Alle, die regelmäßig im Stattbahnhof in Schweinfurt unterwegs sind, kennen Heino. Also nicht den rechtskonservativen Schlagerfuzzi mit der Sonnenbrille, sondern Marco Heinickel. Der ist Vorstand vom Trägerverein und oft als Security im Saal oder an der Kasse im Einsatz. Sein Geld verdient der 35-Jährige in der Großindustrie, aber sein Herz hängt am Hardcore. Seinen Urlaub opfert er, um als Merchandiser, Fahrer oder Tourmanager mit Bands wie H2O, JUDGE, SICK OF IT ALL oder zuletzt den FLATLINERS auf Tour zu gehen.
Vor zwei Jahren hat Heino seine Leidenschaft fürs Radfahren entdeckt. Also nicht, wie ihr das vielleicht kennt, mit dem Lastenrad gemütlich zum Gemüseladen oder so. Nein, viel krasser. Beispiel gefällig? Mitte Juni haben RANCID im Schlachthof Wiesbaden gespielt, da ist er einfach mal mit seinem Rennrad hingefahren. Das sind schlappe 200 Kilometer von Schweinfurt aus. Zurück ging es dann im Auto der Freundin mit dem Fahrrad im Kofferraum. Ich habe mich mit Heino über die Faszination Fahrrad, den Ursprung seiner neuen Leidenschaft und Punks auf Bikes unterhalten. Übrigens: „Quäl dich, du Sau!“ ist der berühmte Satz, mit dem Radrennfahrer Udo Bölts im Juli 1997 seinen Team Telekom-Kapitän Jan Ullrich zum Tour de France-Sieg getrieben hat.
Wie hat das angefangen mit dem exzessiven Fahrradfahren bei dir?
Ich bin ein Pandemie-Sportler. Durch den Lockdown konnte man ja fast nichts mehr machen. Mein ganzer Lebensinhalt mit den Touren mit US-Bands war futsch. Ich wurde damit konfrontiert, Wochenenden auf meiner Couch verbringen zu müssen. Da dachte ich mir, das kann es doch auch nicht sein. Zuerst habe ich mit Wandern angefangen und dann hat mir vor etwa zwei Jahren ein guter Freund ein Fahrrad mehr oder weniger aufs Auge gedrückt. Der hatte sich das Bike bestellt, es hat ihm aber von der Größe her nicht getaugt. Also sagte ich: Bevor du es zurückschickst, nehme ich das Ding. Wenn ich ein- oder zweimal im Monat damit fahre, ist doch auch cool. Ist mal was anderes. Inzwischen besitze ich vier Fahrräder und es ist leicht eskaliert. So richtig krass, dass ich täglich fahre, ist es seit etwa einem Jahr. Inzwischen habe ich auch kein Auto mehr, das habe ich weggegeben und mache jetzt eben alles mit dem Fahrrad.
Was meinst du mit eskalieren? Fährst du damit zur Arbeit, oder wie? Wie viele Kilometer fährst du am Tag? Wie viele Stunden sitzt du im Sattel?
Der Durchschnitt aktuell ist zwischen 30 und 35 Stunden in der Woche. Das sind 700 bis 800 Kilometer. Zur Arbeit fahre ich tatsächlich nicht mit dem Rad, weil es nur eineinhalb Kilometer sind. Ich fahre aber vor oder nach der Arbeit, weil ich in drei Schichten arbeite. Die Spätschicht geht zum Beispiel von 14 bis 22 Uhr, dann setze ich mich jetzt im Sommer früh um fünf aufs Fahrrad, reiße meine 100 oder 150 Kilometer ab und gehe dann zur Arbeit. Und das jeden Tag. Bei allen Beschäftigungen habe ich immer ein leichtes Suchtpotenzial, aber mir taugt das voll. Es ist super, um den Kopf frei zu bekommen, und dieses Gefühl unterwegs zu sein, wie auf den Touren mit US-Bands, habe ich jetzt jeden Tag. Ich fühle mich jeden Tag wie im Urlaub, weil Franken echt schön ist.
Worin liegt die Faszination beim Radfahren? Du könntest ja auch ins Fitness-Studio gehen.
Das Schöne ist, dass du in kurzer Zeit riesige Strecken zurücklegen kannst. Mein Hobby Nummer eins ist eigentlich Essen und das kann ich mit dem Hobby Nummer zwei, dem Fahrradfahren, echt gut kompensieren. Ich fahre einfach vor der Arbeit nach Würzburg oder nach Bamberg zu meiner Freundin. Dann kann ich mir dort was richtig Gutes zu Essen reinschaufeln und fahre wieder heim. Und es setzt nichts an. Ich habe 33 Jahre lang nie Sport gemacht. Fitness-Studio habe ich mal versucht, musste mich aber immer dazu zwingen. Das hat mir nie wirklich Spaß gemacht. 100 oder 150 Kilometer am Tag radeln fällt mir überhaupt nicht schwer, das gibt mir ein saucooles Gefühl. Außerdem kann ich gerade essen, was ich will, das macht es natürlich umso geiler. Ich bin nämlich der Typ Mensch, der schon zunimmt, wenn er Essen nur anschaut.
Gibt es eine Verbindung zwischen Radfahren und Punk oder Hardcore?
