfallen. Aber bis heute bleibt der Engländer unvergessen – auch von DIE TOTEN HOSEN.
Es ist der 8. August 1963. Eine Gang bestehend aus 15 Leuten, darunter auch Ronnie Biggs, führt einen Raub durch, der später als „Great Train Robbery of 1963“ bekannt werden wird. Die Gang überfällt einen Royal-Mail-Zug, stiehlt 2,6 Millionen Pfund und flieht. Während die Polizei nach den Verantwortlichen sucht, spielten diese in ihrem Versteck auf der Leatherslade Farm mit dem gestohlenen Geld „Monopoly“.
Diese Gelassenheit hielt nicht lange an: Die Polizei konnte die Spur zurückverfolgen und die meisten Beteiligten an dem Überfall verhaften. Darunter auch Biggs, der 1964 neben neun weiteren Beteiligten zu einer Haftstrafe von dreißig Jahren verurteilt wurde. Von den dreißig Jahren saß Biggs gerade mal 15 Monate ab, bevor er 1965 aus dem Gefängnis ausbrach und zunächst in Australien unterkam, bis er 1970 nach Brasilien floh, wo er einen Großteil seines Lebens verbringen wird.
Obwohl er beim Überfall auf den Postzug nur eine kleine Rolle gespielt hat, entwickelte sich Ronnie Biggs zu einer Legende. 1974 wurde er das erste Mal musikalisch aktiv. Der Jazz-Fan nahm zusammen mit dem amerikanischen Musiker Bruce Henry das Album „Mailbag Blues“ auf, das Biggs Geschichte erzählt und erst im Jahr 2004 von dem britischen Label whatmusic.com veröffentlicht wurde. 1974 wurde auch bekannt, dass Biggs sich in Rio de Janeiro aufhält. Eine Auslieferung nach Großbritannien scheiterte, da eine Brasilianerin ein Kind von Biggs erwartete. Er konnte in Brasilien ein relativ normales Leben führen, sein Status als flüchtiger Krimineller sorgte aber dafür, dass er unter anderem keine Arbeit bekam. Letzteres machte er durch Barbecues in seinem Haus wett, für die Touristen Geld bezahlten.
Seine musikalische Karriere nahm richtig Fahrt auf, als er 1978 bei zwei Songs der SEX PISTOLS sang, die aufgrund ihrer Band-Auflösung sowieso nichts mehr zu verlieren hatten. „No one is innocent“ und „Belsen was a gas“ entstand zusammen mit Gitarrist Steve Jones und Drummer Paul Cook in Brasilien. „Belsen was a gas“ erschien in dieser Version nur auf dem Filmsoundtrack zu „The Great Rock’n’Roll Swindle“.
Auch DIE TOTEN HOSEN wollten mit Biggs Musik machen und holten ihn auf ihr Album „Learning English Lesson One“ von 1991. Zu hören ist Biggs bei den Tracks „Police on my back“ und „Carnival in Rio (Punk was)“, für den Biggs den Text geschrieben hat. Zwischen Hosen-Gitarrist Breiti und Biggs entwickelte sich sogar eine Freundschaft. Nachdem Biggs 2001 nach Großbritannien zurückkehrte und inhaftiert wurde, besuchte Breiti ihn einige Male im Gefängnis.
2013 verstarb Ronnie Biggs im Alter von 84 Jahren.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #161 April/Mai 2022 und Isabel Ferreira de Castro