RADIO COMPASS

Foto© by Joey Phoenix

Harte Zeiten

Bei RADIO COMPASS aus Salem, Massachusetts, ist von Riot Grrrl bis zu Pop alles zu finden. Mit „Aloha“ erschien nach einer EP von 2018 gerade das erste Album auf Gunner Records. Die Pandemie hat Frontfrau Angela Lee ziemlich mitgenommen – wie sich das auf „Aloha“ auswirkte, erzählte sie uns im Videointerview.

Ihr habt ein Foto von euch auf einem „Oktoberfest“ gepostet, das in Salem stattgefunden hat. Bei uns in München ist das Oktoberfest von Alkoholüberdosen, Schlägereien und Vergewaltigungen geprägt. Wie ist es bei euch?

Wow! Bei uns ist es etwas ganz anderes, total einfach und locker. Es ist ein Fest, zu dem viele Menschen, viele Familien kommen, wo ein Haufen Bands spielen und alle einfach Spaß haben.

Wer sind RADIO COMPASS? Auf der LP spielten neun Musiker:innen mit.
Das primäre Line-up besteht neben mir als Frontperson aus Franklin Siplas an der Gitarre und Kerry Lee am Bass, dazu haben wir zwei verschiedene Drummer, Ally Bull und Sean Cahalin. Es war nicht die ursprüngliche Besetzung, nur mussten wir aufgrund der Pandemie flexibel sein und deshalb haben auch die anderen bei dem Album mitgemacht.

Für mich habt ihr das Cover des Jahres. Auf dem einfachen Foto ist ein perfekter Moment zu sehen – eine Frau steht an einem Sommertag im Garten, trägt ein schlichtes Kleid und hat die Sonnenbrille in der Hand, dazu versprüht ein Kind Wasser.
Genauso ist es auch für mich – es „lebt in einem Moment“. Auf dem Foto ist meine beste Freundin zu sehen. Dadurch, dass nur ein Ausschnitt zu sehen ist, regt es dazu an sich vorzustellen, was alles drumherum passieren könnte.

Warum trägt die neue Platte dazu den Titel „Aloha“?
Ich habe meinen Vater auf Hawaii besucht, und als ich wieder nach Hause nach Massachusetts kam, war plötzlich der Shutdown. „Aloha“ benutzt du normalerweise, um „hallo“ zu sagen. Zu der Zeit damals ging viel kaputt, und Beziehungen, auf welchen Ebenen auch immer, fielen auseinander. Wir mussten uns alle arrangieren, mussten mit vielem neu umgehen lernen und unser Verhalten anpassen. All das prägt das Album. Und „Aloha“ war so gesehen eines der letzen Wörter, die ich gesagt habe, bevor sich die Welt verändert hat.

Du hast „Aloha“ in den Linernotes als dein musikalisches Tagebuch bezeichnet.
Während ich die Platte schrieb in der Pandemie, war es hart und ich habe Themen gehabt, über die ich noch nie etwas geschrieben hatte, wie etwa sozialpolitische oder soziologische Beobachtungen, die ich gemacht habe. Und auf der anderen Seite gab es die ganz simplen und schönen Dinge im Leben wie die Beziehungen, die uns guttun – ich habe versucht, das irgendwie auszubalancieren. Die ganzen Texte waren wesentlich persönlicher und schwerer als sonst bei mir.

Eure Songs machen mich ein wenig nervös – in einem positiven Sinne. Ich gerate oft an den Moment, an dem ich denke, jetzt kommt der Ausbruch, die Explosion – und ihr bremst wieder ab.
Ja, die Arrangements sind völlig anders als bisher. Ich war anderthalb Jahre mitunter auch ziemlich gelangweilt, weil man nichts machen konnte. Deshalb konnte ich viel ausprobieren. Manche Parts sind auch Fehler, die mir aber so gefallen haben, dass ich sie drin gelassen habe.

Gegenüber der Debüt-EP ist die Platte roher geworden.
Das liegt genau wie bei den Texten an den Zeiten, in denen sie geschrieben wurde, was auch die Musik widerspiegelt.

Du hast tatsächlich eher traurige Lyrics. „Run with you“ zeigt für mich beispielsweise, wie hart Liebe sein kann. Die positiven Stücke sind mit Orten verbunden: „I heart New York“ und „Salem romantics (Anyways)“. Warum?
In „Run with you“ geht es um meine platonische Liebe zu einer bestimmten Person. Wir haben eine lange Zeit nicht miteinander gesprochen, was von politischen Differenzen und unseren unterschiedlichen Lifestyles herrührt. Es hat auch wieder mit dem Aloha-Ding zu tun: Am Ende weißt du dennoch, dass du die Person liebst und alles für sie machen würdest, egal, was sie tut. New York bedeutet mir sehr viel, es zeigt, wie frei wir sein können, und ich rede hier nicht von Manhattan, sondern von Queens oder Brooklyn. Dort kannst du einfach sein, wie du bist. Für mich ist es faszinierend, wie man Teil von so etwas Großem sein kann und gleichzeitig völlig allein. Salem dagegen ist so etwas wie eine Zufluchtsstätte, in der du genauso ein Teil davon sein und gleichzeitig deine Privatsphäre haben kannst. Nur eben in einer ganz anderen Größenordnung.