Punk und Hardcore habe ich immer auf dem Ohr. Gerade wenn ich in den Bergen unterwegs bin, das pusht mich. So verbinde ich die beiden Welten. Auch beim Wandern hatte ich anfangs immer Kopfhörer drin. Neulich hatte ich aber meine Kopfhörer vergessen und bin fünf bis sechs Stunden ohne Musik geradelt. Das war auch schön, aber ich höre schon sehr gern meine Musik dabei. Wenn ich nur ein bisschen herumcruise höre ich gerne Bands wie HOT WATER MUSIC, bei Anstrengungen am Berg höre ich lieber Live-Sets von TERROR oder RAISED FIST. Die treiben gut nach vorne. Wenn ich die Chance habe, mein Fahrrad mit auf Tour zu nehmen, wie zuletzt bei Matze Rossi, dann nutze ich das natürlich auch. Dann kümmere ich mich abends um den Merchstand und tagsüber kann ich mit dem Rad die Gegend erkunden.
Bist du in deinem Freundeskreis der einzige Punk, der voll tätowiert auf dem Fahrrad durch die Gegend heizt? Oder gibt es da vielleicht sogar eine Szene?
Tatsächlich gibt es da einige, die wohnen aber leider ziemlich weit entfernt von hier. Deshalb fahre ich 95% meiner Radtouren alleine. Da kann ich losfahren, wann ich will, ich kann so lange und so schnell fahren, wie ich will. Ich finde Ausfahrten mit Freunden aber auch richtig schön, aber hier gibt es nur wenige Leute, die mein Pensum mitfahren wollen. Die wollen nur kleine Kaffeerunden drehen, das ist auch mal cool, aber ich will mehr. Ich weiß, dass es in Dresden eine Gruppe von zutätowierten Typen wie mich gibt, die nennen sich Kolibri Cycling. Einer von denen, André Grasshoff, spielt Schlagzeug bei RISK IT!. Der ist auch erst vor ein paar Jahren zum Radsport gekommen und fährt inzwischen ein Jahrespensum von weit über 10.000 Kilometern. Das hat für ihn einen extrem hohen Stellenwert, wie für mich. Ich richte mein ganzes Leben momentan nach dem Radfahren aus.
Gutes Equipment ist gerade beim Radsport extrem wichtig. Gibt es da spezielle Ausrüstung für Punks auf Bikes?
Das gibt es auf jeden Fall. Das ist genauso wie mit den Bandshirts in der Punk- und Hardcore-Szene. Die Leute mögen es eben gerne schwarz und mit Totenköpfen. Ich sehe mich selbst auch nicht als neongelber Blitz in der Landschaft. Auch wenn es aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich schlauer wäre. Es gibt zum Beispiel Cyclepunks, das ist ein Typ aus Oldenburg, der coole Designs macht und sich gegen Rassismus und Nazis positioniert. Seine Trikots finde ich echt cool. Ich feiere dieses Punkige im Radsport auch ab. Viele Rennradfahrer betrachten ihren Sport ja ziemlich elitär. Ich habe das auch gemerkt, als ich mich noch gegen diese Ganzkörperkondome gewehrt habe. Da hat mich nie jemand auf dem Rad gegrüßt und ich habe mich immer gewundert. Das lag wahrscheinlich an meinen Bandshirts. Seit ich selbst diese hautenge Radlerkleidung trage, werde ich plötzlich gegrüßt. Aber eigentlich mag ich das gar nicht, deshalb finde ich solche Brands wie Cyclepunks oder auch Suicycle aus Hamburg echt gut. Die sich auch bewusst gegen diese elitäre Verhalten stellen.
Kennst du noch weitere Musiker aus der Punk- und Hardcore-Szene, die radeln?
Nick Jett, der Schlagzeuger von TERROR, war lange Zeit der Einzige, von dem ich es wusste. Der hat sogar ein eigenes Fahrrad hier, wenn er in Deutschland auf Tour ist. Ein Rennrad, das er im Büro von Navigator Productions in Würzburg eingelagert hat. Das hat er immer mit auf Tour genommen und hat damit seine Runden gedreht. Oder auch Dan Smith, der bei der Band SHARP/SHOCK singt. Von dem weiß ich auch, dass er regelmäßig Rennrad fährt.
Wie wichtig ist gutes Equipment? Lohnt sich das?
Das bringt verdammt viel. Das arschteure Rad muss es nicht unbedingt sein, du kannst auch mit einem Fahrrad für 1.500 Euro wirklich schnell fahren. Anfangs dachte ich auch, das ist ja eine Menge Geld, aber mit der Zeit verliert man jegliches Verhältnis zu solchen Preisen. Mein neues Carbon-Bike kostet schlappe 6.000 Euro. Aber der Unterschied im Gewicht zu billigen Rädern ist einfach enorm. Das sind einfach Welten. Und an diese Funktionsklamotten habe ich mich auch inzwischen gewöhnt. Ein Jahr lang habe ich mich geweigert, da mitzumachen, aber als ich zum ersten Mal eine Radlerhose und ein enges Trikot anhatte, habe ich den Unterschied beim Luftwiderstand sofort bemerkt. Es wäre auch gar nicht möglich, dreißig Stunden in der Woche mit einer normalen Hose zu fahren. Da könntest du nicht mehr sitzen. Du hast außerdem keinen nassen Baumwollklumpen am Leib kleben und bist viel schneller, wenn du nichts hast, was flattert. Das erste Jahr bin ich nur mit Turnschuhen gefahren und inzwischen habe ich bei jedem Fahrrad Klickpedale und Schuhe mit Carbonsohlen. Damit überträgt man die Kraft viel besser aufs Fahrrad. Wenn man viel fährt, braucht man diese Sachen wirklich.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Wolfram Hanke