REVEREND PEYTON’S BIG DAMN BAND wirkt auf den ersten Blick wie eine traditionelle Farmerfamilie: ein bärtiger, Gitarre spielender Pastor, seine Frau Breezy am Waschbrett und sein jüngerer Bruder Jamie am Schlagzeug. Vor einigen Jahren verkauften das Trio aus den Vereinigten Staaten ihren gesamten Hausstand und begeisterten als fahrende Musiker seitdem Cowboys und Punks gleichermaßen. Das erste selbst finanzierte Album „Big Damn Nation“ verkaufte sich on the road gleich 25.000-mal. Mit ihrem aktuellen Album „The Whole Fam Damnily“ sind sie inzwischen bei Sideonedummy Records gelandet und waren im April und Mai auf großer Europatournee. Ihre kurzweilige Mischung aus Country, Blues und Punkrock erinnert mich teilweise an Bands wie THE GUN CLUB, also traf ich Hochwürden und Familie auf der sündigen Meile in Hamburg St. Pauli.
Bist du eigentlich ein echter Reverend?
Reverend: Ich wurde offiziell ernannt, allerdings kann ich keine religiösen Ratschläge geben, haha.
Haben Religion oder Kirche für dich eine Bedeutung?
Reverend: Nein, keine. Ich mag alte Gospelmusik und bin damit aufgewachsen. Als wir noch jünger waren, sind wir alle drei zur Kirche gegangen und hier habe ich auch das erste Mal vor einem Publikum gespielt. In den Vereinigten Staaten, ganz besonders dort, wo wir aufgewachsen sind, kannst du vor Gospelmusik nicht fliehen. Das hat uns natürlich beeinflusst, aber sind wir deshalb religiös? Nein.
Welche Musik hat dich noch beeinflusst?
Reverend: Ganz viel Country und Blues, Leute wie Charley Patton, Furry Lewis, Son House, Mississippi John Hurt, die mag ich, das sind meine Vorbilder. Mir gefallen auch die großen Songwriter wie John Prine oder Otis Gibbs. Jetzt kommen natürlich auch andere Einflüsse dazu.
Breezy: Oh ja, Musik, besonders Bluegrass, hat in Brown Country eine lange Tradition. Außer zu musizieren gibt es dort auch nichts anderes zu tun, jeder hat ein Banjo. 850 Einwohner und 900 Banjos, haha.
Ich könnte mir vorstellen, dass eure Musik für Countryfans zu punkig und für Punks zu countrylastig rüberkommt.
Reverend: Also wenn du das Schlagzeug und das Waschbrett weglässt – das Waschbrett ist übrigens sehr wichtig, denn Breezy spielt sehr hart –, wenn du also nur das nimmst, was ich auf der Gitarre mache, dann ist das schon sehr traditionell. Ich spiele erdigen Countryblues und mit der Begleitung wird es um ein Vielfaches lauter und heftiger. In den Staaten haben wir unter den traditionellen Country- und Bluesfans eine große Fangemeinde. Ebenso bei den Punks, hier gibt es auch viele Fans von Johnny Cash, FLOGGING MOLLY und so weiter, die finden unsere Musik auch gut. Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir eigentlich überall auftreten können: auf Bluesfestivals, in Punkläden, Rockschuppen, wir spielen auf Countrybluesfestivals, Hippiefestivals, sogar auf Weltmusikfestivals. Wir spielen überall und wir passen überall rein.
Sind euch Unterschiede zwischen den Konzerten in den Vereinigten Staaten und in Europa aufgefallen?
Breezy: In Amerika tanzen die Leute viel, viel mehr und gehen mit. In Europa hören die Leute eher zu.
Reverend: Ja, stimmt. In Amerika drängeln sich alle direkt vor der Bühne, schwitzen und grölen die Songs mit oder irgendein wirres Zeug, hier ist das Verhalten höflicher. Wir hatten auch schon ein Konzert, da saßen die Leute! Manchmal dachten wir hier schon: Mensch, ob die uns überhaupt mögen? In Amerika zeigen es die Leute eben anders.
