PUNKROCK-KARAOKE

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D.I.Y. or die

Seit letzten Herbst gibt es in Berlin ein neues Phänomen. Und zwar treten Christian aka Dr.Strangelove, Hadl aka B.J. Rowlin’ Paxton und Baku aka T.T. Trasher live auf und spielen alles von alten Punk-Klassikern wie den SEX PISTOLS, OPERATION IVY oder den RAMONES über Pop-Punk à la GREEN DAY und BLINK 182 bis hin zu dem Lieblings-WEEZER-Song deiner Freundin. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine 08/15-Cover-Band, wie es damals an jeder Schule eine gab, denn die drei haben keinen Sänger. Dieser wird aus dem Publikum geholt und einfach auf die Bühne gestellt, wenn nötig mit einem Textblatt in der Hand. Karaoke eben. Aber keine normale Karaoke, sondern eine Punkrock-Karaoke. Und das geht ungefähr so ...

Im ganzen Club hängen Plakate mit allen Songs, die zur Auswahl stehen, und wenn sich jemand entschieden hat, oder betrunken genug ist, einen Song zu singen, dann kommt er oder sie an die Bühne, schnappt sich dort ein Blatt mit dem Song-Text, und los geht’s.“, meint Baku dazu, wie so ein Abend abläuft.


„Ist soweit immer eine gute Stimmung gewesen, besonders bei unserer Show in Darmstadt, da waren mehr als 500 Leute. Das war Rock’n’Roll!“ Sagt er, und meint dann weiter: „Und dabei stehen wir erst am Anfang, haben ja erst fünf Shows gespielt. Aber anscheinend macht es den Leuten wahnsinnig Spaß, zur Abwechslung mal selbst auf der Bühne zu stehen und aktiv an einer Show teilzunehmen, anstatt immer nur passiv im Publikum zu stehen. Und das ist ja auch gut so. Denn darum ging es ja im Punkrock schon immer – do it yourself. Ich denke, Punkrock-Karaoke ist eine sehr gute Plattform dafür, sich auch mal zu trauen, selber etwas zu machen. Jeder sitzt ja im selben Boot, jeder ist wegen Karaoke da. Ist sicher für manche Leute gut, zu sehen, wie es ist, auf einer Bühne vor Publikum zu stehen.“

Neben dem ganzen Spaß geht es also auch darum, den Kids zu zeigen, wie es ist, in einer Band zu sein, und dass man sich trauen sollte, auch mal selber was auf die Beine zu stellen.

„Ja, aber hauptsächlich geht es natürlich um den Spaß, ist ja ganz klar.“, sagt Baku.„Aber wenn jemand auf der Bühne sich dann denkt, ‚Wow, cool, das macht Spaß, ich lerne jetzt ein Instrument spielen und gründe eine Punk-Band‘, dann ist das natürlich mehr als erwünscht.“

Vorbild für die ganze Geschichte war ein Artikel im Punk Planet-Magazin letztes Jahr über dasselbe Phänomen in den USA. In diversen Städten wie New York City und Chicago gibt es schon seit Jahren Punkrock-Karaoke. Dort gibt es Leute, die fast schon professionelle Karaoke-Sänger sind, ein richtiges Bühnen-Outfit haben, und auf jede Show kommen. Als Baku, Hadl und Christian diesen Artikel durchlasen, dachten sie, dass genau so was in Berlin noch fehlt. Zumindest mit einer Live-Band, denn Punkrock-Karaoke der klassischen Art gab es schon davor.

„Doch kannten wir keine mit Live-Band. Und genau das macht ja den Spaß an der Sache aus – das Gefühl zu haben, in einer Band zu sein, nicht alleine auf der Bühne stehen zu müssen. Außerdem hören sich Punk-Songs live einfach besser an als auf Platte, denn live kann man sie viel dreckiger und authentischer spielen.“

Also setzten sie sich ein paar Abende lang hin und schrieben Punk- und Hardcore-Klassiker heraus, sowie neuere Punk-Songs und auch ein paar Indie-Hits.

„Eben alles, was uns einfiel. Jeden Song, den wir in den letzten 20, 30 Jahren als wichtig erachteten, schrieben wir auf.“

Am Schluss hatten sie trotz strengster Selektion ungefähr 200 Songs aufgeschrieben. Und hatten noch lange nicht das ganze Potential der Punkrock- und Hardcore-Szene ausgeschöpft.

