Das Alter hat im Punk eine sehr interessante Stellung. Es besteht ein Widerspruch, da Punk einerseits oft als „Jugendbewegung“ kategorisiert wird und sich selbst auch so gibt („Young until I die“, „Hardcore Kid“, „If the kids are united ...“ usw.), andererseits ist Punk mittlerweile selbst etwas Altes. Das wiederum ruft zwei Phänomene hervor: Zum einen besitzen alte Sachen legitimierenden Charakter (so 80er-Jahre-Platten machen sich doch nicht schlecht in einer Messageboard-Playlist, oder?) und zum anderen gibt es logischerweise auch das Volk der alten Punks. Mit solchen Leuten reden, kann sehr interessant und lustig sein, ganz unabhängig von dem ganzen „Learn some history“-Scheiß. Jeder hört gern Geschichten und jeder verbindet diese Geschichten mit seinem eigenen Leben. So war das auch, als wir mit Rainer Krispel redeten, ein Mann, der viele Geschichten zu erzählen hat und der in der angeblich ersten HC-Band Österreichs TARGET OF DEMAND der Frontmensch und das Sprachrohr war.
Wenn man sich heute im Punk/D.I.Y.-Umfeld bewegt und nicht wirklich Bezug zu den Ursprüngen hat, und so geht es ja den meisten unter 25, fragt man sich vielleicht, wie das alles früher funktioniert hat. Ohne Internet. Ohne MP3s. Also ohne der Verfügbarkeit von Musik, Personen, usw., die wir heute haben. Das hat uns interessiert. Rainer Krispel war mehr als geeignet, unsere Neugier zu befriedigen. Bevor man also wie Rainer mit 37 einen feinen Job in einer Bookingagentur hat, mehr Konzerte gesehen und gespielt hat, als mein Hund Haare hat, und von sich selbst immer noch sagen kann, ein Punk zu sein, muss viel passieren. Eine ungefähre Chronologie: Linz, Punk gedeiht gut in einem sehr geregelten Elternhaus, wo zum Teil Toleranz, zum Teil Desinteresse dem Sohn genug Freiraum lassen, sich Gedanken übers Erwachsenwerden zu machen. So gerät man hinein in die Punkroutine von Abhängen, Saufen, Drogen konsumieren, eben die klassische Teenagersozialisation mit diesem Punkding und einer anderen Musik.
„Doch da gab es den Musterschüler in mir: Aber Punk heißt doch was! Man will doch was tun! Ich habe immer darauf gedrängt, dass man Musik macht, war aber zum Gitarrespielen zu doof, selbst für die drei Akkorde des Punk hat es nicht gereicht.“
Trotz allem und genau deswegen kommt es zur ersten Bandgründung: FEUERLÖSCHER, Rainer schreibt und singt seinen ersten Songtext jemals: „Feuerlöscher, Feuerlöscher ich liebe alle Feuerlöscher“.
Durch sein Fanzine „Kanaldeckel“ ergaben sich bald die ersten Brief- und Telefonfreundschaften (Kann sich das noch einer vorstellen?), und wie es jeder kennt, rutscht man schnell in ein Netzwerk hinein, beginnt zu touren, und holt Bands in seine Stadt. Um 1985 tauchten die ersten Ami-Hardcore-Platten und andere Bands wie NEGAZIONE auf, der neue Stil und die Abstraktion des rock’n’rolligen Punks zum Hardcore hinterließen so starken Eindruck, dass FEUERLÖSCHER zu TARGET OF DEMAND wurden. Ein neues Thema, das aufkam, als TARGET OF DEMAND von vielen Leuten geschätzt wurden und dadurch in den breiteren Alternativkontext eingebunden waren, war die Formulierung der eigenen Kultur, die Tatsache, dass man lebendige Dinge macht, dass man auf Dinge wie Medien scheißen kann, weil sie eh keine Ahnung haben: „Eine frühe Lektion darüber, wie scheiße Medien sein können: Wie uns zwei Reporter, so klassisch mit dunklen Sonnenbrillen und geschleckter Lederjacke, gefragt haben: ‚Na habt’s nicht so a paar Punkweiber mit große Titten?‘ Da hast du einfach gemerkt, es gibt Dinge, mit denen du nichts zu tun haben willst. Die Sachen in Fernsehen und Zeitung waren vor allem für die Mamas und Opas super. Man hat nie überlegt, ob das eine Option wäre,
dass man da jetzt richtig seriös Musik macht, dass man übt und versucht, eine Karriere daraus zu machen. Es waren die Strukturen gar nicht da, erst so um 1990 ist es professioneller geworden, die Leute haben Agenturen gegründet, Labels haben etwas größer gearbeitet, Promotion war auf einmal ein Faktor und dann war es eigentlich auch nicht mehr so lustig.“
Wie übersteht man also die Zeit, in der man in sein eigenes Leben zu gehen hat? Der „Ernst des Lebens“ und so etwas wie Ideale vertragen sich ja bekanntlich so schlecht, dass in dieser Sozialisationsphase – das alte Überlebensthema und so weiter – kaum jemand mit Idealen, geschweige denn ein Punk überbleibt.
