„Warum haben die RAMONES eigentlich nie die BEACH BOYS gecovert?“, fragte mich ein Bekannter. Wir saßen im Café der Leipziger Moritzbastei über einem Bier. „Haben sie doch!“, antwortete ich. „Und zwar gibt es auf der Japan-Pressung von ‚Acid Eaters‘ eine Coverversion von ‚Surfin’ safari‘.“
Stolz auf mein profundes Wissen wollte ich gerade an meinem Bier nippen, als mich jemand von der Seite anmumpfte: „Da hat aber einer Ahnung!“
Ich schaute nach rechts und sah einen stark angetrunkenen Herren Ende fünfzig, der offenkundig unserer Unterhaltung gefolgt war und mich nun laut fragte: „Hassndunoniewasvom-I-M-RoggnRollgehört?“. Ich musste lachen. „Von wem?“ – „I-M RoggnRoll! Duasch!“ Roggen war für mich bis dato immer ein Getreide. Ich überlegte und begriff dann: IM Rock’n’Roll. „Wer ist das denn?“, fragte ich.
„Der IM RoggnRoll hat 1980 eine Produktion mit den BEACH BOYS und den RAMONES gemacht. Die haben zusammen in Westdeutschland eine Platte aufgenommen. Die hat der IM dann an die Stasi ausgeliefert. Die haben das Zeug aber verschwinden lassen. Die Billion-Dollar Rock’n’Roll-Session!“
Die Idee fand ich schon klasse: Die RAMONES und die BEACH BOYS nehmen eine Platte auf. Die Lieder der BEACH BOYS, gesungen von den BEACH BOYS mit Joey als Leadstimme und Johnny, DeeDee und Marky als Band. Wow. Das hätte was.
Aber das war natürlich totaler Blödsinn, was dieser Besoffene mit da gerade erzählte. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als er mich am Kragen packte. Der Betrunkene sprach mit weinerlicher Stimme: „Ich hatte die Bänder ... aber die sind mir geklaut worden, als ich in Jena war.“ Das wurde ja immer bunter. „Und? Hast du mal reingehört?“, fragte ich. „Nein. Daswarndoch24spuraufnahmen ...“
Aus irgendeinem Grund fing ich an, dem Typen zu glauben. Ich fragte nach und er erzählte mir, dass er in den 80er Jahren für die Stasi arbeitete und gute Kontakte zum IM RoggnRoll hatte. Der hatte ihm damals von den Aufnahmen berichtet. Als die Stasi-Archive nach der „Wende“ geplündert wurden, griff mein betrunkenes Gegenüber zu. Mit den Aufnahmen fuhr er schnurstracks zu einem Kumpel in Jena, der ein Studio besaß und die 24-Spur-Aufnahme abspielen konnte. Bei der Ankunft in Jena wurde ihm der Rucksack entwendet ... und somit auch eine Rock’n’Roll Sensation. Was für eine Story. Wir bezahlten dem Kollegen noch ein Bier und machten uns auf den Heimweg.
Dies war eindeutig ein Fall für die Wolverine-Gruppe. Die in Duisburg und Düsseldorf ansässigen Historiker haben in diesen Dingen sehr viel Erfahrung und schon den einen oder anderen Gral gefunden. Also rief ich Sascha Wolff von Wolverine an. Er ging nicht gerade an die Decke vor Enthusiasmus. „Erwin, wir kriegen hier am Tag Hunderte solcher Meldungen. Wir gehen dem aber mal nach, ob da was dran ist.“
Zwei Wochen später erhielt ich eine E-Mail von der Wolverine-Gruppe: Man hatte tatsächlich Hinweise gefunden, dass diese Sessions stattgefunden haben. Marky Ramone und Brian Wilson hatten – fast 30 Jahre danach – eingeräumt, dass es Anfang der Achtziger zu einem Zusammentreffen gekommen war. Marky erwähnte, dass man sich den Song „Everytime I eat vegetables it makes me think of you“ mal genauer anhören sollte. Denn Joey singt dort: „Now she’s hanging out in East Berlin“. Und er meinte damit die Aufnahmen der Sessions! Brian und Carl Wilson waren zu diesem Zeitpunkt strenge Vegetarier. Brian vor allem deshalb, weil er sich von seiner Fettleibigkeit in Folge seines jahrelangen Drogenmissbrauchs erholen musste: „Everytime I eat vegetables, it makes me think of you!“
An einem heißen Tag im Juli dieses Jahres ging ich mit Forschern der Wolverine-Gruppe einen Waldweg in der Umgebung von Jena-Göschwitz entlang. In dieser Gegend gibt es verschiedentlich Höhlen, in denen zu Wendezeiten urplötzlich obdachlos Gewordene Unterschlupf fanden.
Die Wolverine-Gruppe hatte herausgefunden, dass ein gewisser Kevin Jammer seinerzeit den entwendeten Rucksack mit den Bändern geschenkt bekommen hatte. Er war ursprünglich Arbeiter in einer Kali-Zeche gewesen und nun obdachlos und konnte die warmen Klamotten im Rucksack und den Rucksack selbst gut gebrauchen. Die „komische Kassette“, wie er sie immer nannte, hatte er als eine Art Talisman immer dabei. Schon bald war er in Jena-Göschwitz deswegen bekannt, da er seinen Talisman jedem zeigte. Kevin Jammer wurde nach 1995 nie wieder gesehen. Man wusste aber, dass er, wie einige andere, in den Höhlen bei Jena-Göschwitz zuletzt genächtigt hatte.
Wir hatten bereits fünf Höhlen durchkämmt und standen nun vor dem Eingang der sechsten. Wir gingen hinein. In der hintersten Ecke fanden wir ein Skelett und in seinen Armen hielt es ... ein in Plastik eingeschweißtes Tonband! Hier war er, Kevin Jammer mit seinem Talisman!
Wir brachten die Bänder zu Holger Behr nach Münster. Die Bänder waren aufgrund der klimatischen Bedingungen in der Höhle perfekt erhalten und wurden von Holger Behr soundtechnisch modernisiert. Wolverine hat dieses unglaubliche Zeitdokument nun veröffentlicht und so der Welt die Möglichkeit gegeben, den göttlichen Melodien der BEACH BOYS in Symbiose mit der Energie der RAMONES zu lauschen.
Marky Ramone und Brian Wilson haben sich zwischenzeitlich wieder von ihren Aussagen distanziert. Doch die veröffentlichten Aufnahmen sprechen für sich ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #86 Oktober/November 2009 und Erwin Runkel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #86 Oktober/November 2009 und Ben Bauböck