Reinhard Kleist

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Von Cash über Elvis zu Fidel

Nicht erst seit seiner erfolgreichen Comic-Biografie von Johnny Cash, „I see a darkness“ ist Reinhard Kleist auch außerhalb der Comic-Szene ein bekannter Name. Sein erstes Buch veröffentlichte er vor 15 Jahren und hat seitdem bei vielen Verlagen verschiedene Stoffe bearbeitet, wobei er sich vor allem als packender Geschichtenerzähler einen Namen gemacht hat. Lange bevor der Begriff „Graphic Novel“ hierzulande Fuß gefasst hatte, schrieb er umfangreiche Comic-Romane, die zum Teil autobiografisch geprägt sind, sich aber immer wieder an historische Personen annäherten. Nach „Cash“ war er maßgeblich an einem Buch über Elvis Presley beteiligt, derzeit arbeitet er an einem Band über Fidel Castro. Zuletzt erschienen mit „Havanna“ bei Carlsen ein reich illustrierter Reisebericht und mit „Narbenstadt – Berlinoir 3“ bei Edition 52 der Abschluss der Horror-Trilogie, die in Zusammenarbeit mit Autor Tobias O. Meissner entstand. Grund genug also, den produktiven Berliner in seinem gemütlichen Hinterhausatelier zu besuchen und vors Mikro zu bitten.

Die meisten Leser des Ox werden dich durch das „Cash“-Buch kennen. Das ist nun schon ein wenig her, aber erzähle doch kurz, wie es zu seiner Entstehung kam.

Das entstand durch ein Gespräch in der Küche der jetzigen Carlsen-Mitarbeiter Claudia und Michael Jerusalem-Groenewald. Beim Abendessen redeten wir über Comics und Musik, und dass man einen Comic machen könnte, der Musik umsetzt und auch erfahrbar macht. Da gab es noch keine konkrete Idee. Dann bin ich mit dem Fahrrad nach Hause gefahren und dachte mir, dass ich darauf wirklich Bock hätte. Zu der Zeit wohnte ich mit einem Freund zusammen, der Sänger einer Johnny Cash-Coverband war und der mir dann die Cash-Biografie von Franz Dobler gegeben hat. Da war ich zunächst noch skeptisch, weil ich dachte, dass ein Country-Sänger nicht so interessant sei, aber dann habe ich das Buch gelesen und gemerkt, dass ist genau der Stoff, um daraus einen Comic zu machen. Ich habe es dem Verlag vorgeschlagen und das stieß auf großes Interesse, also setzte ich mich dran. Und dann kam irgendwann der Film ...

Von der Hollywood-Verfilmung mit Joaquin Phoenix wusstest du also vorher nichts?

Nein, davon wusste ich gar nichts. Als ich mit dem Buch ungefähr zur Hälfte fertig war, habe ich einen Trailer zum Film gesehen und wollte sofort alles hinschmeißen. Da schien dann doch jemand schneller gewesen zu sein ... Aber zum Glück ging der Film in eine ganz andere Richtung.

Deine Herangehensweise war mehr von außen, du wolltest kein Fan-Buch machen oder „die“ Biografie.

Ich habe Cash schon immer bewundert und fand ihn cool, weil er schwarze Klamotten getragen hat. Außerdem war er gerade sowieso hip, weil er die Alben mit Rick Rubin gemacht hatte. Aber ich war kein Fan. Erst als ich mir dann aber im Laufe der Recherche die ganz alten Sachen angehört und viel über ihn gelesen habe, bin ich zum richtigen Fan geworden. Das spiegelt sich natürlich auch in dem Buch wider. Ohne solch eine Liebe zu dem Mann und seinem Werk entwickelt zu haben, wäre es nicht möglich gewesen, so etwas Intensives zu machen.

Daher kommt also, dass du dich nicht streng biografisch durch sein Leben hangelst, sondern das erfahrbar machen willst, was in den Songs steckt.

