RAMONES-Special: MARKY RAMONE

15 Jahre, 1.700 Shows

Auch wenn Tommy der erste Drummer war, der der legendären Band aus New York ihren Hochgeschwindigkeitssound verpasste – kein Schlagzeuger spielte so lange für die RAMONES wie Marc Bell aka Marky Ramone. Nach Engagements bei den hardrockigen Proto-Metallern DUST und RICHARD HELL & THE VOIDOIDS kam er 1978 zur Lederjacken- und Sneaker-Gang und blieb – mit einer Unterbrechung wegen Alkoholproblemen zwischen 1983 und 1987 – bis zur finalen „Adios Amigos“-Tour im Jahre 1996. Seitdem tingelt Marky unablässig mit wechselnden Mitstreitern durch die Welt, um weiter die Songs von früher zu spielen. Und als einer von nur noch drei lebenden Ex-Bandmitgliedern, neben CJ und Richie, hat er nun seine Autobiografie vorgelegt. „Punkrock Blitzkrieg“ ist die Geschichte der RAMONES und des alten, noch mit Punk und Musik und Kunst vollgestopften New York – und die Geschichte von persönlichen Verfehlungen eines Menschen, der damals alles miterlebt hat und der mit uns über Nostalgie und Gegenwart sprach.

In deinem Buch gibt es ein Bild, auf dem du mit deiner Frau zu sehen bist, in edler Abendgarderobe auf dem Weg zu einer Gala, wie darunter steht. Galas und Punk – passt das das zusammen?


Oh, da waren wir gerade auf dem Weg zu einer Party ins Metropolitan Museum. „Chaos to Couture“, da ging es um den Punk und wie er die Mode im Laufe der Jahre beeinflusst hat. Eingeladen hatte uns Debbie Harry. Das war echt cool.

Gehst du auch mal in die Oper oder zum klassischen Konzert?

Ob du es glaubst oder nicht, sehr gerne sogar. Bach, Beethoven, Mozart – das waren großartige Künstler. Das waren die Punks ihrer Zeit!

Und jetzt hat also auch der Punk Marky Ramone seine Memoiren verfasst. Wann hattest du die Idee zu „Punkrock Blitzkrieg“?

Die hatte ich vor ein paar Jahren, als ich alle anderen Bücher, die über die RAMONES erschienen sind, gelesen hatte. Ich war 15 Jahre in der Band und spielte währenddessen 1.700 Shows und bin auf fünf der Alben zu hören. Das ist ein Vermächtnis. Also lag da auch ein Buch von mir nahe. Aber es geht mir bei diesem Projekt nicht nur darum, auf die RAMONES einzugehen, sondern auch zu zeigen, was damals, als alles begann, vor sich ging. Wie die politische Lage im Land war. Wie New York damals aussah. Wie ich die Musikszene erlebte.

Du sagst es selber: Es gibt bereits eine ganze Reihe von Büchern über die RAMONES. Einige sind von Bandmitgliedern, siehe Johnny Ramones „Commando“, manche sind von Außenstehenden. Jetzt ziehst du nach. Welches Buch liegt am nächsten dran an der Wahrheit?

Keine Frage: meines.

Wie gut sind die anderen Bücher?

„Auf Tour mit den Ramones“ von Monte Melnick ist sehr gut. Aber er war eben nur der Tourmanager und kein Bandmitglied. Und auch das von Vera King ist gut, „Poisoned Heart“. Sie hat es über ihren Mann Dee Dee geschrieben, einen meiner besten Kumpels überhaupt. Das war sehr interessant.

Was hältst du von Mickey Leighs Joey-Biografie „I Slept with Joey Ramone“?

Na ja, das ist okay. Aber auch er war eben, wie die meisten anderen Autoren, nicht in der Band. Und in diesem Fall kann man die Dinge eben nicht so gut beurteilen.

Welche Dinge, die du erlebt hast, stehen nicht im Buch?

Oh, ich gehe schon sehr offen mit meiner Person und den anderen Personen um, die darin vorkommen. Das kannst du mir glauben. Es gibt natürlich so viele Dinge, die ich erlebt habe – da musste ich auswählen. Aber das ist besser, als wenn das Buch völlig überfrachtet wäre. Gerade durch die Konzentration auf die wichtigen Sachen ist dieses Buch doch erst interessant.

Du schreibst in der Tat auch sehr offen über deine extremen Alkoholprobleme, die damals dazu führten, dass die Band dich zwischenzeitlich rauswarf. Kommen solche Dinge wieder hoch, wenn man darüber schreibt?