„Es gibt so viele wichtige Punkrock-Songs. Mit Songs wie ‚Teenage Kicks‘ der UNDERTONES oder ‚Anarchy in the UK‘ der SEX PISTOLS kratzt man ja nur an der Oberfläche. Dann gibt es da noch Millionen anderer Bands, die genauso wichtig waren oder sind wie zum Beispiel OPERATION IVY oder SOCIAL DISTORTION, die GORILLA BISCUITS oder MINOR THREAT und JAWBREAKER. Und dann sind da noch Bands wie die PIXIES oder TURBONEGRO und die DESCENDENTS, die alle auch nicht fehlen dürfen. Und eine dieser Bands wegzulassen, ist ja schon fast eine Sünde. Ist gar nicht so einfach gewesen, dieser ganze Selektions-Prozess ...“, erzählt Baku.

Da es aber unmöglich war, innerhalb der kurzen Zeitspanne bis zu ihrer ersten Show 200 Songs zu lernen, ging die Selektion weiter, bis sie die Liste auf eine realistische Anzahl reduziert hatten. Danach setzten sie sich hin und übten, übten, übten. Ob es denn nicht viel Arbeit sei, all diese Songs zu lernen, frage ich da.


„Also eigentlich“, erzählt Baku, „hat ja der klassische Punk-Song an sich sowieso nur drei Akkorde. Allerdings können wir inzwischen fast 45 Songs, und die zu lernen, war schon verdammt viel Arbeit. Denn wenn man diese drei Akkorde 45-mal variieren muss, bedeutet schon, dass viel Zeit zum Üben drauf geht.“

Zuerst war die ganze Sache nur für Berlin gedacht. Doch bekommen die Jungs inzwischen immer mehr Anfragen von außerhalb und fangen deshalb jetzt auch an, öfters an Wochenenden in andere Städte zu fahren, um dort eine Karaoke-Performance aufzuziehen.

„Früher oder später würden wir gerne auch mal mit der ganzen Karaoke-Geschichte auf Tour gehen“, meint Baku dazu. „Das wäre mal was anderes und sicher lustig. Im Grunde sind wir ja auch eine Art Band. Nur ohne Sänger und eigene Songs eben.“ Aber das haben sie ja bei EVEREST, ihrer eigentlichen Band mit denen sie gerade ihre dritte Platte in Eigenproduktion veröffentlicht haben. Wegen EVEREST sind sie auch nach Berlin gezogen, da „das Leben dort billiger ist, und wir so mehr Zeit haben, unsere Arbeit und Energie in die Band zu stecken, anstatt in irgendwelche Jobs“, erklärt Baku.

Die nächsten Karaoke-Partys sind natürlich schon geplant, z.B. am 26.03. und am 28.05. in Berlin und am 27.05. in Dresden. Sicherlich kommen da aber noch einige Shows dazu. Die neuesten Dates kann man ihrer Website auschecken. Da gibt es übrigens auch eine Auflistung all der Songs, die die Jungs spielen, und zwar inklusive der Songtexte zum Runterladen, damit man schon vorab zu Hause vor dem Spiegel an seiner Performance arbeiten kann. Zusätzlich gibt es noch ein Gästebuch, wo man selbst Songs vorschlagen kann, die man gerne singen würde.


„Denn letztendlich“, meint Baku „ist unsere Song-Auswahl ja auf unseren Musikgeschmack bezogen. Jemand anders erachtet vielleicht einen ganz anderen Song für wichtig und würde gerne etwas singen, was noch nicht auf unserer Liste steht. Im Moment probieren wir ja noch aus, welche Songs beim Publikum gut ankommen, und welche nicht. Also sind wir immer offen für neue Vorschläge und wollen unser Programm auch regelmäßig erweitern und variieren. Wir wollen das Ganze ja zusammen mit dem Publikum machen, und niemandem vorschreiben, was er oder sie zu singen hat. Jeder soll freie Auswahl haben, und auch Wünsche äußern können. Insbesondere Vorschläge für Songs mit weiblichen Sängerinnen sind uns willkommen, denn daran fehlt es uns bis jetzt noch.“

Also einen Wunschsong vorgeschlagen, wenn nicht bereits vorhanden, die Tanzschuhe ausgepackt, ein paar Stimmübungen gemacht und nichts wie hin. Denn wer wäre denn nicht einmal gerne für drei Minuten lang Johnny Rotten oder Mike Ness. In seine eigene Stadt kann man die Punkrock-Karaoke übrigens auch bestellen ...