Ja. Cash war ja Geschichtenerzähler, dessen Leben sich in seinen Songs oft wiederfinden lässt. Da war zunächst meine Herangehensweise, da Bezüge herzustellen und einige Geschichten davon tatsächlich zu erzählen, indem ich im Buch die Songs in Form von Kurzgeschichten einfüge. Was bei der Konzeption zunächst noch nicht in der Form vorgesehen war, aber immer wichtiger wurde, war das Folsom Prison-Konzert, das ich letztendlich fast eins zu eins nacherzähle. Da kam so viel zusammen und brach zum Teil auf der Bühne aus, das wollte ich festhalten. Und darüber hinaus auch, wie spannend so ein Konzert sein kann. Das bietet sich natürlich an, weil es in einem Knast war und sie sich dabei ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt haben. Ich wollte das im Comic festhalten, diese Spannung und wie sehr man mitfiebern kann bei so einem Konzert, was bei vielen anderen ja nicht unbedingt der Fall ist.

Gab es Probleme mit den Rechten an den Songs?

Eigentlich nicht. Nur im Fall von „Ring of fire“ haben wir sie nicht bekommen. Wir hatten Kontakt aufgenommen zur Cash-Familie, die im Prinzip aus einem Sohn und einigen Anwälten besteht. Die haben wir gefragt, ob sie sich an dem Projekt beteiligen wollen, worauf nur die lapidare Antwort kam, dass sie es nicht wollten, da da zu wenig Geld drin sei. Da hatte ich mit ein wenig mehr Idealismus gerechnet, diese Antwort fand ich doch schwach. Deswegen musste ich die Story dann leider umschreiben. Aber das ist auch wieder in Ordnung, da ich das Gefühl habe, dass die Geschichte dadurch besser geworden ist.

Wie kam der Sprung von Cash zu Elvis?

Klar, das liegt natürlich nah beisammen. Ich glaube, es war beim Comic-Festival in Erlangen – da war „Cash“ noch nicht erschienen –, da sprach mich Titus Ackermann an, ob ich nicht Lust hätte, bei dem Elvis Presley-Projekt mitzumachen. Da war ich zunächst skeptisch und wir haben lange darüber geredet, wie man das machen könnte. Ich war dann begeistert von der Idee, eine Geschichte zu nehmen, die man im Groben kennt, und diese dann von verschiedenen Leuten erzählen zu lassen. Das ist auch weniger eine Nacherzählung von seinem Leben, als vielmehr ein Projekt, das als Gesamtkunstwerk funktioniert.

Und jetzt geht es weiter mit Fidel Castro ...

Das steht im Zusammenhang mit dem Havanna-Buch. Mein Redakteur fragte mich, ob ich Lust hätte, so etwas zu machen, wie es in Frankreich zum Beispiel üblich ist. Da reisen Comic-Zeichner in andere Länder und machen nur mit Illustrationen oder Kurzgeschichten eine Art Reportage darüber. Also fragte er, wo ich gerne mal hinwolle. Zu der Zeit war Kuba sowieso in den Nachrichten, weil Fidel Castro die Amtsgeschäfte an seinen Bruder abgegeben hatte. Das hörte sich spannend an, da schien gerade etwas zu passieren und deswegen wollte ich da hin. Meine Reise hat der Verlag dann finanziell bezuschusst. Darüber hinaus dachte ich, dass man das schon mit dem nächsten Buchprojekt verbinden könne. Da dachte ich zuerst an Che Guevara, aber das ließ ich ganz schnell wieder fallen, weil es dazu schon viel zu viele, auch sehr gute Sachen gibt. Dann fiel die Wahl auf Fidel Castro, über den es Bücher wie Sand am Meer gibt, aber keine Comics. Das finde ich merkwürdig, weil er von den beiden eigentlich der interessantere Typ ist. Ich bin dann rüber und habe recherchiert, während ich auch das Havanna-Buch gemacht habe, das nun im Oktober 2008 erschienen ist. Gerade sitze ich am Schreibtisch an der Geschichte zum Castro-Band und mache die ersten Vorzeichnungen. Es erscheint vielleicht Mitte 2010.

Kannst du sagen, was dort im Mittelpunkt stehen wird?