Songs wie „Walmart killed the countrystore“ oder „Can’t pay the bill“ beschreiben sehr direkt die soziale Wirklichkeit.
Reverend: Ich schreibe über mich und meine Familie, über Dinge, die ich sehe, die ich mag oder was mich ankotzt. So wie ich das sehe, hängt die soziale Wirklichkeit ganz einfach mit Glück zusammen. Ich schreibe darüber, was diese Dinge bei mir bewirken und wie ich darüber denke. Walmart hat die ganzen kleinen Läden kaputtgemacht. Um ein Stück Fleisch zu kaufen sind viele Vorleistungen nötig, einmal der Bauer, der das Tier hält, ein Schlachter, der das Fleisch zerteilt, der Verkäufer, der es dir verkauft. Alle drei und ihre Familien sind von diesem Stück Fleisch abhängig, das bei dir auf dem Tisch liegt. Ihre guten Namen bürgen für Qualität. Walmart hat keinen renommierten Namen, das ist denen scheißegal. Auch wenn dich ihr Essen krank macht, solange sie damit Geld machen können und hinterher nicht verklagt werden, ist denen das egal. Wenn du diese Leute nicht mehr hast, die dafür bürgen, dann sinkt die Qualität der Nahrungsmittel wie auch die Zahl der Arbeitsplätze. Statt dessen hast du dann die großen Mastbetriebe, die mit Walmart kooperieren. Die rationalisieren alles immer weiter, bis nur noch eine Handvoll Jobs übrigbleibt. Damit das so funktioniert, werden nicht mehr viele Menschen gebraucht, also werden sie arbeitslos. Vielleicht denken einige, Walmart sei billig, aber es kostet eine ganze Menge. Es kostet uns unsere Identität, unsere Gemeinschaft, es geht zu Lasten der Qualität jedes einzelnes Produktes in diesem verdammten Geschäft. Das alles solltest du berücksichtigen, wenn du bei Walmart einkaufst. „Can’t pay the bill“ habe ich geschrieben, weil ich echt genervt war von den ganzen Mahnungen und Zahlungserinnerungen. Offene Rechnungen sind immer ein Problem, wenn wir auf Tour sind, dann läuft alles aus dem Ruder.
Dennoch besitzen deine Texte auch positive Aspekte.
Reverend: Ich möchte gerne die einfachen Dinge benennen, das, womit sich ganz gewöhnliche Menschen beschäftigen. Es muss nicht jeder Doktor oder Anwalt sein, es ist ganz okay, eine ganz normale Person zu sein, und diese Menschen brauchen auch Songs. Ich schaue auch auf unsere Entwicklung und singe darüber. Als Kind siehst du die vielen Menschen anderswo und willst unbedingt fort, um etwas zu erleben. Wenn du dann weggegangen bist, dann bekommst du plötzlich Heimweh und dir fallen Sachen ein wie die Bartkartoffeln deiner Mutter. Meine Mutter macht die besten Bratkartoffeln auf der Welt – ich kann das sagen, denn ich war überall auf der Welt und habe nirgends welche bekommen, die so lecker waren wie die bei meiner Mutter. Darum geht es bei „Fried potatoes“.
Eine Schlussfrage: Stimmt es, dass ihr eure bespielten Waschbretter verkauft?
Breezy: Ich habe mittlerweile eine große Waschbrettsammlung, denn bei meiner Spielweise nutzen sich die Bretter schnell ab. Da ist es doch eine gute Idee, sie zu verkaufen.
Reverend: Wo hast du sonst auch schon die Möglichkeit, direkt von der Bühne ein Instrument zu kaufen, auf dem eben gerade noch gespielt wurde?
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #85 August/September 2009 und Kay Werner
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