Nein. Es ist ja so: Wenn du über dich selber schreibst, dann musst du zweimal so ehrlich und konsequent sein, als wenn du über andere Leute schreibst. Ich hatte dieses Alkoholproblem. Aber ich habe mir Hilfe gesucht und habe es überwunden. Das ist heute nichts, was mich noch bedrücken würde. Im Gegenteil: Sollte jemand, der in der gleichen Lage ist wie ich damals, das Buch lesen und es ihm helfen, dann freue ich mich darüber. Und das ist doch das Wichtigste.

Hast du vor dem Schreiben deines Buches je an der Idee gezweifelt, „Punkrock Blitzkrieg“ zu veröffentlichen?

Nein. Es war etwas, das ich tun musste. Ich wollte die ganze Wahrheit erzählen. Ich wollte ehrlich sein und alles so umfassend schildern, wie es war. Die Geschichte der RAMONES. Die Geschichte der Szene in New York. Meine persönlichen Verfehlungen. Alles, was ich erlebt habe. Daran, dies alles zu offenbaren, hatte ich nie den kleinsten Zweifel.

Du hast den RAMONES als Schlagzeuger eine Menge Pop-Appeal geschenkt, als du zum „Road To Ruin“-Album dazukamst.

Ja, und das war einfach wichtig. Die Band fuhr vorher nur dieses Drei-Akkorde-Ding. Sie brauchten eine Veränderung. Das ist normal. „Road To Ruin“ war für die RAMONES das, was für die BEATLES die Alben „Rubber Soul“ oder „Revolver“ waren: Der nächste Schritt. Jede Band braucht den irgendwann. Es war für mich jedenfalls eine Riesenehre, das weiterzuführen und weiterzuentwickeln, was Tommy zuvor begonnen hatte.

Wie würdest du deinen Schlagzeugstil beschreiben?

Ich lasse mich vom jeweiligen Song treiben. Und dabei spiele ich meist die schnellen Sechzehntelnoten, was einen treibenden Sound ergibt. Das ist so ein bisschen wie bei den alten Jazzdrummern aus den Vierziger und Fünfziger Jahren. Die konnten das auch. Und ich versuche bei all dem, mein Handgelenk zu benutzen, so wie Buddy Rich. Oder wie Mitch Mitchell von THE JIMI HENDRIX EXPERIENCE. So brauche ich nicht den ganzen Arm belasten und kann noch schneller und ausdauernder spielen. Diesen Spielstil habe ich aber tatsächlich erst bei den RAMONES entwickelt. Davor – etwa in meiner ersten Band DUST, die eine der ersten Hardrock-Bands in den USA war – habe ich noch wesentlich mehr mit meinen Armen und meinem ganzen Oberkörper getrommelt. Das war kraftvoller. Aber bei den RAMONES kam es eben auf Ausdauer und Geschwindigkeit an.

Es gibt nicht wenige, die deine Art des Spielens abqualifizieren. Es ginge eben nur um Geschwindigkeit, aber die Technik, das Kreative komme zu kurz. Dein Spiel sei letztlich bei weitem nicht so abwechslungsreich wie das von, sagen wir mal, Lars Ulrich, dem METALLICA-Drummer.

Ich kenne diese Statements. Aber bleiben wir mal beim Beispiel Lars Ulrich: Er ist natürlich ein hervorragender Drummer. Einer mit einem eigenen Stil, den man raushört. Aber er könnte nicht das spielen, was ich spiele. Und das geht vielen so. Ich werde häufig von Kollegen gefragt, wie ich das hinkriege, dieses schnelle und dynamische Spiel. Und diese Leute fragen mich danach, weil sie es eben nicht hinbekommen.

Was sagst du ihnen?

Sie übersehen, dass es bei mir nicht um reine Technik geht, sondern um zwei andere Dinge. Erstens: um Talent. Ich kann eben so spielen. Warum, das vermag ich nicht zu erklären. Aber es ist so. Diese Art des Drumming war in mir und kam raus, als ich bei den RAMONES einstieg. Es war für mich sofort vollkommen klar und natürlich. Zweitens hat mein Spiel viel mit Training zu tun. Mit hartem Training. Das ist kein 08/15-Drumming. Und das achtzig oder neunzig Minuten durchzuhalten, ist nichts anderes, als die Arbeit eines Athleten. Andere würden das keine zwei Minuten durchstehen.

Hast du einen RAMONES-Lieblingssong?

Ich mag „I wanna be sedated“, „Rock ’n’ roll high school“, „I just want to have something to do“, „Pet sematary“ oder „The KKK took my baby away“. Viele der langsameren, poppigen Songs also.

