Bäh, Radio! Wer noch einen Funken Systemverachtung in sich trägt, spuckt alleine beim Gedanken an Radiohits und Formatradio natürlich innerlich wütend aus. Okay, alleine im Auto kann man ruhig mal bei geschlossenen Fenstern zu „Over my shoulder“ von MIKE & THE MECHANICS mitpfeifen ... das geht klar. Wir sind uns einig, im Radio läuft nur Dreck. Außer der Radiosender trägt das Präfix Punk im Namen oder irgendetwas anderes, das ihn als letzte Bastion des Widerstandes erkennbar macht.
THE BABOON SHOW Radio Rebelde
Die schwedische Punkband THE BABOON SHOW widmet sich 2018 mit „Radio Rebelde“ dem kubanischen Piratensender, der unter dem Kommando Che Guevaras 1958 seinen Sendebetrieb aufnahm. Lange hielten sich Guevara und seine Verbündeten zwar nicht, aber immerhin ein Jahr lang schickten sie ihre Nachrichten zu den Menschen, die den Widerstandskämpfer:innen zugewandt waren. Überflüssig zu erwähnen, dass man sich beim Genuss von „Radio Rebelde“ besser nicht erwischen lassen sollte und es keine Kochtipps oder Sommerhits zu hören gab. Das Radio als wichtige Informationsquelle, war eine tröstende Stütze und gab den Hörer:innen das Gefühl, mit ihrer Haltung nicht alleine zu sein. Oder wie Cecilia Boström im THE BABOON SHOW-Song verspricht: „You are not alone.“
RAGE AGAINST THE MACHINE Guerilla radio
Die amerikanische Rockband RAGE AGAINST THE MACHINE übernahm mit ihrem Song „Guerilla Radio“ das Radio als möglichen Funken für eine nötige Revolution. Im dazugehörigen Video hört man Fahrstuhlmusik und sieht dazu mehrere Menschen Kleidung nähen, ganz offensichtlich im Akkord. Die vorgebliche Harmonie wird durch ein Plattenkratzen unterbrochen und RAGE AGAINST THE MACHINE erscheinen. Im Video sieht man ein Paar, das sich mit einer Plastikkarte jede Menge Blödsinn kauft und vermeintliche Wünsche erfüllt. Nach und nach werden sie immer mehr selbst zu Plastikpuppen. Ganz offensichtlich sind sie die Nutznießer der Tatsache, dass in anderen Ländern Menschen zu unwürdigen Bedingungen Klamotten für uns herstellen. „It has to start somewhere, it has to start sometime / What better place than here, what better time than now?“, brüllt Zack de la Rocha. Tragisch, dass sich seit 1999 quasi nichts geändert hat. Wer hat dein Shirt genäht?
DIE ÄRZTE Radio brennt
Aggressionen gegen Sachen? Ja sicher, bei DIE ÄRZTE immer gern gesehen. Im zugehörigen Song kriegt Farin Urlaub die Krise, weil im Radio nur schlechte Musik läuft und seine Freundin aber genau das hören will. Dabei möchte er doch so gerne an ihr herumgrabbeln. In der Textzeile „Ich hör’ Madonna und Chris De Burgh, nur Die Ärzte hör’ ich nie!“ schwingt immerhin etwas Neid mit. Wer hätte 1987 gedacht, dass die Band in Zukunft noch den einen oder anderen Hit im Radio landen würde? Den „Radio Rap“ nahmen DIE ÄRZTE nur ein Jahr später auf, dieses Mal weniger gewaltbereit. Überzeugt davon, dass man nur noch mit Rap-Songs eine Chance auf Airplay hat, strickten sich Farin, Bela und Hagen ihre eigenen Reime. „Die Leute halten uns für hausgemachte Deppen / Doch wir sind klasse, denn wir können rappen“, fasst die damalige Meinung unmissverständlich zusammen.
SONDASCHULE Nie im Radio
Auch die Ska-Punker SONDASCHULE wollten gerne ins Radio und spielen 2012 im Song „Nie im Radio“ die ganze Geschichte einmal durch. Damit kommen sie der Realität schon sehr nahe. Erst wird gemeckert, dass im Radio nur ungenießbare Musik gespielt wird. „Das kann doch nicht sein!“, denkt sich die engagierte Punkerin und ruft prompt beim Radio an, um sich ihren Lieblingssong zu wünschen. Das Wunder geschieht, der Song kommt gut an und wird sogar zum Hit. Mit dem Radioerfolg wird dann auch Mainstream-Publikum mit in die Konzerthallen gespült. Moment, so war das nicht geplant. Costa bringt es auf den Punkt: „Kann nich’ alles so wie früher mal sein? / Da hatte ich die Band für mich noch alleine / Doch heute grölt der ganze Kegelverein.“ Offensichtlich scheint ein Radiohit für viele Bands wie eine Droge zu sein. Einmal drin, will man ganz offensichtlich immer wieder rein. Nicht zuletzt wegen der Kohle, die das Leben einfacher macht. Und ist es nicht unterm Strich egal, für wen man die Songs spielt?