„Meine Familie hat mich sehr unterstützt, die waren auf den Konzerten und haben auch in Kauf genommen, dass das meiner bürgerlichen Karriere eigentlich schadet. Mit 22 bin ich aus der Schule gedriftet, ohne Matura, mir war das scheißegal bis zu einem gewissen Grad. Meine Mutter hat mich dann in das Finanzamt hineinoperiert, weil meine damalige Freundin schwanger war. Ich war aber ein junger blöder Bub, hab in dem Punk- und Hardcoreding schon voll gelebt, hab Interviews über irgendwelche Dinge gegeben, gescheit dahergeredet, das Licht scheint von meiner Stirn und so, aber in Wirklichkeit vom Leben keine Ahnung gehabt. Ich hab halt alles links liegen lassen wegen der Musik. Vom Finanzamt aus hab ich dann Konzerte organisiert, hab auf diese Matrizenpapiere meine Texte geschrieben. Lange hat das nicht gehalten, später habe ich angefangen, für das Posthof-Magazin über Musik zu schreiben. Das hat dann dazu geführt, dass ich 1991 bei einem Plattenvertrieb als Promoter angefangen habe. Man kann sagen, diese Erfahrungen, die ich in der Musikszene gemacht habe, waren meine informelle Ausbildung. Von 1991 bis heute war das mein Grundstock, lernen zu kommunizieren, wie Konzerte ablaufen, was passiert mit Platten, im Prinzip war das meine richtige Ausbildung. Ich habe zwar keinen Abschluss, glaube aber, dass ich so was wie einen Doktorgrad auf der Straße gemacht habe in dem Bereich.“
Soweit zur doch noch eingetroffenen bürgerlichen Karriere. Nicht zu vergessen, auch musikalisch hat sich nach TARGET OF DEMAND (ihr Album „Gruss“ auf We Bite ist ein Meilenstein) noch einiges getan. 1990 lösten sich diese auf, die parallel dazu existierenden SEVEN SIOUX (veröffentlichten unter anderem auf X-Mist) wurden abgelöst von SCHWESTER.