Du erwähnst „I wanna be sedated“. In diesem Song gibt es ein unter Fans geradezu kultisch verehrtes Drum-Fill ...

Richtig. Das spiele ich mit einer Hand!

Und Clem Burke von BLONDIE hat es 1999 in „Maria“ so ein bisschen geklaut.

Haha. Ja, ich weiß, was du meinst. Aber ich bin ihm nicht böse. Er ist ein guter Freund und tat sein Bestes, als er früher einmal für zwei Shows bei den RAMONES einsprang. Aber: Clem ist eben kein guter RAMONES-Drummer. Er passt bestens zu BLONDIE, aber nicht zu den RAMONES.

Erlebst du häufig, dass dich Leute kopieren?

Ja. Und dadurch fühle ich mich wirklich, wirklich geehrt. Ich finde es aufregend. Aber ich kann jedem Schlagzeuger nur sagen: Finde deinen eigenen Stil! Packe deine Emotionen auf deine Art und Weise ins Schlagzeugspiel hinein und kopiere nicht andere Musiker!

Eine interessante Episode in deinem Buch ist die, in der du auf die Zeit eingehst, nachdem du die RAMONES wegen deiner Alkoholsucht verlassen hattest. Da warst du für ein paar Jahre völlig weg von der Musik und hast dich als Fahrradkurier in New York verdingt. Wäre so ein Leben ohne Musik für dich heute noch möglich?

Nein. Aber mir blieb damals nicht viel anderes übrig. Ich musste aus dem Umfeld raus. Und ich musste mich der Therapie unterziehen. Das war eine richterliche Auflage. Ebenso wie die Weisung, körperliche Arbeit anzunehmen. Und als Fahrradkurier durch New York zu fahren, ist eine verdammt körperliche und mitunter gefährliche Arbeit: Du musst von einem Stadtteil in den anderen rasen. Du musst durch mit Autos verstopften Straßen und dabei aufpassen, dass dir keiner die Türe vors Rad rammt oder dich über den Haufen fährt. Dabei sitzt dir immer die Zeit im Nacken. Aber ich habe es genossen. Es hat mir unglaublich gutgetan. Und diese Körperlichkeit konnte ich später, als ich zurückkam zu den RAMONES, umgehend wieder in die Band einbringen.

Was war härter: Als Fahrradkurier in New York zu überleben – oder in einer Band klarzukommen, deren Mitglieder entweder heillos untereinander zerstritten oder auf Drogen waren?

Ach, ich habe immer versucht, das auszublenden. Meine Aufgabe in der Band war es, Schlagzeug zu spielen. Und ich habe meine Rolle bei den RAMONES nicht wirklich als Arbeit empfunden. Es war 90% Spaß. Wir hatten natürlich alle unterschiedliche und starke Persönlichkeiten. Und unterschiedliche Charaktere – siehe Johnny und Joey – geraten eben manchmal aneinander. Aber letztlich zählte nur die Musik. Wenn wir auf der Bühne waren, war nur das wichtig.

Hast du nicht ab und an mal daran gedacht, einfach alles hinzuwerfen, wenn es dir mal wieder zuviel wurde im RAMONES-Zirkus?

Nein. Weißt du, wir standen uns einfach sehr nah. Und da gibt es Streitigkeiten und Krisen. Das ist in einem Sportteam doch nicht anders. Oder in einer Familie. Da zofft man sich – und bleibt doch zusammen.

Gibt es heutzutage irgendeine Band im Punk, die annähernd an die RAMONES heranreicht?

Nein! Keiner kommt an die RAMONES heran!

Die RAMONES gelten schon lange als Kult. Ihre T-Shirts kann man mittlerweile auch bei Modeketten kaufen und seitdem laufen Menschen mit dem RAMONES-Logo herum, die die Band vielleicht gar nicht kennen. Was sagst du dazu?

Wenn sie die Sachen anziehen wollen, dann sollen sie das tun. Wenn sie einmal das Shirt tragen, dann hören sie irgendwann vielleicht auch die Musik – und sind dann vielleicht noch stolzer darauf, das Bandshirt anzuhaben. Darin sehe ich nichts Schlechtes. Das ist höchstens kurios.

Auf den meisten Shirts steht indes nicht dein Name, sondern der von Tommy, dem Schlagzeuger der Urbesetzung.

Na ja, er war eben der, der zuerst da war. Aber es kommt auch darauf an, wo du hingehst. Es gibt Shops, die haben die erste Logo-Variante. Andere haben die spätere mit mir.