SYSTEM OF A DOWN Radio/Video
„Video killed the radio star“ von THE BUGGLES war der erste Song, dessen Musikvideo 1981 bei MTV gespielt wurde. Da hat der Sender Humor bewiesen, zumindest einmal. Die armenischstämmige Band SYSTEM OF A DOWN schien damals zu Zeiten von „Mesmerize“ mit der Kombination aus Bild und Ton leicht überfordert zu sein. Selbst wenn der Song sehr eingängig ist und live immer eine Mordsparade auslöst, dann weiß man doch erst nicht richtig, was die verrückten Kerle zum Thema „Radio/Video“ wirklich zu sagen haben. Der entscheidende und auch stark verwirrende Satz ist: „They take me away from strange places, to Danny and Lisa.“ Wer zur Hölle sind die beiden? Es sind Kindheitsfreunde von Gitarrist Daron Malakian, und die daran anschließende eskalierende Folkloremelodie soll symbolisieren, dass ihn manche Songs zurückbeamen in seine Kindheit, zu den unbeschwerten Momenten mit seinen Freunden. Und natürlich kann er es 2005 nicht fassen, eventuell nun selbst eine Assoziation für eine andere Person zu sein. Crazy, oder?
THE SELECTER On my radio
Schamlos ausgenutzt wurde 1980 ganz offensichtlich Pauline Black, die Sängerin der britischen Ska-Band THE SELECTER. Glaubt man dem Text, hat sie ihrem Schatz ein rotes Radio besorgt, das er wohl cool fand und von da an immer mit sich führte. Als Gönnerin durfte sie netterweise noch Zeit mit ihm verbringen, aber schnell wurde klar: „He said he loved me / But he loved the beat.“ Und einen anderen Sender einstellen durfte sie auch nicht: „But when I switch on I rotate the dial / I could see it there driving him so wild.“ Das Lied ist ultra eingängig und eigentlich kann man ihr nur nachträglich „Radio brennt“ von DIE ÄRZTE ans Herz legen.
THE CLASH This is Radio Clash
Sucht euch irgendein Thema und seid sicher, dass THE CLASH einen Song dazu gemacht haben. Im Falle von „This is Radio Clash“ handelt sich um keinen Gassenhauer. Das tanzbare Schätzchen mit der Überdosis Handclaps und dem groovigen Bass versteckt sich auf einer 7“ von 1981 und wird unter Funk und Rap-Rock gehandelt. Um exklusiv zu bleiben, kursieren auch noch zwei verschiedene Textversionen. Aber ganz egal, welche man erwischt, THE CLASH konfrontieren uns ausschließlich mit schlechten Nachrichten. Rassismus, Einschränkungen von Freiheit, Atompilze und noch nicht mal gutes Wetter gibt’s bei Radio Clash. Scheißsender irgendwie. Worte als Waffen oder wie THE CLASH selbst singen: „This is Radio Clash using aural ammunition“, was will man auch sonst machen?
RAMONES Do you remember Rock’n’Roll Radio?
Joey, Johnny, Marky und Dee Dee waren sich 1980 schon sicher, dass der Untergang des richtigen, echten und einzigen Rock’n’Roll-Radios bevorsteht. Der damals energetisch wirkende Drumbeat wird heute leider von jeglicher Gesellschaftsschicht dazu missbraucht, alle möglichen peinlichen Dinge damit anzuzählen. Ähnlich wie Daron von SYSTEM OF A DOWN erinnern sich die vier an die Entdeckung von neuer Musik und das Gefühl, wenn das Radio die Welt in das piefige Kinderzimmer brachte. Der Moment, wenn ein Song, eine Stimme oder eine Melodie zum ersten Mal etwas mit dir macht. Magisch. Mit den Bläsern und den Klavierfreiflügen gehört „Do you remember Rock’n’Roll Radio?“ eindeutig zu den besten Songs der Band.
THE SMITHS Panic
THE SMITHS hatten 1987 eine deutlich rigorosere Aussage im Gepäck. Warum nicht gleich den DJ aufhängen? Immerhin ist er für den Bums verantwortlich. Und „Hang the DJ“ lässt sich eben auch verdammt gut mitsingen. Dabei wollten Morrissey und Kollegen eigentlich nur auf den Punkt bringen, was uns doch auch am meisten am normalen Radioprogramm stört. „Because the music that they constantly play / It says nothing to me about my life.“ Wahrscheinlich eine der besten Zeilen, die THE SMITHS je geschrieben haben. Wie wir von THE BABOON SHOW gelernt haben, kann Radio ein verbindendes Element sein. Ein Weg, um Gleichgesinnte zu finden und sich etwas weniger alleine zu fühlen. Und sollte nicht alles, was der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird, auch die Allgemeinheit halbwegs widerspiegeln? Aber solange sich viele von „Ich check’ deine Instastory und like jedes Bild von dir. Add mich bei Snapchat, schick deinen Ex weg“ verstanden fühlen, müssen wir wohl bei unseren kleinen Nischensendern bleiben. Ach, was heißt müssen? Dürfen!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #152 Oktober/November 2020 und Nadine Schmidt