„1992 war dann in Linz der Strom heraußen, es hat alles im eigenen Saft gekocht. 1994 lösten sich dann alle Bands endgültig auf, wir mit SCHWESTER, STAND TO FALL, EX MACHINA. Kahlschlag, der eine Zeitlang ein Vakuum erzeugt hat, aber ein, zwei Jahre später sind dann DEADZIBEL und VALINA gefolgt. 1981 bis 1994 waren für mich Jahre des Wahnsinns, aber dann war es für mich bis zu einem gewissen Grad gegessen. Platz machen und Raum geben ist was sehr schwieriges, aber das war total super wichtig, dass die Alten, so wie ich, damals ihren Scheiß woanders weiter gemacht haben. Ich bin dann nach Wien gegangen, hab zwar schon immer noch Musik gemacht, aber Hardcore nur mehr aus der Distanz mitbekommen. Durch DACKELBLUT und HOT WATER MUSIC habe ich mich aber dann erinnert, wie geil ich die Musik einmal gefunden habe. 1999 wurde GRANT gegründet, wir wollten den semi-, semi-, semi-, semi-legendäre Blablabla-Status ausnutzen, damit zu DACKELBLUT Leute kommen. Im Prinzip waren GRANT ein idealistisches Dienstleistungsunternehmen am eigenen Punk-Gewissen. Es hat uns dann aber soviel Spaß gemacht, dass es uns weiter gegeben hat, nur wenn man schon so recht genrespezifischen Hardcore oder Emocore macht, sollte man den auch gut spielen. Du kannst dich nicht mehr auf den Innovationscharakter der Musik zurückziehen, oder auf die Leidenschaft, die natürlich auch drinnen gesteckt ist, sondern ich denke, dass du auch gut spielen musst. Und zum gut spielen, waren wir halt auch wieder zu faul.“
Auf GRANT folgten 2002 bis 2003 GRANT ROYAL, seit 2003 gibt es THE RED RIVER TWO und seit 2004 THE HEARTS OF MATTER. Wenn man sich so lange im Musikbereich bewegt, treten verständlicherweise auch Ermüdungserscheinungen auf:„Früher war ich gegenüber jungen Leuten oft sehr zynisch, das hatte mit meiner eigenen Bitterkeit zu tun, das war mein Problem. Dann habe ich mit SIDE EFFECT gearbeitet. Nicht dass ich mich da an einer gewissen Unschuld berausche, sondern das hat mich daran erinnert, wie unzynisch ich selber mal war. Gerade jemand wie Anatol von VALINA hat mich so sehr an die Dinge erinnert, um die es wirklich geht. Es ist scheißegal, wie viele Menschen zu der Band kommen, wenn die super sind. Und wenn das total geil ist, was die da machen, dann muss es eine Form geben, dass das passieren kann. Solche Dinge sind mir dann wieder bewusst geworden, und dadurch hab ich es auch geschafft, dass mich Musik wieder berührt. Ich habe sicher meine Phasen gehabt, wo mir das alles auf den Sack gegangen ist, aber das vergeht auch wieder.“
Und dann das Erlebnis, wenn man noch mal in eine verjüngte Subkultur eintritt: „Das wirklich Erschreckende war, die Leute haben sich gleich bewegt, sie haben über den gleichen Scheiß diskutiert, aber die Gangarten waren für mich das Schockierendste. Ich habe Bilder aus den 80ern im Kopf, wo ich dir Typen-Studien geben kann, wie sie sich anziehen, den Habitus, den sie haben, und wo sie gerade in ihrer Selbstinszenierung stecken. Das hat mich als 30-Jährigen nicht mehr weiter gebracht, was arrogant klingt, aber du merkst irgendwie, wie sich alles in einem strikten Reglement bewegt. Früher war das auch so, aber es ist etwas anderes, wenn du das zum ersten Mal erlebst und die Grenzen austestest, oder zum zweiten Mal hineingehst und weißt, dass diese Grenzen existieren. Was wir mit GRANT nicht geschafft haben, oder wo der Anspruch nicht gereicht hat, ist, diese Dinge spannend zu formulieren, so wie Punk und Hardcore als Träger von sexuellen Identitäten, so Queercore-Sachen, oder dass man wirklich ehrlich in Verhältnis setzt, wie man selber lebt, unser eigenes soziales Umfeld im Verhältnis zu dem, was man als Musiker macht, dass man wirklich arbeitet an der Musik. Da waren dann GRANT und GRANT ROYAL letztendlich Coverbands, das trifft es dann wirklich bis zu einem gewissen Grad. Es war eine Coverversion von einem Lebensgefühl und einer Weltanschauung, die für die Beteiligten nur mehr bedingt gestimmt hat.“
Die neueste Station in Rainer Krispels musikalischen Leben, THE HEARTS OF MATTER, wirkt dann auch wie die musikalische Verarbeitung dieser Erfahrungen mit klar gesteckten Zielen und Erwartungen.
„Ich glaube, dass THE HEARTS OF MATTER die Band sein wird, die ich in meinem Leben am bewusstesten und am reflektiertesten betrieben habe. Ich will Verstörung und Irritation erzeugen, soweit ich das kann, und zwar indem man Mechanismen auflaufen lässt. Es ist noch einmal so wie bei meiner allerersten Band. Ich mache das nur für mich, und wenn irgendwer was damit anfangen kann großartig, super, wunderbar, aber es ist mir scheißegal.“
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© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Anna Baltl