Die Frage nach den größten und besten Punkbands aller Zeiten ist eigentlich sehr einfach zu beantworten: SEX PISTOLS, THE CLASH, DEAD KENNEDYS und RAMONES. Ich möchte mal behaupten, dass niemand, der sich ernsthaft mit Punk beschäftigt und einen gewissen Anspruch an seine Plattensammlung hat, darum herumkommt, von jeder der Formationen mindestens eine im Schrank stehen zu haben. Die Gründe, weshalb die einzelnen Bands nun von – schwelgen wir mal etwas in Superlativen – solch epochaler Wichtigkeit sind, unterscheiden sich allerdings.
Die SEX PISTOLS, das dürfte unbestritten sein, waren es, die weltweit das provokative Image von Punkrock prägten, das des Punks als pöbelndem, rücksichtslosem und lautem Bürgerschreck. THE CLASH hingegen kombinierten klassischen Rock’n’Roll mit klaren politischen Aussagen und zeigten sich musikalisch vielseitig – kein Wunder, dass sie zu Rockstars wurden. Die DEAD KENNEDYS, eine Szenegeneration später gegründet, erreichten zwar bei weitem nie die Verkaufszahlen von SEX PISTOLS und THE CLASH, dürften aber bis in den letzten Winkel des Globus ähnlich bekannt sein und stehen bis heute für das politische Gewissen der Punk-Szene und scharfzüngige Gesellschaftskommentare.
Die RAMONES schließlich, 1974 und damit noch eine Generation vor den SEX PISTOLS gegründet, stellen sich auch wieder ganz anders dar. Dass die RAMONES Punks sind, wird wohl niemand bestreiten, doch genauso waren sie von Anfang an Rock’n’Roller, bewiesen über mehr als zwanzig Jahre Konstanz und verkörperten immer eher den typisch amerikanischen Rock’n’Roll-Rebellen im Stile der Fünfziger und Sechziger, nie den grundsätzlichen systemfeindlichen Revoluzzer – Johnny war Zeit seines Lebens politisch ein Konservativer.
Musikalisch waren die RAMONES eine der eigenständigsten Bands überhaupt, auch wenn böse Zungen behaupten, sie hätten in all den Jahren nur den einen Song immer wieder neu aufgenommen. Da ist schon was dran, war doch – von ein paar Ausrutschern in den Achtzigern mal abgesehen – das Grundkonzept immer das gleiche: mit „One, two, three“ einzählen und dann in zwei Minuten durch, immer schön simpel und mit einer eingängigen Melodie – an sich perfekte, altmodische Popsongs, nur mit doppelter bis dreifacher Geschwindigkeit gespielt.
Vergleicht man die musikalischen Auswirkungen von SEX PISTOLS, THE CLASH, DEAD KENNEDYS und RAMONES, so stellt man sehr schnell fest, dass es bis in die frühen Neunziger dauerte, bevor eine Band es sich erlauben konnte, ganz offen die SEX PISTOLS zu zitieren und damit ungeschoren davonzukommen – die Rede ist von den U.S. BOMBS. Musikalisch hatten die Pistols, man verzeihe mir, einfach nie so viel auf dem Kasten. THE CLASH wurden auch erst in den Neunzigern von RANCID beerbt und bis ins Detail kopiert. Das Gegenteil ist bei den DEAD KENNEDYS der Fall, denn obwohl ihre Qualitäten unbestreitbar sind, waren sie doch immer zu eigenwillig und verquer, als dass sie sich allgemein als Coverobjekte angeboten hätten. Ganz anders die RAMONES: Unzählige Bands weltweit nahmen sich seit den Achtzigern schon die New Yorker mit ihrem markanten Outfit zum Vorbild, und was bei anderen Vorbildern zu einem unverzüglichem Outing als Plagiatoren geführt hätte, wird in diesem Fall bis heute beklatscht. Und so gibt es bis heute, zwanzig Jahre, nachdem die Band ihr letztes Konzert spielte, unzählige Bands, die vom Outfit und der Musik her alles daran setzen, dem Original möglichst nahezukommen.
Wir nahmen das Doppeljubiläum – vierzig Jahre sind seit Erscheinen des ersten Albums 1976 vergangen, zwanzig seit der letzten Show – zum Anlass, mit den noch lebenden Ex-RAMONES zu sprechen und zu ergründen, was rückblickend das Vermächtnis der Band ausmacht. Ergänzt haben wir das unter anderem mit einem Interview mit RAMONES-Fotograf George DuBose, von dem das Ox-Coverfoto stammt, einem Reprint eines Interviews mit Johnny Ramone, das 1997 ein Jahr nach dem Ende der Band geführt wurde, und einem exklusiven Abdruck aus den Memoiren von Marty Thau, der einst die NEW YORK DOLLS managete und sich nach deren Ende in der Frühphase mit den RAMONES beschäftigte.
Mehr RAMONES gefällig? Hier haben wir Links zu weiteren Interviews zum Thema zusammengestellt: ox-fanzine.de/ramones
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Joachim Hiller