Verglichen mit „Cash“ wird es sicher linearer, da steht die Biografie schon im Mittelpunkt. Aber auch wenn man die Erzählung ein wenig verschachtelt, muss man sich bei 80 Lebensjahren schon einen wichtigen Teil heraussuchen. Da bietet sich die Zeit unmittelbar vor, während und nach der Revolution an, bis vielleicht 20 Jahre danach. Ich will das, was in der Zeit passiert ist, plausibel und nachvollziehbar erzählen. Ich finde die Vorgänge zu der Zeit wahnsinnig interessant, die schlimmen Vorraussetzungen, die zur Revolution geführt haben und wie die Macht eingesetzt worden ist. Der Druck, der auf dem Land lag und der den Aufbau nach der Revolution bestimmt hat, war enorm. Kuba wurde ja eigentlich die ganze Zeit attackiert und ist wie eine Art Druckkessel. Wie Macht versucht, sich dort zu etablieren, und welche Haken das schlägt, das ist sehr interessant. Und im Zentrum steht dieser charismatische Anführer, der seinen Weg durchboxt, den auszeichnet, dass er nie verliert. Wenn er denn eine Niederlage einsteckt, schafft er es, das in kürzester Zeit in einen Sieg umzudrehen. Wenn man Biografien über ihn liest, ist das sehr interessant.

Dazu wäre der Havanna-Band quasi der Appendix, die Bestandsaufnahme dessen, was davon noch übrig ist.

Ja. Beziehungsweise wie ich das erlebt und gesehen habe. Dem Buch merkt man ja an, wie zweigespalten ich war. Ich bin nun kein glühender Revolutionsverehrer, aber ich verdamme das auch nicht, wenn es auch viele Dinge gibt, die ich kritisiere. Diesen Zwiespalt kennen, glaube ich, die meisten Leute, die dort waren.

Nun hast du dich in letzter Zeit hauptsächlich mit den Lebensgeschichten anderer Personen beschäftigt. Liegt dir das einfach besonders oder gibt es andere Gründe dafür?

Biografien mache ich inzwischen unglaublich gerne. Ich habe ja auch mit einer angefangen, denn „Lovecraft“ war ja auch so eine Art Biografie, wenn auch eine sehr frei interpretierte. Ich mag es, mit konkreten Vorgaben zu arbeiten, sei es eine Stadt oder eine Person. Ich bin nicht der Typ, der autobiografische Comics zeichnet.

Dann lieber Horror.

Genau. „Berlinoir“ habe ich allerdings nicht geschrieben. Das fing damit an, dass mich Tobias O. Meissner auf der Frankfurter Buchmesse mal fragte, ob wir nicht was zusammen machen könnten. Normalerweise lehne ich so was kategorisch sofort ab, aber in diesem Fall habe ich mir ein paar Bücher von ihm besorgt. Das hat mir dann doch sehr gefallen und so setzten wir uns dann zusammen. Da fragte Tobias mich, was ich denn nun machen wolle. Ich dachte spontan an was mit Vampiren und Berlin. Wir entwickelten dann die Idee, dass es eine Art umgekehrtes Verhältnis geben solle und Berlin von Vampiren regiert wird. Das sollte also eine Art politischer Parabel werden. Tobias hat sozusagen ein Drehbuch geschrieben mit den Dialogen und so weiter und meinte: Mach was draus oder lass es. Jetzt ist die Trilogie beendet und insgesamt schön rund geworden.

Du bist sehr produktiv und umtriebig, kannst du vom Comic-Zeichnen leben?

Die berühmte Frage ... ja, kann ich.

... und das ist die nicht so häufige Antwort.

Kleinere Jobs mache ich schon noch nebenbei, wie Plattencover oder Buchillustrationen, aber seit rund drei Jahren sind die Comics meine Haupteinnahmequelle. Originalzeichnungen verkaufe ich auch. Dadurch bin ich nicht mehr auf Aufträge aus der Wirtschaft angewiesen und kann jetzt auch mal „nein“ sagen und muss keine Storyboards für Werbefilme für Abführmittel machen.