Würdest du jemals ein Shirt signieren, auf dem Tommys Name steht?

Nein. Das habe ich aus Prinzip noch nie gemacht! Und er hat es auch nicht getan, soweit ich weiß. Dazu hatten wir immer viel zu viel Respekt voreinander.

Tommy, Marky, Richie, Clem „Elvis“ Burke: Wer war der beste Drummer der RAMONES?

Ich. Ganz klar, haha. Tommy hat den Sound geprägt, aber er war kein ausgebildeter Drummer. Und Richie war gut, aber nur ein paar Jahre dabei ... Spaß beiseite: Letztlich hat jeder der Band seinen Stempel aufgedrückt und ich möchte mich eigentlich nicht großartig zu den anderen äußern.

Heutzutage spielst du mit Leuten zusammen, die wesentlich jünger sind als du. Bist du da manchmal der Märchenonkel, der von früher erzählt?

Ja, ich bin tatsächlich jedermanns Onkel. Onkel Marky, haha. Meine Kollegen, die mit mir touren, sind alle in den späten Achtzigern aufgewachsen. Ich dagegen war dabei, als Punk in den Siebzigern rund um das CBGB ausbrach. Die Jungs fragen mich häufig, wie ich das damals alles erlebt habe. Und dann erzähle ich ihnen gerne davon.

In „Punkrock Blitzkrieg“ erzählst du vom alten New York. Dem New York der Clubs und der Musik und der Kunstszene. Wie sehr hat sich die Stadt seitdem verändert?

New York hat sich schon sehr verändert. Viele der Clubs sind verschwunden. Aber Gentrifizierung gibt es ja überall: auch in London, Berlin, San Francisco. Das ist eben so. Darüber rege ich mich nicht auf, denn so ist das Leben. Was viel schlimmer ist: Es gibt immer mehr Menschen. Und immer mehr Krisen auf der Erde. Das heißt, wir brauchen mehr Wohnraum, mehr Arbeitsplätze. Mehr soziale Absicherung. Darum muss man sich kümmern, das ist wichtig!

Wie sehr vermisst du die Zeit mit den RAMONES?

Vermissen ist das falsche Wort. Weißt du, ich habe wahrscheinlich die größte RAMONES-Videothek der Welt. Ich habe über 400 Tapes. Von mir stammt das meiste von dem, was in den Filmen „End of the Century: The Story of the Ramones“ und „Ramones Raw“ zu sehen ist. Und jedes Mal, wenn ich an die Band und die Jungs denke, dann schiebe ich eben eines dieser Tapes in den Videoplayer. Aber ich denke natürlich noch oft an damals. An die tolle Zeit. Immerhin waren wir Freunde.

Dann frage ich mal anders: Was vermisst du am meisten aus der damaligen Zeit?

Die Kameradschaft, die es allen Geschichten drumherum zum Trotz definitiv gab. Die Witze und den Blödsinn, den wir gemacht haben.

Ist es für dich neben all dem Spaß auch eine Art Verpflichtung, das Vermächtnis der RAMONES weiterzugeben – jetzt, da die meisten ehemaligen Bandmitglieder tot sind?

Ich sehe es nicht als Verpflichtung an. Ich halte das Vermächtnis lebendig, weil ich es unbedingt will! Solange ich Lust habe, die Songs zu spielen, will ich sie auch einer jungen Generation zugänglich machen. Und ich glaube nicht, dass ich in absehbarer Zeit einmal keine Lust mehr darauf haben werde.

1996 haben sich die RAMONES aufgelöst. Hättest du lieber weitergemacht?

Nein. Joey, Johnny und ich hatten uns schon 1994 in einem Hotelzimmer zusammengesetzt und überlegt, wann es Zeit wäre, aufzuhören. Und wir entschieden uns, noch zwei Jahre zu touren – und dann alles zu beenden.

Das muss eine harte Entscheidung gewesen sein.

Das war natürlich nicht einfach. Aber wir wussten damals schon alle, dass Joey Krebs hatte. Es war also absehbar. Wir mussten einen Weg finden, damit klarzukommen. Und das war der einzig richtige Weg. Ansonsten hätten wir vielleicht noch ein paar Jahre weitergemacht, uns aufgelöst – und wären dann wieder zusammengekommen.

All die Alben, die Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame, die vielen Konzerte: Es gab sicherlich eine ganze Menge schöner Momente in deiner Zeit bei den RAMONES. Was waren die hässlichsten?

All die Probleme zwischen Joey und Johnny mitzubekommen, denke ich. Das war manchmal wirklich hart.